Urteil des VG Arnsberg vom 21.11.2005
VG Arnsberg: politische verfolgung, bundesamt für migration, staatsangehörigkeit, staatliche verfolgung, abschiebung, armee, haus, anerkennung, auskunft, ausländer
Verwaltungsgericht Arnsberg, 13 K 3577/04.A
Datum:
21.11.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 3577/04.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des
Verfahrens, für das keine Gerichtskosten erhoben werden, als
Gesamtschuldner.
Tatbestand:
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Der am 14. Oktober 1968 geborene Kläger zu 1. ist ebenso wie seine Ehefrau, die am
24. Juli 1971 geborene Klägerin zu 2., sowie ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder,
die Kläger zu 3. bis 5., palästinensischer Volkszugehöriger ungeklärter
Staatsangehörigkeit. Eigenen Angaben zufolge reisten die Kläger am 23. oder 24.
August 2004 auf dem Luftweg über einen unbekannten Flughafen in das Bundesgebiet
ein. Am 26. August 2004 beantragten sie in P. die Anerkennung als Asylberechtigte.
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Zur Begründung führten sie bei der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, im
Folgenden: Bundesamt) am 1. September 2004 durch den Kläger zu 1. im Wesentlichen
aus: Sie hätten die ganze Zeit in Q. in ihrem Haus in B. bei S. im X. gelebt. Auf Vorhalt,
dass er in seiner Heiratsurkunde mit jordanischer Staatsbürgerschaft eingetragen sei,
erkläre er, dass damals alles unter dem jordanischen haschemitischen Königreich
gewesen sei. Sie seien von B1. nach Deutschland geflogen. Ihre Reisepässe habe
ihnen der Helfer abgenommen. Bei der Einreise nach Deutschland hätten sie keine
Reisepässe vorzeigen müssen. Es seien nicht einmal Polizisten da gewesen. Die
Araber hätten sich hinter ihrem Haus versteckt. Dann sei die Siedlung beschossen
worden. Aus der Siedlung sei zurückgeschossen worden und seine Frau und die Kinder
hätten Angst gehabt. Die Juden seien gekommen und hätten ihn gefragt, wer da
schieße. Er habe dazu nichts sagen können und die ganze Zeit versucht, seine Frau
und seine Kinder vor den Kämpfen zu schützen. Zu seinen Brüdern habe er nicht gehen
können, weil sie in derselben Straße wohnten. Sie seien nicht mitausgereist, weil sie
keine Familien hätten. Politische Gründe habe er keine.
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Die Klägerin zu 2. führte am selben Tage gegenüber dem Bundesamt ergänzend aus:
Sie hätten ihr Haus einfach abgeschlossen und seien abgefahren. Sie seien von K. mit
einem Flugzeug in ein unbekanntes Land und eine Nacht später mit dem Flugzeug nach
Deutschland geflogen. Seit der Intifada sei alles sehr schwierig geworden. In der
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gegenüber ihrem Haus gelegenen Siedlung sei geschossen worden. Auf Grund dessen
habe es auch in ihrem Haus mal einen Brand gegeben. Als die Armee von ihrem Mann
habe wissen wollen, wer auf die Siedlungen geschossen habe, habe er ihnen nicht
helfen können. Ihm sei von der Armee vorgeworfen worden, dass er nicht kooperativ sei
und er sei misshandelt worden. Vor zwei Jahren seien alle jungen Männer für einen
Monat in verschiedenen Hallen festgehalten worden, weil die einmarschierende
israelische Armee habe sicherstellen wollen, dass diese Leute nichts gegen die Armee
unternehmen. In K. hätte man ihnen keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Sie wolle
nicht zurückkehren, weil in der Nähe ihres Hauses ständig geschossen werde.
Mit Bescheid vom 26. Oktober 2004 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger
ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes
(AuslG) vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354) sowie Abschiebungshindernisse nach § 53
AuslG nicht vorliegen und drohte ihnen die Abschiebung in die palästinensischen
Autonomiegebiete an. Zur Begründung führte es aus: Die Kläger könnten nicht als
Asylberechtigte anerkannt werden, weil ihre Angaben zur Einreise auf dem Luftweg
unglaubhaft seien, so dass von einer asylrechtsauschließenden Einreise auf dem
Landweg über einen sicheren Drittstaat ausgegangen werden müsse. Im Übrigen hätten
sie lediglich Nachteile vorgetragen, die sie auf Grund der allgemeinen Zustände in
ihrem Heimatland zu erleiden hätten. Es sei den Klägern zumutbar gewesen, ihren
Wohnort innerhalb des Herkunftsgebietes zu verlegen.
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Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
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Sie beantragen,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 26. Oktober 2004 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte
anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des
Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) vorliegen, h i l f s w
e i s e , die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26. Oktober 2004 zu
verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7
AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung ihres Antrags nimmt sie Bezug auf den Inhalt des streitbefangenen
Bescheides.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg. Hierüber kann das Gericht befinden, obwohl der
Prozessbevollmächtigte der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht
erschienen ist. Letzterer ist nämlich ordnungsgemäß geladen und darauf hingewiesen
worden, dass im Fall seines Ausbleibens auch ohne ihn verhandelt und entschieden
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werden könne (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 2. Alternative VwGO statthaft
und auch im Übrigen zulässig, aber sowohl mit dem Haupt- als auch dem Hilfsantrag
unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 26. Oktober 2004 ist rechtmäßig und
verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Diese haben keinen Anspruch auf die
Anerkennung als Asylberechtigte oder die Verpflichtung des Bundesamtes zur
Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 des seit dem 1. Januar 2005
in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes (vgl. Art. 15 Abs. 3 des Zuwanderungsgesetzes
vom 30. Juli 2004, BGBl. I S. 1950). Auch die in dem streitbefangenen Bescheid
enthaltene Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig. Ferner hat die Klage mit dem auf
die Verpflichtung des Bundesamtes zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach
§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichteten Hilfsantrag keinen Erfolg. (vgl. § 113 Abs. 5 Satz
1 VwGO). Auf die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes ist für die Entscheidung
dieses Rechtsstreits mangels Vorliegens einer Übergangsregelung maßgeblich
abzustellen (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).
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Der Asylanspruch nach Art. 16 a Abs. 1 GG setzt politische, d.h. staatliche oder quasi-
staatliche Verfolgung voraus. Die dem Ausländer drohende Gefährdung muss aus der
staatlichen Gebietshoheit erwachsen. Das Merkmal "politisch" kennzeichnet die
Verfolgung als Verhalten einer organisierten Herrschaftsmacht, welcher der Betroffene
unterworfen ist.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. April 1997 - 9 C 15/96 -, NVwZ 1997, 1131 f.; und vom 18.
Januar 1994 - 9 C 48.92 -, JZ 1995, 246, 247.
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Politische Verfolgung setzt demzufolge auch einen Staat voraus, in den der
Asylsuchende in rechtlich zulässiger Weise zurückkehren könnte. Bei staatenlosen oder
Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit ist dies das Land ihres gewöhnlichen
Aufenthalts (vgl. § 3 AsylVfG). Allein auf die Verhältnisse in diesem Land kommt es für
die Beurteilung des Asylanspruchs an. Ein Staat verliert seine Eigenschaft als Land des
gewöhnlichen Aufenthalts nicht allein deshalb, weil der Staatenlose ihn verlässt. Anders
ist die rechtliche Situation jedoch dann, wenn der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts
den Staatenlosen - aus im asylrechtlichen Sinne nichtpolitischen Gründen - ausweist
oder ihm die Wiedereinreise verweigert, nachdem er das Land verlassen hat. Er
beendet damit seine Beziehungen zu dem Staatenlosen und hört auf, für ihn Land des
gewöhnlichen Aufenthalts zu sein. In letzterem Fall steht der Staat des gewöhnlichen
Aufenthalts dem Staatenlosen ebenso gegenüber wie jeder andere auswärtige Staat.
Die Frage politischer Verfolgung auf seinem Territorium wird asylrechtlich
gegenstandslos, der Staatenlose könnte in einer solchen Situation nicht als
asylberechtigt anerkannt werden. Vielmehr müsste dessen Status dann nach dem
Gesetz vom 12. April 1976 zum Übereinkommen vom 28. September 1954 über die
Rechtsstellung der Staatenlosen (BGBl. 1976 II S. 473) geregelt werden.
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Vgl. hierzu: BVerwG, Urteile vom 15. Oktober 1985 - 9 C 30.85 -, DVBl. 1986, 510, 511;
und vom 12. Februar 1985 - 9 C 45.84 -, Entscheidungssammlung zum Ausländer- und
Asylrecht (EZAR), 200 Nr. 11.
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Ausgehend von diesen Erwägungen hat das Bundesamt deshalb bei seiner
Entscheidung zutreffend darauf abgestellt, ob den Klägern in J. politische Verfolgung
droht. Zunächst sind die Kläger als palästinensische Volkszugehörige (der von dem
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Bundesamt gehegte Verdacht auf eine bestehende jordanische Staatsangehörigkeit
wegen der Heiratsurkunde hat sich nicht weiter bestätigt, auch das Gericht hat - ebenso
wie das Bundesamt im Verlauf der Anhörung - keine weiteren Anhaltspunkte gesehen,
in dieser Richtung den Sachverhalt weiter aufzuklären) aus den von J. besetzten
Gebieten (hier: X. ) als Staatenlose anzusehen.
Vgl. hierzu mit näherer Begründung: BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 1993 - 1 B 21.93 -
, InfAuslR 1993, 298, 299.
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An dieser Einschätzung hat sich auch durch die Schaffung der palästinensischen
Autonomiegebiete durch das Gaza-Jericho-Abkommen vom 4. Mai 1994 nichts
geändert. Ein neuer selbstständiger palästinensischer Staat ist hierdurch (bislang) nicht
geschaffen worden. Hiervon gehen Q1. und J1. ungeachtet aller Verhandlungs- und
Vermittlungsbemühungen im Nahost-Konflikt nach wie vor übereinstimmend aus. Allein
ein souveräner Staat im Sinne des Völkerrechts aber wäre nur in der Lage, eine
Staatsangehörigkeit zu vermitteln.
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Des Weiteren ist J. (Autonomiegebiet X. ) als Land des gewöhnlichen Aufenthalts der
Kläger anzusehen. Sie haben sich eigenen Angaben zufolge zeitlebens im X.
aufgehalten. Hiervon geht das Gericht trotz des Hinweises auf eine jordanische
Staatsangehörigkeit des Klägers zu 1. in der Heiratsurkunde aus. Denn abgesehen von
dem insoweit nicht bestätigten Verdacht ist die Frage der Staatsangehörigkeit losgelöst
von der Frage des gewöhnlichen Aufenthalts zu beantworten. Durchgreifende
Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Darstellung der Kläger, sich immer in der
Westbank aufgehalten zu haben, sind nicht ersichtlich. Eine Loslösung Israels von den
Klägern (z.B. durch Ausweisung) im zuvor beschriebenen Sinne ist weder vorgetragen
noch sonst erkennbar. Ihre Wiedereinreise in das X. wäre auch heute noch rechtlich
möglich. Wenn die Kläger tatsächlich in den besetzten Gebieten ansässig gewesen sind
und dies nachweisen können (z.B. durch ein palästinensische Travel-Document) und
nicht - wie die Kläger - in einem Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten stehen,
werden sie aller Voraussicht nach wieder in das X. einreisen können, insbesondere
dann, wenn sie - wie die Kläger - aus den klassisch-traditionellen Palästinensergebieten
wie der Gegend um S. stammen.
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Vgl. Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das VG Chemnitz vom 23. September
2003, Az.: 1409 al/br.
24
Die Kläger haben hierzu angegeben, u.a. im Besitz eines Personalausweises zu sein.
Außerdem haben sie ein UNRWA-Dokument vorgelegt. In diesen Fällen ist es
grundsätzlich möglich, (auch über den Flughafen C. ) die Rückkehr in das X. zur
Begründung eines Daueraufenthaltes zu erreichen.
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Vgl. Auskünfte des Deutschen Orient-Institutes an das VG Ansbach vom 3. Januar 2002,
Az.: 970 al/br; und an das VG Münster vom 6. April 2005, Az.: 1692 al/br; Auskunft des
Auswärtigen Amtes an das VG Ansbach vom 9. September 1997, Az.: 514-
516.80/28835.
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Es kann aber nicht festgestellt werden, dass die Kläger J. (Autonomiegebiet X. ) wegen
erlittener oder drohender politischer Verfolgung verlassen haben oder ihnen diese im
Fall der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Die Kläger haben sich
allein auf die unsichere Sicherheitslage berufen bzw. Umstände geltend gemacht, die
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mit der allgemeinen Situation in den Palästinensergebieten im Zusammenhang stehen.
Schon aus § 30 Abs. 2 AsylVfG folgt, dass die Berufung auf eine allgemeine
Notsituation nicht zu einer Asylanerkennung führen kann.
Die mit dem Hauptantrag inzident begehrte Aufhebung der in Ziffer 4. des angegriffenen
Bescheides enthaltenen Abschiebungsandrohung kann nicht erfolgen. Diese ist gemäß
§ 34 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit dem im Zeitpunkt ihres Erlasses geltenden § 50
AuslG zu Recht ergangen. Sie ist aber auch auf Grund der inhaltsgleichen Vorschrift des
§ 59 AufenthG rechtmäßig, denn die Kläger sind weder als Asylberechtigte anerkannt
worden noch besitzen sie eine Aufenthaltsgenehmigung bzw. einen Aufenthaltstitel.
Dass die Kläger nicht die israelische Staatsangehörigkeit besitzen, ist für die Frage der
Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ebenfalls bedeutungslos. Nach § 59 Abs.
2 AufenthG soll in der Androhung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer
abgeschoben werden soll. Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte der Vorschrift
geben einen Hinweis auf einen rechtserheblichen Zusammenhang zwischen der
Staatsangehörigkeit des Ausländers und dem Zielstaat.
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Vgl. zum früheren, inhaltgleichen § 50 Abs. 2 AuslG: BVerwG, Beschluss vom 1.
September 1998, - 1 B 41.98 -, InfAuslR 1999, 73, 74.
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Das Gericht ist ferner der Auffassung, dass die Abschiebungsandrohung nicht wegen
der Zielstaatsbezeichnung „J. /Palästinensische Autonomiegebiete" rechtlichen
Bedenken unterliegt. Der maßgeblich auf die fehlende israelische Staatsangehörigkeit
abstellenden Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Niedersachsen,
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vgl. Beschluss vom 21. April 2004 - 11 LA 61/04 - , NVwZ-RR 2004, 788 f.,
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und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs,
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vgl. Beschluss vom 14. November 2003 - 9 TG 2727/03 -, NVwZ-RR 2004, 535,
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wonach eine Zielstaatsbezeichnung der hier vorliegenden Art den Vorgaben des
früheren § 50 Abs. 2 AuslG widersprach, folgt die Kammer nicht. Ungeachtet dessen
würden die Kläger durch eine danach fehlerhafte Zielstaatsbezeichnung nicht in
eigenen Rechten im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt, sodass allein
deshalb die Aufhebung der Abschiebungsandrohung nicht in Betracht kommt.
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Vieles spricht aber dafür, dass es sich bei der Zielstaatsbestimmung nicht um einen
notwendigen Bestandteil der Abschiebungsandrohung handelt, der an deren
verbindlichem Regelungsinhalt teilnimmt, sondern der Gesetzgeber mit der
Sollvorschrift des früheren § 50 Abs. 2 AuslG (jetzt: § 59 Abs. 2 AufenthG) nur zum
Ausdruck bringt, dass die Bezeichnung des Zielstaates der Abschiebung schon in der
Abschiebungsandrohung wünschenswert, aber nicht für deren Rechtmäßigkeit geboten
ist. So dürfte es sich lediglich um eine Vorgabe für das Handlungsprogramm der
Behörde im Sinne einer Ordnungsvorschrift handeln. Vor allem die Regelung in § 59
Abs. 3 Satz 3 AufenthG zeigt, dass die Abschiebungsandrohung als solche selbst dann
bestehen bleibt, wenn in ihr rechtswidrigerweise ein Zielstaat benannt ist, in Bezug auf
den zwingende Abschiebungshindernisse vorliegen.
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Vgl. zum früheren wortgleichen § 50 Abs. 3 Satz 3 AuslG: BVerwG, Urteil vom 25.Juli
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2000 - 9 C 42.99 -, BVerwGE 111, 343; siehe zum Vorstehenden auch: OVG Berlin,
Urteil vom 6. Oktober 2000, - 3 B 56.95 -, NVwZ 2001, 948 (Ls.).
Sollten die Kläger mangels Feststellbarkeit ihrer Herkunft oder des Besitzes von
Pass(ersatz)papieren tatsächlich nicht abgeschoben werden, könnte dies allenfalls ein
tatsächliches Abschiebungshindernis in Bezug auf einen in Aussicht genommenen
Zielstaat der Abschiebung darstellen, welches gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem
Erlass der Androhung nicht entgegensteht. Allein der Umstand, dass ein
Abschiebungserfolg nicht sicher vorhergesagt werden kann, führt jedenfalls nicht zur
Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. September 1998, a.a.O.; siehe auch: OVG für das Land
Nordrhein- Westfalen (NRW), Beschluss vom 19. März 1998 - 18 B 2284/96 -;VGH
Baden-Würt-temberg, Beschluss vom 18. Januar 2000 - 13 S 1433/99 -, VBlBW 2000,
227, 228.
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Die Klage bleibt schließlich auch mit dem Hilfsantrag erfolglos. Es liegen keine
Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG vor. Insbesondere
drohen den Klägern keine (landesweiten) Gefahren, die ein Abschiebungshindernis
nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen. Nach dieser Norm kann von der
Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort
für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit
besteht. Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer einzelfallbezogenen, individuell
bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation muss nicht von staatlicher oder
quasistaatlicher Seite ausgehen.
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Vgl. zum früheren § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C
9.95 -, BVerwGE 99, 324, 330.
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Ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG folgt insbesondere
nicht aus der allgemeinen Sicherheitslage im X. , vor allem wegen der dort immer
wieder aufflammenden Unruhen unterschiedlicher Intensität. Mit diesen Umständen im
Zusammenhang stehende Gefahren sind solche, denen die gesamte palästinensische
Bevölkerung ausgesetzt ist. Als allgemeine Gefahren unterfallen sie der Sperrklausel
des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die bei Entscheidungen gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 1
AufenthG - Ermessensentscheidung über einen Abschiebungsstopp durch die oberste
Landesbehörde - berücksichtigt werden. Solche Gefahren können nur dann, wenn durch
die Abschiebung der jeweilige Asylsuchende extremen bzw. hochgradigen Gefahren
ausgesetzt ist, dieser gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten
Verletzungen ausgeliefert wird, in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG ein Abschiebungshindernis begründen.
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So das BverwG in st. Rspr. seit dem Urteil vom 17. Oktober 1995, a.a.O., S. 328.
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Eine solche den Klägern drohende extreme Leibes- oder Lebensgefahr ist nicht zu
befürchten. Dass es sich bei dem Risiko, Opfer israelischer Vergeltungsschläge zu
werden, nicht um eine extreme Gefahrenlage im vorbeschriebenen Sinne handelt, folgt
schon daraus, dass die israelische Armee diese Vergeltungsschläge im Nachgang zu
Selbstmordattentaten palästinensischer Extremisten mit hoher Präzision und modernen
Waffen sowie zeitlich befristet durchführt. Unbeteiligte sind dabei in der Regel keiner
besonderen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt.
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Vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Ansbach vom 4. März 2002, Az.: 508-
516.80/38830.
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Auch aus der angespannten Versorgungslage in den von J. besetzten Gebieten
resultieren keine Gefahren dieser Intensität. Hinweise auf Hungersnöte oder
massenhafte Todesfälle wegen der Verbreitung von Seuchen sind den Medien oder
Auskünften nicht zu entnehmen.
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Vgl. hierzu: Auskunft des Deutschen Orient- Instituts an das VG Ansbach vom 3. Januar
2002, Az.: 970 al/br.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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