Urteil des VG Berlin vom 13.03.2017

VG Berlin: bundesamt für migration, duldung, asylverfahren, lebensgemeinschaft, ausländer, umzug, beschränkung, vollstreckung, bezirk, passivlegitimation

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Gericht:
VG Berlin 29.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
29 K 308.10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 52 Nr 2 S 3 VwGO, § 51
AsylVfG, § 56 Abs 3 AsylVfG, §
74 Abs 2 AsylVfG, § 60a Abs 2
AufenthG
Verspätete Substantiierung durch Prozessbevollmächtigte
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der in Berlin ansässige Kläger begehrt, seinen Wohnsitz in das Gebiet der Beklagten
verlegen zu dürfen.
Der Kläger ist russischer Staatsangehöriger und reiste im März 2007 unerlaubt nach
Deutschland ein. Mit Bescheid vom 30. März 2007 wurde er gemäß § 15a AufenthG dem
Land Berlin zugewiesen. Am 13. April 2007 beantragte er die Anerkennung als
Asylberechtigter; er wurde für das Asylverfahren nach Berlin verteilt. Das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27. April 2007 ab, stellte
fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote
nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG nicht vorliegen, und forderte ihn zur Ausreise auf,
widrigenfalls er nach Russland abgeschoben werde. Die dagegen erhobene Klage nahm
er in der mündlichen Verhandlung am 23. Juli 2008 zurück. Seitdem erhält er von der
Berliner Ausländerbehörde wegen Passlosigkeit Duldungen mit der Auflage
„Erwerbstätigkeit nicht gestattet“; er bezieht Sozialhilfe. Bemühungen der
Ausländerbehörde, über die russische Botschaft ein Reisedokument zu beschaffen,
blieben erfolglos.
Am 15. September 2008 beantragte er bei der Berliner Ausländerbehörde die
Umverteilung in das Gebiet der Beklagten mit der Begründung, seine im dritten Monat
schwangere Lebensgefährtin wohne dort. Unter dem 31. Juli 2009 erklärte die Beklagte,
der Änderung der Wohnsitzauflage nicht zuzustimmen, da noch nicht geklärt sei, ob der
Kläger bei der Kindesmutter wohnen werde. Am 20. August 2009 wurde sie Mutter eines
Sohnes. Der Kläger hatte bereits am 15. Januar 2009 zu Urkunde der Beklagten mit
Zustimmung der Kindesmutter die Vaterschaft anerkannt und zusammen mit der
Kindesmutter erklärt, das sie das Sorgerecht gemeinsam ausüben wollen.
Am 23. März 2010 gab die Berliner Ausländerbehörde den Antrag zuständigkeitshalber
an die Beklagte ab und erklärte, gegen den Zuzug nach dort bestünden keine Einwände.
Bereits am 22. Juni 2009 hatte der Kläger bei der Beklagten die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG sowie die Umverteilung dorthin
beantragt. Am 15. Oktober und erneut am 26. November 2009 erklärte die
Kindesmutter, dass der Kläger nicht bei ihr wohnen könne. Mit Bescheid vom 3. Mai
2010, zugestellt am 6. Mai 2010, lehnte die Beklagte den Antrag auf Änderung der
Wohnsitzauflage mit der Begründung ab, die familiäre Lebensgemeinschaft könne auch
in Berlin hergestellt werden, da die Kindesmutter keinen Wohnsitzbeschränkungen
unterliege. Sofern die Herstellung der Lebensgemeinschaft von der Kindesmutter nicht
beabsichtigt sei, stehe dem Umzug des Klägers dessen drohende Obdachlosigkeit
entgegen.
Der Kläger erhob am 20. Mai 2010 Klage und macht mit der 27. Juli 2010 eingegangenen
Klagebegründung geltend, die Kindesmutter habe lediglich deshalb erklärt, der Kläger
könne nicht bei ihr wohnen, da die Beklagte ihr erklärt habe, sie müsse dann für die
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könne nicht bei ihr wohnen, da die Beklagte ihr erklärt habe, sie müsse dann für die
gemeinsame Wohnung zahlen, was ihr nicht möglich sei, da sie derzeit keiner
Beschäftigung nachgehe. Inzwischen sei sie wieder bereit, mit dem Kläger
zusammenzuziehen. Das sei aber auch unerheblich, da es in erster Linie darauf
ankomme, dass der Kläger das gemeinsame Kind sehen und betreuen könne. Der
Kindesmutter sei ein Umzug nicht zuzumuten, da sie seit vielen Jahren dort verwurzelt
und auch einer Beschäftigung nachgegangen sei; sie gehe davon aus, diese
Beschäftigung wieder aufnehmen zu können, wenn das Kind in den Kindergarten gehe.
Die Beschäftigungssituation in Berlin sei erheblich schlechter, und dort stünde ihr auch
nicht die Unterstützung ihrer Familie zur Verfügung. Der Kläger hat schriftsätzlich
beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. Mai 2010 zu verpflichten,
den Kläger nach Schwäbisch Hall umzuverteilen,
hilfsweise,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. Mai 2010 zu verpflichten,
dem Kläger eine (Zweit-)Duldung zu erteilen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen,
und vertieft die Begründung des angegriffenen Bescheides. Zudem sei nicht erkennbar,
dass sich der Kläger ernsthaft für die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinem Sohn
interessiere, da er bei der Berliner Ausländerbehörde zuletzt für den Zeitraum vom 6.
bis zum 26. März 2009 beantragt habe, sein Kind besuchen zu dürfen.
Der Kläger hat dazu am 1. Oktober 2010 eine von der Kindesmutter mit unterzeichnete
Erklärung vorgelegt, wonach er regelmäßig dort lebe, bei der Erziehung des
gemeinsamen Kindes helfe und nur einmal alle zwei Monate nach Berlin fahre.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf die Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die vom
Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin übersandte Ausländerakte
des Klägers verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne
mündliche Verhandlung entscheiden.
Das Verwaltungsgericht Berlin ist nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO örtlich zuständig, denn
der angegriffene Bescheid beruht auf § 51 AsylVfG. Danach ist das Verwaltungsgericht
örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylverfahrensgesetz seinen
Aufenthalt zu nehmen hat, und nicht das Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk der
Ausländer umverteilt werden möchte (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 2. Februar
2006 – A 12 S 929.05 –, InfAuslR 2006, 293).
Die Klage ist im Hauptantrag zulässig, insbesondere rechtzeitig in der Frist des § 74 Abs.
1 Halbsatz 1 AsylVfG erhoben worden. Die Klage ist jedoch unbegründet, da der
angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§
113 Abs. 5 VwGO). Die Voraussetzungen für die Umverteilung des Klägers gemäß § 51
Abs. 1 AsylVfG nach Baden-Württemberg liegen nicht vor.
Abweichend von der Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit ergibt sich die
Behördenzuständigkeit und damit die Passivlegitimation der Beklagten aus § 51 Abs. 2
Satz 2 AsylVfG. Eine Entscheidung nach § 51 AsylVfG ist auch nicht dadurch
ausgeschlossen, dass das Asylverfahren des Klägers bestandskräftig abgeschlossen ist
(OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Dezember 2009 – 3 S 120.08 –, juris Rdnr.
12 m.w.N.).
Voraussetzung für eine Entscheidung nach § 51 Abs. 1 AsylVfG ist, dass der
Haushaltsgemeinschaft von Eltern mit ihren minderjährigen Kindern Rechnung zu tragen
ist. Diese Voraussetzung hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Vielmehr hat die
Kindesmutter während des Verwaltungsverfahrens mehrfach erklärt, dass sie den Kläger
nicht in ihren und des gemeinsamen Kindes Haushalt aufzunehmen bereit ist. Daran hat
die Beklagte in ihrem Bescheid ausdrücklich hingewiesen, und sie hat den anwaltlich
vertretenen Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrung auch in der nach § 74 Abs. 2 Satz 3
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vertretenen Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrung auch in der nach § 74 Abs. 2 Satz 3
AsylVfG gebotenen Weise über die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen der
Klagebegründung belehrt. Die Tatsache, dass nunmehr eine Haushaltsgemeinschaft
beabsichtigt sei, hat der Kläger jedoch erst am 27. Juli 2010 vorgetragen und die zum
Beweis vorgelegte Erklärung der Kindesmutter erst am 1. Oktober 2010 vorgelegt,
beides mithin deutlich nach Ablauf der in § 76 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG genannten Frist von
einem Monat ab Zustellung der angegriffenen Entscheidung.
Dieses Vorbringen wird nach § 74 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 87b Abs. 3 VwGO
zurückgewiesen. Es ist nicht ersichtlich, dass das verspätete Vorbringen unverschuldet
ist, insbesondere nicht, dass es sich um eine erst nachträglich eingetretene Tatsache
handelt. Vielmehr deutet die Bezugnahme in der am 1. Oktober 2010 vorgelegten
Erklärung vom 8. September 2010 auf ein Schreiben der Prozessbevollmächtigten – sei
es an den Kläger, sei es an die Kindesmutter – vom 31. August 2010 darauf hin, dass
sich die Prozessbevollmächtigten verspätet um die erforderliche Substantiierung des
Vortrages bemüht haben. Ihr Verschulden ist dem Kläger gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85
Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Die Zulassung dieses Vorbringens würde schließlich die
Erledigung des Rechtsstreites verzögern, denn die vorgelegte Erklärung allein unterliegt
dem Verdacht verfahrensangepassten Vortrages und wäre daher einer weiteren
Überprüfung etwa durch Zeugenvernehmung der Kindesmutter zu unterziehen.
Ob die Klage im Hilfsantrag zulässig ist, obwohl der Kläger einen ausdrücklichen Antrag
auf Erteilung einer Duldung bei der Beklagten nicht gestellt hat, und ob die Beklagte für
die Entscheidung darüber sachlich zuständig wäre, kann offen bleiben. Die Klage ist auch
insoweit jedenfalls unbegründet, da die Erteilung einer weiteren Duldung durch die
Beklagte deshalb nicht in Betracht kommt, weil sie dafür örtlich unzuständig ist. Gemäß
§ 56 Abs. 3 AsylVfG bleiben räumliche Beschränkungen auch nach Erlöschen der
Aufenthaltsgestattung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Aufenthalt nach § 25
Abs. 1 Satz 3 oder § 25 Abs. 2 Satz 2 AufenthG als erlaubt gilt oder ein Aufenthaltstitel
erteilt wird. Eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG, die nicht die Qualität eines
Aufenthaltstitels hat (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), ist dagegen nicht geeignet, die im
Asylverfahren begründete räumliche Aufenthaltsbeschränkung zu beseitigen, hätte
jedoch gemäß § 61 Abs. 1 AufenthG ihrerseits eine räumliche Beschränkung des
Aufenthalts des Klägers auf das Gebiet der Beklagten und damit gleichzeitig eine
unzulässige Erweiterung der nach § 56 Abs. 3 AsylVfG fortgeltenden räumlichen
Beschränkung zur Folge (OVG Berlin, Beschluss vom 2. Dezember 2009, a.a.O. Rdnr. 9).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Vollstreckungsausspruch auf
§ 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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