Urteil des VG Berlin vom 24.10.2008

VG Berlin: mitbestimmungsrecht, anweisung, anhörung, realisierung, umgestaltung, verfügung, datenverarbeitung, programm, absicht, subjektiv

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Gericht:
VG Berlin 71.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
71 K 1.09 PVB
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 75 Abs 3 Nr 17 BPersVG
EDV-gestützte dienststelleninterne Terminsabstimmung und
Mitbestimmungsrecht des Personalrates
Technische Einrichtung; Computer; EDV-Anlage; Überwachung;
Verhalten; Leistung; MS-Outlook; Kalender; Terminverwaltung;
Terminvereinbarung; Dienstvereinbarung
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Arbeitsanweisung vom 24. Oktober 2008 zur Nutzung des
MS-Outlook-Kalenders der Mitbestimmung des Antragstellers unterliegt.
Gründe
I.
Der Präsident und der Hauptpersonalrat schlossen am 17. Dezember 1999 eine
Dienstvereinbarung „über Planung, Einsatz und Betrieb von Informationstechnik und
Bildschirmarbeitsplätzen“ (im Folgenden: DV). In Nr. 1 DV „Geltungsbereich“ heißt es
u.a., die Dienstvereinbarung lasse ergänzende Regelungen zu, die zwischen den
Leitern/Leiterinnen der einzelnen Dienststellen und den zuständigen örtlichen
Personalräten zu vereinbaren seien. Nr. 3 DV „Beteiligung der Personalvertretung“
lautet wie folgt:
„3.1 Die Personalvertretung ist im Hinblick auf die Erfüllung ihrer Aufgaben über
Planungen von Maßnahmen zur Einführung, Umgestaltung, Erweiterung und
Veränderung von EDV-gestützten Arbeitsabläufen so frühzeitig zu unterrichten, dass
ihre Vorschläge noch in die Planung bzw. Realisierung von Maßnahmen einfließen
können. (…)
(…)
3.4 Die Mitbestimmungsrechte des Personalrats bleiben davon unberührt.“
Wegen des weiteren Inhalts der Dienstvereinbarung wird auf Blatt 17 bis 22 der
Gerichtsakte Bezug genommen.
Die Beteiligte versandte am 24. Oktober 2008 in der Dienststelle eine E-Mail mit dem
Betreff „Terminvereinbarungen im Outlook Kalender“ und mit dem Inhalt:
„An alle Abteilungsleitungen und stellvertretenden Abteilungsleitungen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Vielzahl unserer Aktivitäten macht es den zuständigen Sekretariaten zunehmend
schwerer, auf telefonischem Wege oder per E-Mail Gesprächstermine mit Ihnen zu
vereinbaren. Allzu häufig erfordert bereits das Zusammenkommen eines durchaus
überschaubaren Personenkreises einen kaum mehr zu rechtfertigenden Arbeitsaufwand.
Ich darf Sie somit bitten, möglichst ab sofort ihren Terminkalender in Outlook
elektronisch zu führen, damit ihre Terminverhinderungen bereits vorab bekannt sind.
Anderenfalls werden Terminvereinbarungen solchermaßen erschwert, dass sie quasi
unmöglich werden. Terminsabstimmungen sind zukünftig also nur noch via Outlook
möglich.“
Der Antragsteller schrieb der Beteiligten daraufhin am 3. November 2008, er vermisse
eine Mitbestimmungsvorlage zu mehreren Mitbestimmungstatbeständen. Die Beteiligte
erwiderte ihm, es handele sich um eine dienststelleninterne Arbeitsanweisung zur
Regelung der Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben, die sich der Mitbestimmung
durch den Personalrat entziehe. Der Antragsteller beschloss am 4. Februar 2009, mit
anwaltlicher Hilfe das Gericht zur Klärung anzurufen.
Der Antragsteller führt zur Begründung seines seit dem 4. März 2009 bei Gericht
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Der Antragsteller führt zur Begründung seines seit dem 4. März 2009 bei Gericht
anhängigen Antrags zum einen das Mitbestimmungsrecht aus § 75 Abs. 3 Nr. 17 des
Bundespersonalvertretungsgesetzes – BPersVG – und zum anderen die Nummern 3.1
und 3.4 DV an. Um das Mitbestimmungsrecht zu bejahen, reiche die objektive
Möglichkeit zur Datengewinnung und -auswertung zwecks Beurteilung der Leistung und
des Verhaltens aus; auf eine Kontrollabsicht der Dienststellenleitung komme es nicht an.
Es entstehe ein Überwachungsdruck, Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten würden
beeinträchtigt.
Der Antragsteller beantragt
festzustellen, dass die Arbeitsanweisung vom 24. Oktober 2008 zur Nutzung des MS-
Outlook-Kalenders der Mitbestimmung des Antragstellers unterliegt.
Die Beteiligte beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Beteiligte verweist zur Begründung auf die Dienstvereinbarung, die ein
abgestimmtes Verfahren zum Umgang mit Daten elektronischer Systeme regle. Von
der Anweisung der Beteiligten werde die Datensicherheit in keiner Weise berührt. Die
notierten Termine stellten sich für dritte Leser als blaue Balken auf dem Bildschirm dar;
weder der Inhalt noch die Teilnehmer des Termins seien ablesbar. Der Erkenntniswert
beschränke sich darauf, dass der markierte Zeitraum nicht mehr verfügbar sei. Die
Beteiligte ergänzt ihren Vortrag in der mündlichen Anhörung um die Ansicht, dass die
dienstliche Anweisung auch keine Maßnahme zur Einführung, Umgestaltung, Erweiterung
oder Veränderung von EDV-gestützten Arbeitsabläufen im Sinne von Nr. 3.1 DV sei, weil
die Outlook-Funktion der Computersoftware seit langem zur Verfügung der Nutzer stehe.
Die Beteiligte stellt in Abrede, dass aus der Häufigkeit, Dauer und Platzierung der
Termine im Ablauf der Werktage Rückschlüsse auf das Verhalten oder die Leistung der
Dienstkräfte gezogen werden können.
II.
Der Feststellungsantrag ist beim Verwaltungsgericht zulässig gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 3
BPersVG. Danach entscheidet das Verwaltungsgericht über die Zuständigkeit,
Geschäftsführung und Rechtsstellung der Personalvertretungen. Dazu rechnet der
gestellte Antrag, soweit der Antragsteller eine Verletzung unmittelbar von § 75 Abs. 3
Nr. 17 BPersVG annimmt. Dazu rechnet der Antrag auch insoweit, als der Antragsteller
eine Verletzung der Dienstvereinbarung erkennt (vgl. VG Berlin, 71. Kammer, Beschluss
vom 30. September 2008 – VG 71 A 9.08 –; ausführlicher: 61. Kammer, Beschluss vom
17. März 2009 – VG 61 A 25.08 –).
Der Antrag ist auch begründet. Dem Antragsteller steht im Hinblick auf die Maßnahme
vom 24. Oktober 2008 das Mitbestimmungsrecht aus § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG zu.
Nach diesem Gesetz hat der Personalrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche
Regelung nicht besteht, gegebenenfalls durch Abschluss von Dienstvereinbarungen
mitzubestimmen über die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die
dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen.
Die Dienstvereinbarung vom 17. Dezember 1999, die Geltung auch für die Dienststelle
des Antragstellers und der Beteiligten erlangte, bedeutet keine Vorwegnahme der
Mitbestimmung, hat mit anderen Worten nicht zur Folge, dass für den Antragsteller in
Bezug auf die umstrittene Maßnahme keine Mitbestimmungsmöglichkeit nach § 75 Abs.
3 Nr. 17 BPersVG mehr verbleibt. Das wird durch Nr. 3.4 DV verdeutlicht, wonach die
Mitbestimmungsrechte des Personalrats „davon“, also von den vorhergehenden
Regelungen, unberührt bleiben. Angesichts dessen stellen sich die Regelungen in Nr. 3
DV als Ausbau der Einflussmöglichkeiten der Personalvertretung im Planungsstadium
dar. Die Personalvertretung soll nach dem Willen der vertragsschließenden Seiten über
Planungen so frühzeitig unterrichtet werden, dass ihre Vorschläge noch in die Planung
bzw. Realisierung von Maßnahmen einfließen können (Nr. 3.1 DV). Damit steht der
Personalvertretung ein Einflussrecht zu, dass über die bloße Information der
Personalvertretung durch den Dienststellenleiter im Vorfeld (§ 68 Abs. 2 S. 1 BPersVG)
noch hinausgeht. Nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz darf sich der
Dienststellenleiter unbeeinflusst durch Dritte überlegen, welche Maßnahme er
beabsichtigt; erst die beabsichtigte, das heißt die inhaltlich feststehende Maßnahme hat
er der Personalvertretung zur Mitbestimmung zu unterbreiten, bevor sie verwirklicht wird
(siehe § 69 Abs. 2 S. 1 BPersVG). Aufgrund der Dienstvereinbarung muss der
Dienststellenleiter sich auch mit den Überlegungen des Personalrats befassen, wie
dieser sich die Maßnahme optimal vorstellt. Die Kammer ist der Auffassung, dass die
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dieser sich die Maßnahme optimal vorstellt. Die Kammer ist der Auffassung, dass die
Anweisung vom 24. Oktober 2008 eine Maßnahme zur Einführung von EDV-gestützten
Arbeitsabläufen im Sinn der Nr. 3.1 DV ist. Zu den Arbeitsabläufen gehört auch die Art
und Weise, wie in der Dienststelle Termine koordiniert werden. Die Koordinierung erfolgte
bislang mündlich oder fernmündlich. Erstmals soll die dienststelleninterne
Terminsabstimmung EDV-gestützt erfolgen. Die bislang allen Computernutzern in der
Dienststelle als Software zur Verfügung stehende Möglichkeit, ihre Termine im
Arbeitsplatzrechner nach Belieben zur eigenen Gedächtnisstütze zu erfassen, ist keine
dienststelleninterne Terminsabstimmung. Der Antragsteller hat aus Nr. 3.1 DV allerdings
nur so lange ein Recht auf Unterrichtung und Einflussnahme, wie sich die Maßnahme
noch im Planungsstadium befindet. Die Beteiligte setzte die Maßnahme mit der
Arbeitsanweisung vom 24. Oktober 2008 ins Werk. Mit der Planungsphase endete das
Recht des Antragstellers aus Nr. 3.1 DV.
Das unmittelbar anwendbare Mitbestimmungsrecht aus § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG ist
nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, schon bei
technischen Einrichtungen gegeben, die zur Überwachung lediglich objektiv geeignet
sind, ohne dass die Dienststellenleitung bei ihrer Einführung und Anwendung subjektiv
die Absicht hat, sie zu diesem Zweck einzusetzen. Das Mitbestimmungsrecht scheidet
erst dann aus, wenn die Befürchtung einer Überwachung objektiv und erkennbar
unbegründet ist. Das ist der Fall, wenn die technische Einrichtung nach ihrer Konstruktion
überhaupt nicht zur Überwachung geeignet ist oder es zur Überwachung einer
technischen Änderung der Anlage bedarf. Der Maßstab der abstrakten
Überwachungseignung ist die Sichtweise eines vernünftigen Betrachters, der nach den
objektiv feststehenden und erkennbaren Bedingungen für den konkreten Einsatz der
Anlage Anlass zur Befürchtung einer Überwachung haben muss (BVerwG, Beschluss
vom 26. September 2006 – 6 PB 10.06 –, Juris, mit Ausführungen zum Schutzzweck der
Norm und weiteren Nachweisen). Eine Anlage der elektronischen Datenverarbeitung ist
eine technische Einrichtung (vgl. BVerwGE 91, 45 [54]). Der Mitbestimmungstatbestand
ist aber noch nicht notwendig bei der Einführung von Computern an den Arbeitsplätzen
gegeben und erledigt sich nicht, sollte der Computerverwendung einmal zugestimmt
worden sein; der Mitbestimmungstatbestand kann erstmals oder nochmals mit einem
veränderten Einsatz der EDV-Anlage ausgelöst werden (vgl. wiederum BVerwGE 91, 45
[54 f.]).
Nach diesen Maßstäben unterfällt die Arbeitsanweisung vom 24. Oktober 2008 der
Mitbestimmung. Wie in der mündlichen Anhörung angesprochen, sind im Outlook-
Programm nicht nur die zukünftigen Termine erkennbar. Es bleiben auch die
verstrichenen Termine ablesbar. Der jederzeit mögliche Einblick in die
Terminierungspraxis der Dienstkräfte ermöglicht Einschätzungen über deren Verhalten
und deren Leistung. Es lässt sich durch die Anzahl, Breite und Platzierung der blauen
Balken, auch ohne den konkreten Inhalt der Termine zu kennen, im Verlauf zahlreicher
Monate ein Verabredungsprofil erstellen. Die in der mündlichen Anhörung genannten
Beispiele seien hier wiederholt und ergänzt: ein Mitarbeiter mag die Morgenstunden
meiden und Verabredungen nicht vor 10 Uhr notieren, ein anderer sich kaum noch am
späten Nachmittag verabreden, ein Dritter auffällig viele Termine in den Mittagsstunden
oder an Freitagnachmittagen anberaumen; Dienstkräfte, die bestimmungsgemäß viele
Gespräche zu führen haben, könnten nach der Zahl ihrer Einträge mehr oder weniger
emsig erscheinen; andere Beschäftigte, die im Schwerpunkt Innendienst leisten, könnten
ungewöhnlich viele Verhinderungen notieren; ist dem Dienststellenleiter zufälligerweise
die Dauer eines Außentermins bekannt, mag eine deutlich längere Terminsnotierung
durch den Beschäftigten Zweifel aufkommen lassen, ob er noch nebenher
Privatgeschäften nachging. Für die Dienststellenleitung erlaubt die Einsichtnahme in alle
elektronischen Terminkalender derartige Schlüsse, ohne dass die derzeitige
Programmierung geändert werden müsste. Für die Dienstkräfte ist weder erkennbar, ob,
wann, und wie häufig in ihre Terminkalender eingesehen wird, noch welche zutreffenden
oder irrigen Schlüsse daraus gezogen werden.
Der von der Beteiligten gegebene Hinweis, wie praktisch, beinahe unumgänglich die
neue Regelung sei, lässt den Mitbestimmungstatbestand nicht entfallen. Sollte der
Hinweis stichhaltig sein, mag die Zustimmung des Antragstellers zu der Maßnahme
nahe liegen. Die Zustimmung ist allerdings nur im Mitbestimmungsverfahren und nicht
vom Gericht zu erhalten.
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