Urteil des VG Berlin vom 13.11.2002

VG Berlin: wirtschaftliche identität, entschädigung, krankenkasse, hypothek, grundstück, eigentümer, ersatzkasse, verein, einzelrichter, betrug

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Gericht:
VG Berlin 29.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
29 A 15.06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 1 S 1 NS-VEntschG, § 2
S 5 Halbs 3 NS-VEntschG, § 3
Abs 4 NS-VEntschG
Abzug von Verbindlichkeiten bei Entschädigung nach dem NS-
VEntschG; wirtschaftliche Identität von Eigentümer und
Hypothekengläubiger
Tatbestand
Die Kläger begehren eine höhere Entschädigung, weil ihrer Auffassung nach eine
Goldmarkhypothek nicht im Rahmen der Berechnung der Bemessungsgrundlage hätte
berücksichtigt werden dürfen.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 13. November 2002 stellte das
Regierungspräsidium Halle fest, dass die vermögensrechtlichen Ansprüche aus dem
verfolgungsbedingten Vermögensverlust des Grundstücks B.str. 8 in M. den Klägern
zustünden. Zur Begründung führte es aus, dass das ehem. im Eigentum der
Gewerkschaft ... stehende Grundstück dieser durch die Nationalsozialisten 1934 gemäß
§ 1 Abs. 6 VermG entzogen worden sei, der Rückübertragung jedoch der
Ausschlussgrund der Einbeziehung in eine Unternehmenseinheit entgegenstehe. Das
Grundstück war ausweislich des Grundbuchs von M., Band 55 Blatt 3059 mit einer
Hypothek in Höhe von 40.000,- Goldmark (Abt. III, lfd. Nr. 16), welche 1932 für die ab
1934 als solche bezeichnete D.-Krankenkasse (Ersatzkasse) eingetragen worden war.
Der Einheitswert vom 1.1.1933 betrug 87.800,- ... , das Aussteuer ... abgeltungsdarlehen
betrug 22.300,- Reichsmark.
Mit Bescheid vom 27. Oktober 2003 setzte die Oberfinanzdirektion Berlin die
Entschädigung zugunsten der Kläger auf 214,947,11 € fest. Die Höhe der Entschädigung
berechnete sich lt. Schreiben der Oberfinanzdirektion Berlin vom 19. August 2003 wie
folgt:
Einheitswert
87.800,- Reichsmark
Abgeltungsbetrag
22.300,- Reichsmark
Zwischensumme
110.100,- Reichsmark
multipliziert mit Faktor 4
440.400,- Reichsmark
abzüglich Verbindlichkeiten in Höhe von 20.000,- Goldmark
Differenz
420.400,- Reichsmark/Goldmark.
Dieser Betrag entspricht einem Euro-Betrag von 214.947,11 €.
Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machten die Kläger geltend, die
Hypothekengläubigerin, die D.-Krankenkasse (Ersatzkasse) sei seinerseits von dem
geschädigten Gewerkschaftsbund ... gegründet worden. Die Verbindlichkeit der
geschädigten Gewerkschaft gegenüber der Hypothekengläubigerin sei nicht mit einer
Verbindlichkeit gegenüber einem unbeteiligten Dritten gleichzusetzen. Materiell sei sie
wie eine Eigentümergrundschuld zu behandeln und daher nicht von der errechneten
Entschädigungssumme abzuziehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2005 wies das damals noch so bezeichnete
Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen den Widerspruch zurück. Zur
Begründung führte es aus, der als Eigentümer des Grundstücks eingetragene
Gewerkschaftsbund ... sei ein nicht rechtsfähiger Verein, also eine
Gesamthandsgemeinschaft gewesen. Die D.-Krankenkasse als Gläubigerin der Hypothek
sei vermutlich im Jahre 1927 als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit unter dem
Namen Berufskrankenkasse des Gewerkschaftsbundes ... zugelassen worden. Damit sei
sie ein rechtsfähiger Verein gewesen und habe als solcher Vermögen und
Verbindlichkeiten gehabt. Damit seien der Gewerkschaftsbund ... und die D.-
Krankenkasse nicht rechtlich identisch gewesen. Eine wirtschaftliche Identität habe
ebenfalls nicht vorgelegen, wogegen auch die Übernahme der Hypothek durch den
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ebenfalls nicht vorgelegen, wogegen auch die Übernahme der Hypothek durch den
Käufer des Grundstücks spreche. Auch bleibe zu berücksichtigen, dass die
Berücksichtigung der Hypothek durch Nichtabzug vom sichernden Grundstück mit den
unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen für die unterschiedlichen Vermögenswerte
nach dem Entschädigungsgesetz in Verbindung mit dem NS-VEntschG nicht in Einklang
stehen würde.
Mit der Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie machen geltend, die D.-
Krankenkasse sei eine Gründung des Gewerkschaftsbundes ... gewesen. Es habe sich
mithin bei der Hypothekengläubigerin um Finanzvermögen des Gewerkschaftsbundes
gehandelt. Die gewerkschaftlichen Organisationen hätten bereits seit Ende des 19.
Jahrhunderts Aufgaben der Krankenversicherung übernommen und Ersatzkassen
gebildet, die die Institutionen der jeweiligen Trägergewerkschaft gewesen seien.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides der Oberfinanzdirektion Berlin
vom 27. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des damals noch so
bezeichneten Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 6. Dezember
2005 zu verpflichten, die ihnen zustehende Entschädigung von dem Verlust des
Grundstücks M., ehemalige B.str. 8, über den bereits festgestellten Betrag von
214.947,11 € hinaus auf weitere 10.225,83 € festzusetzen nebst Zinsen gemäß § 2
Sätze 9 bis 11 NS-VEntschG.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die ablehnenden Bescheide.
Mit Beschluss vom 13. März 2007 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter
als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachstandes und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (3 Bände) Bezug
genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Gemäß § 6 VwGO konnte der Vorsitzende als Einzelrichter entscheiden.
Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen
die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Kläger haben keinen Anspruch
auf Festsetzung einer höheren Entschädigung unter Nichtberücksichtigung der auf
40.000,- Goldmark lautenden Hypothek der D.-Krankenkasse.
Die Kläger haben hier gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG einen Anspruch auf
Entschädigung, weil es sich um einen Fall des § 1 Abs. 6 VermG handelt und die
Rückübertragung ausgeschlossen ist. Dies steht mit dem bestandskräftigen Bescheid
des Regierungspräsidiums Halle vom 13. November 2002 mit Bindungswirkung für das
vorliegende Verfahren fest. Gemäß § 2 Satz 2 NS-VEntschG bemisst sich daher die
Entschädigung nach dem Vierfachen des vor der Entschädigung zuletzt festgestellten
Einheitswertes, wobei gemäß § 2 Satz 5 NS-VEntschG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 2 NS-
VEntschG der Abgeltungsbetrag (Haus- und ... abgeltungsdarlehen) hinzuzurechnen ist.
Diese Rechenschritte hat die Beklagte richtig vorgenommen; sie sind zwischen den
Beteiligten auch nicht im Streit. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte die
der D.-Krankenkasse zustehende, 1932 eingetragene Hypothek über 40.000,- Goldmark
gemäß § 2 Satz 5 2. Halbsatz i.V.m. § 3 Abs. 4 EntschG mit der Hälfte des valutierenden
Nennwerts (20.000,- Goldmark) abziehen durfte.
Nach § 2 Satz 5 2. Halbsatz EntschG findet § 3 Abs. 4 EntschG mit der Maßgabe
Anwendung, dass die in der Zeit vom 15. September 1935 bis 8. Mai 1945 entstandenen
Verbindlichkeiten unberücksichtigt bleiben und die übrigen Verbindlichkeiten
vorbehaltlich des Nachweises eines höheren verfolgungsbedingten Anteils mit der Hälfte
ihres zum Zeitpunkt der Entschädigung valutierenden Nennwerts abgezogen werden.
Nach § 3 Abs. 4 EntschG sind langfristige Verbindlichkeiten, die an zu entschädigendem
Vermögen dinglich gesichert waren, in Höhe ihres zu diesem Zeitpunkt valutierenden
Betrages abzuziehen. Daraus ergibt sich, dass das Gesetz grundsätzlich davon ausgeht,
dass dinglich gesicherte Verbindlichkeiten, die einem Fremdgläubiger zustehen,
abzuziehen sind (Westkamp in Kimme, Stand § 3 EntschG Rnr. 126). Dabei ist mangels
abzuziehen sind (Westkamp in Kimme, Stand § 3 EntschG Rnr. 126). Dabei ist mangels
anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass grundsätzlich alle Verbindlichkeiten, die
anderen Personen oder Vermögensträgern als den Inhabern des geschädigten
Vermögenswertes zustehen, abzuziehen sind. (So wohl auch Westkamp in Kimme
a.a.O.) Zu einer telelogischen Reduktion des insoweit eindeutigen Gesetzeswortlauts
sieht die Kammer keine Gründe, so dass es an dem formal verlautbarten Willen des
Gesetzgebers verbleiben muss. Auch wenn der Rechtsvorgänger der Klägerinnen
wirtschaftliche Eigentümer der Hypothekengläubigerin war, so bestand doch sowohl im
Zeitpunkt der Eintragung (vgl. dazu den Widerspruchsbescheid) als auch im Zeitpunkt
der Schädigung 1934 eine rechtliche Verschiedenheit. Auch die Kläger räumen ein, dass
die D.-Krankenkasse mit dem Gewerkschaftsbund ... nicht rechtlich identisch war. In
einem solchen Fall ist es aber nicht ersichtlich, warum der Mitgeschädigte
Gegengläubiger bzw. dessen Rechtsnachfolger nicht den Anspruch nach § 1 Abs. 2 Satz
1 EntschG geltend machen kann (somit Recht Rodenbach in
Rädler/Raupach/Bezzenberg, 31. Ergänzungslieferung § 3 EntschG Rnr. 32). Zurecht hat
die Beklagte auch mit dem Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, dass die von den
Klägern begehrte Verfahrensweise den unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen - vgl.
§ 1 Abs. 2 Satz 2 EntschG i.V.m. § 5 EntschG einerseits und § 3 Abs. 1 EntschG bzw. § 2
Satz 2 NS-VEntschG andererseits - nicht in ausreichendem Maße Rechnung tragen
würde, sondern entgegen den in diesen Regelungen getroffenen Wertungen die
Bemessungsgrundlagen verändern würde, indem etwa im vorliegenden Fall die
Bemessungsgrundlage für das Grundvermögen durch Nichtabzug der langfristigen
Verbindlichkeiten erhöht würde.
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