Urteil des VG Arnsberg vom 25.01.2005

VG Arnsberg: stadt, bebauungsplan, gemeinde, nutzungsänderung, wesentliche veränderung, historische auslegung, gartencenter, begriff, computer, versorgung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 4 K 572/04
25.01.2005
Verwaltungsgericht Arnsberg
4. Kammer
Urteil
4 K 572/04
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die teilweise
Nutzungsänderung eines Möbelmitnahmemarktes in einen Elektrofachmarkt auf dem in
Witten gelegenen Grundstück E. Straße 19 (G1), hilfsweise die Feststellung, dass die
Versagung der Baugenehmigung rechtswidrig gewesen ist.
Das Baugrundstück liegt innerhalb des Geltungsbereichs des 1994 als Satzung
beschlossenen und am 8. März 1997 in Kraft getretenen Bebauungsplans Nr. 175 der Stadt
Witten , der sich räumlich auf ein ca. 6,3 ha großes Areal der ehemaligen N nordöstlich der
Innenstadt erstreckt. Nach dem Willen des Rates sollte mit dieser Planung eine ehemalige
Industriebrache nutzbar gemacht und der Klägerin die Möglichkeit der Verlagerung eines
ihrer Möbelmärkte an diesen Standort gewährt werden. Entsprechend erteilte die Beklagte
der Klägerin noch vor Inkrafttreten der bauplanerischen Festsetzungen im März 1996 eine
Baugenehmigung für einen Möbelmitnahmemarkt gemäß § 33 des Baugesetzbuches
(BauGB). Der Bebauungsplan setzt im wesentlichen zwei Sondergebiete für großflächige
Einzelhandelsbetriebe fest, in denen neben Möbelmärkten mit einer max. Verkaufsfläche
von 5.500 qm und Bau- und Heimwerkermärkten mit Gartencenter mit einer max.
Verkaufsfläche von 10.000 qm auch Fachmärkte mit insgesamt max. 3.000 qm
Verkaufsfläche für nicht citytypische Sortimente allgemein zulässig sind.
Mit Bauantrag vom 20. Dezember 1999 begehrte die Klägerin bei der Beklagten die
Erteilung einer Baugenehmigung für die teilweise Nutzungsänderung des 1996
genehmigten Möbelmitnahmemarktes in einen Elektrofachmarkt mit 2.256,41 qm Verkaufs-
und 502,74 qm Lagerfläche auf dem Baugrundstück. Die beigefügte Sortimentenliste
enthält neben Elektrogroß- und -kleingeräten, Rundfunk-, Hifi-, Computergeräten,
Fernseher, Viceocameras und -filmen auch Möbel, Telekommunikationsgeräte, Zubehör,
Fanartikel, Poster, etc.
Nach voraus gegangener Anhörung lehnte die Beklagte den Bauantrag der Klägerin mit
Bescheid vom 3. Januar 2002 ab, weil die Nutzungsänderung gegen die Festsetzungen
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des Bebauungsplans Nr. 175 verstoße. Bei dem vorgesehenen Sortiment des
Elektrofachmarktes handele es sich um ein citytypisches Warenangebot.
Gegen die Versagung der Baugenehmigung legte die Klägerin mit Schreiben vom 23.
Januar 2002 Widerspruch ein und machte zur Begründung geltend, dass der Begriff des
citytypischen Sortiments" unbestimmt sei. Die im Bebauungsplan enthaltene Festsetzung
Fachmärkte für nicht citytypische Sortimente" sei im Wege der berichtigenden Auslegung
so zu verstehen, dass nach dem Willen des Plangebers Fachmärkte mit max. 3000 qm
Verkaufsfläche und solchen Sortimenten zugelassen werden sollten, die nach den
konkreten Verhältnissen im Bereich der Stadt Witten keine negativen Auswirkungen auf die
innerstädtische Versorgung hätten. Zu diesen Sortimenten gehöre auch das Warenangebot
des beantragten Elektrofachmarktes. Bei den Gesprächen im Laufe des
Aufstellungsverfahrens sei eine Ansiedlung im Bereich der Unterhaltungselektronik,
Computer, elektrische Haushaltsgeräte etc. vom Wittener Einzelhandel und der
Bezirksregierung begrüßt worden und habe Eingang in einen Entwurfsplan gefunden. Auch
die Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung GmbH (GMA) sehe in ihrem Struktur- und
Entwicklungsgutachten für die Stadt Witten einen Ergänzungsbedarf in der Warengruppe
Elektronik.
Den Widerspruch der Klägerin wies der Landrat des Ennepe-Ruhr-Kreises mit
Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2004 unter Hinweis auf die planungsrechtliche
Unzulässigkeit des Bauvorhabens wegen des Verstoßes gegen die Festsetzungen im
Bebauungsplan Nr. 175 zurück. Der Einzelhandelserlass NRW vom 7. Mai 1996 definiere
die Sortimentgruppe ​Unterhaltungselektronik/Computer, Elektrohaushaltswaren" als
zentrenrelevant, weshalb von einem ​citytypischen Sortiment" auszugehen sei. Das GMA-
Gutachten empfehle, die Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit
zentrumstypischen Waren an nicht integrierten Standorten zu verhindern. Das
Baugrundstück liege in einem solchen Bereich. Dem in der Widerspruchsbegründung
angeführten Ergänzungsbedarf in der Warengruppe Elektrowaren sei inzwischen durch die
Ansiedlung eines Elektrokaufhauses in der Innenstadt nachgekommen worden, so dass die
tatsächlichen Verhältnisse sich verändert hätten. Die Verkaufsfläche des geplanten
Elektrofachmarktes überschreite zudem mit den Verkaufsflächen der bereits vorhandenen
Fachmärkte (Getränkemarkt und Tierfuttermarkt) von je 574 qm die im Bebauungsplan
festgesetzte Obergrenze von max. 3.000 qm.
Am 19. Februar 2004 hat die Klägerin Klage erhoben und ergänzend geltend gemacht,
dass bereits in der Beschlussvorlage zum Aufstellungsbeschluss des Rats der Stadt Witten
vom 26. September 1994 als Ziel die Schaffung planungsrechtlicher Voraussetzungen für
einen Möbelmitnahmemarkt, einen Baumarkt mit Gartencenter sowie einen Fachmarkt für
Unterhaltungselektronik, Büroartikel und Computer genannt sei. Die Beigeladene habe im
August 1995 die landesplanerische Abgestimmtheit nach § 20 Landesplanungsgesetz
bestätigt. Im Bebauungsplan finde sich nur deshalb keine entsprechende Festsetzung, weil
man keinen Betreiber für den Elektrofachmarkt gefunden habe. Der letztlich in Kraft
getretene Plan entspreche auch nicht dem öffentlich ausgelegten Plan, da darauf noch
nicht der Zusatz ​für nicht citytypische Sortimente" enthalten gewesen sei. Sofern der
Bebauungsplan unwirksam sei, müsse im Rahmen der dann vorzunehmenden Beurteilung
anhand von § 34 BauGB berücksichtigt werden, dass das in einem Elektrofachmarkt
dargebotene Sortiment typischerweise nicht zu den Sortimenten zähle, die zur
wohnungsnahen Versorgung der Bevölkerung notwendig seien.
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 3. Januar 2002 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landrates des Ennepe-Ruhr-Kreises vom 4.
Februar 2004 zu verpflichten, ihren Bauantrag vom 20. Dezember 1999 zu genehmigen,
hilfsweise, a) die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des ablehnenden Bescheides
vom 3. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landrates des
Ennepe-Ruhr-Kreises vom 4. Februar 2004 zu verpflichten, auf den Bauantrag vom 20.
Dezember 1999 einen entsprechenden planungsrechtlichen Bauvorbescheid zu erteilen,
hilfsweise - ausdrücklich -, b) festzustellen, dass der o.g. Bauantrag vom 20. Dezember
1999 bis zum 1. Juli 2004 positiv hätte beschieden werden müssen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich im wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen
Entscheidungen. Die Festsetzung im Bebauungsplan über Fachmärkte für ​nicht
citytypische Sortimente" sei unter Berücksichtigung der Anlage 2 zur
Beschlussausfertigung des Rates der Stadt Witten vom 18. März 1996 auslegungsfähig.
Darin seien unter 5.1.1.1. die zulässigen Nutzungen abschließend definiert. Das Vorhaben
verstoße daher hinsichtlich der zulässigen Art der baulichen Nutzung gegen die
Festsetzung des Bebauungsplans Nr. 175. Durchgreifende Bedenken gegen die
Wirksamkeit des Bebauungsplans bestünden nicht, da etwaige Mängel aufgrund des
Ablaufs der in § 215 BauGB genannten Frist unbeachtlich seien. Darüber hinaus sei der
Bauantrag auch im Falle der Unwirksamkeit des Bebauungsplans abzulehnen, weil der
bauaufsichtlichen Genehmigung der Nutzungsänderung § 34 Abs. 3 BauGB entgegen
stehe. Es seien schädliche Auswirkungen auf den zentralen Versorgungsbereich Witten -
Mitte zu erwarten, da in der Stadtmitte drei Einzelhandelsgeschäfte der
Elektrobranche/Unterhaltungsmedien angesiedelt seien. Die Konkurrenz an einem nicht
integrierten Standort würde zu einer Wettbewerbsverzerrung führen, da die ebenerdigen
Stellplätze den geplanten Standort begünstigten. Eine Schließung des Anbieters ​T1" in der
Bahnhofstraße würde auch den im selben Gebäude angesiedelten ​L" gefährden. Die
Erhaltung dieses Kaufhauses sei ein zentrumsrelevanter Belang.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Verfahrensakte, der Akte im Verfahren 4 K 573/04 sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist sowohl mit ihrem Haupt- als auch den Hilfsanträgen a) und b) unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung, weil ihrer Erteilung
die Bestimmung des § 34 Abs. 3 des Baugesetzbuches (BauGB) entgegen steht.
Eine bauplanungsrechtliche Beurteilung der Nutzungsänderung anhand von § 30 Abs. 1
BauGB scheidet aus, weil der Bebauungsplan Nr. 175 der Stadt Witten vom 8. März 1997
keine Anwendung findet. Er leidet an Mängeln, die zu seiner Unwirksamkeit führen.
In dem hier interessierenden Bereich hat die Stadt Witten gemäß § 9 BauGB und § 11 der
Baunutzungsverordnung (BauNVO) zwei größere Sondergebiete mit der
Zweckbestimmung großflächiger Einzelhandel festgesetzt, in denen neben Möbelmärkten
mit einer max. Verkaufsfläche bis 5.500 qm und Bau- und Heimwerkermärkten bis zu einer
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max. Verkaufsfläche von 10.000 qm Fachmärkte mit insgesamt max. 3.000 qm
Verkaufsfläche für nicht citytypische Sortimente zulässig sind. Ausnahmsweise zulässig
sind den zugelassenen großflächigen Einzelhandelsbetrieben zugeordnete Büro- und
Verwaltungsgebäude sowie Selbstbedienungsrestaurants, welche die zugelassenen
großflächigen Einzelhandelsbetriebe ergänzen.
Damit hat sich die Gemeinde bei der Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung nicht
darauf beschränkt, es bei den für Sondergebiete sich aus der BauNVO ergebenden
Zulässigkeitskriterien zu belassen, sondern weitergehende Einschränkungen bzgl. des
Warensortiments vorgenommen. In diesen Fällen muss der Plan selbst sicherstellen, dass
die konkret zulässigen Vorhaben hinreichend bestimmt feststellbar sind,
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 22.
Juni 1998 - 7a D 108/96.NE - Baurechtssammlung (BRS) Band 60 Nr. 1.
Die Normadressaten müssen die Rechtslage eindeutig erkennen können,
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 20. Oktober 1989 - 4 B 155.89 -
zit. nach JURIS.
Dabei braucht sich die Gemeinde nicht auf die Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten zu
beschränken, sondern kann ihren Planungswillen auch mit unbestimmten Rechtsbegriffen
zum Ausdruck bringen. Voraussetzung ist aber stets, dass sich der Inhalt des Plans unter
Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und des erkennbaren Willens des Normgebers
erschließen lässt,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 1995 - 4 NB 3.95 - BRS Band 57 Nr. 26,
er insbesondere durch die anerkannten Auslegungsmethoden (grammatikalische,
systematische, teleologische, historische Auslegung) zweifelsfrei ermittelt werden kann.
Ausschlaggebend ist der objektive Wille des Gesetzgebers, soweit er wenigstens
andeutungsweise im Gesetzestext einen Niederschlag gefunden hat,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 1995 - 4 N 2.95 - BRS 57 Nr. 57.
Vorliegend ist eine Abgrenzung zulässiger und unzulässiger Anlagentypen aufgrund des
Begriffs des ​citytypischen Sortiments" nicht möglich, denn ein Fachmarkt mit einem
citytypischen Sortiment" stellt keine typisierbare Unterart der Branche Einzelhandel dar.
Eine Legaldefinition für ​citytypische Sortimente" gibt es nicht.
Im Bebauungsplan Nr. 175 der Stadt Witten finden sich in den textlichen Festsetzungen
unter ​G. Textliche Festsetzungen" Sortimentauflistungen nur bezüglich der Möbelmärkte,
der Bau- und Heimwerkermärkte sowie der Gartencenter. Der Plan enthält keine
Erläuterungen zum Begriff der ​citytypischen Sortimente".
Auch aus der Begründung zum Bebauungsplan (Anlage 2 zur Beschlussausfertigung des
Rats der Stadt Witten vom 18. März 1996) ergibt sich keine hinreichende Konturierung des
zugelassenen Warenangebots. Soweit die Beklagte in ihrer Klageerwiderung auf Nr. 5.1.1
des Beschlusses verweist, wird in der Anlage lediglich der Wortlaut der Nr. 1. und Nr. 2.
bzgl. der zulässigen Art der baulichen Nutzung, wie er letztlich auch Eingang in den
Bebauungsplan gefunden hat, wiedergegeben. Die hier interessierende Festsetzung der
Nr. 3. zu den Sondergebieten ist nicht erwähnt. Der Begriff des ​citytypischen Sortiments"
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oder gar eine inhaltliche Konkretisierung finden sich ebenfalls nicht.
Schließlich bietet auch der Einzelhandelserlass vom 7. Mai 1996 (MBl. NRW S. 922/SMBl.
NRW Gliederungs-Nr. 2311), der zwischen ​zentrenrelevanten" und
nahversorgungsrelevanten" Warensortimenten unterscheidet, keine zureichende
Konkretisierungshilfe für den Begriff des ​citytypischen Sortiments", so dass die Kammer es
offen lassen kann, ob insoweit eine ausdrückliche Bezugnahme auf den
Einzelhandelserlass im Bebauungsplan selbst erforderlich gewesen wäre.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Rückgriff auf Listen in
Einzelhandelserlassen zwar grundsätzlich unbedenklich, soweit dadurch bestimmte Arten
von Anlagen im Sinne von § 1 Abs.9 BauNVO zutreffend gekennzeichnet werden,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Oktober 2001 - 4 BN 45.01 - BRS Band 64 Nr. 29,
jedoch ist die im Einzelhandelserlass enthaltene Auflistung der ​zentren-" bzw.
nahversorgungsrelevanten" Sortimentsgruppen nicht abschließend gewollt und
ausdrücklich zur Fortschreibung zu gegebener Zeit vorgesehen, so dass sie eine von den
örtlichen Gegebenheiten unabhängige Definition von ​nicht zentren- und
nahversorgungsrelevanten Warensortimenten" und damit möglicherweise auch von ​nicht
citytypischen Sortimenten", die einer rechtssatzförmigen Anwendung fähig wäre, nicht
erlaubt,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Oktober 2003 - 10 a D 76/01.NE-, BauR 2004, 636.
Insbesondere sind in der Anlage zum Einzelhandelserlass Teil A und B Sortimentgruppen
aufgeführt, die stets bzw. dann als ​zentren-" oder ​nahversorgungsrelevant" gelten, wenn
die Gemeinde nichts anderes festlegt. Die Möglichkeit einer von der Größe der Gemeinde,
den örtlichen Gegebenheiten bzw. der besonderen städtebaulichen Situation mitgeprägten
eigenständigen Definition der Zentrenrelevanz/Nahversorgungsrelevanz schließt im
Umkehrschluss die Annahme einer hinreichend aussagekräftigen und allgemeingültigen
Begrifflichkeit aus. Mit anderen Worten können Warengruppen in einer kleineren,
maßgeblich durch ihr Zentrum geprägten Gemeinde durchaus ​zentrenrelevant" sein, ohne
dass dies zugleich in einer größeren, auch über weitere Ortsteilzentren mit
Gewerbeaufkommen verfügenden Gemeinde der Fall sein muss.
Der damit gegebene Mangel der Bestimmtheit bzgl. des Begriffs ​citytypische Sortimente"
erfasst die gesamte Festsetzung A. 1. SO Nr. 3 (Fachmärkte) im Bebauungsplan Nr. 175.
Eine isolierte Aufhebung des Teils der Festsetzung, wonach ​citytypische Sortimente"
ausgeschlossen sein sollen, kommt nicht in Betracht. Denn die Nichtigkeit einzelner
Festsetzungen führt nur dann nicht zur Nichtigkeit des gesamten Bebauungsplans, wenn
die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 BauGB
gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken können und wenn die
Gemeinde nach ihrem im Planverfahren zum Ausdruck kommenden Willen im Zweifel auch
einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. März 1993 - 4 NB. 10.91 - BRS Band 55 Nr. 30.
Auch im Falle der Anwendbarkeit der zur Teilnichtigkeit von Bebauungsplänen
entwickelten Grundsätze auf die Beurteilung der Unwirksamkeit einer einzelnen
Festsetzung schiede eine isolierte Aufhebung des Ausschlusses von citytypischen
Sortimenten aus. Denn es kann nicht angenommen werden, dass der Rat der Stadt Witten,
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wäre ihm die Unwirksamkeit dieses Teils der Festsetzung bekannt gewesen, die
Festsetzung Nr. 3 ohne den Ausschluss und im übrigen unverändert getroffen hätte. Durch
die Formulierung ​nicht citytypische Sortimente" hat der Rat deutlich gemacht, dass er bei
der Zulassung von Fachmärkten Sortimente, die zu den Angeboten in der Innenstadt in
Konkurrenz stünden, hat ausschließen wollen. Wäre ihm die Unwirksamkeit der gewählten
Umschreibung bewusst gewesen, hätte er voraussichtlich eine wirksame Umschreibung
gesucht oder Warengruppen konkret benannt. In einem solchen Fall würde sich das Gericht
Unzulässigerweise an die Stelle des Rates setzen, wenn es einen festgestellten
Bestimmtheitsmangel dadurch beseitigte, dass es die Festsetzung im Rahmen der
Inzidentkontrolle teilweise nicht anwenden und ihr damit einen anderen Inhalt
(unbeschränkte Zulassung von Fachmärkten) geben würde.
Aus dem gleichen Grunde ist auch eine Unwirksamkeit des gesamten Bebauungsplans
anzunehmen. Denn auch eine isolierte Aufhebung der Festsetzung zu Nr. 3 (Fachmärkte
insgesamt) hätte zur Folge, dass das Gericht der Satzung einen Inhalt geben würde, der
vom bisherigen Willen des Rats nicht umfasst ist. Dass der Rat der Stadt Witten einen
Bebauungsplan hätte beschließen wollen, wonach in den Sondergebieten ausschließlich
Möbelmärkte und Heimwerkermärkte mit Gartencenter zulässig sind, kann schon wegen
des vorhandenen Getränkehandels und Futtermarktes sowie der durch eine solche
Festsetzung ausgelösten Konkurrenzsituation nicht unterstellt werden. Die Verkaufsfläche
von max. 3.000 qm sollte ersichtlich einem großflächigen Einzelhandel mit anderer
Sortimentgruppe vorbehalten sein, die weder zu den in der Innenstadt vorhandenen
Geschäften noch dem Möbelmarkt und Heimwerkermarkt mit Gartencenter in Konkurrenz
steht.
Führt die Unbestimmtheit der Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung in den
Sondergebieten mithin zur Unwirksamkeit der gesamten Satzung, kann es dahin stehen, ob
der Bebauungsplan unter weiteren - teilweise auch von Klägerseite angeführten - Mängeln
leidet, die auch nach Ablauf der 2-Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB noch beachtlich
wären.
Rechtliche Folge der Unwirksamkeit des Bebauungsplans ist die bauplanungsrechtliche
Beurteilung der Nutzungsänderung anhand von § 34 BauGB. Gemäß § 34 Abs. 1 BauGB
ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils zulässig, wenn es
sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche,
die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die
Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der
Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die
Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der
Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre (vgl. § 34 Abs. 2
BauGB).
Die nähere Umgebung wird vorliegend durch den Bereich östlich der N Straße, südlich der
E. Straße, westlich der E. Straße (hier: L 660) und nördlich der B.----straße (L 625) gebildet.
Innerhalb dieser Fläche liegen ein Selbstbedienungsrestaurant mit Autoschalter, der
Möbelmitnahmemarkt einschließlich Hochregallager (7.632 qm) der Klägerin, ein
Futtermittel- und ein Getränkehandel mit je 574 qm Verkaufsfläche, ein Baumarkt (5.856
qm) mit Gartencenter (1.683 qm) nebst dazugehörigen Büroräumen (167 qm). Südlich
grenzen das Gelände der Hauptfeuerwache, des Stadtreinigungsamtes (Fuhrpark) sowie
die Gebäude der Kultureinrichtung Wittener Werkstätten, des Trainingszentrums KSV mit
Hausmeisterwohnung, des Städtischen Bauhofs, des Hoch- und Tiefbauamts und eine
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Werkstatt an. Befinden sich damit großflächige Einzelhandelsbetriebe neben
Verwaltungsgebäuden, sozialen und sportlichen Anlagen (mit Wohnung für
Bereitschaftsperson) in der näheren Umgebung des Baugrundstücks, ist der maßgebliche
Bereich der näheren Umgebung des Baugrundstücks als faktisches Kerngebiet gemäß § 7
BauNVO zu qualifizieren. Denn Kerngebiete dienen gemäß § 7 Abs.1 BauNVO
vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen
der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur. In ihnen sind neben Geschäfts-, Büro- und
Verwaltungsgebäuden (§ 7 Abs. 2 Nr.1 BauNVO) auch Einzelhandelsbetriebe (§ 7 Abs. 2
Nr. 2 BauNVO), Anlagen für kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke (§ 7
Abs. 2 Nr. 4 BauNVO) und Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen (§ 7 Abs.
2 Nr. 6 BauNVO) u.a. zulässig. In einem Kerngebiet ist der geplante Elektrofachmarkt als
großflächiger Einzelhandelsbetrieb mit 2.256,41 qm Verkaufsfläche nach der Art der
baulichen Nutzung gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zulässig.
Ein Anspruch der Klägerin auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung für die teilweise
Nutzungsänderung von Möbelmitnahmemarkt in Elektrofachmarkt scheitert jedoch an der
Bestimmung des § 34 Abs. 3 BauGB. Die durch das Gesetz zur Anpassung des
Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau - EAG Bau) vom
24. Juni 2004 (BGBl. I 2004, 1359) neu in das Baugesetzbuch eingefügte Regelung lässt
Vorhaben, die nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB zulässig sind, dann nicht zu, wenn von ihnen
schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in
anderen Gemeinden zu erwarten sind.
Mit dieser Neuregelung soll gemäß der Begründung in der BT-Drucksache 756/03
Situationen Rechnung getragen werden, die bislang nur für beplante Gebiete in § 11 Abs. 3
BauNVO für den großflächigen Einzelhandel geregelt waren. Großflächigen
Einzelhandelsbetrieben in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil nach § 34 Abs.1
BauGB, der bereits durch eine oder mehrere gleichartige Anlagen geprägt ist, sollen die
nachteiligen Fernwirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche sowohl der Gemeinde
selbst als auch der Nachbargemeinden entgegen gehalten werden können. Denn von der
Möglichkeit, durch Aufstellung eines Bebauungsplans entsprechend städtebaulich
nachteilige Vorhaben zu verhindern, werde teilweise nicht oder nicht rechtzeitig Gebrauch
gemacht. Auch in Gebieten nach § 34 Abs. 2 BauGB könne die Funktionsfähigkeit von
zentralen Versorgungsbereichen beeinträchtigt werden, ohne dass durch die
entsprechende Anwendung der Baunutzungsverordnung solche negativen Auswirkungen
in allen in Betracht kommenden Fällen verhindert würden. Aus diesen Gründen sei sowohl
für Abs. 1 als auch für Abs. 2 in dem neuen Abs. 3 eine weitere
Zulassungsvoraussetzungen vorgesehen, die nachteilige Auswirkungen auf zentrale
Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden verhindern solle.
Der Gesetzgeber bezweckt folglich im wesentlichen eine Gleichstellung der Prüfung der
Auswirkungen insbesondere von großflächigen Handelsbetrieben auf zentrale
Versorgungsbereiche, sei es dass sie im beplanten oder im unbeplanten Gebiet liegen,
ohne die Anwendbarkeit von § 34 Abs.3 BauGB davon abhängig zu machen, ob der
großflächige Handelsbetrieb innerhalb oder außerhalb eines (faktischen) Kern- oder
Sondergebiets liegt (anders in § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO). Folglich können die zum
Begriff der ​Auswirkungen auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der
Gemeinde oder in anderen Gemeinden" in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO entwickelten
Grundsätze zur Auslegung der neuen Gesetzesbestimmung herangezogen werden.
Nach allgemeiner Auffassung genügt für die planungsrechtliche Unzulässigkeit eines
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großflächigen Handelsbetriebes die Möglichkeit, dass nachteilige Auswirkungen auf die
genannten Bereiche zu erwarten sind, sofern diese nicht nur unwesentlich sind,
vgl. Fickert/Fieseler BauNVO 9. Auflage § 11 Rn. 21 ff.
Dies setzt die Feststellung wirtschaftlicher Auswirkungen, insbesondere möglichen
Kaufkraftabzug aus den zentralen Versorgungsbereichen, sowie eine sich hieraus
ergebende raumordnerische und städtebauliche Relevanz (bspw. negative Auswirkungen
auf die Versorgungsstruktur) voraus,
vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg BauNVO § 11 Rn. 57 ff., 76.
Zentrale Versorgungsbereiche ergeben sich insbesondere aus planerischen Festlegungen,
namentlich aus Darstellungen und Festsetzungen in den Bauleitplänen oder aus
Festlegungen in den Raumordnungsplänen; sie können sich aber auch aus sonstigen
planungsrechtlich nicht verbindlichen raumordnerischen und städtebaulichen
Konzeptionen ergeben, nicht zuletzt auch aus nachvollziehbar eindeutigen tatsächlichen
Verhältnissen.
Vorliegend weist der Landesentwicklungsplan NRW die Stadt Witten mit ca. 102.000
Einwohnern als Mittelzentrum im Ballungskern des Ruhrgebiets zwischen den Oberzentren
Bochum und Dortmund aus. In Übereinstimmung mit den landes- und regionalplanerischen
Zielvorgaben enthält der Flächennutzungsplan der Stadt Witten mit Witten-Mitte,
Düren/Stockum, Annen, Rüdinghausen, Bommern, Heven und Herbede 7
Siedlungsschwerpunkte. Dabei kommt dem Einzelhandel im Stadtteil Witten-Mitte, in dem
auch das Baugrundstück liegt, als Hauptzentrum gesamtstädtische Versorgungsbedeutung
zu. Hier finden sich 4 städtebaulich integrierte Versorgungszentren (Innenstadt, C, B.----
straße, D). Der ​Geschäftsbereich T2", in dem die Klägerin ihr Vorhaben verwirklichen will,
ist hingegen ein städtebaulich nicht integrierter Sonderstandort (vgl. Struktur- und
Entwicklungsgutachten der GMA aus dem Jahre 1997).
Im Hinblick auf die in § 34 Abs. 3 BauGB geforderte Prüfung der Auswirkungen der
geplanten Nutzungsänderung auf zentrale Versorgungsbereiche der Gemeinde ist
hinsichtlich des Nahbereichs auf das Versorgungszentrum Innenstadt abzustellen, da
ausweislich des von Beklagtenseite vorgelegten Kartenmaterials bezogen auf das gesamte
Gemeindegebiet nur hier Einzelhandel der Sortimentgruppe ​Elektro" anzutreffen ist. In der
Fußgängerzone haben sich der Elektrofachmarkt ​T1" mit einer Verkaufsfläche von 2.235
qm (Cstr. 5) sowie ein kleineres Elektrofachgeschäft (​R", Cstraße 40) mit 390 qm
Verkaufsfläche angesiedelt. Nicht weit entfernt liegt in südöstlicher Richtung der
Einzelhandelsbetrieb ​I" in der S1.---straße 41 mit 415 qm Verkaufsfläche.
Im Falle der Neuansiedlung eines weiteren großflächigen Elektrofachmarktes in räumlicher
Nähe zur Innenstadt (ca. 1 km) steht zu befürchten, dass der Fortbestand des vorhandenen
Einzelhandels in der Elektrobranche im Stadtzentrum gefährdet und damit die
gesamtstädtische Versorgungsfunktion des Hauptzentrums gestört würde. Mit dem
Fachmarkt ​T1" befindet sich in der Fußgängerzone ein Magnetpunkt, der aufgrund seiner
Größe und breiten Sortimentsstreuung im Elektrohausgeräte-, Musik-, Computer-, Audio-,
Videobereich nebst entsprechendem Zubehör große Teile der Kaufkraft bindet und
erhebliche Synergieeffekte für den weiteren Einzelhandel dergestalt auslöst, dass die den
Elektrofachmarkt aufsuchenden Kunden auch ihren übrigen Bedarf (Bekleidung, Schuhe,
Haushaltsgegenstände, Sportartikel, Schreib- und Spielwaren, Drogerie- und
Parfümerieartikel, Lebensmittel etc.) in den umliegenden Einzelhandelsbetrieben der
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Innenstadt decken. Ergänzt wird das Angebot der Warengruppe ​Elektro" durch die beiden
kleineren Fachbetriebe, denen es bislang gelungen ist, durch Ausnutzung von
Marktnischen und verstärkte Dienstleistung ihre Existenz trotz des Großanbieters in der
Fußgängerzone zu sichern. Durch die Ansiedlung eines neuen großflächigen
Elektrofachmarktes würde voraussichtlich ein erheblicher Teil der nicht beliebig
vermehrbaren Kaufkraft abgeschöpft, was zu einer wesentliche Veränderung der
Marktverhältnisse führen würde. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die
kleineren Fachmärkte unter dem Druck des Wettbewerbs ihre Geschäfte aufgeben müssten
bzw. der Großanbieter ​T1" wegen veränderter Umsatzerwartungen eine Verlagerung an
einen gewinnbringenderen Standort ins Auge fasst. Zu dieser Prognose gelangt die
Kammer vor allem wegen der für den Elektrofachmarkt vorgesehenen Verkaufsfläche von
2.256,41 qm und dem damit verbundenen Großsortiment (vgl. Sortimentenliste zum
Bauantrag), dem nahezu identischen Einzugsgebiet im Vergleich zum vorhandenen
Elektrogroßmarkt in der Fußgängerzone und der besseren verkehrlichen Anbindung mit
guter Parkmöglichkeit. Der in einer fußläufigen Entfernung von max. 10 Min. zum Zentrum
geplante Elektrofachmarkt ist von seinem Zuschnitt nicht darauf ausgerichtet, nur den
standortnahen Bedarf der Bevölkerung mit Elektroartikeln zu decken, sondern weist in einer
für großflächigen Einzelhandel typischen Weise ein dem städtebaulichen Leitbild
widersprechendes Beeinträchtigungspotential auf. Denn ein Großanbieter, der in der Lage
ist, ein der geplanten Verkaufsfläche entsprechendes Kostenvolumen zu tragen, muss sich
zwangsläufig effektiver Marktstrategien bedienen und diese auch an einen großen Teil der
Bevölkerung richten, um wirtschaftlich tragbare Ergebnisse zu erzielen. Diese
Einschätzung liegt auch der von Klägerseite in das Verfahren eingeführten aktuellen
Analyse der Gesellschaft für Unternehmens- und Kommunalberatung mbH M. & Partner
zugrunde. § 34 Abs. 3 BauGB zielt jedoch darauf ab, den Einzelhandel nur an den
Standorten zu entwickeln bzw. zu sichern, die in das städtebauliche Ordnungssystem
funktionsgerecht eingebunden sind, um sicherzustellen, dass durch die Ansiedlung von
Einzelhandelsbetrieben an nicht integrierten Standorten nicht die wirtschaftliche Existenz
derjenigen Betriebe bedroht oder gar vernichtet wird, die eine verbrauchernahe Versorgung
gewährleisten.
Vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 1. August 2002 - 4 C 5.01 - BRS 65 Nr. 10 unter Hinweis
auf Urteil vom 3. Februar 1984 - 4 C 54.80 - BRS 42 Nr. 50.
Soweit die Kammer dem mit der Neuansiedlung eines Großanbieters im Warensegment
Elektro" verbundenen Kaufkraftabfluss aus der Innenstadt maßgebliche Bedeutung für die
zu erwartenden schädlichen Auswirkungen auf den zentralen Versorgungsbereich der
Stadt Witten beimisst, wird diese Einschätzung nicht durch die von der Klägerin vorgelegte
gutachterliche Beurteilung der zu erwartenden Auswirkungen des Vorhabens aus Januar
2005 in Frage gestellt. Die Analyse der Gesellschaft für Unternehmens- und
Kommunalberatung mbH M. & Partner untersucht, ob im Falle der Verwirklichung des
Bauvorhabens auf den Zeithorizont 2007 mehr als 10 % des Einzelhandelsumsatzes vor
Ort umverteilt werden, weil ​nach verbreiteter Rechtsauffassung gelte, dass eine mehr als
unwesentliche Beeinträchtigung zentraler Versorgungsbereiche in der Regel nur dann zu
erwarten sei, wenn durch ein Vorhaben mehr als 10% des Einzelhandelsumsatzes vor Ort
umverteilt werden" (vgl. Seite 20 des Gutachtens). Eine an Prozentmargen der
Umsatzverteilung orientierte rechtssatzmäßige Beurteilung der Auswirkungen findet jedoch
weder in dem zitierten Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen noch sonst in der Rechtsprechungspraxis eine Grundlage. Vielmehr führt der
Senat in dem angeführten Urteil explizit aus, dass er im Rahmen der Prüfung von § 11 Abs.
3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO der Plausibilität der gutachterlichen Determinanten nicht weiter
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nachzugehen brauche, weil bereits bei einem schon nach den vorgelegten Gutachten sich
ergebenden Kaufkraftabfluss bzw. Umsatzverlust in der Größenordnung von 10 % nicht von
unwesentlichen Auswirkungen auszugehen sei, wenn man berücksichtige, dass dieser
Kaufkraftabfluss etwa 200.000 DM bis 400.000 DM betrage und die Innenstadtgeschäfte mit
preiswertem Angebot bei ihren nach den Gutachten anzunehmenden Umsatzerwartungen
in nicht unerheblichem Umfang nachteilig berührt seien,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. September 1997 - 7 A 2902/93 - BRS Bd. 59 Nr. 70, S. 244.
Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht schlussfolgern, dass eine unter 10% liegende
Umsatzverteilung zugleich die Annahme schädlicher Auswirkungen auf zentrale
Versorgungsbereiche der Gemeinde ausschließt. Sie rechtfertigen allenfalls die Annahme,
dass jedenfalls bei einer 10%-igen Umsatzverteilung, die einen Kaufkraftabfluss von
mehreren hundert Tausend DM mit sich bringt, schädliche Auswirkungen anzunehmen
sind. Soweit die Kammer daher unter Berücksichtigung der von den Gutachtern selbst
errechneten Werte bei einer Umsatzverteilung in der Branche ​Elektro" von 8,9 % im
Bereich der Wittener Innenstadt (vgl. Seite 19 des Gutachtens) in einer Größenordnung von
2,9 Mio EUR (vgl. Seite 18 des Gutachtens) schädliche Auswirkungen auf die
Versorgungsstruktur in der Wittener Innenstadt prognostiziert, wird diese Einschätzung von
der zitierten Rechtsprechung getragen.
Entsprechendes gilt für die den Fernbereich betreffenden Folgewirkungen des
Bauvorhabens. Auch für die umliegenden Bereiche gelangt die Analyse M. & Partner zu
Umsatzverteilungsquoten, die zwischen ca. 5,5 % und 8,4 % liegen (vgl. grafische
Darstellung auf Seite 19 des Gutachtens). Gravierende Auswirkungen sind insbesondere
für den Elektrofachhandel in Dortmund-Hombruch, Herdecke- Innenstadt und Wetter-
Innenstadt zu erwarten, für den eine Umverteilung von 8 % oder mehr errechnet wurde. Der
Einzelhandel erzielt hier Umsätze von 2,5/1,8/0,4 Mio EUR, so dass auch hier im Falle der
Neuansiedlung eines großflächigen Elektrohandels Kaufkraftvolumen in Höhe von
mehreren hundert Tausend EUR aus zentralen Versorgungsbereichen abgezogen würde.
Auch die Stadt Bochum hat im Rahmen des Aufstellungsverfahrens des Bebauungsplans
Bedenken gegen die Planung eines Elektrofachmarktes im Bebauungsplangebiet
angemeldet, da dies negative Auswirkungen für die verkehrlich gut angebundenen
östlichen Stadteile Bochum-Langendreer,-Werne und-Laer hätte. Bochum-Langendreer
verfügt gemäß den Ausführungen der Gutachter als unmittelbar an das Stadtgebiet
angrenzender Bereich über eine Verkaufsfläche von ca. 1.000 qm mit einem Jahresumsatz
von 4,5 Mio EUR (vgl. Gutachten Seite 10). Die Ansiedlung des geplanten
Elektrofachmarkte würde einen errechneten Kaufkraftabzug in Höhe von mindestens
270.000 EUR = 6 % (vgl. Gutachten S. 19) und damit ebenfalls schädliche Auswirkungen
zur Folge haben.
Nach alledem sind bei Verwirklichung der zur Prüfung gestellten Nutzungsänderung
schädliche Auswirkungen sowohl auf den zentralen Versorgungsbereich der Stadt Witten
als auch auf die Versorgungsbereiche benachbarter Gemeinden zu erwarten, weshalb die
Klage mit ihrem Hauptantrag abzuweisen war.
a) Der auf die Erteilung eines Vorbescheides gerichtete erste Hilfsantrag hat in der Sache
ebenfalls keinen Erfolg.
Ein Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten, einen Vorbescheid für die teilweise
Nutzungsänderung von Möbelmitnahmemarkt in Elektrofachmarkt zu erteilen, besteht nur,
wenn seiner Erteilung öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegen stehen (vgl. § 71
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Abs. 2 i.V.m. § 75 Abs. 1 BauO NRW). Insoweit gilt das oben Ausgeführte entsprechend.
Die Erteilung einer Bebauungsgenehmigung scheidet aus, weil die geplante
Neuansiedlung schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in Witten und
angrenzenden Gemeinden im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB erwarten lässt.
b) Die Klage ist schließlich auch hinsichtlich ihres zweiten Hilfsantrages unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Ablehnung ihres
Bauantrages durch die Beklagte bis zum 1. Juli 2004 rechtswidrig gewesen ist (vgl. § 113
Abs. 1 Satz 4 VwGO). Denn die Klägerin hatte bis zum Inkrafttreten der Bestimmung des §
34 Abs. 3 BauGB durch das Europarechtsanpassungsgesetzes (vgl. Artikel 7 EAG-Bau) am
20. Juli 2004 keinen Anspruch auf die Erteilung einer Baugenehmigung für die teilweise
Nutzungsänderung von Möbelmarkt in Elektrofachmarkt als Sonderbau auf dem
Grundstück E. Straße 19, weil die mit dem Bauantrag eingereichten Bauvorlagen
unvollständig und damit nicht positiv bescheidungsfähig gewesen sind. Für die Prüfung der
bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit ist die Vorlage eines Brandschutzkonzeptes (vgl. §
17, § 54 II Nr. 19 BauO NRW) gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
BauO NRW auch für Nutzungsänderungen zwingend erforderlich. Der sachverständigen
substantiierten Erklärung, dass die Baumaßnahme den einschlägigen
Brandschutzbestimmungen entspricht, kommt vorliegend besondere Bedeutung zu, da das
Bauvorhaben der Realisierung eines großflächigen Elektrofachmarktes und damit dem
Verkauf von technischen Geräten vielfältiger Art in erheblichem Umfange dient, das gilt
insbesondere auch vor dem Hintergrund der in der mündlichen Verhandlung im einzelnen
durchgegangenen baulichen Veränderungen (vgl. BA 1 Pläne Blatt 86, 87 - Treppenhaus;
Treppe; Aufzug; Wände; Wandteiler -).
Auf die Vorlage des Brandschutzkonzeptes darf gemäß § 1 Abs.2 Satz 4 BauPrüfVO nicht
verzichtet werden. Sie ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil für den Möbelmitnahmemarkt
bereits eine bauaufsichtliche Genehmigung erteilt wurde, denn zum Zeitpunkt der Erteilung
dieser Baugenehmigung im Jahre 1996 war die Vorlage eines Brandschutzkonzeptes noch
nicht erforderlich. Die Bestimmung des § 69 Abs.1 Satz 2 BauO NRW fand erst mit der
Novellierung des Gesetzes im Jahre 2000 Eingang in die Bauordnung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit,
etwaige außergerichtliche Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, da die
Beigeladene keinen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko
ausgesetzt hat (vgl. §§ 154 Abs.3, 162 Abs.3 VwGO).
Die Berufung war nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht zuzulassen, da die Gründe des §
124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen.