Urteil des VG Arnsberg vom 12.12.2006

VG Arnsberg: systematische auslegung, e contrario, vorauszahlung, brauchwasser, gutachter, grundwasser, wassermenge, umweltschutz, kolloquium, wasserversorgung

Verwaltungsgericht Arnsberg, 11 K 2693/05
Datum:
12.12.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 2693/05
Tenor:
Der Vorauszahlungsbescheid des Beklagten vom 11.05.2005 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2005 wird aufgehoben, soweit
darin eine Vorauszahlung auf ein Wasserentnahmeentgelt von mehr als
1.867,87 EUR festgesetzt worden ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin betreibt in M ein Unternehmen zur Herstellung von Ringen, Scheiben und
Blankstahl aus Edelstahl. Für die Produktion ihrer Erzeugnisse benötigt sie Kühl- und
Brauchwasser, das sie dem W und dem Grundwasser entnimmt.
2
In der „Wasserentnahmeentgelt - Folgeerklärung 2004" gab die Klägerin unter dem
15.02.2005 für das Kalenderjahr 2004 als gesamte Entnahmemenge 400.116 cbm an,
wobei 6.521 cbm auf Trink-/Brauchwasser etc., 14.565 cbm auf Kühlwasser und 67.857
cbm auf Kühlwasser (Durchlaufkühlung) entfallen seien. Eine entnommene
Wassermenge von 311.173 cbm sei als entgeltfreie Nutzung anzusehen, weil es sich
hierbei um „vorübergehende Grundwasserabsenkungen zum Zweck der Errichtung
baulicher Anlagen, sowie dauerhafte Grundwasserabsenkungen im
Gemeinwohlinteresse" gehandelt habe.
3
Mit Vorauszahlungsbescheid vom 11.05.2005 setzte der Beklagte gegenüber der
Klägerin für das Veranlagungsjahr 2005 eine Vorauszahlung auf die Entnahme von
Wasser in Höhe von 10.269,16 EUR fest. Bei der Berechnung des
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Wasserentnahmeentgelts wertete der Beklagte eine Entnahmemenge von 6.521 cbm
als Trinkwasser-/Brauchwasser etc., eine Entnahmemenge von 325.738 cbm als
Kühlwassernutzung und eine Entnahmemenge von 67.857 cbm als Kühlwassernutzung
(Durchlaufkühlung).
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass nur
14.565 cbm als Kühlwasser verwendet worden seien. Die Differenz von 311.173 cbm
habe der Grundwasserhaltung gedient und sei als entgeltfreie Nutzung anzusehen.
5
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2005 setzte der Beklagte unter Abänderung
seines Vorauszahlungsbescheides vom 11.05.2005 die Vorauszahlung auf das
Wasserentnahmeentgelt für das Veranlagungsjahr 2005 auf 16.607,96 EUR fest. Zur
Begründung seiner Entscheidung führte er aus, ein Wasserentnahmeentgelt werde
gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 8 2. Alt. des Wasserentnahmeentgeltgesetzes für das Land
Nordrhein-Westfalen - WasEG - nicht erhoben für Entnahmen, die ausschließlich der
dauerhaften Grundwasserabsenkung im Gemeinwohlinteresse dienten. Die von der
Klägerin durchgeführte Grundwasserabsenkung habe allein dem Schutz der Gebäude
auf dem Betriebsgelände gedient. Die Absenkung sei von daher im privaten Interesse
und nicht im Interesse des Gemeinwohls erfolgt. Die aus dem Brunnen zum Zwecke der
Grundwasserabsenkung entnommene Wassermenge von 366.848 cbm sei daher nicht
entgeltfrei und als Trink-/Brauchwasser zu veranlagen. Das Wasserentnahmeentgelt
erhöhe sich dementsprechend auf 16.607,96 EUR.
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Am 23.11.2005 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Sie trägt im
Wesentlichen vor, der Tatbestand des § 1 Abs. 1 WasEG sei in Bezug auf eine
entnommene Grundwassermenge von 311.173 cbm nicht erfüllt. Im Gegensatz zu
entsprechenden Regelungen in anderen Bundesländern verlange diese Vorschrift, dass
das entnommene Wasser einer Nutzung zugeführt werde. Mit Blick auf den
wasserrechtlichen Benutzungstatbestand in § 3 Abs. 1 des Wasserhaushaltsgesetzes -
WHG - sei dem Entgelttatbestand ein objektiv zu beurteilender Handlungszweck
immanent. Die Entgeltpflicht verlange über den bereits mit der bloßen Wasserentnahme
verbundenen Zweck hinaus das Hinzutreten einer zusätzlichen ziel- und
zweckgerichteten Nutzung. Eine derartige Nutzung könne in einer
Grundwasserabsenkung nicht gesehen werden. Die Auffassung des Beklagten, dass
eine Entgeltpflicht bereits dann zu bejahen sei, wenn durch das entnommene, aber nicht
genutzte Wasser eine bestimmte Tätigkeit erst ermöglicht werde, sei weder mit dem
Wortlaut der Vorschrift noch mit der Gesetzesbegründung vereinbar. Durch die
Entnahme des Grundwassers erwachse ihr auch kein abschöpfbarer Sondervorteil, weil
dieses Wasser nicht in den Produktionsprozess gelange und es somit an einer ziel- und
zweckgerichteten Nutzung des entnommenen Wassers fehle. Ein Vertreter des
Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des
Landes Nordrhein- Westfalen habe ihre Auffassung bei einem wasserrechtlichen
Kolloquium in Hagen am 28.03.2006 bestätigt. Da bereits der Entgelttatbestand nicht
erfüllt sei, komme es nicht mehr darauf an, ob die Voraussetzungen des
Befreiungstatbestandes in § 1 Abs. 2 Nr. 8 WasEG gegeben seien. Die
Befreiungstatbestände in § 1 Abs. 2 WasEG ließen im Übrigen Rückschlüsse auf eine
grundsätzliche Entgeltpflicht der von ihnen erfassten Tätigkeiten nicht zu. So sei die
Regelung in § 1 Abs. 2 Ziff. 9 WasEG auf das Betreiben von Interessenverbänden
aufgenommen worden, um eine Entgeltfreiheit von Grundwasserabsenkungen
ausdrücklich festzuschreiben. Die in der „Folgeerklärung 2004" angegebene
Kühlwassermenge von 49.154 cbm sei nicht als Durchlaufkühlwasser zu bewerten, so
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dass insoweit der höhere Entgeltsatz für Kühlwasser von 0,03 EUR/cbm in Ansatz zu
bringen sei und sich der Vorauszahlungsbescheid in einer Höhe von 1.867,87 EUR als
rechtmäßig erweise.
Die Klägerin beantragt,
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den Vorauszahlungsbescheid des Beklagten vom 11.05.2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 21.10.2005 aufzuheben, soweit darin eine
Vorauszahlung auf ein Wasserentnahmeentgelt von mehr als 1.867,87 EUR festgesetzt
worden ist.
9
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
11
Zur Begründung seines Antrages trägt er im Wesentlichen vor, als Nutzung i.S.d. § 1
Abs. 1 WasEG sei nicht nur eine unmittelbare Nutzung anzusehen. Für das Entstehen
der Entgeltpflicht sei es ausreichend, wenn die Wasserentnahme zu einem bestimmten
Zweck erfolge bzw. eine bestimmte Tätigkeit erst ermögliche. Eine Wasserentnahme
könne nur dann als entgeltfrei angesehen werden, wenn die betreffende Fallgruppe
ausdrücklich in den Befreiungstatbeständen des § 1 Abs. 2 WasEG genannt sei. Diese
Sichtweise des Regel-/Ausnahmeprinzips stehe im Einklang mit dem
gesetzgeberischem Motiv, nämlich den mit der Wasserentnahme verbundenen Vorteil
abzuschöpfen. Durch die Entnahme des Grundwassers sei es der Klägerin möglich,
ihren Betrieb fortzuführen, da andernfalls eine Beschädigung ihrer Betriebsgebäude
drohe. Das entnommene Wasser werde somit einer Nutzung zugeführt. Die Definition
des Benutzungsbegriffs in § 3 WHG führe zu keinem anderen Ergebnis. Danach müsse
die Entnahme für den erwünschten Zweck förderlich sein, er müsse ihr jedoch nicht
innewohnen. Im vorliegenden Fall werde nur durch das Abpumpen und Wegleiten des
Grundwassers der außerhalb des Gewässers liegende Zweck, nämlich die Fortführung
des Betriebes der Klägerin, ermöglicht. Soweit die Klägerin auf ein wasserrechtliches
Kolloquium mit einem Vertreter des zuständigen Ministeriums Bezug nehme, werde
darauf hingewiesen, dass bei dieser Veranstaltung nur allgemeine Fragen des
Wasserentnahmeentgelts behandelt worden seien. Die hier in Rede stehende
Problematik sei nicht zur Sprache gekommen. Da die Grundwasserabsenkung im
persönlichen Interesse der Klägerin erfolgt sei, könne sie sich nicht auf den
Befreiungstatbestand in § 1 Abs. 2 Nr. 8 2. Alt. WasEG berufen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist zulässig und begründet.
15
Der Vorauszahlungsbescheid des Beklagten vom 11.05.2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 21.10.2005 ist - soweit angefochten - rechtswidrig und
verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
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Gemäß § 1 Abs. 1 des Wasserentnahmeentgeltgesetzes des Landes Nordrhein-
Westfalen - WasEG - vom 27.01.2004, GV NRW S. 30, erhebt das Land für das
Entnehmen, Zutagefördern, Zutageleiten und Ableiten von Grundwasser (Ziffer 1) sowie
das Entnehmen und Ableiten von Wasser aus oberirdischen Gewässern (Ziffer 2) ein
Wasserentnahmeentgelt, sofern das entnommene Wasser einer Nutzung zugeführt wird.
Nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 WasEG wird das Entgelt nicht erhoben für
vorübergehende Grundwasserabsenkungen zum Zwecke der Errichtung baulicher
Anlagen sowie dauerhafte Grundwasserabsenkungen im Gemeinwohlinteresse (Ziffer
8) und Entnahmen von Grundwasser bei der Gewinnung von Bodenschätzen, sofern
das entnommene Wasser unmittelbar in ein Gewässer eingeleitet und nicht anderweitig
genutzt wird (Ziffer 9). Gemäß § 2 Abs. 1 WasEG bemisst sich das
Wasserentnahmeentgelt nach der vom Entgeltpflichtigen entnommenen Wassermenge.
Nach Absatz 2 dieser Vorschrift beträgt das Wasserentnahmeentgelt 0,045 EUR/cbm
(Satz 1); für Entnahmen zum Zwecke der Kühlwassernutzung beträgt es 0,03 EUR/cbm.
In Abweichung hiervon beträgt es für Entnahmen, die ausschließlich der
Kühlwassernutzung dienen, bei denen das Wasser dem Gewässer wieder unmittelbar
wieder zugeführt wird (Durchlaufkühlung), 0,003 EUR/cbm (Satz 3). Die Regelung in § 6
Abs. 1 WasEG bestimmt schließlich, dass für die jeweiligen Veranlagungszeiträume
Vorauszahlungen zu entrichten sind.
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 WasEG für die Erhebung einer
Vorauszahlung auf ein Wasserentnahmeentgelt sind hinsichtlich einer entnommenen
Grundwassermenge von 311.173 cbm nicht erfüllt. Denn bei einer Wasserentnahme, die
- wie hier - ausschließlich zum Zwecke der Grundwasserabsenkung erfolgt, fehlt es an
der für den Entgelttatbestand erforderlichen Nutzung des entnommenen Wassers. Dies
folgt unmittelbar aus dem Wortlaut der in § 1 Abs. 1 WasEG getroffenen Regelung (1).
Hiergegen spricht auch nicht der systematische Zusammenhang des
Entgelttatbestandes in § 1 Abs. 1 WasEG und der Befreiungsvorschriften in § 1 Abs. 2
Ziffern 8 und 9 WasEG. Soweit dieser eine Einbeziehung von
Grundwasserabsenkungen in den Entgelttatbestand zu gebieten scheint, entstehen
nämlich neue Systemwidrigkeiten im Bereich der in § 2 Abs. 2 WasEG geregelten
Entgeltsätze (2). Abgesehen hiervon wäre eine entsprechend erweiterte Auslegung des
Entgelttatbestandes auch nicht mit dem aus der Entstehungsgeschichte des
Wasserentnahmeentgeltgesetzes abzuleitenden Willen des Gesetzgebers zu
vereinbaren (3).
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1. Der Wortlaut des Entgelttatbestandes in § 1 Abs. 1 WasEG in Bezug auf das hier
allein interessierende Tatbestandsmerkmal der Nutzung („..., sofern das entnommene
Wasser einer Nutzung zugeführt wird."), legt zunächst nahe, dass der Vorgang der
„Wassergewinnung" (Entnehmen, Zutagefördern etc.) dem der Nutzung zeitlich
vorangehen muss, weil die Norm an das „entnommene" Wasser anknüpft - also an das
nach dem Gewinnungsvorgang vorhandene Wasser -, welches alsdann einer Nutzung
„zugeführt" werden soll. Indessen mag hierfür eine „juristische Sekunde" ausreichen, so
dass Gewinnungs- und Nutzungsvorgang faktisch auch zusammenfallen können. Jenes
hier fragliche Merkmal des Entgelttatbestandes setzt indessen weiterhin voraus, dass
das Wasser (nach oder mit seiner Entnahme) genutzt („einer Nutzung zugeführt") wird.
Diese Formulierung kann nur so verstanden werden, dass das Wasser als solches
Gegenstand beziehungsweise Mittel einer weiteren Nutzung sein muss, etwa als Trink-,
Brauch- oder auch Kühlwasser. Der Zweck der Wassergewinnung muss folglich in der
Nutzung des Wassers bestehen. Demgegenüber erfasst diese Formulierung in § 1 Abs.
1 WasEG nicht den - hier vorliegenden - Fall, dass einziger Zweck der Wasserentnahme
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jener Vorgang als solcher ist. Denn dann würde nicht - wie dem Wortlaut jener Vorschrift
nach vorausgesetzt - „das entnommene Wasser einer Nutzung zugeführt", die
Wasserentnahme selbst wäre die Nutzung.
Eine Wasserentnahme, die ausschließlich zur Grundwasserabsenkung erfolgt,
entspricht dem in § 1 Abs. 1 WasEG geregelten Entgelttatbestand hiernach nicht.
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So ausdrücklich auch Posser/Willbrandt, Das neue Wasserentnahmeentgeltgesetz
NRW, Nordrhein-Westfälisches Verwaltungsblätter (NWVBl) 2005, 410, 412.
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2. Diesem Befund widerspricht allerdings eine an der Gesamtheit der Bestimmungen in
§ 1 WasEG orientierte systematische Auslegung. Denn bei einem derartigen
Verständnis würden die eingangs zitierten Befreiungstatbestände in § 1 Abs. 2 Ziff. 8
und 9 WasEG offensichtlich „leerlaufen", indem es in den dort geregelten Fällen von
Grundwasserabsenkungen jeweils bereits an dem Entgelttatbestand fehlte. Hieraus
folgte im Umkehrschluss („argumentum e contrario"), dass Grundwasserabsenkungen -
jenseits des Wortlauts des Entgelttatbestandes in § 1 Abs. 1 WasEG - dem Grundsatz
nach entgeltpflichtig sein müssten.
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Indessen ergäbe sich bei dieser Betrachtungsweise an anderer Stelle des Gesetzes,
nämlich bei der Festsetzung der Entgeltsätze in § 2 Abs. 2 WassEG, eine planwidrige
Regelungslücke. Die dort vorgenommene Differenzierung - der ursprüngliche
Gesetzentwurf der Landesregierung sah noch einen generellen Entgeltsatz von 0,05
EUR/cbm sowie für der Kühlwassernutzung und dem Zwecke der Berieselung und
Beregnung landwirtschaftlicher Flächen dienende Entnahmen einen verminderten Satz
von 0,01 EUR/cbm vor (Landtagsdrucksache - LT-Drs. 13/4528 S. 17) - wurde von der
Landesregierung wie folgt begründet (aaO. S. 30):
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„Die Höhe des Entnahmeentgelts beträgt für Entnahmen zum Zwecke der öffentlichen
Wasserversorgung sowie zum Zwecke der Produktion und sonstiger betrieblicher
Nutzungen 0,05 Euro pro Kubikmeter. Für Entnahmen, die der Kühlwassernutzung
sowie der landwirtschaftlichen Berieselung und Beregnung dienen, beträgt der Satz
0,01 Euro pro Kubikmeter. Das hat seine Begründung darin, dass das zu diesen
Zwecken entnommene Wasser dem Naturhaushalt wieder zugeführt wird. Die
Differenzierungen resultieren auch aus dem Prinzip der Vorteilsabschöpfung."
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Im weiteren Gesetzgebungsgang akzeptierte der Landtag diese Argumentation und
machte sie zur Grundlage seiner Gesetzgebung. Er veränderte auf Grund eines
Fraktionsantrags allerdings die jeweiligen Entgeltsätze, befreite das für die
Berieselung/Beregnung landwirtschaftlicher Flächen entnommene Wasser vollständig
von der Entgeltpflicht (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 10 WasEG) und führte einen zusätzlichen,
weiter verminderten Entgeltsatz für Entnahmen zum Zwecke der „Durchlaufkühlung" ein.
An der grundsätzlichen Differenzierung zwischen „verbrauchtem" Wasser und dem
Naturhaushalt wieder zugeführtem Kühlwasser hielt der Gesetzgeber indessen fest.
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Nachdem jedoch Wassermengen, welche ausschließlich zum Zwecke der
Grundwasserabsenkung abgepumpt werden, um sie - wie hier - alsbald an anderer
Stelle erneut in den Wasserkreislauf einzubringen, letztlich in gleicher Weise wie
Kühlwasser dem Naturhaushalt wieder zugeführt werden, hätte es angesichts der
dargestellten gesetzgeberischen Intention auch hierfür einer Differenzierung beim
Entgeltsatz bedurft. Dabei wäre möglicherweise zusätzlich noch zu erwägen gewesen,
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dass jenes Wasser - anders etwa als Kühlwasser - nicht einmal in seiner physikalischen
Beschaffenheit verändert wird. Nachdem es an einer entsprechenden Differenzierung
fehlt, wäre die Regelung der Entgeltsätze in § 2 Abs. 2 WasEG insoweit lückenhaft.
Insofern beseitigte eine an systematischen Erwägungen orientierte Erweiterung des
Entgelttatbestandes in § 1 Abs. 1 WasEG auf Grundwasserabsenkungen zwar einen
ansonsten bestehenden Widerspruch zu den Befreiungstatbeständen in § 1 Abs. 2
Ziffern 8 und 9 WasEG. Gleichzeitig täte sich indessen eine systemwidrige
Regelungslücke im Bereich der in § 2 Abs. 2 WasEG geregelten Entgeltsätze auf.
Vermag eine sich allein an den Bestimmungen in § 1 WasEG orientierende
systematische Auslegung des Entgelttatbestandes ein in sich widerspruchsfreies
Normverständnis nicht sicherzustellen, so kann diese Auslegungsform maßgebliche
Geltung im vorliegenden Fall nicht beanspruchen.
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3. Es kommt hinzu, dass gegen eine entsprechende erweiternde Auslegung des
Entgelttatbestandes auch die Entstehungsgeschichte des
Wasserentnahmeentgeltgesetzes spricht. Dem Gesetzesentwurf der Landesregierung
lag ein wissenschaftliches Gutachten des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts
an der Universität Köln von Juni 2003 zugrunde („Ausgestaltungsoptionen für ein
Wasserentnahmeentgelt in Nordrhein-Westfalen"). In diesem Gutachten sind die
rechtlichen Voraussetzungen für die neu einzuführende Sonderabgabe dargestellt
sowie die sich aus dieser Abgabe voraussichtlich ergebenden zusätzlichen
Belastungen von Wirtschaft und Verbrauchern; daran schließen sich Vorschläge für die
Ausgestaltung des zu schaffenden Gesetzes an (S. 27f. des „Kurzberichts" der
Gutachter). Diese Vorschläge sind von der Landesregierung weitgehend übernommen
worden; die Wirkungsanalyse der Gutachter (S. 35 des „Kurzberichts") hat die
Landesregierung ihrem Gesetzentwurf - bis hin zu den daraus entwickelten
Entgeltsätzen - zu Grunde gelegt (vgl. LT-Drs 13/4528 S. 3). Bei alledem geht das
Gutachten davon aus, dass ungenutzt dem Wasserhaushalt (wieder) zugeführte
Wassermengen in keinem Fall entgeltwirksam werden sollten. Insoweit heißt es dort (S.
26 des „Kurzberichts"):
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„Vor diesem Hintergrund gilt es im Hinblick auf den Zweck der Erhebung eines
Wasserentnahmeentgeltes und angesichts der nordrhein-westfälischen Lenkungs- bzw.
Nachhaltigkeitsperspektive durch entsprechende gesetzliche Abgrenzungen und
Formulierungen klarzustellen, dass ungenutzt abgeleitetes Wasser, das den Gewässern
wieder zufließt, nicht als Abgabetatbestand in Betracht kommt. (Fettdruck d. Gericht)
Diese Klarstellung betrifft insbesondere das sogen. Sümpfungswasser aus dem
Bergbau. Es handelt sich dabei um eine Art Kuppelprodukt; eine
Entnahmeentscheidung zur Wasserversorgung oder -nutzung liegt hier nicht zugrunde.
Soweit es nicht be- oder genutzt wird, macht es keinen Sinn, dieses Wasser einem
preislichen Lenkungsimpuls auszusetzen, der sich am Nutzen orientiert. Gegenstand
der Abgabe kann somit nur Wasser sein, dessen Entnahme mit einer Folgenutzung
verbunden ist. Sümpfungswässer werden insoweit erst dann Abgabetatbestand bzw.
abgabepflichtig, wenn sie einem Nutzungszweck zugeführt werden (Kühlwässer,
Trinkwasser etc.)."
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Und unter dem Abschnitt „Wirkungshypothesen" heißt es in dem Gutachten weiter (S. 29
des „Kurzberichts"):
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„Die Wirkungen eines neu eingeführten Wasserentnahmeentgeltes sind vor allem von
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der Art der Ausgestaltung abhängig, vor allem von den Befreiungen und von der Höhe
des Abgabesatzes. Im Folgenden wird zunächst einmal davon ausgegangen, dass ein
Wasserentnahmeentgelt erhoben wird, das für sämtliche abgabepflichtigen Entnahmen -
mit Ausnahme der Kühlwassernutzung sowie der Verwendung für landwirtschaftliche
Beregnung und Berieselung - 0,05 EUR pro Kubikmeter beträgt. Entnahmen für
Kühlwassernutzung und zur Beregnung und Berieselung werden mit 0,01 EUR pro
Kubikmeter belastet. Die Sümpfungswässer des Bergbaus bleiben unbelastet, soweit
sie ohne Nutzung abgeleitet werden; dies gilt auch für das übrige ungenutzt von
Unternehmen abgeleitete Wasser. (Fettdruck d. Gericht)"
Dem entspricht schließlich, dass die Gutachter anregten, in den Entgelttatbestand die
Klarstellung aufzunehmen, dass die Abgabe (nur) erhoben wird, sofern das
entnommene Wasser genutzt wird (S. 27 des „Kurzberichts"). Aus alledem wird
hinreichend deutlich, dass nach der Vorstellung der Gutachter ausschließlich die
Nutzung des entnommenen Wassers tatbestandsmäßig sein sollte, und nicht die
nützliche Wasserentnahme als solche.
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Dieser Vorstellung sind Landesregierung und Landtag mit der in das Gesetz
aufgenommen Formulierung des Entgelttatbestandes in § 1 Abs. 1 WasEG gefolgt.
Dementsprechend heißt es in der Gesetzesbegründung hierzu lapidar (LT-Drs. 13/4528
S. 30):
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„Entnommenes Wasser, das keiner Nutzung zugeführt wird, ist nicht entgeltpflichtig."
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Angesichts dieses Befundes ist nicht nachvollziehbar, warum es die Landesregierung
im weiteren für geboten hielt, sich in der Gesetzesbegründung im Zusammenhang mit
dem Ausnahmetatbestand in § 1 Abs. 2 Ziffer 1 WasEG („Das Entgelt wird nicht erhoben
für behördlich angeordnete Benutzungen") nunmehr auch zu den „Sümpfungswässern"
wie folgt zu äußern (aaO. S. 30):
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„Absatz 2 legt die Ausnahmen von der Entgeltpflicht fest. Dies sind zunächst behördlich
angeordnete Entnahmen. Diese sind ausgenommen, da der Vorteil vorrangig dem
Allgemeinwohl dient. Dies gilt auch für Sümpfungswässer, die auf Grund behördlicher
Auflagen dem Wasserhaushalt an anderer Stelle wieder zugeführt werden."
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Es kommt hinzu, dass diese Formulierung auch inhaltlich nicht recht verständlich ist,
weil sich nicht erschließt, welcher Zusammenhang bestehen soll zwischen einer
behördlich angeordneten Benutzung und der behördlichen Auflage, Sümpfungswässer
dem Wasserhaushalt wieder zuzuführen. Jedenfalls gab sie allem Anschein nach den
eigentlichen Anlass zur Schaffung der Befreiungstatbestände in § 1 Abs. 2 Ziffern 8 und
9 WasEG. In dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Landesregierung vom 03.11.2003
waren jene Befreiungstatbestände nicht enthalten. Im Rahmen der nachfolgenden
Anhörungen wurde von einem Interessenverband - dem Arbeitskreis Steine und Erden
Nordrhein-Westfalen - die Befürchtung geäußert, dass produktionsbedingte
Maßnahmen zur Grundwasserabsenkung - also Sümpfungsmaßnahmen - entgegen
einer gesetzgeberischen Intention Anlass zur Erhebung eines Wasserentnahmeentgelts
sein könnten. Dies wurde mit der Forderung verbunden, die gesetzgeberische Intention
durch die Aufnahme eines entsprechenden Befreiungstatbestandes „klarzustellen" (vgl.
Gemeinsame Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses und des Ausschusses für
Umweltschutz und Raumordnung vom 18.12.2003, Ausschussprotokoll 13/1077 S. 23).
Offenbar in Reaktion auf diesen Einwand legte eine Fraktion in der nachfolgenden
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Sitzung des Ausschusses für Umweltschutz und Raumordnung am 14.01.2004 einen
später entsprechend beschlossenen Änderungsantrag vor, der - neben anderem - die
als Ziffern 8 und 9 in § 1 Abs. 2 WasEG aufgenommenen Befreiungstatbestände
enthielt. In der Begründung des Änderungsantrags verwies jene Fraktion darauf, dass
es sich bei den vorgeschlagenen „Ausnahmen" um „Klarstellungen" handle.
Es ergibt sich nach alledem, dass eine an sich eindeutige - und in dieser Eindeutigkeit
vom Gesetzgeber wohl auch gewollte - Regelung des Entgelttatbestandes durch
nachträgliche Zusätze „verunklart" worden ist. Der Versuch, diese „Verunklarung" im
Wege einer systematischen Auslegung durch eine Umdeutung des Entgelttatbestandes
in § 1 Abs. 1 WasEG zu beseitigen, indem er auf Grundwasserabsenkungen ohne
weitere Nutzungen erstreckt wird, führte letztlich dazu, diesen Entgelttatbestand in sein
Gegenteil zu verkehren. Bei dieser Sachlage erscheint es gerechtfertigt, unter
Hintanstellung systematischer Bedenken am Wortlaut des Entgelttatbestandes
festzuhalten und dementsprechend - wortgetreu - die Entgeltpflicht daran zu knüpfen,
dass das entnommene Wasser einer Nutzung zugeführt wird. Dass angesichts dessen
den Befreiungstatbeständen in § 1 Abs. 2 Ziffern 8 und 9 WasEG eine weitere
Bedeutung nicht zukommt, muss hingenommen werden.
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Da die dem Grundwasser entnommene Wassermenge von 311.173 cbm nach alledem
nicht der Wasserentgeltpflicht unterliegt und die Beteiligten im Termin zur mündlichen
Verhandlung über die jeweilige Verwendung der entnommenen Grundwassermenge im
Betrieb der Klägerin Einvernehmen erzielt haben, berechnet sich die von der Klägerin
zu entrichtende Vorauszahlung auf das Wasserentnahmeentgelt für das
Veranlagungsjahr 2005 wie folgt:
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Menge cbm Entgeltsatz EUR/cbm Entgelt EUR Trink-/Brauchwasser etc. 6.521 0,045
293,45 Durchlaufkühlung 33.268 0,003 99,80 Kühlwassernutzung 49.154 0,03 1.474,62
Gesamt 1.867,87
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Soweit der angefochtene Vorauszahlungsbescheid rechtswidrig ist, wird die Klägerin
hierdurch in ihren Rechten verletzt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der
Zivilprozessordnung - ZPO -.
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Die Berufung war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
124a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO)
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