Urteil des VG Berlin vom 13.03.2017

VG Berlin: härte, diabetes mellitus, alleinstehende mutter, ärztliche behandlung, verfügung, familiennachzug, visum, pflegebedürftigkeit, botschaft, staatsangehörigkeit

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Gericht:
VG Berlin 3. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 K 248.09 V
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 3 AufenthG, § 2 Abs 5
AufenthG, § 2 Abs 1 Nr 1
AufenthG, § 28 Abs 4 AufenthG,
§ 36 Abs 2 AufenthG
Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug für sonstige
Familienangehörige
Visum; Türkei; sonstige Familienangehörige; keine
außergewöhnliche Härte; 66jährige alleinstehende Mutter;
verschiedene altersbedingte Erkrankungen; kein akuter
Behandlungsbedarf; Pflegebedürftigkeit nicht konkretisiert;
zumutbare Inanspruchnahme von Pflege im Heimatland; kein
weiterer Aufklärungsbedarf; Beweisanregung
Sachverständigenbeweis; Ermessen nicht eröffnet;
Lebensunterhalt nicht gesichert; keine Bedarfsgemeinschaft
nach SGB II; Inanspruchnahme nur unter Berücksichtigung des
Selbstbehalts bei Elternunterhalt; Krankenversicherung; keine
Familienversicherung; schriftliche Entscheidung; Abweisung
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der seine Kosten selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihr ein Visum zum
Familiennachzug zu einem ihrer in Deutschland lebenden Söhne und dessen Familie zu
erteilen.
Die am 1. Februar 1944 in der Türkei geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige.
Ihre vier Kinder leben jeweils mit eigenen Familien in Deutschland und Österreich. Zwei
ihrer Söhne besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die im Jahre 1961 geschlossene
Ehe der Klägerin wurde im Juli 2005 geschieden. Der geschiedene Ehemann der Klägerin
und Vater ihrer Kinder ist wieder verheiratet. Nach eigenen Angaben lebt die Klägerin
alleinstehend in der Stadt A. und wird finanziell von ihren in Deutschland lebenden
Söhnen unterstützt. Im alltäglichen Leben erhält sie Unterstützung von einer Nachbarin.
In der Türkei bestehen nach ihren Angaben lediglich verwandtschaftliche Beziehungen zu
älteren Geschwistern, die jedoch nicht in derselben Stadt wie sie leben.
Im Mai 2008 beantragte die Klägerin bei der deutschen Botschaft in Ankara die Erteilung
eines Visums zur Familienzusammenführung zu ihrem 1975 geborenen Sohn S., der in
W. lebt und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Im Laufe des Visumsverfahrens legte die Klägerin verschiedene
Krankenhausbescheinigungen vor, denen zufolge sie an Diabetes mellitus,
Bluthochdruck, Schwerhörigkeit, fortgeschrittener Kurzsichtigkeit und Depression leidet.
Der Beigeladene ließ diese Befunde durch das Gesundheitsamt Esslingen amtsärztlich
beurteilen. Danach handele sich um häufig auftretende Diagnosen, für die im
Allgemeinem gut bekannte Behandlungsregime bestünden. Eine spezielle und
hochdringliche Therapiemaßnahme, die nicht im Heimatland der Klägerin durchgeführt
werden könne, erscheine derzeit nicht notwendig. Es sei von einer erheblichen
Beeinträchtigung der selbständigen Lebensführung auszugehen.
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Die Botschaft der Beklagten ermittelte bei einem türkischen Verein für Geriatrie, dass es
am Wohnort der Klägerin sowohl staatliche sowie auch private Pflegeheime für ältere
Menschen gebe und dass in einem privaten Pflegeheim ein Platz ab etwa 800 türkische
Lira monatlich (entspricht etwa 385,-- Euro) erhältlich sei.
Nachdem der Beigeladene die Zustimmung zu dem beantragten Visum ablehnte, lehnte
die deutsche Botschaft in Ankara mit Bescheid vom 25. November 2008 die
Visumserteilung ab. Mit der am 2. Juni 2009 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt
die Klägerin ihr Begehren weiter.
Zur Begründung trägt sie vor, dass sie auf die Lebenshilfe ihrer in Deutschland lebenden
Kinder angewiesen sei. Aufgrund der nachgewiesenen Erkrankungen könne sie ein
eigenständiges Leben in der Türkei nicht mehr führen. Ihr Sohn S. sei bereit, sie in
seinen Haushalt aufzunehmen, die anderen Kinder seien bereit, sich an der Versorgung
und Betreuung zu beteiligen. Weiterhin trägt die Klägerin vor, dass sie wegen eines
Zerwürfnisses mit ihrem geschiedenen Ehemann ihren Heimatort K. und damit auch ihr
gewachsenes Umfeld von Freunden und Nachbarn habe aufgeben müssen und daher
noch weiter in ihrer selbständigen Lebensführung beeinträchtigt sei.
Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der deutschen Botschaft in Ankara
vom 25. November 2008 zu verpflichten, ihr ein Visum zur Familienzusammenführung
zu erteilen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach Auffassung der Beklagten liegt eine außergewöhnliche Härte, die den begehrten
Familiennachzug rechtfertigen könne, nicht vor. Eine in der Türkei nicht mögliche
ärztliche Behandlung der Klägerin sei derzeit nicht notwendig. Für den Fall ihrer
Pflegebedürftigkeit stünden entsprechende Pflegemöglichkeiten vor Ort zur Verfügung.
Der Beigeladene, der keinen Antrag gestellt hat, trägt ergänzend vor, dass die Klägerin
weiterhin, wie in der Vergangenheit, von ihren Kindern finanziell unterstützt werden
könne. Dies gelte auch für den Fall einer Unterbringung der Klägerin in einem Pflegeheim
in der Türkei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des Beigeladenen, die
vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Nachdem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 22. Dezember 2009 dem
Berichterstatter als Einzelrichter übertragen hat, war dieser gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur
Entscheidung berufen. Die Entscheidung konnte im Einverständnis mit den Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die fristgerecht erhobene Verpflichtungsklage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die
Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erteilung des begehren Visums zur
Familienzusammenführung noch - wie hilfsweise begehrt - auf erneute Entscheidung
über ihren darauf gerichteten Antrag.
Als Rechtsgrundlage für die begehrte Visumserteilung zur Familienzusammenführung
der türkischen Klägerin zu ihrem erwachsenen Sohn, der die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzt, kommt lediglich § 28 Abs. 4 i.V.m. §§ 36 Abs. 2, Satz 1 und
6 Abs. 4 AufenthG in Betracht. Danach kann sonstigen Familienangehörigen eines
erwachsenen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug in der Form
eines Sichtvermerks erteilt werden, wenn dies zur Vermeidung einer außergewöhnlichen
Härte erforderlich ist. Neben dieser gerichtlich in vollem Umfang nachprüfbaren
Tatbestandsvoraussetzung setzt die Erteilung des Visums in der Regel voraus, dass der
Lebensunterhalt gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG); dazu gehört gemäß § 2 Abs. 3
AufenthG auch der Nachweis ausreichenden Krankenversicherungsschutzes.
Beklagte und Beigeladener haben zutreffend eine außergewöhnliche Härte im Sinne des
§ 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG verneint. Hiervon könnte im vorliegenden Zusammenhang
nur dann ausgegangen werden, wenn die in der Türkei lebende Klägerin allein ein
eigenständiges Leben nicht mehr führen könnte, sondern statt dessen auf die
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eigenständiges Leben nicht mehr führen könnte, sondern statt dessen auf die
Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen wäre und sie diese Hilfe in zumutbarer
Weise ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland erlangen könnte (vgl. Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 2004 - 1 C 11/03 -, EzAR 017 Nr. 21). Hieraus
folgt, dass Nachteile im Heimatland, die allein wegen der dortigen allgemeinen
politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse drohen, nicht zur Begründung einer
außergewöhnlichen Härte im Zusammenhang mit der Herstellung und Wahrung der
familiären Lebensgemeinschaft herangezogen werden können (vgl. Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 1997 - 1 B 236/96 -, Buchholz 402.240 § 22
AuslG 1990 Nr. 4 m.w.N.).
Der unbestimmte Rechtsbegriff der außergewöhnlichen Härte weist einen gesteigerten
graduellen Unterschied zu einer (nur) besonderen Härte und damit vergleichsweise
erhöhte Anforderungen auf. Die individuellen Besonderheiten des konkreten Einzelfalles
müssen deshalb nach ihrer Art und Schwere so ungewöhnlich und groß sein, dass die
Folgen der Versagung des Visums zum Familiennachzug unter Berücksichtigung des
Zwecks der Nachzugsvorschriften, die Herstellung und Wahrung der Familieneinheit zu
schützen sowie des Schutzgebotes des Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG schlechthin unvertretbar
wären (BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1997 a.a.O.). Immer ist hierbei auch der Zweck
des Familiennachzugs, nämlich die Herstellung und Wahrung der familiären
Lebensgemeinschaft, im Blick zu behalten. Um die Herstellung einer familiären
Lebensgemeinschaft im Sinne des § 27 Abs. 1, § 36 AufenthG handelt es sich bei
Nachzug Volljähriger aber nur dann, wenn Lebensverhältnisse bestehen, die einen über
eine Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden familiären Schutz erfordern, weil ein
Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist.
Eine außergewöhnliche Härte kann somit für einen ausländischen Volljährigen bei
Versagung des Familiennachzugs allenfalls dann entstehen, wenn dieser allein kein
eigenständiges Leben mehr führen kann und die von ihm benötigte tatsächlich und
regelmäßig zu erbringende wesentliche familiäre Lebenshilfe nur von in Deutschland
lebenden Familienangehörigen erbracht werden kann. Ein solcher Fall liegt nur vor, wenn
die Familienzusammenführung zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte gerade
in Deutschland zwingend geboten ist. Nur dann hat der Staat aus dem Schutz- und
Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG die Pflicht, die Familie zu schützen und
einwanderungspolitische Belange zurückzustellen. Daraus folgt, dass jedenfalls solange
keine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG anzunehmen ist, wie
die benötigte Lebenshilfe auch im Heimatstaat des Ausländers erbracht werden kann.
Die von der Klägerin durch Krankenhausatteste belegten Erkrankungen rechtfertigen
nicht die Annahme einer zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte zwingend in
Deutschland herzustellenden familiären Beistands- und Betreuungsgemeinschaft mit
der Familie ihres Sohnes. Zum einen ergibt sich weder aus diesen ärztlichen
Bescheinigungen noch aus der vom Beigeladenen veranlassten amtsärztlichen
Beurteilung des in diesen Attesten beschriebenen Gesundheitszustandes der Klägerin,
dass sie in einem solchen Umfang zu den notwendigen Verrichtungen des täglichen
Lebens nicht mehr in der Lage ist, dass schon von Pflegebedürftigkeit gesprochen
werden könnte (vgl. § 14 Abs. 1 SGB XI). Die Atteste verhalten sich nicht dazu, dass
Feststellungen dahin getroffen worden wären, ob und ggf. in welchem Ausmaß die
Klägerin zu einer eigenständigen Lebensführung zwingend fremder Hilfe bedarf. Die
pauschale Feststellung in der (übersetzten) Bescheinigung vom 9. Oktober 2010. die
Klägerin sei „pflege und beitreibung bedürftig“, lässt nicht erkennen, von welchen
konkreten Defiziten bei der Bewältigung der notwendigen täglichen Verrichtungen auf
Dauer bzw. auf absehbare Zeit auszugehen sei und wie dies zuverlässig festgestellt
worden wäre. Auch der Schlussfolgerung des Amtsarztes, aufgrund der dargelegten
Erkrankungen sei von einer erheblichen Beeinträchtigung der selbständigen
Lebensführung auszugehen, kann nicht entnommen werden, dass die Klägerin
maßgeblich auf die Hilfe Dritter angewiesen wäre, zumal die an den Amtsarzt gerichtete
Anfrage des Landratsamtes Esslingen vom 17. Oktober 2008 (Bl. 14 des
Verwaltungsvorgangs des Beigeladenen) eine dahingehende Stellungnahme nicht
verlangt hatte und dem Amtsarzt eine verlässliche Aussage dazu ohne Untersuchung
und Befragung der Klägerin kaum möglich gewesen sein dürfte. Bezeichnenderweise hat
die Klägerin auch nicht vortragen lassen, dass sie derzeit bereits ambulante oder
stationäre Pflege habe in Anspruch nehmen müssen. Vielmehr ist nach ihrem
Vorbringen eher davon auszugehen, dass sie bei - nicht näher beschriebener -
Unterstützung im alltäglichen Leben durch eine Nachbarin und finanzieller Unterstützung
durch ihre Söhne weiterhin in der Lage ist, allein in ihrer Wohnung zu leben.
Selbst für den Fall einer eintretenden Pflegebedürftigkeit ist nicht nachgewiesen, dass
die Klägerin die dann benötigte Lebenshilfe nicht in ihrem Heimatland, sondern
ausschließlich in Form der Betreuung durch ihren in Deutschland lebenden Sohn und
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ausschließlich in Form der Betreuung durch ihren in Deutschland lebenden Sohn und
dessen Familie erlangen kann. Dass und warum es ihr für den Fall einer
Pflegebedürftigkeit nicht zumutbar wäre, eine entsprechende Pflegeeinrichtung in ihrem
Wohnort in Anspruch zu nehmen, ist nicht dargelegt worden. Angesichts der dafür
entstehenden Kosten und der nach dem Vorbringen der Klägerin fortbestehenden
finanziellen Unterstützungsbereitschaft ihrer Söhne sind jedenfalls unüberwindbare
finanzielle Hindernisse nicht erkennbar.
Der Anregung der Klägerin, ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen,
„ob bzw. inwieweit“ sie auf die Lebenshilfe einer anderen Person angewiesen ist oder „ob
sie gar als pflegebedürftig einzustufen wäre“, ist das Gericht nicht gefolgt, da bereits ein
konkreter Tatsachenvortrag dahin fehlt, welche der zu einer eigenständigen
Lebensführung notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens die Klägerin nicht mehr
bzw. nur noch eingeschränkt bewältigen kann und insoweit der Hilfe Dritter bedarf und
inwieweit sie diese Hilfe allein von der Familie ihres hier lebenden Sohnes erlangen kann.
So aber stellt sich die Beweisanregung als ein (unzulässiges)
Beweisermittlungsbegehren dar.
Dass der vom Beigeladenen herangezogene Amtsarzt die Frage verneinte, ob eine
spezielle und hochdringliche Therapiemaßnahme, die nicht im Heimatland durchgeführt
werden könne, notwendig erscheine, und der Beigeladene sich zur Begründung, warum
er der Visumserteilung nicht zustimme, darauf stützte und die Beklagte diesen Aspekt
(auch) zum Gegenstand ihrer Klageerwiderung gemacht hat, rechtfertigt nicht den
Vorwurf fehlerhafter Sachverhaltsaufklärung bzw. fehlerhafter Ermessensausübung.
Letzteres trifft schon deshalb nicht zu, weil das Ermessen nach § 36 Abs. 2 AufenthG
erst für den Fall der Bejahung des Tatbestandes einer außergewöhnlichen Härte eröffnet
wäre, Beigeladener und Beklagte aber im Ergebnis zu Recht diesen Tatbestand verneint
haben. Die Abklärung der Frage einer sich aus den dargelegten Erkrankungen
ergebenden allein in Deutschland möglichen notwendigen Behandlung war alles andere
fehlerhaft; denn auch dies hätte zur Feststellung einer außergewöhnlichen Härte führen
können. Weitergehende Ermittlungspflichten trafen aus den oben dargelegten Gründen
weder Beigeladenen noch Beklagte, noch treffen sie das Gericht.
Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass der Lebensunterhalt der Klägerin im Sinne des § 5
Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert ist und damit die allgemeinen
Erteilungsvoraussetzungen für das begehrte Visum vorliegen. Voraussetzung ist danach,
dass der Ausländer seinen Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden
Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten
kann (§ 2 Abs. 3 AufenthG). Die danach anzustellende Prognose erfordert einen
Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den tatsächlich zur Verfügung
stehenden Mitteln. Maßgebend für die aktuelle Bedarfsermittlung ist hier nicht die im
SGB II vorgesehene Grundsicherung für Arbeitssuchende, nach der sich der Umfang der
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für erwerbsfähige Hilfsbedürftige
bestimmt (vgl. § 19 SGB II); denn die Klägerin hätte im Falle ihrer Hilfsbedürftigkeit
Anspruch auf Grundsicherung nach § 41 SGB XII. Auch bei Zuzug in den Haushalt ihres
Sohnes wäre sie nicht (mit dessen Familie) Teil einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des
§ 7 Abs. 3 SGB II. Daher kann für die Frage der Sicherung des Lebensunterhalts der
Klägerin nicht ohne weiteres auf das verfügbare Einkommen der Familie ihres Sohnes
abgestellt werden. Auszugehen ist vielmehr davon, in welchem Maße bei
Sozialhilfebedürftigkeit der Klägerin auf ihr gegenüber unterhaltspflichtige
Familienangehörige (§ 1601 BGB) zurückgegriffen werden könnte (vgl. § 94 SGB XII). Der
im Falle der Hilfsbedürftigkeit der Klägerin entstehende Unterhaltsbedarf kann demnach
nur in dem Umfang als gesichert angesehen werden, in dem das dem Sohn zur
Verfügung stehende Nettoeinkommen den im Falle des Elternunterhalts zu
berücksichtigenden angemessenen Selbstbehalt übersteigt. Dies ist jedoch ersichtlich
nicht der Fall. Ausgehend von der - unter Beteiligung aller Oberlandesgerichte und der
Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages e.V. entwickelten -
sogenannten „Düsseldorfer Tabelle“ ist bei einer Unterhaltspflicht gegenüber den Eltern
von einem angemessenen Selbstbehalt in Höhe von 1.400,-- Euro zuzüglich der Hälfte
des darüber hinausgehenden Einkommens und von einem angemessenen Unterhalt des
mit dem Unterhaltspflichtigen zusammenlebenden Ehegatten von mindestens 1.050,--
Euro auszugehen. Hinzu kommt der angemessene Unterhalt des gemeinsamen Kindes.
Selbst wenn man von einem nach Vortrag der Klägerin der Familie ihres Sohnes zur
Verfügung stehenden berücksichtigungsfähigen Einkommen von 2.176,-- Euro ausginge,
stünde damit kein Einkommen zur Verfügung, das zur Deckung des Unterhaltsbedarfs
der Klägerin (insoweit wäre gemäß § 28 SGB XII von dem Regelsatz für Alleinstehende in
Höhe von 359,-- Euro, gemäß § 29 SGB XII von anteiligen Kosten der Unterkunft und ggf.
gemäß § 30 SGB XII von einem Mehrbedarf sowie von den Kosten einer gemäß § 5 Abs.
1 Nr. 13 SGB V abzuschließenden eigenen Krankenversicherung auszugehen)
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1 Nr. 13 SGB V abzuschließenden eigenen Krankenversicherung auszugehen)
herangezogen werden könnte, um durch deren Nachzug ggf. entstehende Soziallasten
für die öffentliche Hand zu vermeiden.
Allein durch den Hinweis der Klägerin im Schriftsatz vom heutigen Tage darauf, dass
auch ein weiterer Sohn und eine ihrer Töchter „für eine weitere Gewährleistung des
Lebensunterhalts zur Verfügung stehen“, darauf, dass Unterhaltsansprüche gegen ihren
früheren Ehemann zu prüfen seien und dass aus dessen Rentenversicherung eine
Rentenanwartschaft zu erwarten sei, kann der Lebensunterhalt nicht als gesichert
angesehen werden. Insoweit fehlt es an Nachweisen, aus denen auf die notwendige
Verlässlichkeit ausreichenden Mittelzuflusses geschlossen werden kann, zumal die
Klägerin das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte gerade auch damit zu begründen
versucht hatte, dass ihr geschiedener Ehemann seit 1984 seiner Unterhaltspflicht nicht
mehr nachgekommen sei.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung
über die vorläufig Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711
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