Urteil des VG Arnsberg vom 11.09.2001

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Verwaltungsgericht Arnsberg, 11 K 898/00
Datum:
11.09.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 898/00
Tenor:
Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 28. Januar 2000 wird
aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht
erstattungsfähig.
T a t b e s t a n d :
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Der 1938 geborene und mit dem Grad 50 schwerbehinderte Kläger war seit 1975 als
Werkzeugmacher bei der Beigeladenen beschäftigt. Nach einer Mitteilung des
Amtsgerichts T. vom 22. Juni 1999 wurde die Beigeladene mit Vermerk vom 19. März
1999 liquidiert.
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Mit Schreiben vom 8. Juni 1999 beantragte die Beigeladene bei der örtlichen
Fürsorgestelle die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des
Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Zur Begründung verwies sie auf die bereits Ende
1998 beschlossene Liquidation. Außerdem machte sie geltend, dass das
Bundesarbeitsgericht entschieden habe, dass ein Arbeitgeber, der seinen Betrieb
stillgelegt habe, aus diesem Grunde berechtigt sei, ein Arbeitsverhältnis außerordentlich
zu kündigen, wenn eine längere Kündigungsfrist oder eine längere Vertragsdauer
vereinbart worden sei und wenn eine Versetzung des Arbeitnehmers in einen anderen
Betrieb oder in eine andere Dienststelle nicht möglich sei. Der Kläger widersprach der
beabsichtigten Kündigung. Das telefonisch angehörte Arbeitsamt erhob Bedenken
gegen die Kündigung wegen der derzeitigen Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes
sowie wegen des Lebensalters des Klägers.
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Die Hauptfürsorgestelle bei dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe versagte mit
Bescheid vom 24. Juni 1999 die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des
Klägers und legte zur Begründung dar, dass die Beigeladene nicht vorgetragen habe,
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dass sie mit dem Kläger eine längere als die gesetzliche Kündigungsfrist vereinbart
habe.
Dem hiergegen von der Beigeladenen fristgerecht erhobenen Widerspruch gab der
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2000, zugestellt am 1. März 2000,
statt und erteilte die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Zur
Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die Hauptfürsorgestelle gemäß § 21
Abs. 4 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) die Zustimmung zur
außerordentlichen Kündigung erteilen solle, wenn die Kündigung aus einem Grund
erfolge, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung stehe. Dabei habe die
Hauptfürsorgestelle nicht zu prüfen, ob ein wichtiger Kündigungsgrund für eine
außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)
vorliege. Zu prüfen sei lediglich, ob die außerordentliche Kündigung offensichtlich
rechtswidrig und unzulässig sei. Hiervon könne im Fall des Klägers nicht ausgegangen
werden. Für diesen habe nämlich spätestens seit dem 1. Juni 1999 keine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit mehr bestanden, da der Betrieb liquidiert worden sei.
Zwar sei ein Arbeitgeber in der Regel nur dann berechtigt, die außerordentliche
Kündigung im Falle einer Betriebsstilllegung auszusprechen, wenn die ordentliche
Kündigung ausgeschlossen sei oder wenn eine längere Kündigungsfrist oder eine
längere Vertragsdauer vereinbart worden sei und wenn schließlich auch eine
Versetzung in einen anderen Betrieb ausscheide. Im Fall des Klägers sei zwar weder
davon auszugehen, dass eine ordentliche Kündigung aus Rechtsgründen
ausgeschlossen sei, noch habe die Beigeladene erklärt, dass sie mit dem Kläger eine
längere Kündigungsfrist oder eine längere Vertragsdauer vereinbart habe. Allerdings
dürfe die Rechtsordnung nicht schlechthin Unzumutbares fordern. Hier sei der Beklagte
deshalb der Ansicht, dass es für die Beigeladene letztlich unzumutbar sei, den Kläger,
dessen Arbeitsverhältnis ohnehin über den Termin der Liquidation hinaus noch Bestand
gehabt habe, weiterhin zu beschäftigen, nachdem die Arbeitsplätze tatsächlich entfallen
seien. Die Antragsfrist des § 21 Abs. 2 SchwbG habe die Beigeladene gewahrt. Da die
Beigeladene bereits am 19. März 1999 liquidiert worden sei und die Arbeitsplätze im
Betrieb spätestens seit diesem Zeitpunkt nicht mehr bestanden hätten, handele es sich
bei der Unmöglichkeit, den Kläger weiter zu beschäftigen, um einen Dauertatbestand,
der im Zeitpunkt des Zugangs des Antrages auf Zustimmung zur Kündigung nicht
abgeschlossen gewesen sei.
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Gegen die von der Beigeladenen ausgesprochene außerordentliche Kündigung erhob
der Kläger vor dem Arbeitsgericht in I. eine Kündigungsschutzklage, der das
Arbeitsgericht mit Urteil vom 12. September 2000 statt gab. Die Entscheidung über die
hiergegen von der Beigeladenen eingelegte Berufung steht noch aus.
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Gegen die mit dem Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2000 erteilte Zustimmung zu
seiner außerordentlichen Kündigung hat der Kläger am 10. März 2000 vor dem
erkennenden Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zur Begründung macht er geltend,
dass die Liquidation einer Firma niemals ein Grund für die fristlose Kündigung der dort
beschäftigten Arbeitnehmer sein könne. Es sei ganz offensichtlich rechtswidrig, wenn
die beantragte fristlose Kündigung damit begründet werde, dass eine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht mehr bestehe.
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Der Kläger beantragt,
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den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 28. Januar 2000 aufzuheben.
9
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung seines Antrages nimmt der Beklagte Bezug auf den Inhalt des
Widerspruchsbescheides.
12
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich zur Klage nicht geäußert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten im übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie
des beigezogenen Verwaltungsvorganges.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist zulässig und begründet.
16
Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 28. Januar 2000 ist wegen eines
Verstoßes gegen § 21 Abs. 2 SchwbG rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen
Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Gemäß § 15 SchwbG i.V.m. § 21 SchwbG bedarf die außerordentliche Kündigung eines
Schwerbehinderten der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle. Der
inzwischen als schwerbehinderter anerkannte Kläger, der seinen Antrag auf
Anerkennung als Schwerbehinderter schon im April 1999 gestellt hatte, unterlag diesem
Sonderkündigungsschutz nach dem Schwerbehindertengesetz.
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Nach § 21 Abs. 2 SchwbG kann die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nur
innerhalb von zwei Wochen beantragt werden, wobei der Eingang des Antrags bei der
Hauptfürsorgestelle maßgebend ist. Die Frist beginnt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2
SchwbG mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung
maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Kontrolle über die Einhaltung dieser
Frist fällt in vollem Umfang in die Prüfungskompetenz der Hauptfürsorgestelle. Da § 21
Abs. 2 SchwbG der Vorschrift des § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB nachgebildet ist, geltend für
die Beurteilung der Frage der Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund dieselben
Erwägungen, die bei der Einhaltung der 2-Wochen- Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu
beachten sind.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 2. Mai 1996 - 5 B 186/95 -, in: Buchholz
(Nachschlage- u. Sammelwerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts)
Nr. 436.61 § 21 SchwbG Nr. 7.
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Es obliegt hiernach dem Arbeitgeber, die Gründe zu benennen, die er als maßgeblich
für seine beabsichtigte Kündigungsentscheidung ansieht, und diese Gründe innerhalb
der Antragsfrist gegenüber der Hauptfürsorgestelle darzulegen, weil nur so eine
ordnungsgemäße Prüfung des Zustimmungsantrages innerhalb der für die
Hauptfürsorgestelle gemäß § 21 Abs. 3 Satz 1 SchwbG geltenden Entscheidungsfrist
von zwei Wochen ab Antragseingang zu ermöglichen ist. Die Geltendmachung von
Kündigungsgründen, die der Arbeitgeber schon früher als zwei Wochen vor dem
Zustimmungsantrag kannte, ist damit ausgeschlossen.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39/90 -, in:
Bundesverwaltungsgerichtsentscheidungen 90, S. 275 (285).
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§ 21 Abs. 2 SchwbG will für beide Beteiligte des Arbeitsverhältnisses Klarheit schaffen,
ob der Eintritt bestimmter Tatsachen, die möglicherweise eine außerordentliche
Kündigung rechtfertigen können, zum Anlass für eine solche Kündigung genommen
wird, oder nicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich - wie hier - um betriebliche
Anknüpfungspunkte aus der Sphäre des Arbeitgebers handelt.
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Hier hat die Beigeladene die Liquidation ihres Betriebes langfristig geplant. Ein
entsprechender Beschluss wurde bereits Ende 1998 gefasst. Die endgültige Liquidation
war dann mit der Eintragung des entsprechenden Vermerks am 19. März 2000
abgeschlossen. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass trotz dieser endgültigen
Firmenliquidation auch über den 19. März 2000 noch in irgendeiner Form eine
betriebliche Tätigkeit der Beigeladenen zu registrieren war. Ist damit vom Wegfall aller
Arbeitsplätze spätestens im März 2000 auszugehen, so war die 2- Wochen-Frist für die
Beantragung einer Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers
spätestens im April 2000 abgelaufen. Die erst im Juni 2000 erfolgte Antragstellung der
Beigeladenen bei der Hauptfürsorgestelle erfolgte damit außerhalb der 2-Wochen-Frist
des § 21 Abs. 2 SchwbG.
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Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, bei der Stilllegung des Betriebes der
Beigeladenen handele es sich um einen Dauertatbestand. Die Figur des
Dauertatbestandes führt hier deswegen nicht weiter, weil es schon im Ansatz zweifelhaft
ist, ob Betriebsveränderungen überhaupt als ein "Dauertatbestand" angesehen werden
können. Der Arbeitgeber, der sich einerseits zur Stilllegung seines Betriebes
entschlossen hat, kann nicht andererseits die schwerbehinderten Arbeitnehmer über
einen längeren Zeitraum darüber im Unklaren lassen, ob er den Tatbestand der
Stilllegung zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nehmen will oder nicht.
Will der Arbeitgeber von einem außerordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch machen
und damit die vertraglich vereinbarten Kündigungsfristen abkürzen, so muss er sich
andererseits an den für die außerordentlichen Kündigung
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geltenden Sondervorschriften festhalten lassen. Eine Differenzierung danach, aus
welchen Gründen dem Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung verschlossen ist oder er
hierauf verzichten will und er deshalb den Weg der außerordentlichen Kündigung
beschreiten zu müssen glauben, kennt § 21 SchwbG nicht und ist für die Anwendbarkeit
dieser Vorschrift deshalb ohne Belang. Die vorliegende arbeitsrechtliche Lage kann
vom Arbeitgeber nicht gegen die eindeutigen, an arbeitsrechtliche Tatbestände
anknüpfenden Bestimmungen des SchwbG ins Feld geführt werden. Hiermit stünde es
auch nicht in Einklang, vom Arbeitgeber herbeigeführte Betriebsveränderungen oder
eine Stilllegung als einen Dauertatbestand aufzufassen, da ihm insoweit dann über
diese Figur des Dauertatbestandes doch wieder eine weit gehende
Dispositionsbefugnis über den Termin, zu dem er eine außerordentliche Kündigung
ausspricht, eingeräumt würde.
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Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 5. August 1996 - 7 S 483/95 -.
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Hat die Beigeladene hiernach den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen
Kündigung des Klägers nicht innerhalb der in § 21 Abs. 2 SchwbG vorgesehenen Frist
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gestellt, so konnte die begehrte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nicht
mehr rechtmäßig erteilt werden. Der angefochtene Widerspruchsbescheid war daher
aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, zumal
diese auch das Verfahren nicht durch eine eigene Stellungnahme gefördert hat (§ 162
Abs. 3 VwGO).
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Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
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