Urteil des VG Arnsberg vom 19.11.2002

VG Arnsberg: örtliche zuständigkeit, geburt, jugendhilfe, jugendamt, ex nunc, elterliche sorge, stadt, adresse, wohnung, absicht

Verwaltungsgericht Arnsberg, 11 K 5080/00
Datum:
19.11.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 5080/00
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für da Gerichtskosten nicht
erhoben werden. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind
nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage von der Beklagten Kostenerstattung für
Pflegegeldzahlungen, die sie in dem Hilfefall M. in der Zeit vom 10.03.1995 bis zum
08.07.1996 geleistet hat, sowie die Rückerstattung der von ihr in dem gleichen Hilfefall
in der Zeit vom 01.08.1996 bis zum 30.06.2000 erbrachten Kostenerstattung.
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M. , der bis zu seiner Namensänderung P1. hieß, kam am 17.01.1993 in den
Städtischen Kliniken P. zur Welt. Seine während der Schwangerschaft heroinabhängige
Mutter, N1. war zu jenem Zeitpunkt mit dem türkischen Staatsangehörigen P2.
verheiratet. Die Heirat war am 16.09.1992 erfolgt, nachdem Herr P2. der Kindesmutter
als Gegenleistung für die Eingehung der Ehe 10.000 DM versprochen hatte. Tatsächlich
lebte die Kindesmutter in dem fraglichen Zeitraum mit Herrn T. zusammen. Zumindest
seit 1991 erhielten die Kindesmutter und ihr Lebensgefährte T. Hilfe zum
Lebensunterhalt. Weil sie keine eigene Wohnung hatten, lebten sie in der Zeit von 1991
bis Ende Juli 1993 in verschiedenen Hotels im Stadtgebiet P. . Das Sozialamt stellte
ihnen regelmäßig im ca. 14-tägigen Abstand so genannte Hotelscheine, die zur
Abrechnung der Unterkunftskosten zwischen dem Hotel und dem Sozialamt dienten,
aus. Zeitweilig hielten sie sich auch bei den Eltern der Kindesmutter in P3. auf. Der
Ehemann der Kindesmutter war in der Zeit von September 1992 bis zum 20.09.1993 in
G. polizeilich gemeldet. In der Zeit ab dem 10.09.1993 befand er sich in G. in
Untersuchungshaft.
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Nach der Haftentlassung meldete er sich am 20.09.1993 unter der P. Adresse der
Kindesmutter an und beantragte am 18.01.1994 bei der Klägerin, die ihm unter dem
11.01.1994 bereits eine Duldung erteilt hatte, die Verlängerung einer
Aufenthaltserlaubnis. Die Kindesmutter und ihr Lebensgefährte sprachen am
03.02.1994 beim Sozialamt der Klägerin vor und erklärten, dass Herr P2. sich bei ihnen
nur postalisch angemeldet habe, weil er zurzeit wohnsitzlos sei und
Unannehmlichkeiten vermeiden wolle.
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Am 09. bzw. 10.03.1994 meldeten sich die Kindesmutter und ihr Ehemann unter der
gemeinsamen Adresse N2.-Straße in G. an. Allerdings behielt die Kindesmutter ihren P.
Wohnsitz als Nebenwohnsitz bei; der Hauptwohnsitz blieb bis zum 03.01.1995 in G. . In
einem Bericht für das Vormundschaftsgericht vom 17.06.1994 gab der zuständige
Mitarbeiter des Pflegekinderdienstes der Klägerin seinen Eindruck wieder, dass die
Kindesmutter dem Bestreben ihres Ehemannes, in Deutschland verbleiben zu dürfen,
nicht entgegenstehen wolle, weshalb sie dessen Angaben bei der Ausländerbehörde
weit gehend bestätigt habe. Sie stehe einer Scheidung ablehnend gegenüber und
dränge auch nicht auf eine Ehelichkeitsanfechtungsklage, um - auch im Interesse ihres
Sohnes - die Abstammungsverhältnisse klären zu lassen. In seinem Antrag auf
Scheidung der Ehe vom 07.07.1995 ließ der Ehemann der Kindesmutter, der weiterhin
in G. lebte, vortragen, dass er seit Mitte April 1994 von seiner Ehefrau getrennt lebe.
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Bereits drei Tage nach der Geburt des Hilfeempfängers hatte das Krankenhaus P. das
Jugendamt der Klägerin über M. Geburt und die Situation der Kindesmutter informiert.
Auf Antrag des Jugendamtes entzog das Amtsgericht P. der Kindesmutter mit Beschluss
vom 09.02.1993 im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig das Sorgerecht. Diese
Entscheidung hielt das Gericht nach Anhörung der Kindesmutter mit Beschluss vom
09.08.1993 aufrecht. Das Landgericht E. änderte die Beschlüsse des Amtsgerichts auf
die Beschwerde der Kindesmutter durch Entscheidung vom 29.09.1993 dahingehend
ab, dass der Kindesmutter nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht für M. entzogen wurde.
Insoweit bestellte es das Jugendamt der Klägerin als Pfleger. In den Gründen seiner
Entscheidung führte das Landgericht u. a. aus, dass bezüglich der Rechtsstellung des
scheinehelichen Vaters des betroffenen Kindes und Ehemannes der Kindesmutter
vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen nach § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches
(BGB) gegenwärtig nicht erforderlich seien, denn es sei nicht ersichtlich, dass dieser als
Mitinhaber des Sorgerechts dieses Recht missbräuchlich ausübe.
5
Daniel lebt seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus am 09.03.1993 in der
Pflegefamilie M. , die am 24.08.1993 von P. nach N. verzog.
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Im Mai 1995 war das Landgericht erneut mit der Sorgerechtsangelegenheit befasst. In
der nicht öffentlichen Sitzung des Landgerichts vom 15.05.1995 erklärte die
Kindesmutter ausweislich des erstellten Protokolls, dass ihr Lebensgefährte T. der
leibliche Vater ihres Sohnes sei; hierüber sei sie sich absolut sicher. Mit dem Verbleib
ihres Sohnes in der Pflegefamilie sei sie einverstanden, denn sie habe mittlerweile
eingesehen, dass sie M. nicht bei sich haben könne. Das Sorgerecht wolle sie aber
behalten.
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Die Ehe der Kindesmutter wurde am 20.07.1995 vor dem Amtsgericht G. geschieden. In
dem Tatbestand der Entscheidung heißt es, die Parteien seien sich darüber einig, dass
P2. nicht der Vater von M. sei.
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Die Beklagte übernahm den Hilfefall zum 01.08.1996 in die eigene Zuständigkeit und
begehrte die Erstattung ihrer ab diesem Zeitpunkt geleisteten Pflegegeldzahlungen auf
der Grundlage des § 89 a Abs. 1 SGB VIII. Diesen Erstattungsanspruch erkannte die
Klägerin mit Schreiben vom 14.08.1996 an.
9
Unter dem 08.07.1997 wandte sich die Klägerin an den Beigeladenen und machte
geltend, dass dieser als überörtlicher Träger der Jugendhilfe verpflichtet sei, die in dem
Hilfefall aufgewandten Kosten zu erstatten. Gemäß § 86 Abs. 2 SGB VIII richte sich die
örtliche Zuständigkeit auf Grund der Tatsache, dass beide Elternteile durchgehend
verschiedene gewöhnliche Aufenthalte gehabt hätten und ihnen die elterliche Sorge
gemeinsam zugestanden habe, nach dem tatsächlichen Aufenthalt des Kindes, denn
dieses habe vor Beginn der Maßnahme in den Städtischen Kliniken keinen
gewöhnlichen Aufenthalt begründen können. Der Tatbestand des § 89 SGB VIII sei
daher erfüllt, sodass der Beigeladene als überörtlicher Träger der Jugendhilfe zur
Kostenerstattung verpflichtet sei. Der Beigeladene wies dieses
Kostenerstattungsbegehren mit Schreiben vom 26.08.1998 aus folgenden Erwägungen
zurück: Es entspreche gesicherter Spruchstellenpraxis, dass im Regelfall ein
minderjähriges unverheiratetes Kind den gewöhnlichen Aufenthalt seiner
sorgeberechtigten Eltern teile. Dieses Grundprinzip werde selbst für solche Fälle
angenommen, in denen eine räumliche Trennung zwischen Eltern und Kind bestehe.
Hier sei mit Rücksicht darauf, dass die Kindesmutter 1993 ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in P. innegehabt habe, davon auszugehen, dass auch das Kind einen
solchen gewöhnlichen Aufenthalt in P. begründet habe. Darüber hinaus sei im Hinblick
darauf, dass es sich bei Pflegegeldzahlungen um jeweils für einen bestimmten
Zeitabschnitt erbrachte und damit wiederkehrende Leistungen handele, die
Ausschlussfrist nach § 111 SGB X zu beachten.
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Mit Schreiben vom 16.10.2000 widerrief die Klägerin ihr gegenüber der Beklagten
erteiltes Kostenanerkenntnis vom 14.08.1998 und bat gemäß § 112 SGB X um die
Rückzahlung der erstatteten Pflegegeldleistungen in Höhe von 49.323,20 DM. Zur
Begründung dieses Rückforderungsbegehrens legte die Klägerin dar, dass ihre örtliche
Zuständigkeit in dem Hilfefall von Anfang an nur an den tatsächlichen Aufenthalt des
Kindes angeknüpft habe, sodass für sie gemäß § 89 SGB VIII ein Erstattungsanspruch
gegenüber dem überörtlichen Träger der Jugendhilfe für das Land Hessen, also dem
Beigeladenen, bestanden habe. Aus diesem Grund sei eine
Kostenerstattungsverpflichtung gegenüber der Beklagten nicht gegeben gewesen; diese
habe vielmehr einen vorrangigen Erstattungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen
gehabt.
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Die Beklagte nahm dieses Schreiben zum Anlass, ihrerseits unter dem 27.10.2000
einen Erstattungsanspruch bei dem Beigeladenen anzumelden. Außerdem antwortete
sie der Klägerin unter dem 26.10.2000, dass zunächst die sorgerechtliche Stellung und
die Aufenthaltsverhältnisse des Ehemannes der Kindesmutter zu klären seien. Hierzu
führte die Klägerin unter dem 14.11.2000 aus, dass § 86 Abs. 1 SGB VIII nur auf die
biologischen Eltern abstelle, weshalb der maßgebliche Elternteil hier die Kindesmutter
sei, denn die biologische Vaterschaft des geschiedenen Ehemannes der Kindesmutter
gegenüber dem Kind M. sei weder anerkannt noch gerichtlich festgestellt. Die örtliche
Zuständigkeit richte sich daher nach § 86 Abs. 4 SGB VIII, sodass mangels eines
gewöhnlichen Aufenthaltes nur der tatsächliche Aufenthalt entscheidend sei.
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Die Beklagte nahm hierzu unter dem 23.11.2000 Stellung und legte dar, dass die
örtliche Zuständigkeit sich nach den jeweiligen Aufenthaltsverhältnissen richte, weshalb
die Auffassung der Klägerin, § 86 Abs. 4 SGB VIII sei einschlägig, nur unter der
Voraussetzung zutreffend sei, dass die Kindesmutter auch im fraglichen Zeitpunkt am
01.08.1996 noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet gehabt habe.
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Mit ihrer am 15.12.2000 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Erstattungsbegehren
weiter.
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Nach Erhebung der Klage hat sich die Klägerin mit Schreiben vom 27.02.2002 an die
Beklagte gewandt und einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 89c Abs. 1 Satz 1
SGB VIII in Verbindung mit § 86c SGB VIII für die Zeit vom 10.03.1995 bis zum
08.07.1996 in Höhe von 15.794,84 DM geltend gemacht. Zur Begründung hat sie darauf
verwiesen, dass der Hilfeempfänger sich bereits ab dem 10.03.1995 für zwei Jahre in
der Pflegestelle befunden habe, sodass die Zuständigkeit der Beklagten nach § 86 Abs.
6 SGB VIII bereits ab diesem Zeitpunkt bestanden habe. Trotzdem habe sie - die
Klägerin - wegen der verspäteten Fallübernahme noch bis zum 08.07.1996
Pflegegeldzahlungen auf der Grundlage des § 86c Satz 1 SGB VIII erbringen müssen.
Mit Rücksicht auf den neu gefassten § 111 SGB X sei für dieses Erstattungsbegehren
die Ausschlussfrist noch nicht abgelaufen. Die Beklagte hat diesem
Erstattungsbegehren mit Schreiben vom 12.03.2002 widersprochen.
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Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, dass die Kindesmutter zum
maßgeblichen Zeitpunkt vom 17.01.1993 bis zum 09.03.1993 nur einen tatsächlichen
Aufenthalt, aber keinen gewöhnlichen Aufenthalt in P. gehabt habe. Gemäß § 30 Abs. 3
Satz 2 SGB I habe jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter
Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet
nicht nur vorübergehend verweile. Von besonderer Bedeutung sei die Tatsache, dass
die Umstände des Aufenthaltes eine Prognose zulassen müssten, die Person werde an
dem jeweiligen Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilen. Der
Aufenthalt der Kindesmutter im Parkhotel in der N3.- straße in P. habe aber nicht von
Dauer seien können. Dieser Aufenthalt sei nur dadurch gesichert gewesen, dass das
Sozialamt entsprechende Kostenzusagen erteile, die jeweils einen Zeitraum von ca.
zwei Wochen umfasst hätten. Auf Grund der relativ hohen Kosten dieser Art der
Unterbringung sei ein Sozialhilfeträger stets bestrebt, den Hilfeempfänger sobald wie
möglich anderweitig kostengünstiger unterzubringen. Dies sei dem Hilfeempfänger auch
bekannt. Hinzu komme, dass das Hotelzimmer weder über warmes Wasser noch über
eine Kochmöglichkeit verfügt habe. Auch die Kindesmutter habe selbst beabsichtigt, aus
dem Parkhotel auszuziehen und sich eine Wohnung zu suchen, da im Hotel eine
kindgerechte Versorgung nicht gewährleistet gewesen sei. Mangels eines
gewöhnlichen Aufenthaltes der Kindesmutter habe auch das Kind selbst einen solchen
gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Jugendamtes P. nicht
begründet. Dies sei insbesondere nicht durch den Klinikaufenthalt im Anschluss an die
Geburt der Fall gewesen, da ein solcher Krankenhausaufenthalt stets vorübergehender
Natur zu sein pflege. Festzustellen sei somit, dass sich die örtliche Zuständigkeit für die
Gewährung von Leistungen für das Kind P1. nach § 86 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII in der
Fassung des ersten Änderungsgesetzes zum SGB VIII gerichtet habe. Nach dieser
Vorschrift sei zunächst das Jugendamt der Stadt P. wegen des tatsächlichen
Aufenthaltes des Kindes in P. örtlich zuständig gewesen. Allerdings habe von Anfang
an ein Kostenerstattungsanspruch gegen den überörtlichen Träger der Jugendhilfe
gemäß § 89 SGB VIII bestanden. Am 09.03.1995 habe dann die örtliche Zuständigkeit
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gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII zur Beklagten gewechselt, weil die Pflegeeltern bereits seit
dem 21.08.1993 in N. wohnhaft gewesen seien und weil sich das Kind M. bereits seit
zwei Jahren in dieser Pflegestelle befunden habe und auch sein dauerhafter Verbleib
dort zu erwarten gewesen sei. Die Beklagte habe ihre Zuständigkeit jedoch erst ab dem
01.08.1996 anerkannt, weshalb vom Jugendamt P. bis zum 31.07.1996 Zahlungen an
die Pflegeeltern und erst danach an die Beklagte im Wege der Kostenerstattung gemäß
§ 89 SGB VIII geleistet worden seien. Dies ändere aber nichts an der Erstattungspflicht
des überörtlichen Trägers der Jugendhilfe, denn nach § 89 a Abs. 2 SGB VIII bleibe bei
einem Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6 SGB VIII der bisherige überörtliche
Träger kostenerstattungspflichtig. Für sie - die Klägerin - bedeute dies, dass sie ab dem
10.03.1995 als unzuständiger Leistungsträger Leistungen der Jugendhilfe erbracht
habe. Sie sei gemäß § 86 c Satz 1 SGB VIII solange örtlich zuständig gewesen, bis die
Beklagte die Leistung fortgesetzt habe, also bis zum 31.07.1996. Für die Zeit vom
10.03.1995 bis zum 31.07.1996 habe sie einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 89
c SGB VIII gegen die Beklagte. Ab dem 01.08.1996 habe sie weiterhin als
unzuständiger Leistungsträger irrtümlich gemäß § 89 a Abs. 1 SGB VIII Kosten an die
Beklagte erstattet. Insoweit bestehe ein Rückerstattungsanspruch gemäß § 112 SGB X
in Höhe von insgesamt 49.323,30 DM, der nicht der Ausschlussfrist des § 111 SGB X
unterliege, sowie ein Erstattungsanspruch gemäß § 89c Abs. in Höhe von 15.794,84
DM, den sie noch innerhalb der Frist des § 111 SGB X bei der Beklagten angemeldet
habe. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergebe sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB in
entsprechender Anwendung.
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, die von ihr - der Klägerin - für das Kind M. für die Zeit vom
10.03.1995 bis zum 08.07.1996 und für die Zeit vom 01.08.1996 bis zum 30.06.2000
gezahlten Jugendhilfekosten im Gesamtbetrag von 33.294,37 EUR nebst 4 % Zinsen
aus 29.988,39 EUR und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 3.305,98 EUR seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung ihres Antrages führt die Beklagte aus, dass der Auffassung der
Klägerin, die Kindesmutter habe während der letzten sechs Monate vor Leistungsbeginn
keinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, nicht gefolgt werden könne. Die Kindesmutter
habe nämlich schon fast zwei Jahre vor der Geburt des Kindes in P. gewohnt und sei
dort gemeldet gewesen und habe außerdem in den folgenden Jahren mit nur kurzen
Unterbrechungen sich immer dort aufgehalten. Dies zeige, dass die Kindesmutter P.
zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen gewählt habe. Keine Rolle könne es dabei
spielen, ob die Kindesmutter eine eigene Wohnung bewohnt habe oder kurzfristig in
verschiedenen Hotels untergebracht gewesen sei. Mit Rücksicht hierauf bestimme sich
die örtliche Zuständigkeit für die Klägerin nach § 86 Abs. 2 SGB VIII, und zwar für die
Zeit von Beginn der Leistung bis zum 09.03.1995. Ab dem 10.03.1995 liege die örtliche
Zuständigkeit gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII bei dem Jugendamt der Stadt N. , da das
Kind sich zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre bei seinen Pflegeeltern aufgehalten habe und
sein dauerhafter Verbleib dort zu erwarten gewesen sei. Die Klägerin habe daher dem
Jugendamt der Stadt N. zu Recht die entstandenen Pflegegeldleistungen erstattet. Ein
Rückerstattungsanspruch bestehe nicht. Ebenso wenig bestehe ein
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Erstattungsanspruch gemäß § 89c SGB VIII.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Er trägt vor, dass der Klägerin einerseits bekannt
gewesen sei, dass es sich bei P2. nur um den Scheinvater handele, man hieraus
andererseits aber keine Konsequenzen gezogen habe. Es stelle sich somit die Frage
nach der Rechtmäßigkeit der Hilfegewährung im Hinblick auf das Einverständnis des
Scheinvaters mit der erbrachten Hilfe und seine Mitwirkung als Sorgeberechtigter. Wäre
eine Ehelichkeitsanfechtung erfolgreich durchgeführt worden, so hätte es sich bei M. um
ein Kind gehandelt, dessen Eltern nicht miteinander verheiratet gewesen seien, was für
die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit zur Folge gehabt hätte, dass sich diese für
die Zeitdauer einer nicht anderweitig festgestellten oder anerkannten Vaterschaft gemäß
§ 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Kindesmutter
gerichtet hätte. In diesem Fall hätte sich die Frage nach einer Kostenerstattungspflicht
durch den überörtlichen Träger nicht gestellt. Da folglich von einer Verletzung des
Interessenwahrungsgrundsatzes auszugehen sei, sei die begehrte Kostenerstattung
auch aus diesem Grund abzulehnen. Die Kindesmutter habe in P. im Übrigen, wie auch
die Beklagte zu Recht geltend mache, einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. An
diesem gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter in P. habe auch ihr Sohn Anteil genommen.
Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass sich jede Mutter nach der Niederkunft zu
einem gewissen Grad zu ihrem Kind hinwende, was dazu führe, dass dieses ihren
gewöhnlichen Aufenthalt teile. Ausschließlich für den - hier nicht gegebenen - Fall einer
Adoptionsfreigabe vor der Geburt bestehe Grund zu der Annahme, dass sich die Mutter
dem Kind überhaupt nicht hinwende und dass deswegen das Baby auch nicht den
gleichen gewöhnlichen Aufenthalt habe wie die Kindesmutter.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
24
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
25
Die Klägerin hat zunächst keinen Anspruch aus § 112 SGB X gegen die Beklagte auf
Rückerstattung der in dem Hilfefall M. für den Zeitraum vom 01.08.1996 bis 30.06.2000
an die Beklagte erbrachten Kostenerstattungsleistungen in Höhe von 49.323,30 DM.
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§ 112 SGB X betrifft die Rückabwicklung einer rechtsgrundlos erfolgten
Kostenerstattung zwischen zwei Sozialleistungsträgern und bestimmt, dass die
gezahlten Beträge zurückzuerstatten sind, soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist.
Diese Vorschrift ist nicht nur auf Erstattungen im Rahmen der §§ 102 bis 105 SGB X,
sondern auch auf Erstattungen nach anderen Vorschriften anwendbar.
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Vgl. Pickel, SGB X, Loseblatt Kommentar, Stand: April 1999, § 112 Rdnr. 1.
28
Hier hat die Klägerin an die Beklagte in dem Hilfefall M. für die Zeit vom 01.08.1996 bis
30.06.2000 zu Recht Kostenerstattungsleistungen in Höhe von 49.323,30 DM erbracht.
Die Verpflichtung der Klägerin, die von der Beklagten in diesem Zeitraum aufgewandten
Pflegegeldleistungen zu erstatten, ergibt sich aus § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.
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§ 89 a SGB VIII betrifft die Kostenerstattung bei fortdauernder Vollzeitpflege. Nach § 89
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a Abs. 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger auf Grund einer Zuständigkeit
nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, von demjenigen örtlichen Träger zu
erstatten, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Ändert sich während der
Gewährung der Leistung nach § 89 a Abs. 1 SGB VIII der für die örtliche Zuständigkeit
nach § 86 Abs. 1 bis 5 maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt, so wird nach der Regelung
in § 89 a Abs. 3 SGB VIII derjenige örtliche Träger kostenerstattungspflichtig, der ohne
Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig geworden wäre.
Hiernach lässt sich der Regelung des § 89 a SGB VIII zunächst entnehmen, dass
derjenige Jugendhilfeträger, dessen örtliche Zuständigkeit für ein Vollzeit-
Pflegeverhältnis im Sinne des § 33 SGB VIII sich aus § 86 Abs. 6 SGB VIII ergibt, nicht
endgültig mit den Pflegegeldzahlungen belastet werden soll. Vielmehr kann dieser
Träger seine Aufwendungen im Wege der Kostenerstattung abwälzen auf denjenigen
Träger, der ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII für den Hilfefall örtlich zuständig
wäre. Der Hilfeempfänger M. befand sich zumindest seit dem 01.08.1996 bei der
Pflegefamilie M. in N. in fortdauernder Vollzeitpflege im Sinne des § 86 Abs. 6 SGB VIII,
weil das Pflegeverhältnis zu diesem Zeitpunkt länger als zwei Jahre bestand und sein
Verbleib in dieser Pflegefamilie auf Dauer zu erwarten war.
31
In Bezug auf die Bestimmung desjenigen Trägers, der den nach § 86 Abs. 6 SGB VIII
zuständigen Träger die Kosten zu erstatten hat, lässt sich der Regelung des § 89 a Abs.
1 Satz 1 SGB VIII entnehmen, dass diese Erstattungspflicht grundsätzlich denjenigen
Träger trifft, der zuvor örtlich zuständig war oder gewesen wäre.
32
Außerdem führen nachträgliche Aufenthaltswechsel, die zu einer Änderung der örtlichen
Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII geführt haben würden, auch zu einer
Auswechselung des kostenerstattungspflichtigen Trägers. Hätte dieser allerdings
während der Gewährung einer Leistung seinerseits einen Kostenerstattungsanspruch
gegen einen anderen örtlichen oder den überörtlichen Träger, so wird abweichend von
§ 89 a Abs. 1 SGB VIII dieser Träger dem nunmehr nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig
gewordenen örtlichen Träger kostenerstattungspflichtig, § 89 a Abs. 2 SGB VIII.
33
Zur Bestimmung des im vorliegenden Fall kostenerstattungspflichtigen Trägers bedarf
es also der Prüfung, welcher Jugendhilfeträger für den Hilfefall ohne Anwendung des §
86 Abs. 6 SGB VIII ab August 1996 für den Hilfefall örtlich zuständig gewesen wäre und
ob dieser Träger ggfls. seinerseits einen Kostenerstattungsanspruch gegen einen
anderen Träger gehabt hätte. Diese Prüfung ergibt, dass die Klägerin diejenige Trägerin
der Jugendhilfe ist, die der Beklagten das aufgewandte Pflegegeld zu erstatten hatte.
34
Die örtliche Zuständigkeit der Klägerin lässt sich für den hier maßgeblichen Zeitraum
bei Außer-Acht-lassen des § 86 Abs. 6 SGB VIII aber nicht bereits aus § 86 Abs. 1 SGB
VIII ableiten. Nach dieser Norm ist auf den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der
Eltern abzustellen. Dabei ist als Vater derjenige anzusehen, der nach § 1592 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) als der Erzeuger des betreffenden Kindes gilt, auch
wenn von einer so genannten Scheinvaterschaft auszugehen ist.
35
Vgl. Jans/Happe/Saurbier: Kinder- und Jugendhilferecht, Loseblatt Kommentar, Stand:
November 2001, § 86 Rdnr. 6; Hauck/Haines, Kinder- und Jugendhilfe, Loseblatt
Kommentar, Stand: April 2002, § 86 Rdnr. 3.
36
Hiernach sind im vorliegenden Fall die Aufenthaltsverhältnisse der Kindesmutter N1.
37
und deren früheren Ehemannes P2. maßgeblich. Diese hatten schon im Zeitpunkt des
Beginns der Leistung, also vor der Aufnahme ihres Sohnes in die Pflegefamilie,
verschiedene gewöhnliche Aufenthalte, und sie haben auch anschließend ihre
gewöhnlichen Aufenthaltsorte durchgängig im Bereich verschiedener örtlicher Träger
der Jugendhilfe gehabt.
Die Kindesmutter hatte allerdings entgegen der Auffassung der Klägerin im Zeitpunkt
der Aufnahme ihres Sohnes in die Pflegefamilie in P. nicht nur ihren tatsächlichen,
sondern auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Gemäß der Legaldefinition in §
30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat einen Person den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo sie sich
unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem
Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Hiernach sind bei der Bestimmung des
gewöhnlichen Aufenthaltes nicht allein die objektiven Verhältnisse maßgeblich.
Vielmehr ist weiter der Verweilwillen eines Aufenthaltsnehmers entscheidend, wobei die
Umstände im Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme, wenn auch ggfls. unter retrospektiver
Betrachtung, zu beurteilen sind.
38
Vgl. Zentrale Spruchstelle, Entscheidung vom 23.03.1995 - B 48/90 -, in:
Entscheidungen und Gutachten (EuG) Band 49, S. 361.
39
Nicht sachgerecht erscheint es allerdings, bei der Bewertung der hiernach
ausschlaggebenden Lebensumstände allein darauf abzustellen, ob die von der
betreffenden Person genutzte Unterkunft dazu geeignet oder bestimmt ist, sich in ihr
nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer niederzulassen. Maßgeblich ist insoweit
vielmehr, ob Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass die betreffende Person den Ort,
also die Gebietskörperschaft, in der sie wohnt, wieder verlassen will oder ob ein
unbefristeter Verbleib an diesem Ort von vornherein beabsichtigt ist.
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Hier deutet nichts darauf hin, dass die Kindesmutter die Absicht hatte, P. nach der
Geburt ihres Sohnes kurz- oder mittelfristig wieder zu verlassen. Im Gegenteil nahm sie
in dieser Stadt ihre Drogentherapie auf. Sie bemühte sich außerdem in P. eine eigene
Wohnung und einen Job zu finden. Ausgehend hiervon erscheint allenfalls die - im
Hinblick auf die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes unmaßgebliche -
Feststellung gerechtfertigt, dass ein dauerhafter Verbleib in dem vom Sozialamt
bezahlten Hotel nicht zu erwarten war. Der Verbleib der Kindesmutter in der Stadt P. war
indessen von vornherein nicht nur vorübergehend.
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Demgegenüber kann nicht festgestellt werden, dass auch der damalige Ehemann der
Kindesmutter zeitweilig einen gewöhnlichen Aufenthalt in P. hatte. Dieser war zwar in
der Zeit vom 06.09.1993 bis zum 09.03.1994 für die P. Adresse gemeldet, unter der
auch die Kindesmutter und deren Lebensgefährte T. wohnten. Diese beiden haben aber
gegenüber dem Sozialamt der Klägerin ausdrücklich in einer von ihnen unterzeichneten
Niederschrift am 03.02.1994 angegeben, dass es sich hierbei nur um eine postalische
Anmeldung gehandelt habe und dass sich der Ehemann tatsächlich nicht unter dieser
Adresse aufhalte. Bestätigt wird diese Auskunft der Kindesmutter und ihres
Lebensgefährten durch die Darlegungen des zuständigen Sachbearbeiters des
Jugendamtes der Klägerin, der in der Zeit auch regelmäßig Kontakt zu der Kindesmutter
hatte, in seinen Berichten vom 19.05.1994 und 17.06.1994. Danach lebte die
Kindesmutter in P. nur mit ihrem Lebensgefährten T. zusammen, fühlte sich aber
gegenüber ihrem Ehemann wohl nicht zuletzt auf Grund der für die Eingehung der Ehe
erhaltenen Summe insofern verpflichtet, als sie gegenüber der Ausländerbehörde den
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Eindruck erweckte, an der Ehe festhalten zu wollen, und das Bestehen einer
Lebensgemeinschaft nicht bestritten hat.
Ihren gewöhnlichen Aufenthalt in P. hat die Kindesmutter ferner nicht dadurch verloren,
dass sie sich im März 1994 zunächst für eine Tag vollständig nach G. umgemeldet und
sich anschließend dort mit ihrem angeblichen Hauptwohnsitz angemeldet hat. Auch
dieser Vorgang ist nur durch das Bestreben der Kindesmutter zu erklären, ihren
Ehemann bei der Verhinderung seiner Ausweisung bis zu einem gewissen Grad zu
unterstützen. Demgegenüber deutet nichts darauf hin, dass sich an ihren Lebens- und
Aufenthaltsverhältnissen im März 1994 irgendetwas geändert hat. Im Gegenteil bezog
die Kindesmutter auch in der Zeit ab März 1994 in P. Sozialhilfe. Das Sozialamt der
Klägerin kam unter anderem für die Kosten einiger Besuchsfahrten auf, die die
Kindesmutter zum Wohnort ihres Kindes durchgeführt hat. Außerdem befindet sich in
der von der Kammer beigezogenen Sozialhilfeakte ein Schreiben der Kindesmutter vom
28.05.1994, das die Übernahme der Kosten einer Zahnbehandlung betrifft und in dem
sie ausdrücklich angibt, sie habe ihren Wohnsitz in P. in der C1.-straße.
43
Andererseits aber befand sich der Ehemann der Kindesmutter in einer
aufenthaltsrechtlich schwierigen Situation, denn er verfügte nur über Duldungen und
war strafrechtlich in Erscheinung getreten. Im Übrigen ließ der Ehemann, der zuvor noch
bei einer im Dezember 1994 auf Druck der Ausländerbehörde erfolgten Vorsprache im
Jugendamt der Klägerin den Eindruck erweckt hatte, er lebe mit der Kindesmutter in G.
zusammen, in seinem Scheidungsantrag vom 07.07.1995 vortragen, dass sie bereits
seit Mitte April 1994 getrennt lebten. Auch dies bestätigt, dass die Angaben der
Eheleute zu einem angeblichen Zusammenleben allein aus taktischen Motiven
erfolgten. Da außer diesen gegenüber verschiedenen Behörden sowie dem
Einwohnermeldeamt gemachten Angaben nichts für einen auch nur kurzfristigen
gemeinsamen Aufenthalt der Eheleute in G. oder zuvor in P. spricht, kann
ausgeschlossen werden, dass die Kindesmutter und ihr als Vater des Hilfeempfängers
geltender ehemaliger Ehepartner nach der Geburt des Kindes jemals gleichzeitig beide
einen gewöhnlichen Aufenthalt in G. oder P. hatten.
44
Lagen damit also die gewöhnlichen Aufenthaltsorte des Kindesvaters P2. einerseits und
der Kindesmutter andererseits schon bei Beginn der Leistung in verschiedenen Städten,
so gelangt § 86 Abs. 2 SGB VIII zur Anwendung. Nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist
bei verschiedenen gewöhnlichen Aufenthalten der Elternteile derjenige örtliche Träger
zuständig, in dessen Bereich der personensorgeberechtigte Elternteil seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hat. Neben dem Vorliegen verschiedener gewöhnlicher
Aufenthaltsorte kommt es im Rahmen dieser Norm folglich auch darauf an, welchem
Elternteil das Sorgerecht über das betreffende Kind zusteht. Änderungen in der
Verteilung des Sorgerechts, die sich durch entsprechende Entscheidungen des
zuständigen Vormundschaftsgerichts ergeben, wirken sich dabei ex nunc auf die
örtliche Zuständigkeit aus.
45
Vgl. Jans/Happe/Saurbier, a. a. O., § 86 Rdnrn. 41 und 43.
46
Unbeachtlich ist, ob dem personensorgeberechtigten Elternteil einzelne, auch
wesentliche Angelegenheiten der Personensorge entzogen sind.
47
Vgl. auch Jans/Happe/Saurbier, a. a. O., § 86 Rdnr. 29.
48
Das Sorgerecht über das Kind M. stand den Kindeseltern jedenfalls bis zur
Entscheidung des Vormundschaftsgerichts P. am 09.02.1993 und dann wieder ab dem
29.09.1993 gemeinsam zu, wie der an diesem Tag ergangenen
Sorgerechtsentscheidung des Landgerichts E. entnommen werden kann. Das
Landgericht hat der Kindesmutter nämlich - im Gegensatz zu den zuvor ergangenen
amtsgerichtlichen Entscheidungen - das Sorgerecht belassen und ihr nur das
Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen. Weiter hat das Landgericht in den Gründen
seiner Entscheidung festgestellt, dass bezüglich der Rechtsstellung des
(scheinehelichen) Vaters vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen gegenwärtig nicht
erforderlich seien, da dieser das Sorgerecht nicht missbräuchlich ausübe. Die
Konsequenz dieser Landgerichtsentscheidung ist, dass jedenfalls für die Zeit ab dem
29.09.1993 nicht die Regelung in § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII für die Bestimmung der
örtlichen Zuständigkeit herangezogen werden kann, weil sowohl der Vater als auch die
Kindesmutter sorgeberechtigt waren. Einschlägig war ab diesem Zeitpunkt vielmehr §
86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII, so dass eine zwischenzeitlich möglicherweise begründet
gewesene örtliche Zuständigkeit des Jugendamtes G. endete und an die Klägerin
zurück fiel.
49
In diesem Sinne Jans/Happe/Saurbier, a. a. O., § 86 Rdnr. 41.
50
§ 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII besagt, dass sich die örtliche Zuständigkeit im Fall der
beiden Elternteilen gemeinsam zustehenden Personensorge nach dem gewöhnlichen
Aufenthalt desjenigen Elternteils richtet, bei dem das Kind vor Beginn der Leistung
zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat. Hier kann, obgleich sich der
Hilfeempfänger bis zu seiner Aufnahme in der Pflegefamilie ausschließlich im
Krankenhaus befunden hat und es noch nicht einmal einen besuchsweisen Aufenthalt
bei seiner Mutter oder deren Ehemann gegeben hat, festgestellt werden, dass er den
gewöhnlichen Aufenthalt seiner Mutter geteilt und damit ebenfalls schon vor Beginn der
Leistung einen gewöhnlichen Aufenthalt in P. begründet hat. Ausschlaggebend hierfür
ist allerdings nicht, dass sich der Hilfeempfänger zunächst zusammen mit seiner Mutter
und anschließend alleine in einer P. Klinik aufgehalten hat. Denn ein Aufenthalt in
einem Krankenhaus ist von vornherein nur als vorübergehend anzusehen.
51
Vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp: Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, 15. Aufl. 1997, §
97, Rdnr. 29.
52
Entscheidend ist insoweit vielmehr, dass bei der Ermittlung des gewöhnlichen
Aufenthaltes des Minderjährigen der Festlegung des Aufenthaltsortes durch den zur
Bestimmung des Aufenthaltes Berechtigten maßgebliche Bedeutung zukommt. Ein
Minderjähriger hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt demnach in der Regel dort, wo er
seine Erziehung erhält und wo er betreut und versorgt wird. Auch bei einer
Fremdunterbringung ist ausschlaggebend, ob eine Rückführung des Kindes in seine
Herkunftsfamilie, also in den Haushalt des oder der Sorgeberechtigten, beabsichtigt ist.
Besteht eine solche Absicht, so wird die Zuordnung des Minderjährigen zum
gewöhnlichen Aufenthaltsort des Sorgeberechtigten auch durch seine tatsächliche
Wohnsitznahme an einem anderen Ort nicht unterbrochen.
53
Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 15.05.1986 - 5 C 68/84 -, in:
Bundesverwaltungsgerichts-Entscheidungen (BVerwGE), Band 74, S. 206 (208 ff.);
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom
16.02.1994 - 16 A 3286/93 -.
54
Für ein Neugeborenes folgt hieraus, dass es - sofern wie hier keine Anhaltspunkte für
einen abweichenden Willen des personensorgeberechtigten Vaters bestehen - bereits
vom Zeitpunkt der Geburt an den gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter teilt, wenn diese
die Absicht hat, das Baby nach der Entlassung aus dem Krankenhaus aufzunehmen
und es insoweit in die Familie "zurückzuführen". Abzustellen ist hierbei in der Regel
nicht auf die objektiven Lebensbedingungen der Kindesmutter - also etwa deren
Wohnsituation -, sondern vorrangig auf ihre subjektiven Vorstellungen. Denn angesichts
der verfassungsrechtlichen Verbürgung in Art. 6 des Grundgesetzes - GG - hat die
Kindesmutter einen durch sozial- und jugendhilferechtliche Bestimmungen
konkretisierten Anspruch darauf, dass die zuständigen Behörden sie in ihrem Wunsch
nach einem Zusammenleben mit dem Kind unterstützen und die insoweit erforderlichen
- materiellen - Lebensbedingungen nach Möglichkeit schaffen. Was den Nachweis der
danach entscheidenden Vorstellungen der Kindesmutter über den weiteren Verbleib
des Säuglings anbetrifft, so sind hieran keine größeren Anforderungen zu stellen.
Vielmehr ist angesichts der Lebenswirklichkeit regelmäßig davon auszugehen, dass
eine junge Mutter den Wunsch hat, mit dem neugeborenen Kind nach Möglichkeit
zusammen zu bleiben. Etwas anderes gilt nur in den Fällen, in denen die Haltung der
Mutter zu ihrem Kind von vornherein durch Ablehnung oder ausgeprägtes Desinteresse
gekennzeichnet ist, oder in denen auf Grund sonstiger Umstände - etwa wegen einer
Freigabe zur Adoption - schon zum Zeitpunkt der Geburt feststeht, dass die
Kindesmutter das Neugeborene nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht zu
sich nehmen wird.
55
Vgl. Bayer. VGH, Urteil vom 13.08.1999 - 12 B 97.2814 -, in: Rechtspre- chungsdienst
zum Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsoge (NDV
-RD-) 1999, S. 121 (124); Spruchstelle Kassel, Entscheidung vom 13.08.1999 - R 7/96 -,
in: Entscheidungen und Gutachten (EuG) 54, S. 330 (333); Spruchstelle Münster,
Entscheidung vom 27.02.1998 - Nr. 261/95 -, in: EuG 54, S. 388 (389 f.).
56
Nach diesen Grundsätzen hat M. nach der Geburt seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei
der Kindesmutter, Frau N1. , in P. begründet. Es ist - entgegen der offenbar von der
Klägerin vertretenen Auffassung - auf Grund des Akteninhalts zunächst nicht erkennbar,
dass Frau N1. nach der Geburt kein Interesse an dem Neugeborenen zeigte. Der in
diesem Zusammenhang herausgestellte Umstand, dass die Kindesmutter M. im
Krankenhaus nicht besuchte, verfängt nicht. Wie die von der Klägerin vorgelegten
Verwaltungsvorgänge ausweisen (BA Heft 3 Bl. 38 und 44), wurde die Kindesmutter
nämlich unmittelbar nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus zumindest zweimal
dort vorstellig, um ihren Sohn zu besuchen. Allerdings ließ man sie wegen hygienischer
Bedenken nicht auf die Säuglingsstation, was offensichtlich nicht der Mutter vorzuwerfen
ist. Darüber hinaus machte Frau N1. auch gegenüber dem Jugendamt der Klägerin -
etwa bei dort am 22.01.1993 und am 28.01.1993 geführten Gesprächen (BA Heft 5 Bl.
2f.) - deutlich, dass sie ihr Kind auf jeden Fall behalten wolle. Wenn sie sich bei der
letzteren Gelegenheit mit einer vorübergehenden Fremdunterbringung von M.
einverstanden erklärte, so war dies lediglich ihrer Einsicht geschuldet, dass es besser
sei, vor der Aufnahme des Kindes zunächst eine drogenabstinente Lebensführung zu
erreichen. Dass es sich hierbei lediglich um Lippenbekentnisse von Frau N1. gehandelt
haben könnte, drängt sich der Kammer nicht auf. Vielmehr machen sowohl ihr
Bestreben, die vom Vormundschaftsgericht durch Beschluss vom 09.02.1993 verfügte
Sorgerechtsentziehung rückgängig zu machen, als auch ihre in den
Verwaltungsvorgängen der Klägerin dokumentierten Bemühungen um eine
57
Aufrechterhaltung des Kontaktes zu dem in der Pflegefamilie M. untergebrachten M.
deutlich, dass die Kindesmutter ein ernsthaftes und bleibendes Interesse an ihrem Kind
hatte, welches sich offensichtlich nicht erst im Nachhinein ergab, sondern von Anfang
an bestand. Dem steht schließlich auch nicht das sonstige Verhalten der Kindesmutter
entgegen, etwa das Unterbleiben weiterer Besuchsbemühungen im Krankenhaus, das
fehlende Interesse an der Geburtsurkunde oder die unterbliebene Wahrnehmung von
Jugendamts- und Gerichtsterminen. Insoweit besteht zur Überzeugung der Kammer kein
Zweifel, dass die hierin zum Ausdruck kommende Passivität von Frau N1. nicht
mangelndem Interesse an dem Sohn M. entsprang, sondern vielmehr ihrer
Drogenabhängigkeit und einer daraus resultierenden allgemeinen Lebensuntüchtigkeit
geschuldet war.
Aus alledem wird deutlich, dass die Kindesmutter durchaus in einem gewissen, durch
die Drogenabhängigkeit beeinflussten Umfang Interesse an ihrem Kind und dessen
Entwicklung hatte und dass sie sich vor allem nicht mit dem Gedanken anfreunden
konnte, die Verantwortung für das Kind auf Dauer an eine Pflegefamilie oder einen
Vormund abzugeben. Hinsichtlich der Aufenthaltsverhältnisse des Hilfeempfängers folgt
hieraus, dass dieser mit dem Zeitpunkt seiner Geburt den gleichen gewöhnlichen
Aufenthalt hatte wie seine Mutter.
58
Die hiernach im Zeitpunkt der Aufnahme in die Pflegefamilie begründete örtliche
Zuständigkeit der Klägerin ist auch in der nachfolgenden Zeit der Hilfegewährung
bestehen geblieben. Denn abgesehen von § 86 Abs. 6 SGB VIII kann eine einmal nach
§ 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII begründete örtliche Zuständigkeit nur dadurch wieder
abgeändert werden, dass ein Elternteil das Sorgerecht verliert oder dass beide
Elternteile im Bereich des gleichen Jugendhilfeträgers einen gewöhnlichen Aufenthalt
begründen.
59
Vgl. Jans/Happe/Saurbier, a. a. O., § 86 Rdnrn. 40 bis 43.
60
Das Sorgerecht für den Hilfeempfänger ist aber bei den Eltern verblieben, und diese
haben - wie dargelegt - nach dem Beginn der Hilfe auch zu keinem Zeitpunkt einen
gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich des selben Jugendhilfeträgers begründet.
61
Ergibt die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit (bei Nichtanwendung des § 86 Abs. 6
SGB VIII) folglich, dass diese anknüpfend an den gewöhnlichen Aufenthalt des
Hilfeempfängers in der Stadt P. zu bestimmen ist, so ist weiter festzustellen, dass die
Klägerin auch zur endgültigen Tragung der in dem Hilfefall zu erbringenden
Pflegegeldleistungen verpflichtet war und dass sie ihrerseits keinen
Erstattungsanspruch gegen den Beigeladenen als überörtlichen Träger der Jugendhilfe
für das Land Hessen hatte. Gemäß § 89 SGB VIII sind die Kosten, die ein örtlicher
Träger aufgewendet hat, von dem überörtlichen Träger, zu dessen Bereich der örtliche
Träger gehört, nur dann zu erstatten, wenn für die örtliche Zuständigkeit nach den §§ 86,
86 a oder 86 b SGB VIII der tatsächliche Aufenthalt maßgeblich ist. Hier indessen knüpft
die Zuständigkeit der Klägerin an den gewöhnlichen und nicht an den tatsächlichen
Aufenthalt des Hilfeempfängers in P. an.
62
Die Klägerin hat dementsprechend zu Recht Erstattungsleistungen an die Beklagte
erbracht. Damit ist der Tatbestand des § 112 SGB X hinsichtlich der von der Klägerin an
die Beklagte in der Zeit vom 01.08.1996 bis zum 30.06.2000 erbrachten
Kostenerstattungsleistungen nicht erfüllt. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, diese
63
Leistungen an die Klägerin zurückzuerstatten.
Der zweite von der Klägerin mit der Klage verfolgte Anspruch steht ihr ebenfalls nicht zu.
Sie kann nicht gemäß § 89 c Abs. 1 SGB VIII die Erstattung der von ihr in der Zeit vom
10.03.1995 bis zum 08.07.1996 aufgewendeten Pflegegeldleistungen von der
Beklagten verlangen.
64
Nach § 89 c Abs. 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner
Verpflichtung nach § 86 c SGB VIII, also im Rahmen einer fortdauernden
Leistungsverpflichtung beim Zuständigkeitswechsel, aufgewendet hat, von dem
örtlichen Träger zu erstatten, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit
zuständig geworden ist. Hier war die Beklagte bereits ab dem 10.03.1995 gemäß § 86
Abs. 6 SGB VIII für den Hilfefall örtlich zuständig, weil der Hilfeempfänger sich ab
diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren in der Pflegefamilie M. aufhielt und sein Verbleib in
dieser Pflegestelle auf Dauer zu erwarten war. Die Regelung in § 89 c Abs. 3 SGB VIII
gelangt bei Ansprüchen nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht zur Anwendung.
65
Vgl. Jans/Happe/Saurbier a. a. O., § 89 c Rdnr. 29.
66
Die Klägerin hat diesen Anspruch aus § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII aber außerhalb der
Ausschlussfrist des § 111 SGB X geltend gemacht, denn sie hat ihn erstmals mit
Schreiben vom 27.02.2002 bei der Beklagten angemeldet. Zuvor hatten die Klägerin
und die Beklagte nur über ein den Zeitraum ab dem 01.08.1996 erfassendes
Erstattungsbegehren verhandelt.
67
Im Rahmen des § 111 Satz 1 SGB X kommt es bei der Bestimmung des Zeitraums, für
den die Leistungen erbracht wurden, auf das für den erstattungsberechtigten
Leistungsträger maßgebliche Leistungsrecht an. Bei wiederkehrenden Leistungen ist
dabei entscheidend, für welchen Zeitraum die einzelne Leistung erbracht worden ist. Für
jeden Leistungsabschnitt wird eine neue Ausschlussfrist in Lauf gesetzt.
68
Vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 06.08.1989 - 2 RU 34/88 - und vom 22.08.2000 -
B 2 U 24/99 R - (ständige Rechtsprechung); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom
30.03.2000 - 12 A 12373/99 -, in: Rechtsprechungsdienst zum Nachrichtendienst des
Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (NDV - RD) 2000, S. 89 ff..
69
Bei der Jugendhilfe handelt es sich um eine grundsätzlich nicht auf Dauer, sondern für
bestimmte Zeitabschnitte bewilligte Hilfeleistungen. Im Regelfall ist von einer
Gewährung in monatlichen Zeitabschnitten auszugehen.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom
08.11.1982 - 8 A 56/81 -, in: NDV 1983, S. 88 f.
71
Hieraus folgt, dass im Grundsatz für jeden Monat der Hilfegewährung ab dem
01.03.1995 in dem Hilfefall M. zu prüfen ist, ob die Ausschlussfrist des § 111 SGB X
schon abgelaufen war oder nicht. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin ihren
Erstattungsanspruch erstmals mit Schreiben vom 27.02.2002 gegenüber der Beklagten
angemeldet hat, lagen die Bewilligungszeiträume März 1995 bis Juli 1996 im Zeitpunkt
der Geltendmachung des Erstattungsanspruches bereits länger als ein Jahr zurück. Die
Erstattung dieser in der Zeit von März 1995 bis Juli 1996 erbrachten
Jugendhilfeleistungen hat die Klägerin daher außerhalb der Ausschlussfrist des § 111
72
Satz 1 SGB X beantragt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung in § 111 Satz 2 SGB X. Denn
die Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers, also der beklagten Stadt
N. , über die Leistungspflicht ist hier in ihren Schreiben vom 22.08.1995 und vom
17.07.1996 zu sehen, in denen sie zunächst anerkennt, dass sie seit dem 09.03.1995
gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig sei und dass sie dann im Einverständnis mit der
Klägerin den Hilfefall ab dem 01.08.1996 in die eigene Zuständigkeit übernehme.
Hiermit hat die Beklagte die Entscheidung getroffen, ab dem 01.08.1996 Leistungen in
eigener Zuständigkeit in dem Hilfefall zu erbringen und für den vorherigen Zeitraum ihrer
eigenen Zuständigkeit noch nicht zu leisten. Von dieser Entscheidung hat die Klägerin
mit den Empfang der jeweils an sie gerichteten Schreiben Kenntnis erhalten.
73
Darüber hinaus wäre dieser Anspruch selbst dann, wenn man die Einhaltung der
Ausschlussfrist noch bejahte, nicht gegeben. Denn dem Erstattungsbegehren der
Klägerin stünde dann die Arglisteinrede entgegen. Müsste die Beklagte der Klägerin
nämlich das in der Zeit vom 10.03.1995 bis zum 08.07.1996 aufgewendete Pflegegeld
erstatten, so könnte die Beklagte ihrerseits gegen die Klägerin sofort wieder einen
entsprechenden Kostenerstattungsanspruch auf der Grundlage des § 89 a Abs. 1 SGB
VIII durchsetzen. Dass die Klägerin auf der Grundlage dieser Norm für die
Pflegegeldleistungen, die die Beklagte mit Rücksicht auf ihre Zuständigkeit nach § 86
Abs. 6 SGB VIII erbracht hat, kostenerstattungspflichtig ist, wurde oben dargelegt.
74
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188
Satz 2 in Verbindung mit § 194 Abs. 5 VwGO gerichtskostenfrei. Die außergerichtlichen
Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil dieser keinen eigenen Antrag
gestellt bzw. angekündigt und damit auch kein eigenes Kostenrisiko auf sich genommen
hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus § 167 VwGO in
Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
75