Urteil des VG Berlin vom 13.03.2017

VG Berlin: sinn und zweck der norm, grundstück, kaufpreis, gegenleistung, erwerb, gebäude, abtretung, ddr, vergleich, vorverfahren

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Gericht:
VG Berlin 29.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
29 A 63.04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 7a Abs 1 VermG, § 31 Abs 5
VermG
Gegenleistung; Identität von Berechtigtem und
Verfügungsberechtigtem durch Vergleich; (keine) materielle
Restitutionsentscheidung
Leitsatz
§ 7 a Abs. 1 VermG gilt nicht, wenn das Grundstück aufgrund eines Vergleichs zwischen
Verfügungsberechtigten und Restitutionsberechtigten auf den Verfügungsberechtigten
"zurückübertragen" wird und keine materielle Restitutionsentscheidung ergeht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Festsetzung einer Gegenleistung gemäß § 7 a Abs. 1 VermG,
die sie für den Erwerb eines Eigenheims in Verbindung mit der Verleihung des dinglichen
Nutzungsrechts an dem 741 Quadratmeter großen Grundstück M. in Berlin-B. gezahlt
haben.
Die Kläger waren Nutzer dieses staatlich verwalteten Grundstücks, zunächst als Mieter,
ab 1971 aufgrund eines Überlassungsvertrages. Sie bemühten sich um den Ankauf des
Grundstücks, weil sie schon erhebliche Mittel investiert hätten und das Gebäude weiter
instand setzen wollten. Das Grundstück wurde mit Bescheid vom 28. Mai 1981 nach den
Vorschriften der Zweiten Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz in Anspruch
genommen und in Volkseigentum überführt. Die Kläger erwarben mit Kaufvertrag vom
18. Juni 1981 das Eigenheim nebst Grundstückseinrichtungen und Aufwuchs. In dem
Vertrag ist ausgeführt, dass der Kaufpreis in Höhe von 7.430,-- M bereits aufgrund des
Überlassungsvertrages entrichtet worden sei. Zugleich wurde den Klägern das dingliche
Nutzungsrecht an dem Grundstück verliehen. Dieses Recht wurde ebenso wie das
Gebäudeeigentum am 22. Juli 1981 im Liegenschaftsbuch eingetragen.
Mit Bescheid des Amts zur Regelung offener Vermögensfragen V Berlin vom 15. August
1995 wurde der Restitutionsantrag des Alteigentümers abgelehnt. Der Widerspruch
wurde mit Widerspruchsbescheid des Landesamts zur Regelung offener
Vermögensfragen vom 22. Mai 1996 im Wesentlichen mit der Begründung
zurückgewiesen, Inanspruchnahmen für Instandsetzungen bzw. Um- und
Ausbaumaßnahmen seien zulässig und dieser Aufbauzweck vorliegend auch erfüllt
worden. Im Laufe des Klageverfahrens (zunächst VG 16 A 216.96, später VG 31 A 12.02)
wies die Berichterstatterin am 7. März 2001 darauf hin, dass sich nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Frage einer machtmissbräuchlichen
Enteignung im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG aufdränge. Denn eine Aufnahme der
geplanten Baumaßnahmen in den Volkswirtschaftsplan sei nicht erkennbar; alle
Beteiligten seien davon ausgegangen, dass die geplanten Baumaßnahmen allein durch
den Nutzer und künftigen Erwerber finanziell getragen werden sollten. Die
Berichterstatterin bat um Stellungnahme zur Frage einer machtmissbräuchlichen
Enteignung und zu der sich anschließenden Frage, ob die Kläger in redlicher Weise ihre
Rechte erworben hätten.
Daraufhin teilte das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen in einem
Schriftsatz vom 20. März 2001 mit, dass der Tatbestand des § 1 Abs. 3 VermG „als
gegeben erscheine“. Alteigentümer und hiesige Kläger nahmen
Vergleichsverhandlungen auf. Im Ergebnis dieser Verhandlungen schlossen sie am 10.
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Vergleichsverhandlungen auf. Im Ergebnis dieser Verhandlungen schlossen sie am 10.
Juni 2002 einen notariellen Vertrag, in dem der Restitutionsantragsteller seinen
Restitutionsanspruch gegen Zahlung von 81.806,14 € an die Kläger veräußerte und sich
zur Abtretung des Anspruchs nach Hinterlegung des Geldes verpflichtete. Diese
notarielle Abtretung erfolgte am 22. Juli 2002. Das Landesamt zur Regelung offener
Vermögensfragen Berlin hob daraufhin den Bescheid vom 15. August 1995 und den
Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 1996 auf.
Der Bodenrichtwertatlas des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in Berlin weist
für das Gebiet, in dem sich das Grundstück der Klägerin befindet, per 1. Januar 2002
einen Wert von 150.- €/m² und per 1. Januar 2003 einen Wert von 140.- €/m² aus.
Mit Bescheid des Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen Berlin vom 16.
Januar 2003 wurde das Grundstück „aufgrund eines außergerichtlichen Vergleichs“ an
die Kläger „zurückübertragen“. In der Begründung des Bescheides heißt es, die Kläger
seien „entsprechend der notariellen Verträge“ Berechtigte im Sinne des
Vermögensgesetzes. Ein Ausschlussgrund gem. § 4 Abs. 2 VermG könne nicht
vorliegen, weil die Berechtigten und die Verfügungsberechtigten infolge des Vergleichs
ein und dieselben Personen seien. Eine Rückzahlung des Kaufpreises von 7.430,-- M
gemäß § 7 a Abs. 1 VermG erfolge nicht. Denn die Verfügungsberechtigten seien durch
notarielle Abtretung zu Berechtigten geworden. Sie nutzten das von ihnen bereits
erworbene Haus weiterhin. Die Vorschrift begründe einen Aufwendungsersatzanspruch
nur zugunsten desjenigen Verfügungsberechtigten, der das Eigentum an dem
Vermögenswert infolge Restitution verliere, was hier nicht der Fall sei. Den auf die
Festsetzung der Gegenleistung beschränkten Widerspruch der Kläger wies der
Widerspruchsausschuss beim Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Berlin
mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2004 zurück. In der Begründung hieß es
nunmehr noch: Es sei allein der Vereinbarung zwischen den Verfügungsberechtigten und
dem Berechtigten überlassen gewesen, hinsichtlich des Kaufpreises einen finanziellen
Ausgleich zu vereinbaren.
Mit der am 10. Mai 2004 eingegangenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
Sie tragen zur Begründung vor: Die Voraussetzungen von § 7 a Abs. 1 VermG seien vom
Wortlaut her erfüllt. Die Tatsache, dass die Kläger im Zuge des Vergleichs zugleich
Berechtigte geworden seien, sei unabhängig hiervon zu betrachten. Das Gesetz
benenne ausdrücklich nur zwei Ausnahmen dieses Anspruchs, die hier nicht vorliegen
würden, und sei im Übrigen abschließend. Die Auslegung durch den Beklagten sei auch
nicht interessengerecht. Die Kläger hätten immerhin 81.806,40 € gezahlt. Würde sich die
Auffassung des Beklagten durchsetzen, hätten sie das Gebäude zweimal bezahlt. Die
Zahlung 1981 an staatliche Stellen der DDR sei an einen Nichtberechtigten erfolgt. Die
dadurch geschaffene Bereicherung des Staates würde zu Lasten der Kläger
fortbestehen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Landesamts zur
Regelung offener Vermögensfragen vom 16. Januar 2003 und des
Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses beim Landesamt zur Regelung
offener Vermögensfragen vom 15. April 2004 zu verpflichten, den Klägern einen
Anspruch auf Erstattung einer Gegenleistung gemäß § 7 a Abs. 1 VermG in Höhe von
1.899,44 € (= 7.430,-- M) zuzuerkennen,
die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig
zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seinen Bescheiden fest.
Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien wird neben der
Verwaltungsstreitakte auf die vorliegenden Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die
vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die hier allein noch im Streit stehende Entscheidung über die
Gegenleistung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben
keinen Anspruch auf die Festsetzung eines solchen Anspruchs gegen den
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keinen Anspruch auf die Festsetzung eines solchen Anspruchs gegen den
Entschädigungsfonds (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Rechtsgrundlage für den von den Klägern geltend gemachten Anspruch kann nur § 7 a
Abs. 1 Satz 1 VermG sein. Danach ist ein vom Verfügungsberechtigten im
Zusammenhang mit dem Erwerb des Eigentums an dem zurückzuübertragenden
Vermögenswert an eine staatliche Stelle der DDR oder an einen Dritten gezahlter
Kaufpreis dem Verfügungsberechtigten, außer in den Fällen des Abs. 2 der Vorschrift
oder des § 121 Abs. 6 des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes, auf Antrag aus dem
Entschädigungsfonds zu erstatten.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar ist die Vorschrift grundsätzlich auch auf
den hier gegebenen Fall anwendbar, dass der Erwerber „nur“ Gebäudeeigentümer und
Inhaber des dinglichen Nutzungsrechts an dem zurückzuübertragenden Grundstück ist
(vgl. Meyer-Seitz in Fieberg u.a., Kommentar zum Vermögensgesetz, Stand: Januar
1999, Rnrn. 6 und 16 zu § 7 a). Jedoch liegt eine Rückübertragung im Sinne dieser
Vorschrift nicht vor. Erforderlich ist nämlich eine materielle Restitutionsentscheidung, die
immer neben der Feststellung eines Schädigungstatbestandes auch einen Ausspruch
über das Fehlen von Restitutionsausschlussgründen enthalten muss. Das ergibt sich
schon aus der Gesetzesbegründung, in der es heißt: „Ist der Erwerb (wegen
Unredlichkeit oder mangelnder Schutzwürdigkeit nach dem 18. Oktober 1989) nicht
restitutionsfest, so ist dem Verfügungsberechtigten der gezahlte Kaufpreis … zu
erstatten“ (BT-Ds 12/2480, S. 45). Dies folgt aber auch aus Sinn und Zweck der Norm.
Denn nur in dem Fall, dass die Aufwendungen des Erwerbers sich als nutzlos erweisen,
weil er das Erworbene an den Berechtigten herausgeben muss, besteht Anlass für einen
solchen Aufwendungsersatz (vgl. Meyer-Seitz, a.a.O., Rnrn. 4 a und 24 zu § 7 a). Kommt
es dagegen gar nicht zu einer solchen materiellen Restitutionsentscheidung, weil die
Parteien des Restitutionsverhältnisses dies gerade vermeiden wollen und sich gütlich
einigen mit der Folge, dass der Verfügungsberechtigte auch gar nichts tatsächlich
herausgeben muss, besteht auch kein sachlicher Grund für einen Erstattungsanspruch.
Der hier in Rede stehende Bescheid vom 16. Januar 2003 ist kein solcher materieller
Restitutionsbescheid gemäß § 33 Abs. 4 VermG, sondern ein – das Restitutionsverfahren
anderweitig erledigender – Bescheid in Umsetzung einer gütlichen Einigung zwischen
den Parteien gemäß § 31 Abs. 5 VermG. Dies ergibt sich eindeutig aus der einleitenden
Formulierung „aufgrund eines außergerichtlichen Vergleichs“ und daraus, dass eine
Prüfung des redlichen Erwerbs der Kläger gemäß § 4 Abs. 2, 3 VermG gerade nicht
stattgefunden hat. Die Vertreterin des Beklagten hat dies in der mündlichen
Verhandlung bestätigt und darauf hingewiesen, dass die Formulierung auf Seite 3 des
Bescheides, wonach ein Ausschlussgrund gemäß § 4 Abs. 2 VermG nicht vorliegen
könne, missverständlich ist.
Es kann hier offen bleiben, ob § 7 a Abs. 1 VermG ausnahmsweise auch bei
vergleichsweisem Abschluss des vermögensrechtlichen Verfahrens anzuwenden ist,
wenn sich die Beteiligten des Restitutionsverhältnisses auf die Zahlung des vollen
Verkehrswertes für das Grundstück geeinigt haben, die Entscheidung des
Vermögensamtes also gewissermaßen nur eine kostensparende „Abkürzung“ bei der
Umsetzung des Willens der Parteien, den Alteigentümer in Anerkennung seines
Herausgabeanspruchs wertmäßig voll zu entschädigen, das Grundstück aber dem
Verfügungsberechtigen zu überlassen, darstellt. Denn dieser Sachverhalt liegt nicht vor.
Allein der Bodenwert des Grundstücks betrug zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am
10. Juni 2002 nach dem amtlichen Bodenrichtwertatlas für Berlin zwischen 103.740 Euro
(Bodenrichtwertatlas per 1. Januar 2003 = 140 Euro/m²) und 111.150 Euro
(Bodenrichtwertatlas per 1. Januar 2002 = 150 Euro/m²). Der tatsächliche Kaufpreis lag
mit 81.806,14 Euro deutlich darunter. Ersichtlich haben die Vertragsparteien damit einen
„echten“ Vergleich unter gegenseitigem Nachgeben vor dem Hintergrund der
Einschätzungen des Prozessrisikos nach den Bescheiden der Behörde und dem Hinweis
des Gerichts geschlossen. Dies ist in der mündlichen Verhandlung auch erörtert und
vom Prozessbevollmächtigten der Kläger nicht bestritten worden.
Davon, dass die Kläger das Gebäude zweimal bezahlt hätten, kann somit nicht die Rede
sein. Entgegen der Ansicht der Kläger wird der Entschädigungsfonds durch diese
Gesetzesauslegung auch nicht „bereichert“. Vielmehr hat sich das Land Berlin als
Grundstückseigentümer durch Umsetzung des Vergleichs der Möglichkeit begeben, das
Grundstück im Falle der Klageabweisung wegen redlichen Erwerbs der Kläger zum halben
Verkehrswert an diese zu veräußern (§§ 61 ff., insbesondere § 68 Abs. 1
Sachenrechtsbereinigungsgesetz), was wiederum gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11
EntschG dem Entschädigungsfonds zugute gekommen wäre. Zwar entspricht der in § 31
Abs. 5 VermG vorgeschriebene Vorrang von gütlichen Einigungen dem Grundsatz des
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Abs. 5 VermG vorgeschriebene Vorrang von gütlichen Einigungen dem Grundsatz des
angestrebten sozialverträglichen Ausgleichs im Vermögensrecht, jedoch kann dies nicht
dazu führen, dass den Erwerbern, deren Redlichkeit beim Erwerb unaufgeklärt bleibt,
auch der Kaufpreis erstattet wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Für eine Entscheidung über die
Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren gemäß
§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO bestand kein Anlass, weil es an einer
Kostengrundentscheidung zugunsten der Kläger fehlt.
Die Berufung ist ausgeschlossen (§ 37 Abs. 2 Satz 1 VermG). Die Revision war nicht
zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 135 VwGO i.V.m. § 132 Abs.
2 VwGO nicht vorliegen.
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