Urteil des VG Berlin vom 16.10.2009

VG Berlin: weisung, disziplinarverfahren, polizeibeamter, offenkundig, leiter, urlaub, antritt, quelle, gespräch, abgabe

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Gericht:
VG Berlin
Disziplinarkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
80 K 15.09 OL
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 55 StPO , § 77 BDG, § 41 DG
BE
Dienstvergehen eines Polizeibeamten; Ablieferung von
zeugenschaftlichen Äußerungen
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtlichen Verfahrens; die Kosten des behördlichen
Disziplinarverfahrens trägt er zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beteiligten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H.
des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Disziplinarverfügung, mit der gegen ihn eine
Geldbuße in Höhe von 100,- € ausgesprochen wurde.
Der im 19... in L. geborene Kläger trat 19... als ... Polizeihauptwachtmeister-Anwärter in
den Polizeidienst des Landes Berlin; nach erfolgreicher Absolvierung der
Laufbahnprüfung und der beamtenrechtlichen Probezeit ernannte der Beklagte den
Kläger im 19... zum Polizeimeister. Im 20... erfolgte in diesem Amt die Übernahme des
Klägers in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit.
Die dienstlichen Beurteilungen des zuletzt im Polizeiabschnitt im Einsatzdienst
verwendeten Klägers in den letzten Jahren lauteten auf „befriedigend“ (2...) und „C“
(2…). Der Kläger ist ledig und hat keine Kinder.
In der Nacht vom 6. zum 7. August 2006 vertrat der Kläger einen erkrankten Kollegen
auf dem A und wurde als Objektschutzstreife eingesetzt. In diesem Zusammenhang
machte er – etwa in der Zeit zwischen 3 Uhr 30 und 4 Uhr 20 am 7. August 2006 – in der
Nähe eines von ihm überprüften Objekts gemeinsam mit seinem Kollegen
Beobachtungen hinsichtlich einer tätlichen Auseinandersetzung eines Jordaniers mit
einem Kubaner. Der Vorfall wurde von einer angeforderten weiteren
Funkwagenbesatzung aufgenommen.
Am 2. Oktober 2006 erbat der für die Bearbeitung des Falles zuständige Sachbearbeiter
PHM Buck (A 41) vom Kläger schriftliche zeugenschaftliche Äußerungen zu dem Vorfall
vom 7. August 2006, wobei er auch um die Beantwortung bestimmter Fragen
(Vorhandensein äußerlicher Verletzungen u. ä.) bat. Die Rückgabe solle bis zum 25.
Oktober 2006 erfolgen.
Nachdem der Kläger die angeforderten schriftlichen Äußerungen bis zu diesem Datum
nicht abgeliefert und auf Veranlassung des Dienstgruppenleiters durch PHK Borchert per
E-Mail am 25. Oktober 2006 und in einem persönlichen Gespräch am 4. November 2006
darauf angesprochen und zur Erledigung aufgefordert wurde, sicherte der Kläger diesem
gegenüber zu, die Äußerung bis zum 10. November 2006, dem letzten Tag vor seinem
Urlaub, zu fertigen. In einem Gespräch am 6. November 2006 teilte der
Dienstgruppenleiter des Klägers diesem mit, dass sein Verweigerungsverhalten auch
disziplinarrechtliche Konsequenzen haben könne.
Der Kläger ließ sich daraufhin am 6. November 2006 von PHM Buck die
Vorgangsnummer mitteilen. Am 9. November 2006 schickte er PHM Buck eine E-Mail, in
der er äußerte, im System POLIKS keine Zuarbeit für diese Vorgangsnummer erstellen
zu können. Er bat um Mitteilung, „wie wir das bearbeiten“. Er könne vorab schon sagen,
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zu können. Er bat um Mitteilung, „wie wir das bearbeiten“. Er könne vorab schon sagen,
dass er teilweise noch ganz andere Feststellungen gemacht habe. Unter anderem
hätten sich drei Beteiligte, von denen er keine Namen hätte, auf der Motorhaube des
Fahrzeugs geprügelt; dies sei in keiner Anzeige erwähnt worden.
Nach dem 10. November 2006 trat der Kläger, ohne den Bericht gefertigt zu haben,
einen mehrwöchigen Urlaub an. Der Vorgang bezüglich der Körperverletzung vom 7.
August 2006 wurde am 13. November 2006 durch PHM Buck mit einem Schlussvermerk
an die Amtsanwaltschaft Berlin übersandt. Darin nahm er auf die „bisher
eingegangenen“ zeugenschaftlichen Äußerungen der eingesetzten Polizeibeamten
Bezug und teilte mit, dass sich der Kläger bisher nicht geäußert habe.
Am 30. November 2006 leitete der Leiter der Direktion 4 ein behördliches
Disziplinarverfahren gegen den Kläger ein wegen des Vorwurfs, dienstlichen Weisungen
bezüglich der Anfertigung einer zeugenschaftlichen Äußerung nicht nachgekommen zu
sein. Mit Schreiben vom 12. März 2007 wurde das Disziplinarverfahren um zwei Vorwürfe
(Freiheitsberaubung im Zusammenhang mit dem Vollzug eines Haftbefehls; Nötigung)
erweitert und im Hinblick auf das noch nicht abgeschlossene Strafverfahren zunächst
ausgesetzt. Mit rechtskräftigem Urteil vom 20. Mai 2008 sprach das Amtsgericht
Tiergarten den Kläger hinsichtlich der weiteren Vorwürfe frei. Unter dem 17. August 2008
teilte der Beklagte dem Kläger das Ergebnis der disziplinaren Ermittlungen mit:
Hinsichtlich der beiden im Strafverfahren behandelten Vorwürfe liege auch ein
disziplinarer Überhang nicht vor; das Handeln des Klägers in diesen beiden Fällen sei
rechtmäßig gewesen. Es bleibe jedoch beim Vorwurf, pflichtwidrig die geforderte
zeugenschaftliche Äußerung hinsichtlich des Vorfalls vom 7. August 2006 nicht
abgegeben zu haben. Diese Äußerung hätte er auch formlos ohne Zuhilfenahme des
System POLIKS erstellen können und müssen. Die Dienstverrichtungsnachweise zeigten
auch, dass der Kläger Zeit und Gelegenheit - insbesondere im Rahmen disponibler
Dienste - gehabt hätte, die Anforderung zu erfüllen.
Im Wesentlichen mit dieser Begründung erließ der Leiter der Direktion 4 nach Beteiligung
der Frauenvertreterin und des Personalrats unter dem 27. Februar 2009 die hier
angefochtene Disziplinarverfügung gegen den Kläger, mit der eine Geldbuße in Höhe von
100,- € festgesetzt und die Erstattung von Auslagen des Klägers abgelehnt wurde.
Mit der Klage erstrebt der Kläger die Aufhebung der Disziplinarverfügung. Er trägt vor,
zur Abgabe einer zeugenschaftlichen Äußerung dienstlich nicht verpflichtet gewesen zu
sein. So sei er über seine Rechte aus § 55 StPO nicht belehrt worden, wonach sich ein
Zeuge nicht selbst belasten brauche. Generell sei der Kläger als Polizeibeamter zwar
verpflichtet, Straftaten zu erforschen; dazu gehöre jedoch nicht eine zeugenschaftliche
Äußerung, zumal der Kläger bei dem Vorfall nicht der ermittelnde Beamte gewesen sei.
Dem Kläger stünden wie jedem Bürger Zeugnisverweigerungsrechte zu, wie auch das
Recht, vor der Polizei keine Angaben machen zu müssen. In dieses allgemeine
Bürgerrecht des Klägers sei mit der Weisung zur Anfertigung der zeugenschaftlichen
Äußerung eingegriffen worden. Wegen dieses Eingriffs in die Privatsphäre des Klägers sei
die Weisung offenkundig rechtswidrig gewesen und stelle einen evidenten, besonders
schweren Verfassungsverstoß dar. Im Übrigen sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger
tatsächlich ausreichend Zeit zur Anfertigung der schriftlichen Äußerungen gehabt habe.
Der Kläger beantragt,
die Disziplinarverfügung vom 27. Februar 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der in der Disziplinarverfügung gegebenen Begründung fest. Für eine
Belehrung des Klägers über ein mögliches Auskunftsverweigerungsrecht habe es keinen
Anhaltspunkt gegeben.
Das Disziplinargericht hat den Disziplinarvorgang und die Personalakte des Klägers
beigezogen. Diese Vorgänge sind, soweit erheblich, Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
Durch Beschluss der Kammer vom 28. September 2009 ist der Rechtsstreit gemäß § 6
Abs. 1 VwGO dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Dem angegriffenen Bescheid stehen formelle Bedenken nicht entgegen.
Frauenvertreterin und Personalrat sind ordnungsgemäß am Verfahren beteiligt worden.
Der Kläger hat ein Dienstvergehen begangen, denn er hat unter Verletzung seiner aus §
21 Satz 2 LBG (a.F.) folgenden Gehorsamspflicht die von ihm geforderten
zeugenschaftlichen Äußerungen zu seinen Beobachtungen des Vorfalls vom 7. August
2006 nicht beim zuständigen Sachbearbeiter abgeliefert.
Der Kläger ist mehrfach durch unmittelbare Vorgesetzte, nämlich durch PHK Borchert
am 25. Oktober und 4. November 2006 sowie durch seinen Dienstgruppenleiter –
insoweit sogar unter Androhung disziplinarrechtlicher Konsequenzen – am 6. November
2006 zur Abgabe der von PHM Buck angeforderten zeugenschaftlichen Äußerung
aufgefordert worden. Dem ist der Kläger trotz Zusage, dies noch vor Antritt seines
Urlaubs zu erledigen, nicht nachgekommen, so dass der Vorgang ohne die schriftlich
niederlegten Beobachtungen des Klägers Mitte November 2006 an die Amtsanwaltschaft
weitergeleitet wurde.
Gründe, dass im vorliegenden Fall ausnahmsweise keine Pflicht des Klägers zur
Befolgung der Weisung bestanden haben könnte, liegen nicht vor: Die Gehorsamspflicht
des Beamten besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob die betreffende Aufforderung
rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 2006 – 2 BvR
1925/06 –, nach juris Rn. 16 m.w.N.). Bei vermuteter Rechtswidrigkeit steht dem
Beamten die Möglichkeit des Remonstrationsverfahrens (§ 22 LBG a.F.), ggf. auch die
Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes zur Seite. Auch diese
Schritte entbinden ihn allerdings grundsätzlich nicht von der Pflicht zur Ausführung der
Weisung.
Anderes gilt nur, wenn die streitige Weisung als offenkundig rechtswidrig bewertet
werden muss (BVerfG a.a.O). Davon kann hier – entgegen der Auffassung des Klägers –
keine Rede sein: Der Kläger ist eben nicht wie ein normaler Bürger im Rahmen einer
polizeilichen Zeugenvernehmung zu einer Schilderung seiner Beobachtungen
aufgefordert worden, sondern als Polizeibeamter, der im Rahmen seiner allgemeinen
Dienstpflicht, an der Aufklärung von Straftaten mitzuwirken (vgl. § 163 StPO), über von
ihm während der Dienstausübung gemachte Beobachtungen hinsichtlich einer Straftat
berichten sollte. Die mündliche oder schriftliche Weitergabe von solchen während der
Dienstausübung erlangten strafrechtlich relevanten Erkenntnissen an die Dienstbehörde
gehört zu den elementaren Pflichten des Polizeibeamten, wobei es keinen relevanten
Unterschied macht, ob der Polizeibeamte in der Sache selbst ermittelnde Aufgaben
wahrgenommen hat.
Auch die fehlende Belehrung des Klägers nach § 55 StPO über ein
Auskunftsverweigerungsrecht machte die Weisung nicht offenkundig rechtswidrig.
Abgesehen davon, dass der Kläger als Polizeibeamter gewusst haben wird, dass er sich
durch eigene Angaben nicht selbst belasten muss, ist sogar bei einer regulären
Zeugenvernehmung nach der StPO eine Belehrung nach § 55 Abs. 2 StPO nur dann
erforderlich, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Zeuge sich durch
wahrheitsgemäße Angaben selbst belasten könnte. Dafür gab es hier keinerlei Hinweise.
Soweit der Kläger behauptet, er habe keine Zeit gehabt, die geforderte
zeugenschaftliche Äußerung zu erstellen, so kann dem aus den in der
Disziplinarverfügung genannten Gründen nicht gefolgt werden, denn der Kläger hätte
etwa seinen disponiblen Dienst im Rahmen von Prioritäten so gestalten müssen, dass er
den geforderten Bericht in diesen Zeiten hätte abfassen können. Die an PHM Buck
gerichtete E-Mail vom 9. November 2006 zeigt, dass sich der Kläger jedenfalls an
diesem Tag mit der Sache befasst hat.
Spätestens an diesem oder am nächsten Tag, also noch vor Antritt seines Urlaubs ab
11. November 2006, hätte der Kläger den geforderten Bericht – ggf. ohne Einsicht in das
Poliks-System und ohne weitere Rückmeldung durch PHM Buck – anfertigen müssen, da
ihm hätte klar sein müssen, dass er danach für längere Zeit nicht mehr dienstlich
erreichbar sein würde. Das Versäumnis wiegt auch deshalb schwer, weil der Kläger
hinsichtlich des Vorgangs aus seiner Sicht bedeutsame Angaben hätte machen können
(„Ich kann dir auf jeden Fall schon mal vorab sagen, daß ich teilweise noch ganz andere
Feststellungen gemacht habe…“ – E-Mail des Klägers an PHM Buck vom 9. November
2006).
Der Kläger handelte schuldhaft, nämlich zumindest fahrlässig. Die vom Beklagten
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Der Kläger handelte schuldhaft, nämlich zumindest fahrlässig. Die vom Beklagten
ausgesprochene Geldbuße in Höhe von 100 € ist – auch unter Berücksichtigung der
bisherigen disziplinaren Unbelastetheit des Klägers – als sehr maßvoll anzusehen. Die
beharrliche Uneinsichtigkeit des Klägers, insbesondere auch noch nach dessen
Ermahnung durch den Dienstgruppenleiter am 6. November 2006 unter
Inaussichtstellung disziplinarer Konsequenzen, hätte auch eine spürbarere Maßnahme
gerechtfertigt, an deren Verhängung die Disziplinarkammer jedoch wegen des
Verschlechterungsverbots gehindert ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 DiszG i. V. m. § 77 Abs. 1 und 4 BDG, § 37 Abs.
1 DiszG sowie § 154 Abs. 1 VwGO. Die in der Disziplinarverfügung getroffene Kosten- und
Auslagenentscheidung bezüglich des behördlichen Disziplinarverfahrens war unter
Beachtung des Maßstabs aus § 37 Abs. 1 und Abs. 4 DiszG dahingehend zu korrigieren,
dass der Kläger insoweit nur 1/3 der Kosten zu tragen hat, ihm demgemäß (§ 37 Abs. 4
DiszG) 2/3 seiner notwendigen Auslagen zu erstatten sein werden, weil von den
ursprünglich drei Vorwürfen im behördlichen Disziplinarverfahren sich nur ein Vorwurf hat
erweisen lassen, der Grundlage für die Disziplinarmaßnahme wurde, und die
weggefallenen Vorwürfe im Gewicht dem erwiesenen Vorwurf jedenfalls nicht
nachstehen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 3 DiszG i.V.m. § 167
VwGO, §§ 708 Nr. 11; 711 ZPO.
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