Urteil des VG Berlin vom 28.07.2006

VG Berlin: sondernutzungsgebühr, vorrang des bundesrechts, einkaufszentrum, öffentliche aufgabe, gemeingebrauch, bahnhof, unternehmen, verordnung, eisenbahn, vertretung

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Gericht:
VG Berlin 1. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 A 104.08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 28 Abs 2 PBefG, § 28 Abs 1a
PBefG, § 31 PBefG
Sondernutzungsgebühr für Betriebsanlagen der Straßenbahnen
Tenor
Die Festsetzung von Sondernutzungsgebühren im Bescheid des Bezirksamts
Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vom 28. Juli 2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 23. Mai 2008 wird aufgehoben.
Die Klägerin trägt ¼ und der Beklagte ¾ der Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist für die Klägerin hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 v.H. des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren war hinsichtlich der
Sondernutzungsgebühr notwendig.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Berliner Verkehrsbetriebe wenden sich gegen die Erhebung einer
Sondernutzungsgebühr für ein unterirdisches Verbindungsbauwerk zwischen dem U-
Bahnhof Wilmersdorfer Straße und dem Kant-Center.
Mit Schreiben vom 1. Dezember 2003 beantragte die Klägerin die Erteilung einer
unbefristeten Sondernutzungserlaubnis für die Anbindung des Kant-Center an den U-
Bahnhof Wilmersdorfer Straße. Die Herstellung des Verbindungsbauwerks sei bauliche
Grundvoraussetzung des Umbaus zum Kant-Center (zweiter Fluchtweg!). Die Nutzung
sei vertraglich abgesichert. Mit Bescheid vom 28. Juli 2006 erteilte das Bezirksamt
Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin entsprechend dem Antrag der Klägerin eine
Erlaubnis zur Nutzung öffentlichen Straßenlandes vor dem Grundstück Kantstraße … für
ein unterirdisches Verbindungsbauwerk zwischen dem U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße
und dem Kant-Center mit einem Ausmaß von ca. 588 qm gemäß Lageplan. Nach der
Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 10. Oktober 2003 ermöglicht das
Zugangsbauwerk Passanten, vom U-Bahnhof zur Ladenstraße im 1. Untergeschoss zu
gelangen. Neben dem öffentlichen Durchgang umfasst das Bauwerk einen 15,67 qm
großen Fluchttunnel, der nur im Notfall benutzt werden soll. Im Bescheid wurde eine
Sondernutzungsgebühr für den Zeitraum vom 25. Juni bis 31. Dezember 2006 in Höhe
von 2.754,74 Euro und danach von jährlich 5.292 Euro festgesetzt. Im Anschluss an die
Rechtsbehelfsbelehrung wurde unter der Überschrift “Entgelterhebung“ ausgeführt, dass
für die Zeit vom 1. Dezember 2003 bis 24. Juni 2006 nach der zu diesem Zeitpunkt
geltenden Entgeltordnung ein Entgelt in Höhe von 14.225,30 Euro nachzuzahlen sei.
Unter dem 28. August 2006 legte die Klägerin Widerspruch ein gegen die Festsetzung
der Sondernutzungsgebühren und des Entgelts. Am 26. Oktober 2006 richtete sich die
Bezirkskasse Charlottenburg-Wilmersdorf mit einem Vollstreckungsersuchen an das
Finanzamt, um die Entgeltforderung in Höhe von 14.225,30 Euro vollstrecken zu lassen.
Der Vollstreckungsauftrag wurde am 17. November 2006 gestoppt. Mit Schreiben vom
23. April 2007 an die Klägerin wies das Bezirksamt darauf hin, dass die Entgelterhebung
nicht Gegenstand der öffentlich-rechtlichen Erlaubnis gewesen sei und insoweit
zivilrechtliche Vorschriften anzuwenden seien. Deshalb sei der Widerspruch insoweit
unzulässig. Im selben Schreiben teilte das Bezirksamt mit, dass das Entgelt erst ab dem
3. Mai 2005 geschuldet werde und daher lediglich 6.361,78 Euro zu entrichten seien.
Hinsichtlich der Sondernutzungsgebühr vertrat der Beklagte die Auffassung, dass es sich
bei dem Zugangsbauwerk nicht um eine Anlage nach dem Personenbeförderungsgesetz
handle. Der Zugang diene als Rettungsweg für das Kant-Center. Deshalb sei die Anlage
auch nicht planfestgestellt, sondern von der bezirklichen Bauaufsicht genehmigt worden.
Maßgeblich für die Bemessung der Sondernutzungsgebühr sei Tarifstelle 2.1.2. des
Gebührenverzeichnisses.
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Am 21. April 2008 hat die Klägerin Untätigkeitsklage erhoben. Nachdem der Beklagte
den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2008 zurückgewiesen hat,
verfolgt die Klägerin ihr Anliegen als Anfechtungsklage weiter. Sie ist der Ansicht, dass
eine Sondernutzungsgebühr schon dem Grunde nach ausgeschlossen sei. Die Klägerin
sei ein Unternehmen der öffentlichen Versorgung, auf die die
Sondernutzungsgebührenverordnung (SNGebV) gemäß deren § 1 Abs. 2 keine
Anwendung finde, weil § 31 PBefG eine besondere Kostenregelung enthalte. Bei dem
Verbindungsbauwerk handle es sich um eine Betriebsanlage im Sinne des
Personenbeförderungsgesetzes. U-Bahnen seien Straßenbahnanlagen im Sinne von § 4
Abs. 2 PBefG. Zu den Betriebsanlagen gehörten ortsfeste technische Einrichtungen, die
dazu bestimmt seien, der Abwicklung und Sicherung des äußeren Straßenbahnbetriebs
zu dienen, insbesondere Zugangsbauwerke. Das Verbindungsbauwerk stehe der
Öffentlichkeit zur Verfügung und ermögliche den Übergang zwischen U-Bahn und
Einkaufszentrum. Lediglich der separate Fluchttunnel diene der Schaffung eines
Rettungsweges. Bei Betriebsanlagen von U-Bahnen ersetze die Zustimmung des
Trägers der Baulast gemäß § 31 Abs. 1 PBefG die sonst erforderliche
Sondernutzungserlaubnis. Ferner lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen der
Tarifstelle 2.1.2 des Gebührenverzeichnisses nicht vor. Die Tarifstelle setze mit
Anliegergrundstücken verbundene Anlagen mit Raumgewinn voraus. Die Klägerin sei
nicht Anlieger, sondern lediglich Eigentümerin von auf Straßenland befindlichen
Betriebsanlagen zur Personenbeförderung. Das Verbindungsbauwerk sei nicht mit einem
besonderen Raumgewinn verbunden. Die Tarifstelle 2.1.2 verstoße im Übrigen gegen
den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil dieselben Beträge wie für Anliegeranlagen auf der
Straße erhoben würden, obwohl unterirdische Anlagen den Gemeingebrauch der Straße
weniger und nur im Hinblick auf andere Sondernutzungen beeinflussten. Ferner
berücksichtige die Sondernutzungsgebührenverordnung nicht, dass die Klägerin eine im
allgemeinen Interesse liegende öffentliche Aufgabe wahrnehme.
Der Beklagte hat wegen der Entgeltforderung beim Landgericht Berlin Klage erhoben, die
mit noch nicht rechtskräftigem Urteil vom 16. Oktober 2008 abgewiesen worden ist. Im
Erörterungstermin am 21. Januar 2009 haben die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich
der Entgeltforderung für erledigt erklärt.
Die Klägerin beantragt,
die Festsetzung der Sondernutzungsgebühr im Bescheid des Bezirksamtes
Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vom 28. Juli 2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 23. Mai 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Begründung des Widerspruchsbescheids und führt ergänzend aus,
dass es sich bei dem Verbindungsbauwerk nicht um eine Änderung oder Erweiterung
einer U-Bahnanlage handle. Das Bauwerk sei weder planfestgestellt noch
plangenehmigt. Es handle sich auch nicht um eine Änderung oder Erweiterung von
unwesentlicher Bedeutung im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 1 PBefG. Der Verbindungsbau
diene in erster Linie dazu, dem Kant-Center einen zweiten Rettungsweg zu vermitteln.
Das Verbindungsbauwerk sei auch außerhalb des Rettungstunnels zum Betrieb des
Kant-Centers errichtet worden, um Kunden in das Einkaufszentrum zu lenken. Zum
Betrieb der U-Bahn sei es nicht erforderlich. Eine Zustimmung des Trägers der
Straßenbaulast gemäß § 31 Abs. 2 PBefG, die die Erteilung einer
Sondernutzungserlaubnis ersetzen würde, habe es im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Soweit in anderen Fällen wegen der Regelung des Personenbeförderungsgesetzes keine
Sondernutzungserlaubnis erforderlich sei, würden auch keine Sondernutzungsgebühren
erhoben. Die Sondernutzungsgebühr sei der Höhe nach nicht zu beanstanden. Auch
unterirdische Überbauungen beeinträchtigten die Nutzung des Straßenlandes
insbesondere für Leitungen. Der Beklagte habe die Klägerin nach § 3 Abs. 1 Nr. 1
SNGebV in Anspruch genommen, da die Klägerin die Sondernutzung im eigenen Namen
beantragt und die polizeiliche Verantwortlichkeit im Außenverhältnis zum Beklagten
übernommen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Streitakte sowie des von dem Beklagten vorgelegten
Verwaltungsvorganges verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Hinsichtlich der allein noch im Streit befindlichen Festsetzung einer
Sondernutzungsgebühr ist die Klage zulässig und begründet. Der Bescheid vom 28. Juli
2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2008 ist insoweit rechtswidrig
und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Auf den öffentlich zugänglichen Verbindungsbau zwischen U-Bahnhof und
Einkaufszentrum findet das Berliner Straßengesetz – BerlStrG - und die
Sondernutzungsverordnung keine Anwendung. Bei dem unter einer öffentlichen Straße
gelegenen Verbindungsbauwerk handelt es sich zwar um eine Sondernutzung, da die
öffentliche Straße, die sich auch auf den Raum unterhalb der Straßenoberfläche – den so
genannten Untergrund (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 a BerlStrG) – erstreckt, über den
Gemeingebrauch hinaus in Anspruch genommen wird. Die Vorschriften der §§ 11, 12
BerlStrG in der Fassung vom 11. Juli 2006 (GVBl. S. 819) und der
Sondernutzungsgebührenverordnung (SNGebV) vom 12. Juni 2006 (GVBl. 589) kommen
aber nicht zur Anwendung, da die landesrechtlichen Bestimmungen von den insoweit
abschließenden Regelung des Bundesrechts im Personenbeförderungsgesetz (PBefG)
verdrängt werden. Dies ergibt sich – anders als die Klägerin annimmt – bereits aus dem
Vorrang des Bundesrechts (Art. 31 GG) und nicht erst aus § 1 Abs. 2 Nr. 1 SNGebV, der
Sondernutzungen durch Unternehmen der öffentlichen Versorgung von der Anwendung
der Verordnung ausnimmt, sofern in anderen gesetzlichen Vorschriften oder
Konzessionsverträgen Gebühren-, Entgelt- oder sonstige Kostenerstattungsregelungen
enthalten sind.
Gemäß § 28 Abs. 1 PBefG bedarf der Bau von Betriebsanlagen für Straßenbahnen, zu
denen gemäß § 4 Abs. 2 PBefG auch U-Bahnen zählen, der Planfeststellung. Unter
bestimmten Voraussetzungen kann die Planfeststellung durch eine Plangenehmigung
ersetzt werden (§ 28 Abs. 1a PBefG) oder ist bei unwesentlichen Änderungen und
Erweiterungen entbehrlich (§ 28 Abs. 2 PBefG). Wird von der Straßenbahn eine
öffentliche Straße benutzt, ist gemäß § 31 Abs. 1 die Zustimmung des Trägers der
Straßenbaulast erforderlich. § 31 Abs. 2 PBefG regelt Vereinbarungen über die Höhe
eines Entgelts für die Benutzung der öffentlichen Straße. Mit der Zustimmung des
Wegeunterhaltungspflichtigen wird zugunsten des Straßenbahnunternehmers ein
Sondernutzungsrecht begründet (Fielitz/Grätz, Personenbeförderungsgesetz, 57.
Aktualisierung November 2008, § 31 Rn. 2). Die Zustimmung ersetzt
Sondernutzungserlaubnisse nach den landesrechtlichen Vorschriften (Bidinger,
Personenbeförderungsrecht, 2. Auflage 2006, § 31 Anm. 6; Sellmann/Zuck,
Personenbeförderungsrecht, 3. Aufl. 2001, § 31 Rn. 1).
Zu den Betriebsanlagen der Straßenbahn gehören alle Bauten, Grundstücke und
sonstigen ortsfesten Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, der Abwicklung und
Sicherung des äußeren Straßenbahnbetriebes zu dienen, insbesondere der Bahnkörper.
Dazu zählen auch die für den Aufenthalt und die Abfertigung der Fahrgäste bestimmten
Anlagen (§ 1 Abs. 7 Nr. 2 Straßenbahn-Bau- und –Betriebsordnung vom 11. Dezember
1987, BGBl. I 2648) wie beispielsweise Wartehallen. Erfasst sind ferner die Tunnel von U-
Bahnen, wenn diese ausschließlich oder überwiegend dem Bahnverkehr – und z.B. nicht
dem öffentlichen Straßenverkehr – zur Verfügung stehen (Bindinger, a.a.O., § 28 Anm. 4.
c). Zugänge von öffentlichen Straßen zu U-Bahnhöfen sind danach eindeutig
Betriebsanlagen der U-Bahn (für Bahnanlagen ausdrücklich § 4 Abs. 1 Satz 2 Eisenbahn-
Bau- und Betriebsordnung vom 8. Mai 1967, zuletzt geändert durch Verordnung vom 19.
März 2008, BGBl. I 467).
Auch Verbindungsbauwerke zwischen einer U-Bahn und einem Einkaufszentrum, die
während der Geschäftszeiten der Öffentlichkeit zugänglich sind, stellen eine
Betriebsanlage der Straßenbahn im Sinne von § 28 PBefG dar. Sie schaffen einen
zusätzlichen Zugang zur U-Bahn und sind damit betriebsbezogen, erfüllen also eine
Verkehrsfunktion in räumlichem Zusammenhang mit dem U-Bahnbetrieb. Ein
Durchgang von einer U-Bahn zu einem Einkaufszentrum dient nicht allein und
ausschließlich den Interessen der privaten Kaufhausbetreiber, sondern auch dem
Verkehrsbetrieb, der damit zusätzliche Kunden gewinnen oder seinen Kunden
zusätzliche Bequemlichkeit bieten kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich Bahn
und Verkehrsbetriebe zunehmend vom hoheitlichen Betrieb zu in privatrechtlicher Form
geführten Wirtschaftsunternehmen wandeln und damit an wirtschaftlichen Interessen
ausgerichtet sind. Dies hat dazu geführt, dass Großbahnhöfe, aber auch unterirdische U-
Bahn-Passagen häufig zu Reise-, Laden-, Dienstleistungs- und Servicezentrum
umstrukturiert werden. Dieser Entwicklung ist durch eine weite Auslegung der straßen-
oder eisenbahnbetriebsbezogenen Nutzung Rechnung zu tragen (vgl. Beschluss des VG
Potsdam vom 14. September 2000 – 4 L 1039/00, juris: funktionaler Bezug von
Einzelhandelsgeschäften zum Betrieb der Eisenbahn). Es liegt im Interesse von
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Einzelhandelsgeschäften zum Betrieb der Eisenbahn). Es liegt im Interesse von
Verkehrsbetrieben, wenn sie attraktive Ziele anbieten können. Deshalb werden auch
eigens Haltestellen nicht nur für Behörden und Krankenhäusern, sondern auch für
private Lokalitäten wie Veranstaltungshallen oder Einkaufszentren geschaffen.
Der Durchgang hat hier nicht die Funktion, für das Einkaufszentrum einen Rettungsweg
zu schaffen. Diesem Zweck dient der besondere Rettungstunnel, der nur im Notfall
benutzt werden darf.
Für die Frage, ob das Personenbeförderungsgesetz das landesrechtliche Straßenrecht
verdrängt, kommt es auf die objektive Rechtslage an, nach der eine Plangenehmigung
und eine Zustimmung des Straßenbaulastträgers erforderlich sind. Dass hier tatsächlich
stattdessen eine Baugenehmigung und eine Sondernutzungserlaubnis erteilt worden
sind, kann den Vorrang der bundesgesetzlichen Regelung nicht beseitigen.
Im Ergebnis ist die Erhebung einer Sondernutzungsgebühr für das Verbindungsbauwerk
mangels Anwendbarkeit der landesrechtlichen Bestimmungen ohne Rechtsgrundlage
erfolgt und damit rechtswidrig.
2. Hinsichtlich des 15,67 qm großen Rettungstunnels sind dagegen die Voraussetzungen
für die Erhebung einer Sondernutzungsgebühr nach Tarifstelle 2.1.2 SNGebV erfüllt.
Das Berliner Straßenrecht wird insoweit nicht durch die Regelungen des
Personenbeförderungsgesetzes verdrängt. Der Rettungstunnel dient allein als Fluchtweg
aus dem Einkaufszentrum heraus und erfüllt keine Funktion für die U-Bahn-Station. Es
handelt sich um eine Sondernutzung öffentlichen Straßenlandes, die im Bescheid vom
28. Juli 2006 bestandskräftig genehmigt worden ist. Hierfür kann gemäß § 11 Abs. 9
BerlStrG i.V.m. § 1 Abs. 1 SNGebV eine Sondernutzungsgebühr erhoben werden.
Die Klägerin ist als Erlaubnisnehmer Gebührenschuldner nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 SNGebV.
Dass daneben auch die Betreiber des Kant-Centers gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 SNGebV
Gebührenschuldner sind, ist unerheblich. Denn der Beklagte hat sein Auswahlermessen
hinsichtlich der Inanspruchnahme eines von mehreren Gesamtschuldnern (vgl. § 3 Abs.
2 SNGebV) ermessensfehlerfrei ausgeübt, indem er den Gebührenbescheid an
denjenigen gerichtet hat, der die Sondernutzung beantragt hat.
Die Voraussetzungen der Tarifstelle 2.1.2 der Anlage I zur SNGebV
(Gebührenverzeichnis) sind erfüllt. Diese Tarifstelle gilt für im Straßengrund gelegene
Sondernutzungen für Anlagen, die mit Anliegergrundstücken verbunden sind. Der
Rettungstunnel ist mit dem Einkaufszentrum in der Kantstraße … verbunden und
befindet sich im Straßenuntergrund. Ferner muss es sich um Anlagen mit Raumgewinn
handeln. Dazu genügt es entgegen der Auffassung der Klägerin, dass ein zugänglicher
umbauter und vom Anlieger nutzbarer Raum geschaffen wird. Insoweit dient dieses
Merkmal der Abgrenzung zur Tarifstelle 2.1.1, die Anlagen wie Kellerschächte, Sockel,
Fundamente und Pfeilerverstärkungen erfasst.
Die Tarifstelle 2.1.2 des Gebührenverzeichnisses ist aber wegen Verstoßes gegen das
Äquivalenzprinzip nichtig.
Nach allgemeiner Auffassung (vgl. etwa BVerwGE 80, 36, 39; BVerwG, Beschluss vom
17. Oktober 2008 – BVerwG 9 B 24.08) ist bei der Bemessung von
Sondernutzungsgebühren das Äquivalenzprinzip als gebührenrechtliche Ausprägung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu berücksichtigen. Danach dürfen
Benutzungsgebühren in keinem Missverhältnis zu der von der öffentlichen Gewalt
gebotenen Leistung stehen. Eine Sondernutzungsgebühr ist die Gegenleistung dafür,
dass die Benutzung einer öffentlichen Straße über den Gemeingebrauch hinaus erlaubt
und damit gleichzeitig eine Beeinträchtigung der gemeingebräuchlichen
Nutzungsmöglichkeiten in Kauf genommen wird. Die Höhe einer solchen Gebühr darf
daher weder außer Verhältnis zum Ausmaß dieser Beeinträchtigung noch zu den mit der
Straßennutzung verfolgten wirtschaftlichen Interessen stehen (vgl. BVerwG, a. a. O., m.
w. N.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Juni 2008 - OVG 1 S 37.08). Bei der
Staffelung der Gebührenhöhe ist namentlich dem Umstand Rechnung zu tragen, dass
die Einwirkung auf die Straße wie auch die Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs je
nach Dichte und Intensität des Straßenverkehrs unterschiedlich zu bewerten ist; dabei
ist eine pauschalierende Bewertung von Art und Ausmaß der Sondernutzung aus
Gründen der Verwaltungspraktikabilität unumgänglich und nach dem allgemein im
Abgabenrecht geltenden Grundsatz der Typengerechtigkeit auch unbedenklich (vgl.
BVerwGE 80, 36, 38).
Die Ausgestaltung des Gebührensatzes in der Tarifstelle 2.1.2 des
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Die Ausgestaltung des Gebührensatzes in der Tarifstelle 2.1.2 des
Gebührenverzeichnisses überschreitet das Maß der zulässigen Pauschalierung.
Tarifstelle 2.1.2 sieht eine nach dem Grundstückwert gestaffelte Gebühr je Jahr und
Quadratmeter vor, die identisch ist mit der Tarifstelle 2.2.2 für überirdische, mit
Anliegergrundstücken verbundene Anlagen mit Raumgewinn. Es ist mit den
ausgeführten Anforderungen des Äquivalenzprinzips nicht vereinbar, dass für die
Sondernutzung durch unterirdische Anlagen von Anliegern mit Raumgewinn derselbe
Gebührensatz angesetzt wird wie für überirdische Anlagen auf der Straße, obwohl der
Gemeingebrauch bei der unterirdischen Sondernutzung nicht und andere
Sondernutzungen nur eingeschränkt beeinträchtigt werden, während derartige Anlagen
auf Straßenniveau den Gemeingebrauch erheblich begrenzen (vgl. auch Urteile der
Kammer vom 18. Dezember 2008 – 1 A 209.07 – und vom 11. März 2009 – VG 1 A
312.07).
Ob die Tarifstelle 2.1.2 des Gebührenverzeichnisses aus den vorgenannten Gründen
auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 VvB)
verstößt, bedürfte näherer Prüfung, kann hier jedoch offen bleiben.
Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zur
Klärung der Frage zugelassen worden, ob Durchgänge von U-Bahnen zu Einkaufszentren
dem Personenbeförderungsgesetz unterliegen und ob die Tarifstelle 2.1.2 des
Gebührenverzeichnisses zur Sondernutzungsgebührenverordnung mit höherrangigem
Recht vereinbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des streitig entschiedenen Teils auf § 155
Abs. 1 Satz 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der
Entscheidung auf den §§ 167 VwGO, 709 ZPO.
Soweit die Beteiligten die Klage hinsichtlich der Entgeltforderung für erledigt erklärt
haben, ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO über die Kosten zu entscheiden. Es entspricht
billigem Ermessen, die Kosten insoweit der Klägerin aufzuerlegen. Der Klägerin war
bekannt, dass die Entgelte für Sondernutzungen nach altem Recht auf privatrechtlicher
Grundlage erhoben wurden. Der angefochtene Bescheid stand dazu nicht in
Widerspruch. Die Ausführungen zum Entgelt fanden sich dort unter einer eigenen
Überschrift erst im Anschluss an die Rechtsbehelfsbelehrung. Zwar erteilte das
Bezirksamt irrtümlich einen Vollstreckungsauftrag für das Entgelt. Dieser Fehler wurde
aber zeitnah korrigiert, noch bevor der Klägerin mitgeteilt wurde, dass es sich um eine
zivilrechtliche Forderung handelte, und bevor die Klägerin Klage erhoben hat.
Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig (vgl. § 162 Abs.
2 Satz 2 VwGO). Die Notwendigkeit bestimmt sich danach, welche Anforderungen in dem
konkreten Fall eine – zweckentsprechende – Rechtsverfolgung stellte (vgl. hierzu und
zum Folgenden BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000 - 7 C 8.99 - VIZ 2000, 413 = juris Rdn.
10 ff. m.w.N.). Der vorliegende Fall wirft schwierige, in der Rechtsprechung noch nicht
geklärte Rechtsfragen auf, zumal in Berlin Sondernutzungsgebühren auf öffentlich-
rechtlicher Grundlage erst seit Mitte 2006 erhoben werden. Insoweit kann – auch
angesichts der Höhe der jährlich anfallenden Gebühr – selbst einem Unternehmen mit
eigener Rechtsabteilung nicht verwehrt werden, für die Vertretung im
Widerspruchsverfahren externen Sachverstand in Anspruch zu nehmen, wenn es sich
von einer Vertretung durch einen unabhängigen Rechtsanwalt und der damit
verbundenen aus einer objektiv größeren Distanz heraus erfolgenden Beratung höhere
Erfolgsaussichten verspricht (BVerwG, a.a.O.; vgl. auch BVerwGE 61, 100, 102).
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