Urteil des VG Arnsberg vom 28.11.2008

VG Arnsberg: irak, amnesty international, bundesamt für migration, gleichheit im unrecht, ausländer, drohende gefahr, auskunft, politische verfolgung, erlass, bevölkerung

Verwaltungsgericht Arnsberg, 13 K 1365/08.A
Datum:
28.11.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 1365/08.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens,
für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Tatbestand:
1
Die Kläger ist eigenen Angaben zu Folge Yezide aus dem Irak, der in Deutschland um
Asyl nachgesucht hat. Mit Bescheid vom 14. November 2001 lehnte das frühere
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge eine Asylanerkennung ab
und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und des § 53 des
Ausländergesetzes (AuslG) in der Person des Klägers nicht vorliegen. Ferner drohte
das Amt dem Kläger die Abschiebung in den Irak an. Das dagegen angestrengte
Gerichtsverfahren blieb erfolglos (VG Münster, Urteil vom 20. September 2004 - 10 K
2835/01.A -).
2
Im August 2007 stellte der Kläger einen Folgeantrag. Bei seiner Anhörung vor dem
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge äußerte die Dolmetscherin den Verdacht, der
Kläger stamme nicht aus dem Irak sondern spreche einen kurdischen Dialekt, wie er in
Syrien gebräuchlich sei. Daraufhin ordnete das Bundesamt einen Sprachtest an. Nach
der Auswertung des Testes soll es sich bei dem Kläger um einen yezidischen Kurden
aus der Umgebung von B im Irak (nördlich von N. handeln.
3
Den Folgeantrag lehnte das Bundesamt durch Bescheid vom 1. April 2008 ebenso ab
wie den weiteren so verstandenen Antrag auf Abänderung der Entscheidung vom 14.
November 2001 zu § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG.
4
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Bescheid des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).
5
Mit seiner Klage beantragt der Kläger,
6
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge vom 1. April 2008 zu verpflichten, ihn, den Kläger, im Wege des
Folgeverfahrens als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass in seiner
Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 bzw. - hilfsweise und insoweit unter
7
entsprechender Abänderung der Feststellung des früheren Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in dem Bescheid vom 14. November 2001 -
Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
8
die Klage abzuweisen.
9
Das Gericht hat dem Kläger in der mündlichen Verhandlung am heutigen Gelegenheit
gegeben, sein Anliegen vertiefend zu begründen. Er hat im Wesentlichen ausgeführt: In
seinem Heimatort C. lebten etwa 300 bis 350 Familien. Die Hauptstraße führe nach N. .
Andere Orte wären C1. , T. , S. . Nach N. seien es etwa 35 bis 40 Kilometer. Sein
Heimatdorf läge im Norden. Auf Frage, wo denn die Sonne aufgehe: Also, wenn man in
Richtung N. schaue, im Rücken. Auf Frage, wo denn der Ort U. liege: Also, bei C. lägen
C1. , S. , B. . Auf Vorhalt: Wenn man von N. in den Nordirak fahre, komme man nach G. .
Er sei niemals weiter als bis G. gekommen. Auf weitere Frage: Wenn man von U. nach
C. fahre, komme man über B. . Diesen Ort kenne er, weil dort das Zivilregister sei. Auf
Frage: B. sei ein christlicher Ort. Dort gäbe es viele Kirchen. Der Ort habe etwa 30.000
Einwohner. Auf Vorhalt: B. liege in der Ebene, die Berge seien aber nicht weit. Auf
Frage seiner Prozessbevollmächtigten: Es sei lange her, dass er zum letzten Mal in B.
gewesen sei. Das sei vor mehr als acht Jahren gewesen. Auf Frage des Gerichts, wo
von C. aus gesehen der Nordirak beginne: Das sei in G. . Auf weitere Frage: In M. sei er
mehrmals gewesen, das liege bei T. . Im Nordirak liege das aber nicht.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Bundesamtes Bezug
genommen.
11
Entscheidungsgründe:
12
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser
besitzt keinen Anspruch auf Durchführung eines Folgeverfahrens mit einer Verpflichtung
des Bundesamtes zur Asylanerkennung nach Art. 16a des Grundgesetzes und zur
Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 des am 1. Januar 2005 in
Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes (vgl. Art. 15 Abs. 3 des Zuwanderungsgesetzes
vom 30. Juli 2004, BGBl. I S. 1950, nunmehr in der Fassung der Bekanntmachung vom
29. Februar 2008 - BGBl. I S. 163, in der diverse EU-Richtlinien umgesetzt worden sind).
Ferner hat die Klage mit dem auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach §
60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichteten Hilfsantrag keinen Erfolg (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO).
13
Soweit es um Asyl im Sinne des Art. 16a GG geht, scheitert der Anspruch auf
Durchführung eines Folgeverfahrens nach wie vor an seiner Einreise auf dem
Landwege (vgl. Art. 16a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a AsylVfG).
14
Auch im Hinblick auf § 60 Abs. 1 AufenthG hat die Klage keinen Erfolg. Allerdings
liegen die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens vor.
15
Stellt der jeweilige Asylsuchende nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung
eines früheren Asylantrages einen Folgeantrag - wie hier -, so ist gemäß § 71 Abs. 1
16
AsylVfG ein Folgeverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) gegeben sind. Nach Abs. 1
Nr. 1 der Vorschrift - nur diese Alternative kommt ernsthaft in Betracht - ist ein Verfahren
wiederaufzugreifen, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder
Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat. Das ist hier der Fall.
Die in den letzten Monaten sich häufenden Übergriffe islamistischer Gruppierungen
gegenüber Angehörigen religiöser Minderheiten stellen eine grundlegende
Veränderung der Sicherheit aller Nicht-Muslime dar, die als Änderung der Sachlage im
Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG anzusehen ist. Das erschließt sich unmittelbar aus
dem Erlass des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 15. Mai 2007 (Az.: M I 4 - 125
421 IRQ/0, der nunmehr (bindend für die Verwaltungspraxis) von einer konkreten
Gefährdung Angehöriger religiöser Minderheiten im Zentralirak ausgeht.
17
Außerdem hat sich die Rechtslage geändert. Seit Inkrafttreten des neuen
Zuwanderungsrecht am 1. Januar 2005 schützt das Aufenthaltsgesetz auch gegen
Übergriffe Dritter. An ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung kann
nunmehr auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, gegen die der irakische Staat
oder die multinationale Friedenstruppe erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht
willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine
staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine
inländische Fluchtalternative (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG).
18
Das durchzuführende Folgeverfahren ist für den Kläger aber nicht erfolgreich. Ihm steht
Abschiebungsschutz im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenhG nicht zu.
19
Nach dieser Bestimmung darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über
die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) ein Ausländer nicht in einen
Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner
Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Diese durch
die Norm - die in ihrem Wortlaut dem zum 1. Januar 2005 außer Kraft getretenen § 51
Abs. 1 AuslG (vgl. Art. 15 Abs. 3 des Zuwanderungsgesetzes) entspricht - geschützten
Rechtsgüter decken sich im hier maßgeblichen Prüfungsumfang mit dem Begriff der
"politischen Verfolgung" in Art. 16 a Abs. 1 GG.
20
Vgl. hierzu: BVerwG, Urteile vom 3. November 1992 - 9 C 21.92 -, BVerwGE 91, 150,
154 f.; und vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, JZ 1995, 246, 249.
21
Für die Beurteilung, ob Asyl zu gewähren oder ein Abschiebungsverbot festzustellen ist,
gelten unterschiedliche Maßstäbe. Ist der Ausländer wegen bestehender oder
unmittelbar drohender politischer Verfolgung ausgereist - und ist ihm auch ein
Ausweichen innerhalb des Heimatstaates unzumutbar -, ist ein Abschiebungsverbot
festzustellen, wenn die fluchtbegründenden Umstände entweder ohne wesentliche
Änderung fortbestehen, oder, wenn sie entfallen sind, für den Fall seiner Rückkehr
gleichwohl ernstliche Zweifel an seiner Sicherheit bestehen, weil Anhaltspunkte
vorliegen, die es verbieten, die Möglichkeit abermals einsetzender Verfolgung mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen (so genannter herabgestufter
Prognosemaßstab). Hat der Ausländer sein Heimatland dagegen unverfolgt verlassen,
kann ihm nur dann Abschiebungsschutz gewährt werden, wenn ihm auf Grund von
berücksichtigungsfähigen Nachfluchttatbeständen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
22
Verfolgung droht (so genannter normaler Prognosemaßstab).
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 467, 992/86 -, BVerfGE 76, 143, 167;
und vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/87 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 333 ff.; BVerwG, Urteile
vom 30. Oktober 1990 - 9 C 60.89 -, BVerwGE 87, 52, 53; und vom 23. Juni 1991 - 9 C
154.90 -, BVerwGE 88, 367, 369.
23
Als Verfolgter im Sinne dieser Unterscheidung ausgereist ist nur derjenige, dessen
Ausreise sich bei objektiver Betrachtungsweise nach ihrem äußeren Erscheinungsbild
als eine unter dem Druck erlittener oder unmittelbar bevorstehender Verfolgung
stattfindende Flucht darstellt und wer wegen eigener Verfolgungsbetroffenheit geflohen
ist. Der Ausländer muss sich landesweit in einer ausweglosen, seine Menschenwürde
verletzenden Lage befunden haben, in der er Zuflucht in der Bundesrepublik
Deutschland sucht. Als vorverfolgt gilt auch derjenige, dem bei der Ausreise mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte, was stets dann anzunehmen ist,
wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen
und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
24
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 209/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216,
230 ff.; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C 45.92 -, EZAR 200 Nr. 30.
25
Gemessen an diesen Vorgaben liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1
AufenthG nicht vor. Vorverfolgt ist der in Deutschland geborene Kläger nicht, wie sich
aus dem negativen Ausgang seines Erstverfahrens ergibt Auf den ablehnenden
Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und das
Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 20. Dezember 2004 (10 K 2835/01.A) wird
insoweit verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) Sachliche Einwände dagegen hat der Kläger
nicht vorgetragen.
26
Es kann aber auch ungeachtet dessen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen
werden, dass ihm im Falle der Rückkehr mit seinem Vater in die Heimat Verfolgung im
Sinne jener Vorschrift droht (herabgestufter Prognosemaßstab). Die Machtlage hat sich
im Irak nach der Beendigung der großen Kampfhandlungen durch die Koalitionstruppen
unter Führung der Amerikaner und Briten Anfang Mai 2003 grundlegend geändert. Auf
absehbare Zeit besteht im Heimatland des Klägers keine irakische Staatsmacht mehr,
die an das frühere Regime unter Saddam Hussein anknüpft.
27
Vgl. Auswärtiges Amt (AA), Ad-hoc-Bericht über die asyl- und
abschiebungsschutzrelevante Lage im Irak (Stand: Oktober 2004) vom 2. November
2004, S. 2 f.; UNHCR, Stellungnahme zur Rückkehrgefährdung irakischer
Schutzsuchender, November 2003, S. 3.
28
Dies ist für das Gericht zudem auf Grund der Medienberichterstattung allgemein- bzw.
offenkundig (§ 173 VwGO in Verbindung mit § 291 der Zivilprozessordnung - ZPO -). Es
ist derzeit auch nicht erkennbar, dass die durch die am 28. Juni 2004 unter Auflösung
der amerikanischen Zivilverwaltung (Coalition Provisional Authority - CPA -) erfolgte
Etablierung einer irakischen Übergangsregierung unter Führung des
Ministerpräsidenten B1. und unter formaler Wiederherstellung der staatlichen
Souveränität sowie der Einrichtung des Übergangsnationalrates am 1. September 2004,
29
vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004, S. 3,
30
neu entstandene staatliche bzw. - mit Blick auf die weiterhin im Irak stationierten
Koalitionstruppen - staatsähnliche Macht die bislang als Vor- bzw. Nachfluchtgründe
geltend gemachten Umstände zum Anlass für eine politische Verfolgung nehmen
könnte. Das gilt ebenso für die nachfolgende Regierung unter dem Ministerpräsidenten
N1. . Es lagen und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die neue irakische
Staatsgewalt Ähnlichkeiten mit dem bisherigen Regime unter Saddam-Hussein hat.
31
Im Irak geht auch keine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung von
nichtstaatlichen Akteuren aus, gegen die der irakische Staat oder die multinationale
Friedenstruppe erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor
Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche
Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische
Fluchtalternative (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG). Soweit man unter diese Vorschrift
die den Irak treffenden terroristischen Anschläge fassen wollte, fehlt es einerseits
angesichts der Verschiedenheit der Opfer an einem asylerheblichen Merkmal, an
welches diese Übergriffe anknüpfen. Zum anderen mangelt es an einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit, dass diese Anschläge den Kläger im Fall der Rückkehr treffen.
Denn es handelt sich bei den im Wesentlichen gegen westliche Militärkräfte und
Organisationen, Angehörige privater Militärunternehmen, Provinzgouverneure sowie die
neue irakische Polizei gerichteten Anschlägen um zwar häufig, aber punktuell
auftretende Ereignisse. Außerdem drohen etwaige daraus resultierende Gefahren nicht
landesweit, weil sich die terroristischen Aktionen zwar nicht ausschließlich, aber doch
ganz überwiegend auf den Zentral- und Nordwestirak konzentrieren.
32
Vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004, S. 13 ff.
33
Zwar müssen hochrangige ehemalige Repräsentanten des alten Regimes mit
Racheakten rechnen. Des Weiteren schweben ehemalige Oppositionelle, die nun
Regierungsämter bekleiden, in ständiger Lebensgefahr.
34
Vgl. AA, Lagebericht Oktober 2004, S. 13.
35
Zu diesem Personenkreis zählt der Kläger ersichtlich nicht.
36
Seine behauptete yezidische Religionszugehörigkeit führt nicht zu einem
Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 c) AufenthG. Yeziden sind im Irak
nicht als Gruppe gefährdet. Das setzt die Gefahr einer so großen Vielzahl von
Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter voraus, dass es sich dabei
nicht mehr um eine vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl
einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im
Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden
Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so
ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden
Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit sondern ohne Weiteres die aktuelle
Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung,
die von Dritten ausgeht, und einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung sind
hinsichtlich der erforderlichen Verfolgungsdichte im Grundsatz gleich.
37
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994, 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 (203); BVerfG,
Beschluss vom 11. Mai 1993 - 2 BvR 2245/92 - InfAuslR 1993, 304 (306).
38
Bei Anwendung dieser Maßstäbe bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sämtliche
oder ein großer Teil der im Irak lebenden Yeziden konkreten Gefahren gemäß § 60 Abs.
1 Satz 4 c) AufenthG ausgesetzt sind. Erkenntnisse über schwere Übergriffe im Sinne im
Sinne einer Gruppenverfolgung liegen nicht vor.
39
Vgl. AA, Auskunft an das OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 15. Oktober 2003, und
Lagebericht Januar 2007.
40
Zumindest kann nicht davon ausgegangen werden, das Yeziden landesweit und
flächendeckend dauerhaften und intensiven Übergriffen aus fundamentalistischen und
sunnitischen Kreisen in der irakischen Bevölkerung ausgesetzt sind, auch wenn sich
Angriffe häufen und die im Aufbau befindlichen Sicherheitsstrukturen nicht immer
Schutz gewährleisten können.
41
Das gilt zunächst auch unter Einbeziehung der Stellungnahme des Europäischen
Zentrums für Kurdische Studien der Berliner Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie
e. V. von I. und T. vom 3. November 2004. Darin wird ausgeführt, dass die oftmals von
Yeziden angeführte "Brunnenvergiftung" am 8. März 2004 mit mehreren Verletzen und
einem Toten in Khanek im Gebiet Al-Qosch auf eine unhygienische Aufbewahrung des
Wassers wegen nicht erfolgter Reinigung der Behälter und ein marodes Leitungssystem
zurückzuführen war. Soweit es in jener Stellungnahme als glaubhaft bezeichnet worden
ist, dass öffentlich zu Morden an Yeziden aufgerufen worden sei, besteht eine solche
Lebensgefahr jedenfalls nicht allgemein und landesweit. Besondere Gefahren bestehen
danach für bestimmte Personengruppen (z.B. Intellektuelle, Würdenträger,
Funktionsträger yezidischen Einrichtungen, Alkoholhändler) innerhalb dieser
Glaubensgemeinschaft (vgl. S. 19), nicht aber generell und ausnahmslos für jeden
Yeziden. Den dort aufgezählten Personengruppen sind die Kläger nicht zuzurechnen.
Die Vielzahl der in der Stellungnahme aufgelisteten Einzelfälle betreffend gewaltsame
Übergriffe gegen Yeziden belegt nicht, dass den Klägern eine konkrete Gefahr im Fall
der Rückkehr drohen könnte. Vielmehr wird von den Gutachtern die Situation in den rein
yezidischen Dörfern "eher als sicherer" als in gemischten Orten bezeichnet (S. 20). Die
nordirakischen Städte E. , B2. und T1. sind danach "überwiegend sicher und stabil" (S.
23). Im Irak lebende Yeziden berichten von Mordfällen insbesondere in den Städten B2.
und T1. .
42
Vgl. AA, Lagebericht Januar 2007.
43
Auch das spricht von einer eher lokal begrenzten und nur punktuell auftretenden
Gefährdung. Zudem ist in der Rechtsprechung des OVG NRW geklärt, dass die
Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes für in den Irak
zurückkehrende Yeziden aufgrund von diesen dort durch Mitglieder anderer religiöser
Gruppen drohenden Übergriffen nicht vorliegen.
44
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. September 2004 - 9 A 3565/04.A - und vom 18.
August 2004 - 9 A 3067/04.A -, noch zu dem damals geltenden § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG; neuerdings vgl. auch den Beschluss vom 13. April 2007 - 9 A 2017/06.A -.
Ebenso: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. November 2006 - A 2 S 1150/04 - und
OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 14. Dezember 2006 - 1 LB 67/05 -; ferner OVG
Saarland, Urteil vom 26. März 2007 - A 3 30/07 - und OVG Lüneburg, Urteile vom 19.
März 2007 - 9 B LB 383/06 u.a..
45
Aus dem Gesichtspunkt des Schutzes der freien Religionsausübung folgt nichts
Anderes. Nach ihrem Glauben dürfen Yeziden ihre Rituale religiöser Art ohnehin nicht in
Anwesenheit von Nichtyeziden ausüben. Ein Konflikt in der muslimischen Umgebung
im Irak kann mit Blick darauf nicht entstehen.
46
Vgl. OVG Saarland, Urteil vom 26. März 2007 - A 3 30/07 -.
47
An dieser generellen Einschätzung ändert sich im Grunde auch nichts unter
Berücksichtigung der Hintergrundinformation des UNHCR zur Gefährdung von
Angehörigen religiöser Minderheiten im Irak, die vom Auswärtigen Amt in seinem
Lagebericht inhaltlich berücksichtigt worden ist, und die bestätigt, dass es zu
punktuellen und nicht landesweiten Übergriffen gegenüber Angehörigen religiöser
Minderheiten, auch gegenüber Yeziden, durch radikale Muslime kommt. Im Grundsatz
wird diese Einschätzung auch durch amnesty international,
48
vgl. die Auskunft an das Verwaltungsgericht Köln vom 18. August 2005,
49
geteilt. Es wird in dieser Auskunft mit aller Zurückhaltung wegen schwieriger
Informationslage nur von punktuellen Ereignissen berichtet. So ist auch ein berichtetes
Selbstmordattentat mit angeblich 30 getöteten Yeziden zu werten; Informationen darüber
sind mit Blick auf die dem Gericht auch in anderen Verfahren genannten Quellen über
Internetseiten ohnehin mit Zurückhaltung zu begegnen. Jedenfalls kann von einer
landeweiten allgemeinen Gefährdungslage der Yeziden im Irak keine Rede sein. So
berichtet im Übrigen amnesty international,
50
vgl. die Auskunft an das Verwaltungsgericht Köln vom 18. August 2005,
51
davon, dass der religiösen Besonderheit der yezidischen Bevölkerung im Nordirak
durch die Kurdenparteien Barzanis und Talabanis (KDP und PUK) Rechnung getragen
wird und sie, die Yeziden, als Wähler für die kurdischen Parteien eine wichtige
Zielgruppe darstellen.
52
Das gilt namentlich für die Yeziden, die im T2. -Gebiet und im T3 leben. Auch sie
werden von den kurdischen Parteien KDP und PUK mit Blick auf die geplante
Abstimmung über eine Zuschlagung jener Gebiete zum kurdisch verwalteten Norden
Iraks hofiert. In diesem Zusammenhang werden Zweigstellen des yezidischen M. -
Kulturzentrums aufgebaut, die für eine religiöse und kulturelle Betreuung Sorge tragen.
Zum Schutz der Yeziden werden Peshmerga-Einheiten in das T2. -Gebiet und nach T3
abkommandiert.
53
Vgl. dazu und zur Situation der Yeziden allgemein auch EZKS, Auskunft vom 26. März
2007 an das VG Ansbach sowie German Institute of Global and Area Studies, Institut für
Nahost-Fragen (GIGA), Auskunft vom 2. April 2007 an das VG Düsseldorf.
54
Das Gericht sieht sich veranlasst, auf den ihm vorliegenden Erlass des
Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 15. Mai 2007 (Az.: M I 4 - 125 421 IRQ/O)
einzugehen. Darin heißt es wörtlich:
55
"Bei der Gruppe der religiösen Minderheiten wie Christen, Mandäern und Yeziden halte
ich es, auch angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung, für
56
gerechtfertigt, jedenfalls bei der Herkunft aus dem Zentralirak oder dem Süden des
Landes, grundsätzlich von einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure im
Irak auszugehen, sofern im Einzelfall keine innerstaatliche Fluchtalternative, etwa im
Nordirak, besteht. Dies dürfte bei Asylanträgen dieser Personen im Regelfall die
Flüchtlingsanerkennung zur Folge haben."
Das Gericht teilt diese Auffassung insofern, als religiöse Minderheiten im schiitisch
beherrschten Süden des Irak, in Bagdad und im sunnitischen Dreieck konkret gefährdet
sein dürften. Zu beachten ist indessen, dass es ein zentral von Bagdad aus
beherrschtes Verwaltungsgebilde südlich der Kurdengebiete im Nordirak wie zu Zeiten
der Baath-Herrschaft nicht gibt. Deswegen kann nach Überzeugung des Gerichts auch
nicht mehr von einem als Zentralirak bezeichnetem Herrschaftsraum die Rede sein. Die
Machtstrukturen und -verhältnisse insbesondere um Kirkuk und in der Mossulebene sind
insoweit unklar und vielschichtig. So nehmen beispielsweise die Kurdenparteien PUK
und KDP in der Mossulebene (auch Niniveebene genannt), die vormals einen Teil des
von Bagdad aus beherrschten Zentraliraks darstellte, heute faktisch Staatsaufgaben
wahr. Seit dem 31. August 2006 hat eine von kurdischen Peshmerga dominierte
Division die militärische Kontrolle über die Region Kirkuk erhalten.
57
Vgl. AA, Lagebericht Januar 2007, S. 9.
58
Daneben versuchen die Kurden, durch Umsiedlungen und Aneignung von Ölquellen
ihren Einfluss in der Region zu vergrößern.
59
Mit Blick darauf, dass im sunnitischen Dreieck und im schiitischen Süden des Irak keine
Yeziden leben,
60
vgl. dazu GIGA, Auskunft vom 2. April 2007 an das VG Düsseldorf,
61
hält das Gericht demnach eine allgemeine Aussage zur Gefährdung der Gruppe der
Yeziden im Zentralirak, wie in dem Erlass des BMI ausgeführt, nicht für aussagekräftig.
Auch eine dementsprechende allgemeine Tendenz in der Rechtsprechung, zumindest
der obergerichtlichen, kann das erkennende Gericht nicht ausmachen.
62
Vielmehr sind die tatsächlichen Siedlungsgebiete dieser religiösen Minderheit (T3
Bezirk T2. , N. und Umgebung) in den Blick zu nehmen.
63
Laut GIGA a.a.O. leben allerdings auch einige Yeziden in Bagdad, deren Situation
besonderer Betrachtung bedarf.
64
In ihren angestammten Siedlungsgebieten aber unterliegen die Yeziden, wie bereits
dargelegt, keiner Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure.
65
Ein Anspruch des Klägers auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft folgt ferner nicht
aus dem zitierten BMI-Erlass. Namentlich kann er nicht nach Art. 3 Abs. 1 GG
beanspruchen, wie alle anderen Yeziden aus dem Zentralirak behandelt zu werden,
auch wenn die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung (noch) nicht
vorliegen.
66
Vgl. dazu das Urteil der Kammer vom 22. September 2008 - 13 K 2415/07.A -.
67
In diesem Falle wäre die Gewährung von Abschiebungsschutz für alle Yeziden zwar
nicht rechtmäßig. Auf eine nicht rechtmäßige Verwaltungspraxis aber kann sich
niemand berufen, denn Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt "keine Gleichheit im Unrecht" oder -
anders formuliert - keinen Anspruch auf "Fehlerwiederholung".
68
Vgl. dazu: Scholz in Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 3 Rd.Nrn. 164 ff..
69
Diese Begrifflichkeiten hält das Gericht jedoch im vorliegenden Zusammenhang für
verfehlt. Die Vorgaben des Bundesinnenministeriums für die Behandlung von
Angehörigen religiöser Minderheiten aus dem Irak sind kein Unrecht im vorgenannten
Sinne, sie beruhen auf wohlbedachten, auch humanitär bedingten Argumenten für eine
Schutzgewährung gefährdeter Bevölkerungsgruppen im Irak, auch wenn die
Voraussetzungen einer so genannten Gruppenverfolgung im asylrechtlichen Sinne und
damit für einen Rechtsanspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht
vorliegen. Daraus folgt zwanglos, dass nach dem Erlass und der Verwaltungspraxis zu
verfahren ist, wenn sich eine Ungleichbehandlung sachlich nicht rechtfertigen lässt,
mithin willkürlich erscheint.
70
Die Beklagte verfährt offensichtlich nach dem zitierten Erlass des BMI. Das ist
gerichtsbekannt, weil das Bundesamt in Fällen, in denen es sich erwiesenermaßen um
Yeziden handelt, die Kläger klaglos stellt, weil es von einer Gefährdung aller Yeziden
durch Islamisten im Zentralirak ausgeht. Von dieser Praxis ohne besondere Umstände
im Einzelfall abzuweichen, erscheint willkürlich und führt zu einem entsprechenden
Anspruch unmittelbar aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der
vorliegende Fall zeichnet sich aber durch Besonderheiten aus, die die ablehnende
Entscheidung des Bundesamtes nicht willkürlich sondern plausibel erscheinen lassen.
Das Gericht teilt nämlich dessen Auffassung, dass der Kläger nicht aus dem Gebiet
stammt, dass dem früheren Zentralirak zuzuordnen ist. Deswegen fällt er auch nicht
unter den BMI-Erlass.
71
Das Gericht nimmt dem Kläger nicht ab, dass er, wie er behauptet, aus dem Ort C. nahe
B. im früheren Zentralirak stammt. Er, der Kläger, erweist sich als unglaubwürdig. Vor
Gericht hat er keinen offenen und ehrlichen Eindruck vermittelt. Er hat ausweichend auf
die Fragen des Gerichts geantwortet. Sein Vortrag ist auswendig gelernt erschienen. Auf
die Frage nach Ortschaften in der Nähe seines angeblichen Heimatdorfs hat er
gebetsmühlenartig und stereotyp mehrere Orte - wie schon vor dem Bundesamt -
aufgesagt. Eine genaue geographische Zuordnung hat er nicht vornehmen können.
Schlichtweg falsch ist die Angabe des Klägers, auf dem Wege von C. , seinem
Heimatort, nach B. käme man durch den Ort U. . Die Bezirkshauptstadt U. liegt nämlich
auf der halben Strecke von B. Richtung Süden nach N. , während C. exakt östlich von B.
gelegen ist. Nicht richtig ist auch die vom Kläger angegebene Lage des yezidischen
Heiligtums in M. . Dieser Ort liegt nämlich, anders als es der Kläger dargestellt hat, im
autonomen Gebiet des Nordirak. Das muss der Kläger wissen, wenn er jemals das
Heiligtum in M. , wie er behauptet, aufgesucht hat. Zudem stimmen die Angaben des
Klägers zu dem Ort B. nicht mit der Wirklichkeit überein. B. hat etwa 16.000 Einwohner,
nicht 30.000. In dem Ort selbst findet man keine auffälligen Kirchenbauwerke, vielmehr
liegt außerhalb der Stadt ein prominentes Kirchenbauwerk. Es trifft nicht zu, dass die
Berge in der Nähe von B. liegen, sie beginnen am nördlichen Rande der Stadt.
Unglaubwürdig ist der Kläger weiter mit seiner Behauptung, in Richtung Norden nur bis
zur Grenzstation in G. gekommen zu sein. Es ist ihm offensichtlich sehr wichtig
erschienen, dem Gericht den Eindruck zu vermitteln, niemals in den autonomen
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Kurdengebieten gewesen zu sein. Das kann das Gericht nur mit taktischem Verhalten
des Klägers erklären.
Vgl. zur geographischen Lage der einzelnen Orte: EZKS, Auskunft vom 26. Mai 2008 an
das VG Köln.
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Diesem Eindruck des Gerichts entsprechen die widersprüchlichen und teilweise
nachgewiesenermaßen unwahren Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren. Dort
hat er zunächst bestritten, in den Niederlanden einen Asylantrag gestellt und sich
längere Zeit dort aufgehalten zu haben. Auf Vorhalt des Befragers hat er dann seinen
Aufenthalt in den Niederlanden zugeben müssen.
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Der Hilfsantrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG unter entsprechender Abänderung der Bescheide des früheren Bundesamtes
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist ebenfalls unbegründet. Die Nr. 2 des
angefochtenen Bescheides des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen des hier
direkt anwendbaren § 51 VwVfG liegen nicht vor. Auch insoweit kann auf den
angefochtenen Bescheid verwiesen werden (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).
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Zu ergänzen ist: Die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und Abs. 5 AufenthG
setzen in Ermangelung einer § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG entsprechenden Erweiterung
des potentiellen Verfolgerkreises wie § 53 Abs. 1, 3 und 4 AuslG weiterhin jeweils eine
konkret-individuell dem Ausländer drohende Gefahr durch einen Staat oder eine
staatsähnliche Organisation voraus.
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Vgl. zu § 53 Abs. 1, 3 und 4 AuslG: BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1998 - 9 C 5.98 -,
Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 198.
77
Es liegen jedoch nach wie vor keine Anhaltspunkte dafür vor, dass von künftigen
staatlichen oder staatsähnlichen irakischen Stellen konkrete Gefahren für den Kläger
ausgehen könnten.
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Ihm drohen auch unter Berücksichtigung der Neufassung des Aufenthaltsgesetzes keine
(landesweiten) Gefahren, die ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 2
AufenthG) begründen. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen
anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht (Satz 1). Ferner ist von der
Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als
Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder
Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts
ausgesetzt ist (Satz 2). Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer einzelfallbezogenen,
individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation muss im
Anwendungsbereich dieser Vorschrift jedoch nicht von staatlicher oder quasistaatlicher
Seite ausgehen.
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Vgl. noch zum alten Recht: BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE
99, 324, 330.
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Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 2 AufenthG folgt nicht aus der
angespannten Sicherheitslage im Irak. Gleiches gilt im Hinblick auf die schwierige
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wirtschaftliche Situation im Nachkriegsirak. Mit diesen Umständen im Zusammenhang
stehende Gefahren sind solche, denen die gesamte irakische Bevölkerung ausgesetzt
ist. Als allgemeine Gefahren unterfallen sie der Sperrklausel des § 60 Abs. 7 Satz 3
AufenthG, die bei Entscheidungen gemäß § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG -
Ermessensentscheidung über die Aussetzung von Abschiebungen durch die oberste
Landesbehörde - berücksichtigt werden. Solche Gefahren können nur dann, wenn durch
die Abschiebung der Ausländer extremen bzw. hochgradigen Gefahren ausgesetzt ist,
dieser gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen
ausgeliefert wird, in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
ein Abschiebungsverbot begründen. Das ist hier nach wie vor nicht der Fall, sodass
auch in diesem Zusammenhang ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht in Frage
kommt.
Schließlich drohen dem Kläger im Fall der Rückkehr auch keine Gefahren im Sinne von
§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Danach ist von der Abschiebung eines Ausländers in
einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung
einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines
internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung setzt
die Vorgabe des Art. 18 in Verbindung mit Art. 15 c) der Qualifikationsrichtlinie um. Aus
Erwägungsgrund 26 zur RL folgt indes, dass Gefahren, denen die Bevölkerung oder
eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen
normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden im
Sinne von Art. 15 c) RL zu beurteilen wären. Damit entspricht die Regelung über die
Gewährung eines subsidiären Schutzstatus nach Art. 15 c) RL der Richtlinie - bei der
Abgrenzung einer individuellen Gefahrenlage für den Ausländer von allgemeinen
Gefahren, denen die Bevölkerung eines Landes mehr oder weniger gleichartig
ausgesetzt sind - im Kern der bisherigen Rechtslage nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
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Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. August 2007 - A 2 S 229/07 -,
Asylmagazin 10/2007, S. 21 m.w.N.
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Es muss sich somit in der Regel um individuelle, gerade im Einzelfall bestehende
Gefahrensituationen auf Grund der Auswirkungen eines internationalen oder
innerstaatlichen bewaffneten Konflikts handeln, denen die Bevölkerung des Landes
oder die Mitglieder der Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, nicht oder
nicht in diesem Maße unterworfen ist.
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Vgl. VG Kassel, Urteil vom 23. November 2006 - 1 E 1213/05.A -, Asylmagazin 1-
2/2007, S. 41.
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Relevante individuelle Gründe hat der Kläger aber nicht vorgebracht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit folgt
aus § 83b Abs. 1 AsylVfG.
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