Urteil des VG Arnsberg vom 26.03.2009

VG Arnsberg: politische verfolgung, bundesamt für migration, genfer flüchtlingskonvention, neue beweismittel, armenien, anerkennung, echtheit, abschiebung, ausländerrecht, aserbaidschan

Verwaltungsgericht Arnsberg, 6 K 3283/08.A
Datum:
26.03.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 3283/08.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Tatbestand:
1
Die Kläger sind armenische Volkszugehörige mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Die
Klägerin zu 1. ist Mutter der Kläger zu 2. bis 4.
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Die Kläger reisten am 00. Juni 1998 aus der Russischen Föderation über die Republik
Polen auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 00. Juni
1998 einen Asylantrag. Zur Begründung trugen sie im Wesentlichen vor: Die Klägerin zu
1. habe bis 1991 mit ihrem teils armenisch-, teils aserbaidschanisch-stämmigen
Ehemann in C. gelebt, bis sie im ausbrechenden Nationalitätenkonflikt als Armenier von
der Bevölkerung diskriminiert worden seien. 1991/92 hätten sie dann im armenischen F.
gelebt; in Armenien lebten entfernte Verwandte der Klägerin zu 1. Zu der Zeit sei der
Kläger zu 2. geboren worden. In F. habe man ihnen und insbesondere dem teilweise
aserbaidschanisch-stämmigen Ehemann misstraut. Schließlich sei ihr Wohnhaus
abgebrannt, wobei alle Papiere vernichtet worden seien. Danach sei ihnen bedeutet
worden, dass sie in Armenien unerwünscht seien, worauf sie in das russische O.
geflohen seien, wo bereits eine Schwester der Klägerin zu 1. mit ihrem Ehemann gelebt
hätte. Dort habe man sie am 00. Mai 1994 als Flüchtlinge registriert. 1997 sei der Kläger
zu 3. geboren worden. Auch in der Russischen Föderation seien sie als Kaukasier
diskriminiert worden und hätten Probleme mit der Wohnung und der Arbeitssuche
gehabt. Deshalb seien sie nach Deutschland geflohen.
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Mit Bescheid vom 00. Juli 1998 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, im
Folgenden: Bundesamt) die Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte fest, dass
die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 des Ausländergesetzes - AuslG - und
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Gleichzeitig drohte es ihnen
unter Fristsetzung die Abschiebung in ihren Herkunftsstaat an.
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Die zunächst beim Verwaltungsgericht - VG - Minden erhobene Klage 8 K 2868/98.A
wurde vom VG Münster mit Urteil vom 18. Juli 2002 - 2 K 377/99.A - abgelehnt. In den
Gründen wird ausgeführt, nach der Begründung des angefochtenen Bescheides lasse
sich als Herkunftsstaat und damit Ziel der angedrohten Abschiebung Armenien
auslegen; dort wie auch in Aserbaidschan und in der Russischen Föderation drohe und
habe eine politische Verfolgung den Klägern jedoch nicht gedroht. Der Antrag auf
Zulassung der Berufung wurde vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen durch Beschluss vom 24. Juni 2003 - 11 A 3261/02.A - abgelehnt.
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Am 00. August 2007 stellte die Klägerin zu 1. für sich und die Kläger zu 2. und 3. einen
Folgeantrag. Mit der schriftlichen Begründung vom 00. August 2007 vertiefte sie im
Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Erstverfahren und legte Dokumente vor, die ihre
Fluchtgeschichte belegen sollen, u. a. einen russischen Flüchtlingsausweis für ihre
Familie. Mit Bescheid vom 00. September 2008 lehnte das Bundesamt die
Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sowie die Abänderung der Feststellungen
zu § 53 AuslG für die Kläger zu 1. bis 3. ab, da diese diesbezüglich weder relevante
neue Tatsachen vorgebracht noch relevante neue Beweise vorgelegt hätten.
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Am 00. Oktober 2008 haben die Kläger zu 1. bis 3. dagegen Klage erhoben. Sie
wiederholen zur Begründung im Wesentlichen den Vortrag aus dem
Verwaltungsverfahren und dem vorangegangenen Erstverfahren.
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Die Kläger beantragen,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge vom 00. September 2008 zu verpflichten, den Erstbescheid vom 00. Juli
1998 aufzuheben, soweit in ihm ihre Anerkennung als Asylberechtigte abgelehnt wurde
und Feststellungen zu § 51 Absatz 1 des Ausländergesetzes getroffen sind, sie als
Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Absatz 1
des Asylverfahrensgesetzes in Verbindung mit § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes
zuzuerkennen,
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hilfsweise
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festzustellen, dass in ihren Personen Abschiebungsverbote nach § 60 Absätze 2 bis 7
des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Armenien vorliegen.
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Die Beklagte beantragt - schriftsätzlich -,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die als Verpflichtungsklage nach § 42 Absatz 1 Fall 2 der Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO - statthafte Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid des
Bundesamtes vom 00. September 2008 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in
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ihren Rechten (vgl. § 113 Absatz 5 VwGO). Sie haben im maßgeblichen Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung, wie er sich aus § 77 Absatz 1 des Asylverfahrensgesetzes -
AsylVfG - ergibt, weder einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des rechtskräftig
abgeschlossenen Verfahrens beim Bundesamt nach Maßgabe von § 71 Absatz 1
AsylVfG in Verbindung mit § 51 Absätze 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes -
VwVfG -, noch nach § 51 Absatz 5 in Verbindung mit §§ 48, 49 VwVfG, da insbesondere
weder neue Tatsachen, noch neue Beweise zur Stützung eines Anspruchs nach Artikel
16a des Grundgesetzes - GG - oder nach § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes -
AufenthG - als Nachfolgenorm zu § 51 Absatz 1 des Ausländergesetzes - AuslG -
vorgebracht worden sind. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Absätze 2 bis 7
AufenthG bestehen in den Personen der Kläger nicht.
Hat das Bundesamt in einem vorausgegangenen Asylverfahren unanfechtbar einen
Asylantrag im Sinne von § 13 AsylVfG abgelehnt, besteht bei einem Folgeantrag nach §
71 Absatz 1 AsylVfG nur dann ein Anspruch auf erneute Entscheidung, wenn die
Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Absätze 1 bis 3
VwVfG vorliegen oder nach § 51 Absatz 5 in Verbindung mit §§ 48, 49 VwVfG das
Ermessen des Bundesamtes darauf reduziert ist, eine neue Entscheidung zu treffen.
Entsprechendes gilt für die Feststellung von Abschiebungsverboten im Folgeverfahren.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 -,
BVerwGE 111, 77 (81 f.).
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Das Bundesamt hat nicht rechtswidrig nach § 71 Absatz 1 AsylVfG in Verbindung mit §
51 VwVfG einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens abgelehnt, da die
Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Absätze 1 bis 3 VwVfG nicht
vorliegen. Die Voraussetzungen liegen nur vor, wenn sich die dem unanfechtbaren
Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- und Rechtslage nachträglich zu Gunsten des
Betroffenen geändert hat (§ 51 Absatz 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel eine dem
Betroffenen günstigere Entscheidung herbeiführen würden (Nr. 2) oder
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung - ZPO - gegeben
sind (Nr. 3). Der Betroffene ist gehalten, die Geeignetheit der in § 51 Absatz 1 Nr. 1 bis 3
VwVfG benannten Gründe für eine ihm günstigere Sachentscheidung unter Angabe der
neuen Tatsachen und Beweismittel (vgl. § 71 Absatz 3 AsylVfG) schlüssig darzulegen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 33.90 -, Buchholz 402.25 § 14 AsylVfG Nr.
10.
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Nach dieser Maßgabe tragen die Kläger weder relevante neue Tatsachen vor, noch
legen sie relevante neue Beweise vor.
21
Vom Vortrag im Folgeverfahren einschließlich des Klageverfahrens sind keine neuen
Tatsachen - das heißt, insbesondere relevante Vor- oder Nachfluchtgründe - umfasst.
Vielmehr bezieht sich der Vortrag auf angebliche Geschehnisse, die schon im
Erstverfahren vorgebracht wurden, und bestätigt ein bereits damals erkanntes
Vortragsverhalten der Kläger, das von Steigerungen geprägt ist und u. a. deswegen
schon im Erstverfahren die Beurteilung als unglaubhaft stützte. Soweit die Kläger in der
mündlichen Verhandlung bekräftigt haben, dass sie sich in der Russischen Föderation
mangels gesichertem Aufenthaltsstatus und nunmehr auch in Deutschland als nicht
anerkannte Asylbewerber sowie in beiden Ländern wegen der damit verbundenen
Lebensumstände verfolgt fühlten, sei darauf hingewiesen, dass der dem Asylgrundrecht
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und dem Flüchtlingsschutz inne wohnende Zufluchtgedanke kein generelles Recht auf
ein besseres Leben vermittelt. Auch der aktuelle Vortrag - einschließlich der darin
geäußerten Vermutungen - zu den Verhaltensweisen der Zivilbevölkerung in
Aserbaidschan, Armenien und der Russischen Föderation gegenüber den Klägern
besitzt keine asylrechtliche Relevanz, so dass es auf eine erneute Beurteilung seiner
Glaubhaftigkeit nicht ankommt.
Die vorgelegten Dokumente beziehen sich im Wesentlichen auf die Identität der Kläger
und ihren Aufenthalt in der Russischen Föderation. Soweit sie zum Inhalt haben, dass
den geltend gemachten Ansprüchen der Kläger von den russischen Behörden nicht in
vollem Umfang gefolgt wurde, ist daraus nicht bereits eine politische Verfolgung
ersichtlich, zumal die Kläger auch nicht vortragen, den laut Rechtsbehelfsbelehrung
eröffneten Rechtsschutz durch russische Gerichte in Anspruch genommen zu haben.
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Soweit nach dem vorgelegten Flüchtlingsausweis Nr. 000, dessen Echtheit nicht
abschließend feststeht, den Klägern als Ehefrau bzw. Kind des B. T. N. in Russland ein
Flüchtlingsstatus zuerkennt wurde, besitzt dieses Dokument für die Zuerkennung des
Flüchtlingsstatus nach § 3 Absatz 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Absatz 1 AufenthG
keine Relevanz. Nach § 60 Absatz 1 Satz 2 Fall 3 AufenthG gilt zwar auch für
Ausländer, die außerhalb des Bundesgebietes als ausländische Flüchtlinge nach dem
Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt wurden, der
Abschiebungsschutz nach § 60 Absatz 1 Satz 1 AufenthG. Hierbei handelt es sich aber
um eine für das ausländerrechtliche Verfahren konstitutive Entscheidung des
Gesetzgebers,
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vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage (2005), § 60 AufenthG, Rn. 22,
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für die nach § 60 Absatz 2 Satz 6 AufenthG eine gesonderte Zuerkennung des
Flüchtlingsstatus nach deutschem Recht durch das Bundesamt ausgeschlossen wird.
Selbst wenn der - vom Bundesamt auf seine Echtheit und seinen rechtlichen
Regelungsgehalt nicht abschließend untersuchte - russische Flüchtlingsausweis echt
sein und den Status nach der Genfer Flüchtlingskonvention vermitteln sollte, begründet
eine ausländische Flüchtlingsanerkennung keinen Feststellungsanspruch gegenüber
dem Bundesamt, die Flüchtlingseigenschaft nach deutschem Recht zuerkennt zu
erhalten. Vielmehr schließt er ein Feststellungsinteresse an der Zuerkennung des
Flüchtlingsstatus durch das Bundesamt aus.
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Vgl. Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht - Nds. OVG -, Urteil vom 7. Dezember
2005 - 11 LB 193/04, Informationsbrief Ausländerrecht - InfAuslR -, 2006, 58 (59 f.); und
zur entsprechenden Vorgängervorschrift des § 51 Absatz 2 Satz 1 AuslG: OVG NRW,
Beschluss vom 4. Februar 1999 - 21 A 4014/98 -, juris.
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Somit kann neben der Frage der Echtheit dahinstehen, ob das nach dem
Übersetzervermerk am 00. Oktober 1998 in die deutsche Sprache übertragene
russische Flüchtlingsdokument nicht schon in das Erstverfahren hätte eingeführt werden
können und deshalb im Folgeverfahren nach § 51 Absätze 2 und 3 VwVfG nicht mehr
berücksichtigt werden muss.
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Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO sind weder vorgetragen, noch sind welche
ersichtlich.
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Aus den vorgenannten Erwägungen hat das Bundesamt auch nicht ermessensfehlerhaft
einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Absatz 5 in Verbindung
mit §§ 48, 49 VwVfG abgelehnt.
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Die Voraussetzungen des § 60 Absätze 2 bis 7 AufenthG liegen in den Personen der
Kläger hinsichtlich Armenien ebenfalls nicht vor. Insofern folgt das Gericht den
zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid, wonach es
im Vortrag der Kläger keinen Anhaltspunkt für eine erneute Entscheidung über
Abschiebungsverbote - bzw. die nach altem Recht verneinten Abschiebungshindernisse
- gesehen und sich auch nicht ausdrücklich auf den vom Erstbescheid umfassten
Zielstaat der Abschiebung, also Armenien, beschränkt hat. Von einer weiteren
Erörterung der Sach- und Rechtslage wird nach § 77 Absatz 2 AsylVfG abgesehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Absatz 1, 159 VwGO und bezüglich der
Gerichtskostenfreiheit auf § 83b AsylVfG.
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