Urteil des VG Berlin vom 13.03.2017

VG Berlin: abfindung, vollstreckung, abrede, kaufvertrag, rückübertragung, entschädigung, eigentümer, drucksache, öffentlich, link

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Gericht:
VG Berlin 4. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 A 69.07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 1 S 1 Nr 11 EntschG, §
12 Abs 3 S 1 EntschG, § 56 Abs
1 LAnpG
Abführungspflicht von Abfindungen an den
Entschädigungsfonds im Zusammenhang mit dem
Bodenneuordnungsverfahren
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil
vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Pflicht zur Abführung eines Geldbetrags, den die Klägerin
als Eigentümerin eines Grundstücks im Rahmen eines Bodenneuordnungsverfahrens
nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz von den dinglich Nutzungsberechtigten
erhielt.
Das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Brandenburg lehnte mit
Bescheid vom 23. Februar 1998 den Antrag auf Rückübertragung dreier Grundstücke ab
und zwar des 484 qm großen Flurstücks 14/4 der Flur 3 (VG 4 A 68.07), des 440 qm
großen Flurstücks 3/1 der Flur 2 (VG 4 A 69.07) und des 441 qm großen Flurstücks 3/2
ebenfalls der Flur 2 (VG 4 A 70.07) jeweils der Gemarkung W.. Die Behörde stellte zwar
jeweils Schädigungen fest, sah aber jeweils auch den Ausschlusstatbestand des
redlichen Erwerbs eines dinglichen Nutzungsrechts als gegeben an.
Das Land B. erstellte am 5. Juni 2001 einen Bodenordnungsplan (W./Eigenheim 2), der
auch die vorgenannten Grundstücke umfasste. Dazu einigten sich die dortigen
Beteiligten über die Neuordnung der Eigentumsverhältnisse (Vereinigung von Boden-
und Gebäudeeigentum in einer Hand) und die daraus resultierenden Abfindungen. Die
Klägerin als jeweilige Bodeneigentümerin war jeweils damit einverstanden, für das
jeweilige Flurstück im Bodenordnungsverfahren an Stelle einer Landabfindung eine
Geldabfindung in Höhe von 11,48 DM/qm zu erhalten. Der Bodenordnungsplan wurde
ausgeführt.
Mit Bescheid des Bundesamts für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen vom
26. Juni 2006 setzte die Beklagte gegen die Klägerin einen an den Entschädigungsfonds
zu zahlenden Abführungsbetrag in Höhe von 2.846,77 € fest. Die Klägerin erfüllte die
Forderung.
Sie hat am 22. Juli 2006 Klage erhoben und macht dazu geltend, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr.
11 EntschG decke den Bescheid nicht, weil die von den Nutzungsberechtigten erlangte
Abfindung kein Veräußerungserlös aus einem Verkauf sei. Im Übrigen sie die Forderung
der Beklagten in entsprechender Anwendung von § 195 BGB verjährt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bundesamts für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen
vom 26. Juni 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Sie meint, die im Rahmen des Bodenordnungsverfahrens getroffenen Abreden
entsprächen im Wesentlichen Kaufverträgen, so dass die Abfindungen als
Veräußerungserlöse an den Entschädigungsfonds abzuführen seien. Sie habe die
Forderung fristgerecht geltend gemacht.
Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin am 27. April 2007 mit einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Verwaltungsvorgang A 4998/04 hat vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die das Gericht infolge des Einverständnisses der Beteiligten gemäß §
101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung hat entscheiden können, ist
unbegründet, weil der Bescheid rechtmäßig ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG sind Veräußerungserlöse aus dem nach dem
27. Juli 1990 an die Inhaber dinglicher Nutzungsrechte für Eigenheime erfolgten Verkauf
von ehemals volkseigenem Grund und Boden an den Entschädigungsfonds abzuführen,
wenn die Rückübertragung nach § 4 VermG ausgeschlossen ist. Der Klägerin ist
zuzugeben, dass diese Norm den Bescheid in direkter Anwendung nicht trägt. Zwar sind
die übrigen Merkmale der Norm, was hier keiner Darlegung bedarf, erfüllt. Doch ist die
Abfindung in der Tat kein Veräußerungserlös aus dem Verkauf der Grundstücke. Der
Begriff „Verkauf“ ist ein Rechtsbegriff, der einen zivilrechtlichen Vertrag zum Austausch
insbesondere von Sachen gegen einen Kaufpreis meint. Der Veräußerungserlös ist das
von den Nutzern bzw. Erwerbern Erbrachte (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom
20. Juni 2002 - BVerwG 3 C 47.01 -, VIZ 2002, 626). Die Anknüpfung an einen Vertrag
zeigt § 12 Abs. 3 Satz 1 EntschG. Die hier streitige Abfindung geht aber nicht auf einen
zivilrechtlichen Vertrag zurück, sondern ist Teil einer hoheitlichen Neuordnung der
Bodenverhältnisse. Das ergibt sich aus § 64 Satz 1 LwAnpG, wonach das Eigentum an
näher bezeichneten Flächen, auf Antrag des Eigentümers der Fläche oder des Gebäudes
und der Anlagen nach den Vorschriften des 8. Abschnitts des Gesetzes neu zu ordnen
ist. Der hier von der Bodenordnungsbehörde herangezogene § 56 Abs. 1 LwAnpG
bestimmt, dass ein Bodenordnungsverfahren durchzuführen ist, wenn ein freiwilliger
Landtausch nicht zustande kommt. Durch den ausgeführten Bodenordnungsplan tritt
der in ihm vorgesehene neue Rechtszustand an die Stelle des bisherigen (§ 61 Abs. 2
LwAnpG). Die Rechtsänderung hat ihren Geltungsgrund nicht im übereinstimmenden
Willen der Verfahrensbeteiligten, sondern in der hoheitlichen Ausführungsanordnung,
mag diese auch Abreden der Verfahrensbeteiligten etwa über die Art der Abfindung
aufgreifen.
Der Wortlaut („Veräußerungserlös aus dem Verkauf“) ist nicht erweiternd auf
Abfindungen aus einem Bodenordnungsplan auszulegen. Dies verließe den äußersten
Wortsinn, der eben allenfalls zivilrechtliche Rechtsgeschäfte umfasst. Die Beklagte
scheint das nicht ganz anders zu sehen. Denn sie räumt ein, dass kein Kaufvertrag
vorliegt, sondern nur eine Abrede, von der sie (ohne Befassung mit dem
Landwirtschaftsanpassungsgesetz) meint, sie entspreche im Wesentlichen einem
Kaufvertrag. Angemerkt sei, dass die Auffassung der Beklagten in einem Fall, in dem ein
am Bodenordnungsverfahren Beteiligter nicht mit einer Abrede einverstanden ist, aber
gleichwohl nach dem Bodenordnungsplan eine Abfindung erbringen muss und erbringt,
dazu führte, dass die Abfindung nicht der Abführung unterliegt.
Indes ergibt sich die Abführungspflicht aus einer analogen Anwendung der Norm. Die
analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist von Verfassungs wegen
grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 3.
April 1990 - 1 BvR 1186/89 -, BVerfGE 82, 6 [11]). Die offene Frage, ob eine nur analog
anwendbare gesetzliche Vorschrift dem Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für
Grundrechtseingriffe genügen kann (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 31. Mai
2006 - 2 BvR 1673/04 und 2401/02 -, NJW 2006, 2093 [2094]), stellt sich hier nicht, weil
auf Seiten der Klägerin keine Grundrechte betroffen sind.
Die für die analoge Anwendung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke ergibt sich aus
der Entstehungsgeschichte der Norm. Sie entspricht, von einer hier nicht erheblichen
Einfügung abgesehen, dem Entwurf für § 10 Abs. 1 Nr. 12 des Entschädigungsgesetzes.
In der Entwurfsbegründung (Deutscher Bundestag, Drucksache 12/4887, Seite 37) hieß
es, Grundstücke, die wegen eines redlich erworbenen dinglichen Nutzungsrechts nicht
zurückgegeben werden können, seien aus dem Entschädigungsfonds zu entschädigen;
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zurückgegeben werden können, seien aus dem Entschädigungsfonds zu entschädigen;
deshalb stünden dem Entschädigungsfonds die Erlöse oder Nutzungsentgelte zu, die
vom Erwerber oder Nutzer erbracht werden. Das, was die Nutzer im Rahmen eines
Komplettierungsgeschäfts an den staatlichen Eigentümer des Grundstücks, für das eine
Entschädigung aus dem Entschädigungsfonds zu zahlen ist, erbringen, soll in den
Entschädigungsfonds eingehen. Gemessen daran findet sich kein einleuchtender Grund
dafür, dass zwar ein Veräußerungserlös aus dem Verkauf, nicht aber die Abfindung aus
dem Bodenordnungsverfahren, das nach § 64 Satz 1 LwAnpG wie ein
Komplettierungskauf Boden- und Gebäudeeigentum zusammenführen soll, in den
Entschädigungsfonds fließt. Das Ziel dieses Verfahrens ist das gleiche wie das durch § 3
Abs. 1 SachenRBerG angestrebte. Lediglich die Mittel dorthin unterscheiden sich
(hoheitliche Regelung dort, vertragliche hier). Im Ergebnis aber kann es dazu kommen,
dass im Gegenzug zu einer Eigentumsverschaffung Geld in die Kasse des (öffentlich-
rechtlichen) Eigentümers fließt.
Die Regelungslücke ist dadurch zu schließen, dass die Abführungspflicht auch
Abfindungen aus dem Bodenordnungsplan erfasst.
Der Verjährungseinwand greift nicht. Zutreffend verweist die Beklagte auf § 12 Abs. 3
Satz 3 EntschG, der sogar bei Eingang einer Mitteilung eine noch laufende Frist bis zum
31. Dezember 2009 bestimmt. Dann aber besteht für die entsprechende Anwendung
der Regelung über die dreijährige Verjährungsfrist kein Raum.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen (§ 12 Abs. 1
Satz 1 EntschG, § 37 Abs. 2 Satz 1 VermG, §§ 135, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die
Bodenordnung nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz ist eine im ländlichen Raum
vorgesehene und - wie im Erörterungstermin von den Beteiligten bestätigt - häufig
praktizierte Verfahrensweise, um Boden- und Gebäudeeigentum zusammenzuführen.
Dabei werden regelmäßig Abfindungen gezahlt, deren Abführung die Beklagte - bislang
allerdings unangefochten - verfügt. Das hier vertretene Ergebnis ergibt sich nicht ohne
weiteres aus dem Gesetz.
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