Urteil des VG Berlin vom 13.03.2017

VG Berlin: gesellschaft mit beschränkter haftung, grundstück, rückübertragung, eigentum, berechtigung, erlass, ddr, nutzungsrecht, eigentümer, inhaber

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Gericht:
VG Berlin 29.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
29 K 201.10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 10 Abs 1 S 1 Nr 11 EntschG
Festsetzung der Abführungspflicht hinsichtlich eines Erlöses aus
einem so genannten "Komplettierungskauf" eines ehemals
volkseigenen Grundstücks
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung der Abführungspflicht hinsichtlich eines
Erlöses aus einem so genannten "Komplettierungskauf" des ehemals volkseigenen
Grundstücks W. 65 in Berlin - Johannisthal (Grundbuch von T., Bl. 9..., Gemarkung T., Flur
1..., Flurstück 2... mit 335 m²).
Das Grundstück wurde 1927 von der Berliner Gesellschaft zur Förderung des
Einfamilienhauses, gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung (E.), erworben.
Diese Gesellschaft war zu 100 % Tochtergesellschaft der G..
Die Anteile an der G. standen den freien und christlichen Gewerkschaften, dem
Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Allgemeinen Freien
Angestelltenbund (AFA) und weiteren Gewerkschaften zu 84,7 % zu. Das Vermögen
dieser Gewerkschaften wurde mit der Beschlagnahmeanordnung des
Generalstaatsanwalts beim Landgericht Berlin vom 9./12. Mai 1933 aufgrund § 1 der
Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar
1933 beschlagnahmt. Die von der Beschlagnahme betroffenen Gewerkschaften galten
als aufgelöst. 1940 wurde das der E. zustehende Vermögen durch
Gesellschafterbeschluss auf die G., deren Anteile auf die Deutschen Arbeitsfront
übergegangen waren, übertragen. Die daraus folgenden Restitutions- und
Entschädigungsansprüche im Beitrittsgebiet macht die B. aufgrund von
Abtretungserklärungen der rückerstattungsrechtlich als Rechts- und Funktionsnachfolger
anerkannten Vermögensverwaltungs- und Treuhandgesellschaft des Deutschen
Gewerkschaftsbundes mbH (VTG DGB) und weiterer Gewerkschaften geltend.
Mit Bescheid vom 7. Januar 1999 lehnte das Landesamt zur Regelung offener
Vermögensfragen den Antrag der B. auf Rückübertragung des streitbefangenen
Grundstücks wegen redlichen Erwerbs des Nutzungsrechts ab und stellte fest, dass die
B. in Höhe einer noch festzulegenden Beteiligung Berechtigte an dem Grundstück nach
§ 3 Abs. 1 S. 4 VermG sei. Mit Bescheid vom 10. Juli 2001 stellte das Landesamt zur
Regelung offener Vermögensfragen Sachsen-Anhalt fest, dass die B. hinsichtlich des
Vermögens der G. zu 84,7 % berechtigt sei. Am 17. September 2009 schlossen das
Bundesministerium der Finanzen und die B. eine Pauschalentschädigungsvereinbarung,
in der sie für eine Reihe von Vermögenswerten, einschließlich des hier streitigen
Vermögenswerts, feststellten, dass die Berechtigung der B. gegeben sei und
vereinbarten eine pauschale Entschädigungssumme.
1950 wurde das Eigentum des Volkes in das Grundbuch eingetragen. Mit Wirkung vom 1.
Februar 1989 erhielten G. an dem Grundstück ein dingliches Nutzungsrecht. Mit
Kaufvertrag vom 26. Januar 1989 erwarben sie das auf dem Grundstück auf- stehende
Einfamilienhaus zu einem Preis von 9700 Mark der DDR und wurden als Eigentümer in
das Gebäudegrundbuch von Berlin - T., Blatt 3... eingetragen. 1997 wurde B. als
alleiniger Eigentümer des Gebäudes im Gebäudegrundbuch T., B. eingetragen. Mit
notariellem Vertrag vom 19. März 2003 verkaufte die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des
Landes Berlin das Grundstück nach einem entsprechenden Ankaufsverlangen nach dem
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Landes Berlin das Grundstück nach einem entsprechenden Ankaufsverlangen nach dem
Sachenrechtsbereinigungsgesetz an den Gebäudeeigentümer und dessen Ehefrau zu
einem Preis von 26.800 € (Bodenrichtwert 160 € pro Quadratmeter).
Mit Bescheid vom 28. Januar 2010 setzte das Bundesamt für zentrale Dienste und
offene Vermögensfragen nach Anhörung den Abführungsbetrag zugunsten des
Entschädigungsfonds auf 22.495,58 € fest. Zur Begründung führte es aus, dass die
Klägerin nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 EntschG abführungspflichtig sei, und zwar in Höhe
von 84,7 %, da insofern eine Berechtigung der geschädigten Gewerkschaften bzw. ihrer
Rechtsnachfolgerin bestehe. Der Bescheid wurde der Klägerin am 2. Februar 2010
bekannt gegeben.
Mit der am 1. März 2010 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, dass die
gesetzliche Abführungspflicht den Erlass eines bestandskräftigen Grundlagenbescheides
voraussetze. Es sei im Einzelfall zu prüfen, ob für die Grundstücke die
Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vorlägen. In der
Pauschalentschädigungsvereinbarung vom 17. September 2009 habe eine
Einzelfallprüfung aber gerade nicht stattgefunden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene
Vermögensfragen vom 28. Januar 2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Abführungspflicht seien gegeben.
Die Voraussetzungen des Schädigungstatbestandes seien in der Vereinbarung
festgestellt worden. Bei der Pauschalentschädigungsvereinbarung habe es sich um
einen öffentlich-rechtlichen Vertrag gehandelt. Auf die gesonderte Feststellung eines
Restitutionsausschlussgrundes komme es auch deshalb nicht an, weil die Berechtigte
mit dieser Vereinbarung Entschädigung gewählt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang verwiesen, der vorgelegen hat
und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes für zentrale Dienste und
offene Vermögensfragen vom 28. Januar 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Der Entschädigungsfonds hat nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 Entschädigungsgesetz
(EntschG, zuletzt bekannt gemacht am 13. Juli 2004 BGBl I 1659) einen Anspruch auf
Auskehrung des anteiligen Verkaufserlöses. § 10 Absatz 1 S. 1 Nr. 11 S. 1 EntschG
bestimmt, dass Veräußerungserlöse aus dem Verkauf von ehemals volkseigenem Grund
und Boden nach dem 27. Juli 1990 an die Inhaber dinglicher Nutzungsrechte für
Eigenheime an den Entschädigungsfonds abzuführen sind, wenn die Rückübertragung
nach § 4 des Vermögensgesetzes ausgeschlossen ist.
Die Vorschrift ist auf die Fälle der nach dem 27. Juli 1990 erfolgten
"Komplettierungskäufe" zugeschnitten. Damit wird an Vorgänge angeknüpft, die als
Verkauf eines früher volkseigenen (und damit zu DDR-Zeiten regelmäßig
unveräußerlichen) Grundstücks an den redlichen Inhaber eines dinglichen Nutzungsrecht
zu qualifizieren sind. Hintergrund der Vorschrift ist die Bestimmung in § 4 Abs. 2 S. 1
VermG, wonach die Rückübertragung ausgeschlossen ist, wenn nach dem 8. Mai 1945 in
redlicher Weise an dem Vermögenswert Eigentum oder dingliche Nutzungsrechte
erworben worden sind. Deswegen beschränkt sich "die Rückübertragung" i.S.v. § 10 Abs.
1 S. 1 Nr. 11 S. 1 EntschG auf die Fälle einer ausgeschlossen Rückgabe zuvor
volkseigenen Grund und Bodens an einen privaten Alteigentümer (BVerwG, Urteil vom
14. Februar 2008 – 5 C 19.07 – S. 5 des amtlichen Abdrucks m.w. Nachw). Die Erlöse für
den volkseigenen Grund und Boden stehen dem Entschädigungsfonds zu, weil die
Nutzungsrechtsinhaber mit ihrem Kaufpreis für das hinzuerworbene Grundstück
wenigstens einen Teil der Entschädigung für die nicht mehr rückgabeberechtigten
Alteigentümer mitfinanzieren sollen (BVerwG, a.a.O., S. 6 des amtlichen Abdrucks m.w.
Nachw.).
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Die Voraussetzungen der ersten Tatbestandsalternative von § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 11
EntschG liegen vor. Die Rückübertragung ist nach § 4 des Vermögensgesetzes
ausgeschlossen. Mit Bescheid vom 7. Januar 1999 hat das Landesamt zur Regelung
offener Vermögensfragen den Antrag auf Rückübertragung des streitbefangenen
Grundstücks wegen redlichen Erwerbs abgelehnt und festgestellt, dass die B. in Höhe
einer noch festzulegenden Beteiligung Berechtigte an dem Grundstück nach § 3 Abs. 1
S. 4 ist. Diesem Entschädigungsgrundlagenbescheid kommt Tatbestandswirkung (vgl.
dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. § 43 Rn. 16 ff) zu mit der Folge, dass er im
vorliegenden Verfahren nicht mehr infrage gestellt werden kann. Die Berechtigung der B.
an dem streitbefangenen Grundstück ist hier allerdings nur dem Grunde nach mit
Tatbestandswirkung festgestellt worden. Das Gericht kann jedoch auch selbst die Höhe
der Berechtigung der B. an dem Grundstück feststellen. Entgegen der Auffassung der
Klägerin erfordert der Tatbestand des § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 EntschG nicht per se den
vorherigen Erlass eines Entschädigungsgrundlagenbescheides, denn das Gesetz
formuliert insoweit als Voraussetzung lediglich den Ausschluss der Rückübertragung
nach § 4 VermG und nicht den Erlass eines diese Tatbestandsmerkmale feststellenden
Bescheides.
Die B. ist Berechtigte gemäß § 3 Abs. 1 S. 4 VermG an den ehemaligen Grundstücken
der G. zu 84,7 %, wie sich im Einzelnen aus dem Bescheid des Landesamtes zur
Regelung offener Vermögensfragen Sachsen-Anhalt vom 10. Juli 2001, auf den zur
Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, ergibt. Da die E. im
hundertprozentigen Eigentum der G. stand und das Streitgrundstück wiederum im
Eigentum der E., ist die B. auch Berechtigte zu 84,7 % an dem Streitgrundstück. Die
Klägerin hat im Termin auf Nachfrage des Gerichts erklärt, dass sie die Höhe der Quote
nicht bestreite. Damit konnte das Gericht die Höhe der Quote nach Aktenlage
feststellen, einer weiteren Aufklärung bedurfte es nicht.
Demnach ist die Festsetzung der Abführungspflicht dem Grunde nach nicht zu
beanstanden. Die Festsetzung der Abführungspflicht ist auch der Höhe nach
rechtmäßig. Insoweit hat die Klägerin auch keine Einwendungen erhoben
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Berufung gegen dieses
Urteil ist nach § 37 Abs. 2 Satz 1 VermG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 EntschG
ausgeschlossen. Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen, da
Revisionszulassungsgründe nicht gegeben sind (§ 135 VwGO i.V.m. § 132 Abs. 2 VwGO).
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