Urteil des VG Arnsberg vom 02.09.2004

VG Arnsberg: aufschiebende wirkung, öffentliches dienstrecht, versetzung, interessenabwägung, gymnasium, schule, aufschub, realisierung, erfüllung, mitbestimmung

Verwaltungsgericht Arnsberg, 2 L 1206/04
Datum:
02.09.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 1206/04
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen
die Abordnungsverfügung der Bezirksregierung Arnsberg vom 11.
August 2004 wird angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird
auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig
und hat in der Sache Erfolg.
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Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entfaltet der
Widerspruch gegen belastende Verwaltungsakte grundsätzlich aufschiebende Wirkung.
Diese entfällt jedoch gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in den durch Bundesgesetz
vorgeschriebenen Fällen. Gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 3 des
Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) haben Widerspruch und Anfechtungsklage
gegen die Abordnung keine aufschiebende Wirkung.
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In einem solchen Fall kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ganz oder teilweise anordnen. Im Rahmen
dieser Entscheidung hat das Gericht eine Abwägung zwischen dem Interesse des
Beamten, einstweilen von der Vollziehung der Abordnungsverfügung verschont zu
bleiben, und dem Interesse des Dienstherrn an der sofortigen Vollziehung der
Abordnung vorzunehmen. Diese Interessenabwägung fällt regelmäßig zu Gunsten der
Behörde aus, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist.
Dagegen ist dem Aussetzungsantrag stattzugeben, wenn die Verfügung offensichtlich
rechtswidrig ist. Lässt die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche
summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage eine abschließende Beurteilung der
Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit nicht zu, so hat das Gericht aufgrund einer von
ihm selbst vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Interessen über den
Aussetzungsantrag zu entscheiden.
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist dem Antrag des Antragstellers stattzugeben.
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Es sprechen gewichtige Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen
Abordnungsverfügung. Zwar dürften die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 29
Abs. 1 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein- Westfalen
(Landesbeamtengesetz - LBG -) gegeben sein; auch begegnet die Ausübung des
behördlichen Ermessens keinen durchgreifenden Bedenken. Jedoch spricht vieles
dafür, dass die - mit dem Ziel der Versetzung verfügte - Abordnung den Erfordernissen
des § 66 Abs. 8 Satz 1 des Personalvertretungsgesetzes für das Land Nordrhein-
Westfalen (Landespersonalvertretungsgesetz - LPVG -) nicht genügt.
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Gemäß § 66 Abs. 1 LPVG kann eine Maßnahme, die der Mitbestimmung des
Personalrats unterliegt, grundsätzlich nur mit dessen Zustimmung getroffen werden.
Abweichend hiervon kann der Leiter der Dienststelle § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG bei
Maßnahmen, die der Natur der Sache nach keinen Aufschub dulden, ohne die -
ansonsten erforderliche - Zustimmung des Personalrats vorläufige Regelungen bis zur
endgültigen Entscheidung treffen. Liegt dieser Tatbestand, der eine vorzeitige und
vorläufige Realisierung der Maßnahme vor dem endgültigen Abschluss des
Mitbestimmungsverfahrens ausnahmsweise gestattet,
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vgl. zum Ausnahmecharakter des § 66 Abs. 8 LPVG: Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschlüsse vom 28. Januar 2003 - 1 B
1681/02.PVL -, Der Personalrat (PersR) 2004, 64, und vom 27. Oktober 1999 - 1 A
3216/97.PVL -, PersR 2000, 168.
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nicht vor, so ist die Maßnahme unzulässig. Dies gilt dann auch für vorläufige
Regelungen in Gestalt einer Abordnungsverfügung.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Februar 2004 - 1 A 2672/02.PVL -, Schütz/Maiwald,
Beamtenrecht des Bundes und der Länder, ES / D IV 1 Nr. 152.
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Die Zulässigkeit einer vorläufigen Regelung nach § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG setzt also
voraus, dass ein Mitbestimmungsfall vorliegt, d. h. die Maßnahme der Mitbestimmung
unterliegt, dass das Mitbestimmungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, namentlich
eine gegebene Zustimmungsverweigerung beachtlich ist, dass die beabsichtigte
Maßnahme keinen Aufschub duldet und dass die vorläufige Regelung dem Charakter
der Vorläufigkeit ausreichend Rechnung trägt bzw. die besonderen Voraussetzungen für
eine endgültige Maßnahme vor Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens - ohne die
Maßnahme wäre die Erfüllung einer wichtigen, im öffentlichen Interesse liegende
Verwaltungsaufgabe in Frage gestellt - vorliegen. Die bloße Eilbedürftigkeit der
Angelegenheit genügt nicht.
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vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschlüsse vom 16. Dezember 1992 - 6 P
26.91 -, PersR 1993, 217 = Recht im Amt (RiA) 1993, 81, und vom 22. August 1988 - 6 P
27.85 - , PersR 1988, 269 = RiA 1989, 53;, Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
(BayVGH), Beschluss vom 8. September 1993 -18 P 93.2374 -, Informationsdienst
öffentliches Dienstrecht (IÖD) 1994, 44.
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Legt man dieses Normverständnis zu Grunde, so spricht - bei summarischer Prüfung -
vieles dafür, dass die Voraussetzungen des § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG nicht vorliegen.
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Es erscheint bereits als zweifelhaft, ob die streitbefangene Verfügung vom „Leiter der
Dienststelle" erlassen worden ist. Möglicherweise ist sie schon aus diesem Grunde
(formell) rechtswidrig. Dem braucht indes - auch unter Würdigung des hierauf
bezogenen Vortrags der Bezirksregierung Arnsberg im Schriftsatz vom 26. August 2004
- nicht weiter nachgegangen zu werden. Denn die (vorzeitige) Realisierung der
Versetzung des Antragstellers durch die streitbefangene vorläufige Regelung in Gestalt
der Abordnungsverfügung stellt sich nicht als unaufschiebbar im Sinne des § 66 Abs. 8
Satz 1 LPVG dar.
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Eine besondere Dringlichkeit im Hinblick auf die Aufgabenstellung der aufnehmenden
Dienststelle - des F. -C1. -Gymnasiums der Stadt V. - ist nicht erkennbar; mit dem
schriftsätzlichen Hinweis des Antragsgegners auf die Vakanz in der stellvertretenden
Schulleitung und den Bedarf, den Antragsteller als Mathematiklehrer einzusetzen, ist
keine Unaufschiebbarkeit im Sinne der gesetzlichen Regelung dargetan. Mit Blick auf
die Situation an der abgebenden Schule - des G. -Gymnasiums in I - gilt im Ergebnis
Gleiches. Die Kammer vermag nicht festzustellen, dass ohne die Abordnung des
Antragstellers bis zum Abschluss des vom Antragsgegner eingeleiteten
Stufenverfahrens der Schulbetrieb am G. -Gymnasium zum Schuljahresbeginn
2004/2005 nur unter wesentlich erschwerten Bedingungen aufgenommen und
fortgeführt werden kann.
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Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es in aller Regel zweckmäßig und sinnvoll ist,
personelle Veränderungen in der Schulleitung zu Beginn eines Schuljahres zu
realisieren. Andererseits rechtfertigt dieser Aspekt jedoch nicht den Schluss,
entsprechende Personalmaßnahmen seien grundsätzlich der Natur der Sache nach
unaufschiebbar im Sinne des § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG. Vielmehr bedarf es hierzu
besonderer, auf den Einzelfall bezogener Gründe, die plausibel belegen, dass die
geordnete Erfüllung der schulischen Aufgaben ohne unverzügliches Einschreiten
konkret gefährdet ist.
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Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Schulfrieden am G. - Gymnasium in I.
etwa seit Anfang 2002 tiefgreifend gestört war. Die in den Verwaltungsvorgängen
dokumentierten Vorkommnisse sind - zurückhaltend formuliert - äußerst ungewöhnlich.
Auf die Geschehnisse in der Vergangenheit kommt es bei der gerichtlichen
Interessenabwägung jedoch nur in zweiter Linie an; maßgeblich ist, wie sich die
Situation gegenwärtig darstellt. Nach verschiedenen - vergeblichen - Lösungsansätzen
ist der Konflikt zwischen der ehemaligen Schulleiterin I1. , dem Lehrerkollegium, der
Elternpflegschaft und der Schülerschaft durch die auf eigenen Antrag erfolgte
Versetzung der Schulleiterin an eine andere Schule und durch Beauftragung der
Studiendirektorin C2. mit der kommissarischen Schulleitung des G. -Gymnasiums -
zumindest teilweise - entschärft worden. Der Antragsgegner hat keine Tatsachen
glaubhaft gemacht, aus denen berechtigterweise die Erwartung abgeleitet werden
könnte, die Schule werde ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllen können, wenn
der Antragsteller einstweilen - bis zum Abschluss des Stufenverfahrens - im
Lehrerkollegium des G. -Gymnasiums verbleibt. Eine entsprechende Annahme kann
auch nicht auf die dem Gericht vorliegenden Verwaltungsvorgänge gestützt werden.
Nach Aktenlage hat der Antragsteller in seiner Funktion als stellvertretender Schulleiter
des G. - Gymnasiums in der Vergangenheit ganz überwiegend Akzeptanz im Kreis des
Lehrerkollegiums, der Schüler und der Elternpflegschaft genossen. Die vom
Antragsteller beigebrachten eidesstattlichen Versicherungen sprechen dafür, dass dies
auch heute noch so ist. Ob dieser Zustand - wie der Antragsgegner meint - auf
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„biotopische Strukturen" zurückzuführen ist, kann dahinstehen. Denn unabhängig
davon, wie man diese Zustandsbeschreibung interpretiert und bewertet, rechtfertigt sie
jedenfalls nicht, nach § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG vorzugehen und die mit dem Ziel einer
kompletten Neubesetzung der Schulleitung verfolgte Versetzung des Antragstellers
vorzeitig gegen den Willen des zur Wahrnehmung der Interessen der Beschäftigten
verpflichteten Personalrats zu realisieren.
Es sind derzeit auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass das eingeleitete
Stufenverfahren nicht innerhalb eines überschaubaren Zeitraums abgeschlossen
werden wird. Nach Angaben des Antragsgegners findet die nächste Sitzung des
Hauptpersonalrates am 14. September 2004 statt. Zudem ist zu erwarten, dass - nach
(erneuter) Ausschreibung der vakanten Stelle des Schulleiters / der Schulleiterin am G. -
Gymnasium und nach Durchführung des Auswahlverfahrens - die Schulleitung im Sinne
eines „Neuanfanges" spätestens Anfang 2005 neu installiert werden kann. Auch vor
diesem Hintergrund ist die Unaufschiebbarkeit der getroffenen vorläufigen Regelung im
Sinne des § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG nicht erkennbar.
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Angesichts dieser rechtlichen Beurteilung muss das vom Antragsgegner geltend
gemachte Interesse am Sofortvollzug hinter dem Interesse des Antragstellers, vorläufig
vom Vollzug der Maßnahme verschont zu bleiben, zurückstehen. Sonstige
Gesichtspunkte, die im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung ein anderes
Ergebnis rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG n. F.
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