Urteil des VG Arnsberg vom 30.09.2004

VG Arnsberg: politische verfolgung, bundesamt, burundi, anerkennung, drohende gefahr, amnesty international, anhörung, wahrscheinlichkeit, ausreise, regierung

Verwaltungsgericht Arnsberg, 5 K 1213/03.A
Datum:
30.09.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 1213/03.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des
Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Tatbestand:
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Der am 11. Juli 1970 geborene Kläger zu 1., seine Ehefrau, die am 7. Dezember 1974
geborene Klägerin zu 2., sowie deren gemeinsame Kinder, die am 25. Mai 2001
geborenen Kläger zu 3. und 4., sind nach eigenen Angaben burundische
Staatsangehörige. Am 25. Oktober 2002 seien sie auf dem Luftweg in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 30. Oktober 2002 beantragten sie ihre
Anerkennung als Asylberechtigte.
2
Am 4. November 2002 wurden die Kläger zu 1. und 2. vor dem Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) angehört. Hier
machte der Kläger zu 1. u.a. folgende Angaben: Er gehöre zum Stamm der Hutu und
spreche außer Kisuaheli keine weiteren Sprachen. Bis 1999 habe er bei seinen Eltern
in Buyenzi gelebt. Dies sei ein Stadtteil im Süden von Bujumbura. Seit 1999 habe er mit
seiner Ehefrau in der Straße Nr. 20 in Buyenzi gelebt. Er habe in Buyenzi drei Jahre die
Grundschule und anschließend zwei Jahre die Koranschule besucht. Der Unterricht sei
in Suaheli gehalten worden, da in dem Gebiet Muslime und Kisuaheli sprechende Leute
gelebt hätten. Bis Oktober 2002 habe er als angelernter Automechaniker in „Mohamedi
´s Garage" an der Straße 24 in Buyenzi gearbeitet. Die an Buyenzi angrenzenden
Stadtteile seien „Ruunera" und „Cibitoke". Die Straßen in Burundi hätten keine Namen;
in Buyenzi hätten sie die Nummern 1 bis 25. Durch Buyenzi fließe der Fluss
Ntahangwa. Er wisse nicht, wie weit es von Buyenzi zum Hafen sei, da er noch nie dort
gewesen sei. Er wisse auch nicht, wo die Universität liege. Der Präsident habe seinen
Sitz neben dem Hotel „Source du Nil". In Bujumbura gebe es einen großen Markt, neben
dem das Postamt liege. Hauptsächlich würden in Burundi die Sprachen Französisch
und Kisuaheli gesprochen. Er wisse, dass die Hutu und die Tutsi Kirundi sprächen. Er
selbst spreche kein Kirundi, da er in Buyenzi geboren sei und die Leute dort Kisuaheli
sprächen. Am 10. Oktober 2002 seien um 9.00 Uhr abends drei Soldaten in
Zivilkleidung zu ihnen nach Hause gekommen. Diese hätten gesagt, dass sich neben
seinem Arbeitsplatz am 9. Oktober 2002 Leute beschwert hätten, dass Hutu, z. B. in der
Armee, nicht dieselben Chancen hätten wie Tutsi. Die Männer hätten ihn gefragt, was er
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dort am Vortag gesagt und getan habe. Er habe ihnen geantwortet, dass er nichts wisse,
und am vorangegangenen Tag nicht nach draußen gegangen sei, da er sich nicht wohl
gefühlt habe. Die Männer hätten ihn mitgenommen und geschlagen. Sie seien zunächst
zehn Minuten zu Fuß gelaufen und dann mit einem Auto zu einem ihm unbekannten Ort
gefahren. Dort habe es ein Haus und außerhalb des Hauses eine kleine Zelle gegeben.
Die Männer seien immer gekommen, hätten ihm Fragen gestellt und ihn brutal
behandelt. Als sie gemerkt hätten, dass er nichts gewusst habe, hätten sie ihn am 16.
Oktober 2002 um 16.00 Uhr freigelassen. Nachdem er um 19.00 Uhr zu Hause
angekommen sei, habe seine Ehefrau ihm erzählt, dass die Männer zwischenzeitlich
auch zu ihr gekommen seien und sie schlecht behandelt hätten. Er habe befürchtet,
dass die Männer zurückkommen könnten, und in der Folgezeit bei einem Freund in
Buyenzi übernachtet. Am 19. Oktober 2002 habe er erfahren, dass die Männer am 18.
und 19. Oktober 2002 nachts zurückgekommen seien und nach ihm gefragt hätten. Sie
hätten gedroht, die ganze Familie abzuschlachten, wenn sie ihn demnächst nicht zu
Hause anträfen. Am 20. Oktober 2002 habe er mit seiner Familie die Wohnung
verlassen und sie seien zu seinem Vater gegangen. Am 22. Oktober 2002 seien sie in
einem LKW eines Freundes des Vaters aus Burundi ausgereist und am 23. Oktober
2002 in Uganda angekommen. Von dort aus seien sie am 25. Oktober 2002 mit dem
Flugzeug nach Deutschland weitergereist. Er befürchte, im Falle einer Rückkehr
umgebracht zu werden, da die Leute, die ihn verfolgt hätten, schon seinen Onkel und
zwei seiner Brüder ermordet hätten.
Die Klägerin zu 2. machte in ihrer Anhörung u.a. folgende Angaben: Sie gehöre zum
Stamm der Hutu und spreche nur Kisuaheli. Bis zu ihrer Hochzeit habe sie in Bwiza bei
ihren Eltern und seitdem mit ihrem Ehemann in Buyenzi gelebt. Sie habe keine Schule
besucht und sei als Hausfrau tätig gewesen. Von den Stadtvierteln in der Nähe von
Buyenzi kenne sie nur Bwiza, da sie nicht viel draußen gewesen sei. Sie wisse, dass es
einen Fluss namens „Mtahangwa" gebe, sei dort aber noch nicht gewesen. In der Nähe
gebe es noch den Tanganyika-See, an dem sie auch noch nie gewesen sei. Zwischen
Bujumbura und Buyenzi lägen die Hotels „Source du Nil" und „Palace". Sie kenne sich
nur in Buyenzi aus und sei nie in Bujumbura gewesen. Sie spreche kein Kirundi, da
man in Buyenzi nur Suaheli spreche. Am 10. Oktober 2002 sei ihr Ehemann spät nach
Hause gekommen und sie sei ins Bett gegangen. Nachts seien drei Männer in
Zivilkleidung - sie glaube, Soldaten - zu ihnen nach Hause gekommen. Einer der
Männer habe eine Narbe auf der Stirn gehabt. Die Männer hätten ihren Ehemann
gefragt, worüber er sich am Vortag an seinem Arbeitsplatz unterhalten habe. Ihr
Ehemann habe geantwortet, dass er krank gewesen sei und nicht gearbeitet habe.
Daraufhin hätten die Männer ihn mitgenommen. Am 12. Oktober 2002 seien die Männer
zurückgekommen und hätten sie gefragt, welche Pläne ihr Ehemann gehabt habe. Sie
habe geantwortet, dass sie dies nicht wisse. Daraufhin hätten die Männer sie
geschlagen und als Lügnerin bezeichnet. Außerdem hätten sie ihre Kinder mit den
Füßen nach oben und dem Kopf nach unten festgehalten. Am 14. Oktober 2002 seien
die Männer wiedergekommen, hätten sie erneut nach den Plänen ihres Ehemannes
gefragt und geschlagen. Am späten Nachmittag des 16. Oktober 2002 sei ihr Ehemann
zurückgekommen. Sie habe ihm erzählt, dass die Leute zweimal bei ihnen zu Hause
gewesen seien. Der Ehemann sei dann zu Freunden gegangen, die sie nicht gekannt
habe. Am 18./19. Oktober 2002 seien die Männer zurückgekommen, hätten sie
terrorisiert und ihr gedroht, sie alle abzuschlachten, wenn sie den Ehemann noch einmal
zu fassen bekämen. Sie habe jemanden losgeschickt, um ihren Ehemann hiervon zu
benachrichtigen. Am 22. Oktober 2002 hätten sie Buyenzi verlassen und seien nach
Uganda gefahren. Von dort aus seien sie am 25. Oktober 2002 mit dem Flugzeug nach
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Deutschland weitergereist.
Mit Bescheid vom 11. März 2003, der den Klägern am 14. März 2003 zugestellt wurde,
lehnte das Bundesamt die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte
fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) und
Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG nicht vorliegen. Die Kläger wurden
aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach
unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, anderenfalls sie nach
Burundi oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat abgeschoben würden.
5
Am 28. März 2003 haben die Kläger Klage erhoben, die sie u.a. wie folgt begründen: Er
- der Kläger zu 1. - habe in seiner Anhörung beim Bundesamt fast sämtliche Fragen zu
seiner Heimatstadt beantwortet. Soweit er vereinzelt falsche Angaben gemacht habe,
müsse berücksichtigt werden, dass er sein Stadtviertel so gut wie nie verlassen habe.
Angesichts des Umstandes, dass er in einem Stadtteil gelebt habe, in dem Kisuaheli
gesprochen worden sei, sei es auch durchaus nachvollziehbar, dass er nie Kirundi
erlernt habe. Auch seien ihr - der Klägerin zu 2. - die Namen der an Buyenzi
angrenzenden Stadtviertel durchaus bekannt, sie habe jedoch zum Zeitpunkt der
Anhörung unter großem Stress gestanden. Zudem seien ihre mangelnde Schulbildung
und der Umstand zu berücksichtigen, dass sie selten das Haus verlassen habe.
Schließlich hätten sie - die Kläger zu 1. und 2. - entgegen der Ansicht des Bundesamtes
in der Anhörung ihr Verfolgungsschicksal schlüssig und präzise dargelegt.
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Die Kläger beantragen,
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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
11. März 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie - die Kläger - als
Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 des Ausländergesetzes vorliegen,
8
hilfsweise
9
festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 des Ausländergesetzes
hinsichtlich Burundi gegeben sind.
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Die Beklagte beantragt - schriftsätzlich -,
11
die Klage abzuweisen.
12
Der Beteiligte stellt keinen Antrag.
13
Die Beteiligten sind mit der Ladung auf die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel
hingewiesen worden. Das Gericht hat die Kläger zu 1. und 2. im Termin zur mündlichen
Verhandlung zu den Gründen ihrer Ausreise angehört; wegen der Einzelheiten wird auf
die Sitzungsniederschrift verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen.
15
Entscheidungsgründe:
16
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder einen Anspruch auf
Anerkennung als Asylberechtigte noch einen solchen auf Feststellung der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG oder - wie hilfsweise begehrt - von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Der Bescheid des Bundesamtes vom 11. März
2003 erweist sich auch im Übrigen als rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in
ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte. Sie sind nicht
politisch verfolgt im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Politisch
verfolgt ist, wer wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Überzeugung gezielt
Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden
Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen; der eingetretenen Verfolgung
steht die unmittelbar drohende Gefahr der Verfolgung gleich.
18
Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86
u.a. -, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE) 80, 315 (333 ff.) und vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83,
216 ff.
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Nach dem durch den Zufluchtgedanken geprägten normativen Leitbild des
Asylgrundrechts gelten für die Beurteilung, ob ein Asylsuchender politisch Verfolgter im
Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG ist, unterschiedliche Maßstäbe je nach dem, ob er seinen
Heimatstaat auf der Flucht vor - in seiner Person - eingetretener oder unmittelbar
drohender politischer Verfolgung verlassen hat und ihm ein Ausweichen innerhalb des
Heimatstaates auf Grund dieser ausweglosen Lage unzumutbar war oder ob er
unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Im erstgenannten Fall ist
Asyl zu gewähren, wenn eine (erneute) Verfolgung nicht hinreichend sicher
ausgeschlossen werden kann (herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Hat der
Asylsuchende sein Heimatland jedoch unverfolgt verlassen, so kann sein
Asylanerkennungsbegehren nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von
berücksichtigungsfähigen Nachfluchttatbeständen bei einer Rückkehr in sein
Heimatland (nunmehr) politische Verfolgung mit beachtlicher - d.h. überwiegender -
Wahrscheinlichkeit droht.
20
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 (360),
vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, a.a.O. (344 ff.) und vom 23. Januar 1991 - 2 BvR
902/85 u.a. -, a.a.O. (231); Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. Februar
1997 - 9 C 9.96 -, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 104, 97 (99).
21
Entscheidend ist, ob dem Asylsuchenden bei objektiver Würdigung der gesamten
Umstände seines Falles nicht zuzumuten war bzw. ist, in seinem Heimatland zu bleiben
oder dorthin zurückzukehren. Bei dieser Beurteilung muss das Gericht sowohl von der
Wahrheit - und nicht nur Wahrscheinlichkeit - des von dem Asylsuchenden behaupteten
individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender
politischer Verfolgung die volle Überzeugung gewinnen.
22
Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 (169) und
vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180 ff.
23
Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylsuchenden kann schon
allein sein eigener Tatsachenvortrag zur Anerkennung führen, sofern das Gericht unter
Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugt ist. Der Asylsuchende
ist gehalten, seine Asylgründe in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss insbesondere
seine persönlichen Erlebnisse unter Angabe genauer Einzelheiten derart schlüssig
darlegen, dass seine Schilderung geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen.
Enthält das Vorbringen erhebliche, nicht überzeugend aufgelöste Widersprüche und
Unstimmigkeiten, kann es als unglaubhaft beurteilt werden, wobei insbesondere der
persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden entscheidende Bedeutung zukommt.
24
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1989 - 9 B 239.89 -, Buchholz, Sammel- und
Nachschlagewerk des BVerwG, 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 113.
25
Hiervon ausgehend haben die Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung als
Asylberechtigte. Sie haben eine politische Verfolgung nicht nachgewiesen, so dass
ihnen der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht zugute kommt. Auch nach
ihrer Ausreise sind keine Umstände eingetreten, die aus heutiger Sicht die Annahme
einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden politischen Verfolgung im Fall der
Rückkehr rechtfertigen.
26
Das Gericht hat auch unter Berücksichtigung der Beweisnot von Asylsuchenden und der
daraus folgenden besonderen Bedeutung der eigenen Schilderung der persönlichen
Verhältnisse und Erlebnisse der Kläger vor der Ausreise aus ihrer Heimat
27
vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 1985 - 9 C 27.85 -, Informationsbrief
Ausländerrecht (InfAuslR) 1986, 79 (80) und vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, a.a.O.
28
nicht die Überzeugung gewonnen, dass sie in Burundi politische Verfolgung erlitten
haben oder - unmittelbar drohend - zu befürchten hatten. Das Vorbringen der Kläger zu
1. und 2. zu ihrem angeblichen Verfolgungsschicksal ist unglaubhaft. Der darauf
bezogene Tatsachenvortrag ist in wesentlichen Teilen oberflächlich, ungereimt und
widersprüchlich.
29
Die Ausführungen des Klägers zu 1. zu seiner angeblichen Verhaftung und
anschließenden Inhaftierung sind derart unsubstantiiert, ungereimt und widersprüchlich,
dass nicht davon auszugehen ist, dass er insoweit von selbst erlebten Ereignissen
berichtet hat. So hat der Kläger zu 1. in der Anhörung beim Bundesamt ausdrücklich
bekundet, er sei mit den Männern, die ihn festgenommen hätten, zunächst zehn Minuten
lang zu Fuß gelaufen und erst dann in ein Auto eingestiegen, das ihn zu einem ihm
unbekannten Ort gebracht habe. Abweichend hiervon trug er in der mündlichen
Verhandlung hingegen vor, dass das Auto der Männer nur etwa zehn Meter von seinem
Wohnhaus entfernt abgestellt gewesen sei. Seine Erklärung auf Vorhalt dieses
Widerspruchs, er sei beim Bundesamt wohl missverstanden worden, vermag
insbesondere deshalb nicht zu überzeugen, weil ihm die Niederschrift über seine
Anhörung am Ende der Anhörung erneut vorgelesen und rückübersetzt worden ist, ohne
dass er seine Angaben bei dieser Gelegenheit korrigiert hat. Das Vorbringen des
Klägers zu 1. ist ferner insoweit nicht nachvollziehbar, als er sowohl beim Bundesamt
als auch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, er sei an einem ihm
30
unbekannten Ort festgehalten worden. Die Kenntnis dieses Orts wäre von ihm aber vor
dem Hintergrund zu erwarten gewesen, dass er am 16. Oktober 2002 tagsüber vor Ort
freigelassen worden und von dort aus nach Hause gegangen sein will. Zumindest hätte
ihm ein Rückschluss auf die ungefähre Lage des Orts - etwa anhand von Straßen- und
Ortsschildern, Gewässern oder Bauwerken auf dem Weg nach Hause oder der
Wegbeschreibungen der angeblich von ihm angesprochenen Personen - möglich sein
müssen. Überdies war der Kläger zu 1. nicht in der Lage, den Verlauf der angeblich fast
einwöchigen Inhaftierung detailliert und anschaulich zu schildern. Auf wiederholte
Aufforderungen, den Ablauf der Haftzeit oder einzelner Tage während dieser Zeit in
allen Einzelheiten darzustellen, hat er lediglich vage und blass in den Raum gestellt, er
sei schlecht behandelt, geschlagen und oft befragt worden.
Der sich hiernach aufdrängende Eindruck der Unglaubhaftigkeit des Vorbringens des
Klägers zu 1. wird noch dadurch verstärkt, dass seine Ausführungen zu seinem
angeblichen Wohnort Buyenzi - ungeachtet vereinzelter zutreffender Angaben -
erhebliche Defizite aufweisen. Der Kläger zu 1. hat die Lage dieses Stadteils in
Bujumbura weder beim Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung korrekt
angegeben. Während er beim Bundesamt erklärt hatte, Buyenzi liege im Süden von
Bujumbura, machte er in der mündlichen Verhandlung mittels Gesten deutlich, der
Stadtteil liege östlich der Stadtmitte. Nach dem dem Gericht vorliegenden
Kartenmaterial ist Buyenzi dagegen nördlich des Stadtzentrums gelegen. Überdies
befindet sich der Sitz des Präsidenten nicht, wie vom KIäger zu 1. beim Bundesamt
angegeben, neben dem Hotel „Sources du Nil", sondern ca. 1 km östlich hiervon am
Boulevard L´Uprona.
31
Vgl. International Travel Map Burundi (Nr. 669), Stand: 1998.
32
Ebenso wenig wird die Behauptung des Klägers zu 1., nicht nur in Buyenzi, sondern in
ganz Burundi gebe es keine Straßennamen, durch das vorliegende Kartenmaterial
bestätigt. Dem Kläger zu 1. hätte zumindest auf dem Rückweg von dem Ort, an dem er
festgehalten worden sein will, auffallen müssen, dass die Straßen in der Umgebung von
Buyenzi Namen tragen.
33
Vgl.: internet: http://www.reliefweb.int/w/map.nsf/0/49C3BC0614A
B257085256A09004F4CFC?Opendocument (Druckversion vom 29. Juli 2004)
34
Kaum erklärlich ist ferner, dass der Kläger zu 1. beim Bundesamt auf Nachfrage nach
den Nachbarstadtvierteln von Buyenzi nicht das unmittelbar südöstlich hiervon
gelegene Bwiza erwähnt hat, obwohl seine Ehefrau angeblich von dort stammt.
35
Auch die Klägerin zu 2. vermochte mit ihrem Vorbringen das Gericht nicht zu
überzeugen, da ihre Ausführungen an das, wie oben dargelegt, unglaubhafte
Verfolgungsschicksal des Klägers zu 1. anknüpfen. Darüber hinaus weichen ihre
Angaben in der mündlichen Verhandlung zur angeblichen Verhaftung ihres Ehemannes
zum Teil von ihrer Darstellung beim Bundesamt ab. Während sie beim Bundesamt
ausdrücklich erklärt hatte, einer der Männer habe eine Narbe auf der Stirn gehabt,
machte sie nunmehr geltend, dass alle drei Männer Hutabdrücke auf der Stirn gehabt
hätten. Auch auf entsprechenden Vorhalt konnte sie diesen Widerspruch nicht auflösen.
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Für die minderjährigen Kläger zu 3. und 4. sind schließlich keine eigenen
Verfolgungsgründe geltend gemacht worden.
37
Die Kläger müssen zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine politische Verfolgung
allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hutu fürchten. Die Lage in
Burundi stellt sich dem Gericht gegenwärtig wie folgt dar: Im August 2000 kam es unter
Vermittlung des südafrikanischen Politikers Nelson Mandela zu dem Abschluss eines
Friedensvertrages zwischen den verfeindeten Volksgruppen der Tutsi und der Hutu.
Nach diesem Friedensvertrag soll eine bessere Verteilung der Macht zwischen den
beiden Volksgruppen im Lande vorgenommen werden und Armee und Polizei sollen je
zur Hälfte aus Hutu und Tutsi bestehen. Nach der Übergangszeit von drei Jahren sollen
demokratische Wahlen stattfinden. Dieser im tansanischen Arusha ausgehandelte
Friedensvertrag wurde von allen wesentlichen Tutsi-Parteien unterzeichnet. Von den
Hutu-Gruppierungen erkannten die beiden wichtigen Rebellengruppen FDD und FNL
(Nationale Befreiungsfront) das Vertragswerk nicht an. Die in der Folgezeit mit den
Hutu-Rebellen geführten Friedensgespräche blieben ohne Erfolg und waren
überschattet von wiederholten Angriffen der Hutu-Rebellen mit zahlreichen Toten.
Hierbei gelang es den Hutu- Rebellen zeitweise sogar bis in die burundische
Hauptstadt Bujumbura vorzudringen. Am 1. November 2001 übernahm eine
Übergangsregierung, der 14 Hutu und 12 Tutsi angehören, die Macht. Neben weiteren
Rebellenangriffen ist es anschließend zu Offensiven der Regierungstruppen gegen
Stellungen der Hutu-Rebellen mit zahlreichen Opfern gekommen. Am 1. Mai 2003
übernahm mit Beginn der zweiten Hälfte der Übergangsperiode Domitien Ndayizeye,
ein Hutu, das Präsidentenamt. Im November 2003 unterzeichnete die größte
Rebellengruppe FDD ein umfassendes Friedensabkommen mit der Regierung. Auf der
Grundlage dieser Vereinbarung traten in der Folgezeit Angehörige der FDD
einschließlich des früheren Rebellenführers Pierre Nkurunziza in die Regierung ein. Mit
der Miliz FLN liefern sich die Regierungstruppen gebietsweise weiterhin Gefechte.
38
vgl. zur Lage in Burundi: Frankfurter Rundschau (FR) vom 21. September 2000 und 27.
Februar 2001; taz vom 2. Oktober 2000, 27. März 2001, 12. Juni 2001 und 27. November
2001; Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 1. März 2001; Süddeutsche Zeitung
(SZ) vom 31. Dezember 2003; Asylmagazin 11/2000, 12/2001, 3, 4 und 5/2002,
12/2003, 1-2, 3, 4, 5, 6 und 7-8/2004; amnesty international, urgent action, 24. April
2001; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21. März 2001 an das Verwaltungsgericht
Hamburg;.
39
Vor dem Hintergrund, dass Hutu und Tutsi seit dem 1. November 2001 gemeinsam eine
Übergangsregierung bilden, in die seit Ende 2003 auch die vormals größte
Rebellengruppierung FDD integriert ist, ist jedenfalls mittlerweile davon auszugehen,
dass in Burundi wieder eine Staatsmacht existiert. Diese besitzt auch, wie die
verstärkten Offensiven der Regierungstruppen gegen die Hutu-Rebellen zeigen, trotz
weiterhin zu verzeichnender Gewalttaten von Rebellen gegen Armee und
Zivilbevölkerung weitgehend die Gebietshoheit über das burundische Staatsgebiet.
40
Anhaltspunkte dafür, dass in der mit beiden Ethnien besetzten, zur Zeit von einem Hutu
geführten Regierung ein staatliches Verfolgungsprogramm gegen die
Bevölkerungsmehrheit der Hutu (80 % der Bevölkerung) existiert, sind nicht ersichtlich.
Ebenso wenig kann nach dem derzeitigen Erkenntnisstand von einer dem Staat
zuzurechnenden mittelbaren Gruppenverfolgung gegenüber der Volksgruppe der Hutu
ausgegangen werden. Eine bewusste Weigerung staatlicher Behörden, einzelnen
Bevölkerungsgruppen - etwa Hutu allgemein - ausreichend Schutz zu gewähren, lässt
sich nicht feststellen. Vielmehr ist eher im Gegenteil davon auszugehen, dass die
41
Angriffe und Gewalttätigkeiten der Hutu-Rebellen sich außer gegen Armee und Polizei
vor allem gegen Angehörige der Tutsi in der Zivilbevölkerung richten und die
amtierende Regierung - wie die eingeleiteten Offensiven zeigen - bereit und willens ist,
den Übergriffen Einhalt zu gebieten.
Die Annahme, Hutu unterlägen in Burundi einer Gruppenverfolgung, verbietet sich
ferner auch deshalb, weil die erforderliche Verfolgungsdichte nicht festgestellt werden
kann. Denn dieses Merkmal ist erst erfüllt, wenn die Gefahr einer so großen Vielzahl von
Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter besteht, dass es sich dabei
nicht mehr um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl
einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen im
Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden
Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so
ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden
Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle
Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Um zu beurteilen, ob die Verfolgungsdichte die
Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller
Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Die
bloße Feststellung „zahlreicher" oder „häufiger" Eingriffe reicht nicht aus.
42
Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (204 ff.) und
vom 30. April 1996 - 9 C 170.95 -, BVerwGE 101, 123 (125).
43
Intensität und Anzahl der festzustellenden Verfolgungshandlungen können hiernach,
wenn sie zur Größenordnung der in Burundi lebenden Hutu in Beziehung gesetzt
werden, nicht als Bedrohung dieser Volksgruppe gewertet werden.
44
Den Klägern steht ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte auch nicht aus
anderen Gründen zu, die nach ihrer Ausreise entstanden sind. Die insoweit in Betracht
zu ziehende Asylantragstellung stellt keinen beachtlichen Nachfluchtgrund dar. Eine
politische Verfolgung „nach sich ziehende" Asylantragstellung wird von Art. 16 a Abs. 1
GG nur dann erfasst, wenn sich der jeweilige Antragsteller vor dem Verlassen seines
Heimatlandes in einer latenten Gefährdungslage befunden hat.
45
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 1992 - 9 C 57.91 -, Deutsches Verwaltungsblatt
(DVBl.) 1992, 1543.
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Dies ist - wie dargelegt - nicht der Fall.
47
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung von
Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Nach dieser Norm darf ein Ausländer
nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen
seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Die Annahme
einer solchen beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass im Sinne einer
„qualifizierten" Betrachtungsweise, also einer Gewichtung und Abwägung aller
festgestellten Umstände, die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres
Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen.
48
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, Neue Zeitschrift für
Verwaltungsrecht (NVwZ) 1994, 497 (500); Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C 45.92 -
49
DVBl. 1994, 524 (525), Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90 -, InfAuslR 1991, 363 (367)
und Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, NVwZ 1988, 838 (840).
Dies ist bereits nach den vorangegangenen Ausführungen zum Nichtbestehen eines
Asylanspruchs zu verneinen. Exilpolitische Aktivitäten, die als Nachfluchtgrund in
Betracht kommen könnten, haben die Kläger nicht geltend gemacht.
50
Soweit die Kläger mit dem Hilfsantrag die Verpflichtung begehren,
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG festzustellen, ist ein solcher Anspruch
ebenfalls nicht gegeben. Anhaltspunkte für den Klägern mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohende Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 AuslG
51
vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 3. Februar 1997 - 9 B 657.96 - (S. 6 des
Beschlussabdrucks)
52
sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
53
Nach alledem sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die im angefochtenen
Bescheid erlassene Abschiebungsandrohung und Ausreiseaufforderung ebenfalls erfüllt
(§§ 34, 38 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG). Die Kläger sind nicht asylberechtigt und
besitzen keine Aufenthaltsgenehmigung.
54
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 159 VwGO, § 83 b Abs. 1
AsylVfG.
55