Urteil des VG Berlin vom 13.03.2017

VG Berlin: zur unzeit, besondere gefährlichkeit, zustand, verfügung, strafbefehl, disziplinarverfahren, polizeidienst, beförderung, glaubwürdigkeit, polizeibeamter

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Gericht:
VG Berlin 80.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
80 Dn 2.06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 8 Abs 1 DG BE, § 14 Abs 1 DG
BE, § 20 Abs 3 BG BE, § 21 Abs
2 BG BE, § 40 Abs 1 BG BE
Disziplinarmaßnahme bei erster außerdienstlicher
Trunkenheitsfahrt einer Polizeibeamtin.
Tenor
Gegen die Klägerin wird eine Kürzung ihrer jeweiligen Dienstbezüge in Höhe von 5 v.H.
auf die Dauer von fünf Monaten verhängt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der der Klägerin erwachsenen notwendigen
Auslagen tragen die Klägerin zu 4/5 und das Land Berlin zu 1/5.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Disziplinarverfügung, mit der ihr eine Kürzung der
Dienstbezüge in Höhe von 5% für die Dauer von 8 Monaten auferlegt wurde.
Die am 3... 197... in Bernau geborene Klägerin trat 199... in den Polizeidienst des Landes
Berlin ein. Im Jahr 199... wurde sie unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe
zur Polizeimeisterin z.A. ernannt, im Jahr 199... erfolgte die Ernennung zur Beamtin auf
Lebenszeit. Die dienstlichen Leistungen der Klägerin wurden zuletzt von Februar 2002 bis
Februar 2003 mit „voll gut“ beurteilt. Die Klägerin ist disziplinarrechtlich nicht
vorbelastet. Sie erhält Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe A 7, ist ledig und hat
ein Kind. Im Jahr 2003 wurde sie zur Beförderung vorgeschlagen; der Beginn des
fiskalischen Wartejahres wurde auf den 25. Februar 2003 festgesetzt.
Am 29. Januar 2004 gegen 22.00 Uhr führte die zu dieser Zeit nicht im Dienst befindliche
Klägerin, die infolge Alkoholgenusses absolut fahruntüchtig war, ein Kraftfahrzeug im
Straßenverkehr und verursachte einen Verkehrsunfall, bei dem es zu einem nicht
unerheblichen Sachschaden kam. Ihre Blutalkoholkonzentration betrug gegen 23.00 Uhr
2,77 ‰. Am Morgen des Folgetages, an dem die Klägerin um 7.00 Uhr ihren Dienst
hätte antreten sollen, erbat und erhielt sie Dienstbefreiung. Die wegen dieser Vorfälle im
Februar 2004 eingeleiteten disziplinarischen Vorermittlungen wurden bis zum Abschluss
des gegen die Klägerin geführten Strafverfahrens zunächst ausgesetzt.
Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Bernau vom 29. April 2004, rechtskräftig seit 22. Mai
2004, wurde die Klägerin wegen vorsätzlichen Führens eines Fahrzeugs im
Straßenverkehr trotz Trunkenheit und fahrlässiger Gefährdung fremder Sachen von
bedeutendem Wert zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 65 € verurteilt.
Zugleich wurde ihr die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für deren Wiedererteilung
von 10 Monaten festgesetzt.
Die im Anschluss wieder aufgegriffenen disziplinarischen Vorermittlungen wurden nach
Inkrafttreten des Disziplinargesetzes (DiszG) vom 29. Juni 2004 (GVBl. S. 263) am 1.
August 2004 nach dessen Regelungen fortgesetzt. Die Klägerin räumte die ihr im
Strafbefehl zur Last gelegte Tat ein und führte aus, sie habe vor dem Hintergrund
privater Konflikte über einen längeren Zeitraum erhebliche Mengen Alkohol konsumiert.
Am Abend des 29. Januar 2004 seien die angesprochenen Konflikte eskaliert. Sie habe
die Trunkenheitsfahrt und den Unfall zum Anlass genommen, ihr - vorhandenes -
Alkoholproblem anzugehen. Nach Anhörung der Klägerin zum Ermittlungsergebnis und
Beteiligung von Personalrat und Frauenvertreterin erließ der Polizeipräsident in Berlin die
hier angegriffene Verfügung vom 23. November 2005, zugestellt am 6. Dezember 2005.
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hier angegriffene Verfügung vom 23. November 2005, zugestellt am 6. Dezember 2005.
Sowohl die Teilnahme am Straßenverkehr im stark alkoholisierten Zustand als auch der
Verstoß gegen das Gebot, Alkoholgenuss so einzurichten, dass die Aufnahme des
Dienstes ohne jede alkoholische Beeinflussung möglich sei, stellten
Dienstpflichtverletzungen dar. Das einheitlich zu würdigende Dienstvergehen der
Klägerin wiege insbesondere mit Rücksicht auf die Stellung der Klägerin als
Polizeibeamtin schwer. Zu Gunsten der Klägerin seien ihre - guten - dienstlichen
Beurteilungen und der Umstand, dass sie disziplinarisch nicht vorbelastet sei, zu
berücksichtigen. Ergänzend wurde in der angegriffenen Verfügung auf die möglichen
disziplinarischen Folgen eines fortgesetzten - schuldhaften - Alkoholmissbrauchs
hingewiesen und die Bemühungen der Klägerin um die Bewältigung ihrer diesbezüglichen
Schwierigkeiten ausdrücklich zur Kenntnis genommen.
Mit der am 6. Januar 2006 eingegangenen Klage macht die Klägerin geltend, der
Verhängung der Disziplinarmaßnahme stehe hinsichtlich des strafbaren Verhaltes das
Verbot einer weiteren disziplinarischen Ahndung im Fall der Sachverhaltsidentität
zwischen Straftat und Dienstpflichtverletzung entgegen. Hinsichtlich des Verstoßes
gegen das Nüchternheitsgebot sei der Hintergrund des Verhaltens der Klägerin nicht
hinreichend berücksichtigt worden. Außerdem sei ungeprüft geblieben, ob sie -
alkoholbedingt - schuldunfähig gewesen sei. Mit Rücksicht hierauf sei ihre Bitte um
Dienstbefreiung am Morgen des 30. Januar 2004 als ordnungsgemäße Krankmeldung zu
werten. Jedenfalls bestehe angesichts der fehlenden disziplinarrechtlichen Vorbelastung
und der eingeleiteten Verhaltensänderung neben der strafrechtlichen Verurteilung kein
Bedürfnis einer zusätzlichen Pflichtenmahnung.
Die Klägerin beantragt,
die Disziplinarverfügung vom 23. November 2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin habe den ihr als Polizeibeamtin obliegenden Dienstpflichten in
außergewöhnlichem Maß zuwidergehandelt. Ein besonderes
Pflichtenmahnungsbedürfnis, das die verhängte Disziplinarmaßnahme rechtfertige,
bestehe insbesondere im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit von
Trunkenheitsfahrten und die zentrale Bedeutung des Nüchternheitsgebots im
Polizeidienst.
Das Gericht hat neben der Disziplinarakte die Personalakte der Klägerin, die Strafakte
2... des Amtsgerichts Bernau und die polizeiärztliche Akte der Klägerin beigezogen.
Diese sind, soweit erheblich, Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu
ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage, über die gemäß § 41 DiszG, § 46 Abs. 2 BDG, § 6 Abs. 1 VwGO die
Einzelrichterin zu entscheiden hat, ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang begründet.
Nach dem im Straf- und im Disziplinarverfahren festgestellten und von der Klägerin
eingeräumten Sachverhalt hat sich die Klägerin eines aus mehreren Pflichtverletzungen
zusammengesetzten, einheitlich zu würdigenden Dienstvergehens nach § 40 Abs. 1 LBG
schuldig gemacht. Sie hat sich nicht nur strafbar gemacht, sondern auch die ihr
obliegende Pflicht aus § 20 Satz 3 LBG zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten
und ihre besondere Pflicht als Polizeivollzugsbeamtin, das Ansehen der Polizei und
Disziplin zu wahren (§ 103 LBG), schwerwiegend missachtet.
Schon ihr außerdienstliches Fehlverhalten - die Trunkenheitsfahrt - ist unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände dieses Falls geeignet, Achtung und Vertrauen
in ihr Amt und das Ansehen des Beamtentums und der Berliner Polizei schwerwiegend
zu beeinträchtigen (§ 40 Abs. 1 Satz 2 LBG). Ein Polizeivollzugsbeamter, der vorsätzlich
in fahruntauglichem Zustand ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führt,
dadurch fahrlässig fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet und einen Schaden
verursacht, verletzt seine Kernpflicht als Polizeibeamter. Es ist Aufgabe der Polizei,
Straftaten zu verhindern, aufzuklären und zu verfolgen. Polizeibeamte, die selbst zum
Straftäter werden, begehen eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung. Sie
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Straftäter werden, begehen eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung. Sie
erschüttern das Vertrauen in ihre Fähigkeit zu jederzeit pflichtbewusster und
zuverlässiger Dienstausübung. Die Bemühungen der Polizei um die Sicherheit des
Straßenverkehrs verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn Polizeibeamte selbst das Gebot der
Fahrtauglichkeit im Straßenverkehr außer Acht lassen. Der Trunkenheitsfahrt kam auch
Dienstbezug zu, weil die Klägerin dienstlich mit dem Führen von Kraftfahrzeugen betraut
war (vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. August 2000 - 1 D 37/99 -, zit.
u.a. bei juris). Die Berechtigung zum Führen von Dienstfahrzeugen wurde der Klägerin
nach Bekanntwerden der Ereignisse vom 29. Januar 2004 entzogen.
Dadurch, dass die Klägerin am 29. Januar 2004 so viel Alkohol zu sich genommen hat,
dass sie ihren Dienst am 30. Januar 2004 nicht nüchtern hätte aufnehmen können, hat
sie außerdem die ihr obliegende Gehorsamspflicht (§ 21 Abs. 2 LBG) verletzt, weil sie
gegen dienstliche Anordnungen, nämlich die Geschäftsanweisung LPVA I Nr. 2/2002 über
das Verbot von Alkoholkonsum, verstoßen hat. Diese verlangt in ihrer Ziff. II.2. Satz 1,
dass Polizeibeamte ihren Alkoholkonsum so einzurichten haben, dass sie ihren Dienst
ohne jegliche Alkoholbeeinflussung antreten können.
Die Klägerin handelte schuldhaft. Soweit sie sich darauf beruft, hinsichtlich des
Verstoßes gegen das Nüchternheitsgebot schuldunfähig gewesen zu sein, kann dem
nicht gefolgt werden. Denn die Klägerin hat nicht erst im alkoholisierten Zustand gegen
das Gebot verstoßen, Alkoholkonsum so zu gestalten, dass eine Dienstaufnahme im
nüchternen Zustand möglich ist, sondern gerade dadurch, dass sie sich zur Unzeit in
einen erheblich alkoholisierten Zustand versetzt hat. Dass sie bereits zu diesem
Zeitpunkt schuldunfähig war, behauptet die Klägerin nicht. Es besteht hierfür auch kein
Anhaltspunkt. Dass die Klägerin Schwierigkeiten im Umgang mit Alkohol hat oder hatte,
bietet für sich genommen keinen hinreichenden Grund für die Annahme, sie habe ihren
Alkoholkonsum nicht mehr steuern können.
Das Gewicht des Dienstvergehens erfordert unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalles eine Kürzung der Dienstbezüge der Klägerin (§ 8 Abs. 1 Satz 1 DiszG).Das
der Klägerin vorzuwerfende Fehlverhalten stellt bei einem Polizeivollzugsbeamten, der
dienstlich mit dem Führen von Kraftfahrzeugen betraut ist, ein Dienstvergehen dar, das
regelmäßig bereits im ersten Fall eine Gehaltskürzung zur Folge hat (vgl. auch insoweit
OVG Berlin, a.a.O.).
Eine die disziplinarische Ahndung ausschließende Sachverhaltsidentität mit dem
Gegenstand des gegen die Klägerin durchgeführten Strafverfahrens (§ 14 Abs. 1 Nr. 2
DiszG) liegt nicht vor, weil das Strafverfahren nur einen Teil der der hier zu würdigenden
Vorgänge, nämlich die Teilnahme am Straßenverkehr erfasst. Kern des disziplinarischen
Vorwurfs ist dagegen in Fällen wie dem vorliegenden das Trinkverhalten des Beamten
(vgl. hierzu OVG Berlin, Urteil vom 16. September 2003 - OVG 80 D 4.03 - m.w.N.).
Kommt nur der Ausspruch einer Gehaltskürzung in Betracht, so beurteilt sich die
Zulässigkeit dieser Maßnahme nach § 8 Abs. 1 Satz 1 DiszG Berlin, wonach die Kürzung
der Dienstbezüge - anders als nach dem bis zum Inkrafttreten des DiszG am 1. August
geltenden Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 LDO, die eine Höchstdauer von fünf Jahren
vorsah - längstens für drei Jahre ausgesprochen werden kann. Im vorliegenden Fall ergibt
jedoch die Abwägung der für und gegen die Klägerin sprechenden Belange, dass die in
ihrer Höhe nicht zu beanstandende Kürzung der Dienstbezüge nur für die Dauer von fünf
Monaten angemessen ist. Zwar ist neben dem dargelegten erheblichen Gewicht des von
der Klägerin begangenen Dienstvergehens zu berücksichtigen, dass diese in Folge des
Verlusts der Fahrerlaubnis dienstlich nur eingeschränkt verwendbar war, weil sie
vorübergehend nicht mehr als Führerin eines dienstlichen Fahrzeugs eingesetzt werden
konnte. Zugunsten der Klägerin ist dagegen einzustellen, dass es sich um ein einmalig
gebliebenes Fehlverhalten einer ansonsten pflichtbewussten Beamtin gehandelt hat.
Auch hat die Klägerin unmittelbar nach ihrer Tat und unabhängig vom Straf- und
Disziplinarverfahren Einsicht in ihr Fehlverhalten gezeigt und ihren Alkoholkonsum
umgehend und, soweit ersichtlich, letztlich wohl erfolgreich, einer kritischen Kontrolle
unterzogen hat. Letztlich ausschlaggebend ist im vorliegenden Einzelfall jedoch der
Umstand, dass die für die Klägerin Anfang 2004 unmittelbar bevorstehende Beförderung
- das fiskalische Wartejahr lief Ende Februar 2004 ab - unterblieb und während der Dauer
der Gehaltskürzung weiterhin ausgeschlossen ist (§ 8 Abs. 4 DiszG). Angesichts der
Dauer des Disziplinarverfahrens von nunmehr insgesamt rund 2 Jahren ist mit Rücksicht
hierauf davon auszugehen, dass bereits der Durchführung des Disziplinarverfahrens als
solchem eine erhebliche erzieherische Wirkung zugekommen ist. Eine weitere Einwirkung
auf die Klägerin erscheint deshalb nur noch für einen kurzen Zeitraum gerechtfertigt.
Die Höhe der Kürzung, die sich auf die Bruttobesoldung bezieht, berücksichtigt auch,
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Die Höhe der Kürzung, die sich auf die Bruttobesoldung bezieht, berücksichtigt auch,
dass die Klägerin dem mittleren Dienst angehört und in geordneten wirtschaftlichen
Verhältnissen lebt (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. März 2001, - 1 D 29/00
-, zit. u.a. bei juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 DiszG i.V.m. § 77 Abs. 4 BDG, § 155 Abs. 1
VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 3 DiszG i.V.m. § 167
VwGO; §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
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