Urteil des VG Arnsberg vom 21.05.2002
VG Arnsberg: aufschiebende wirkung, ausnahme, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, realisierung, vollziehung, schutzwürdiges interesse, öffentliches interesse, bebauungsplan, verwaltungsakt
Verwaltungsgericht Arnsberg, 1 L 373/02
Datum:
21.05.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 373/02
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers - 1 K 552/02 -
gegen den der Beigeladenen erteilten Ausnahmebescheid vom 7.
September 2001 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selber trägt.
Der Streitwert wird auf 4.000 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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I.
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Die Beigeladene beantragte unter dem 3. Juli 2001 beim Antragsgegner die Erteilung
einer Ausnahmegenehmigung nach § 62 Abs. 2 des Gesetzes zur Sicherung des
Naturhaushalts und zur Entwicklung der Landschaft (Landschaftsgesetz, LG) für drei
Flächen mit einer Gesamtgröße von 6.600 qm, bei denen es sich nach einer Biotop-
Kartierung der Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten Nordrhein-
Westfalen (LÖBF) um nach § 62 Abs. 1 Nr.3 LG geschützte Magerwiesen- und weiden
handelt (Biotope Nr. GB 5114-0001-2001, GB 5114-0002-2001 und GB 5114-0003-
2001). Die Beigeladene plant, u.a. diese Flächen in dem in Aufstellung befindlichen
Bebauungsplan Nr. 247 „H. „ als Wohnbauflächen auszuweisen.
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Auf eine Anhörung des Antragsgegners hin nahm das Landesbüro der
Naturschutzverbände NRW, zu denen auch der Antragsteller gehört, mit Schreiben vom
16. August 2001 ablehnend Stellung.
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Mit Bescheid vom 7. September 2001 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen für
die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 247 „H. die erforderliche Ausnahme von dem
Verbot des § 62 Abs. 1 Nr. 3 LG zur Bebauung der drei näher bezeichneten Biotope
unter bestimmten Auflagen und unter Festsetzung verschiedener
Ausgleichsmaßnahmen.
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Der Antragsteller legte gegen diesen Bescheid unter dem 4. Oktober 2001 Widerspruch
ein, den die Bezirksregierung Arnsberg mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2002
zurückwies. Daraufhin hat der Antragsteller am 14. Februar 2002 Klage - 1 K 552/02 -
erhoben.
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Unter dem 24. Januar 2002 ordnete der Antragsgegner auf Antrag der Beigeladenen die
sofortige Vollziehung des Ausnahmebescheides an.
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Am 7. März 2002 hat der Antragsteller einen Antrag auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes gestellt. Er beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage - 1 K
552/02 - wiederherzustellen.
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Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
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Die Beigeladene tritt dem Antrag entgegen, ohne einen konkreten Antrag zu stellen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte, der Akte im Verfahren 1 K 552/02 und der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge und sonstigen Unterlagen der Beteiligten und der
Widerspruchsbehörde Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
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Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den
Ausnahmebscheid vom 7. September 2001 ist gemäß §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft. Der Ausnahmebescheid ist ein
Verwaltungsakt, der die beigeladene Stadt als Adressatin begünstigt. Die von dem
Antragsteller als Drittem erhobene Klage hat keine aufschiebende Wirkung, da der
Antragsgegner gemäß § 80 a Abs. 1 Nr. 1 VwGO die sofortige Vollziehung nach § 80
Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet hat.
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Der Antragsteller ist auch antragsbefugt. Die Antragsbefugnis ergibt sich aus § 42 Abs. 2
VwGO analog in Verbindung mit § 12 b LG. Der Antragsteller ist ein nach den
Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes anerkannter Verband. Er wird durch die
Erteilung der Ausnahme in seinen satzungsmäßigen Aufgaben berührt, zu denen nach
§ 2 Abs. 1 der Satzung insbesondere die Förderung des Naturschutzes, der
Landschaftspflege, des Tierschutzes unter besonderer Berücksichtigung der
freilebenden Vogelwelt und das Eintreten für die Belange des Umweltschutzes gehört.
Der Antragsteller hat auch von seinem Mitwirkungsrecht nach § 12 LG Gebrauch
gemacht und stützt seinen Antrag auf Einwendungen, die bereits Gegenstand seiner
Stellungnahme im Verwaltungsverfahren gewesen sind. Schließlich handelt es sich bei
dem Ausnahmebescheid um einen Verwaltungsakt gemäß § 12 Nr. 5 LG, nämlich um
eine Ausnahme von Geboten und Verboten zum Schutz von geschützten Biotopen nach
§ 62 LG.
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Der Antragsteller hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes. Die vom Antragsteller wahrgenommenen Interessen des
Naturschutzes und der Landschaftspflege könnten beeinträchtigt sein, wenn der
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Ausnahmebescheid sofort vollziehbar bleibt. Der Ausnahmebescheid bezieht sich nicht
auf die Aufstellung des Bebauungsplanes, sondern auf dessen Realisierung durch eine
tatsächliche Bebauung. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass es im Tenor des
Ausnahmebescheides heißt, die Ausnahme werde „zur Bebauung der Biotope..." erteilt.
In der Begründung des Bescheides heißt es, „die geplante Bebauung" führe zu
Eingriffen in die geschützten Biotope. Es ist ausdrücklich die Rede davon, dass die
„Realisierung des Bebauungsplanes" unter die gesetzlichen Verbote falle und deshalb
nach § 62 Abs. 2 LG genehmigungsbedürftig sei. Wenn deshalb der Bebauungsplan als
Satzung beschlossen würde - und dies ist absehbar - und der Ausnahmebescheid
vollziehbar bliebe, könnten Erschließungsmaßnahmen sowie die Bebauung der
kartierten Flächen und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen der Biotope nicht
mehr auf der Grundlage des § 62 LG verhindert werden.
Der Antrag ist auch begründet.
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Der Antragsgegner hat zwar die Anordnung der sofortigen Vollziehung des
Ausnahmebescheides vom 7. September 2001 in einer den formalen Anforderungen
des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise schriftlich begründet.
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Die vom Gericht im Rahmen seiner Entscheidung vorzunehmende Interessenabwägung
geht jedoch zu Lasten des Antragsgegners und der Beigeladenen aus. Zu
berücksichtigen ist dabei einerseits das vom Antragsteller wahrgenommene Interesse
des Naturschutzes und der Landschaftspflege, andererseits das vom Antragsgegner und
der Beigeladenen wahrgenomme Interesse an der alsbaldigen Realisierung des -
bislang noch nicht als Satzung beschlossenen - Bebauungsplanes H.
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Die Interessenabwägung erfolgt zunächst anhand der Erfolgsaussichten im
Hauptsacheverfahren. Sie fällt in Fällen der vorliegenden Art zu Gunsten der Behörde
und des begünstigten Adressaten aus, wenn der angegriffene Verwaltungsakt
offensichtlich rechtmäßig ist. Denn es besteht in aller Regel kein schutzwürdiges
Interesse des Dritten (des Antragstellers) daran, die sofortige Vollziehung eines
Verwaltungsaktes zu verhindern, wenn schon bei summarischer Prüfung erkennbar ist,
dass der Verwaltungsakt Bestand haben wird. Umgekehrt kann an der sofortigen
Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte, die den Antragsteller in
seinen Rechten verletzen, niemals ein öffentliches Interesse bestehen.
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Bei summarischer Prüfung ist der Ausnahmebescheid vom 7. September 2001 jedoch
weder offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich rechtswidrig.
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In diesem Bescheid ist - wie oben bereits erläutert wurde - eine Ausnahme von dem
Verbot des § 62 Abs. 1 Nr. 3 LG für Baumaßnahmen im Rahmen der Realisierung, nicht
für die Aufstellung des Bebauungsplanes H. erteilt worden. Dies ist sachgerecht, denn
nicht der Bebauungsplan oder einzelne seiner Festsetzungen, sondern erst deren
Verwirklichung stellt eine nach § 62 Abs. 1 LG untersagte Maßnahme dar.
Genehmigungsbedürftig ist deshalb das Bauvorhaben, dessen Realisierung mit den
naturschutzrechtlichen Vorschriften kollidiert, nicht der Bebauungsplan, auf dessen
Grundlage das Vorhaben verwirklicht wird.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 25.08.1997 - 4 NB 12.97 -,
Natur und Recht (NuR) 1998, 135, 136.
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Weiter ist festzuhalten, dass sich der Bescheid vom 7. September 2001 in der Erteilung
einer Ausnahme für die drei näher bezeichneten Biotope erschöpft. Der Bescheid
enthält keine bindende Feststellung dahingehend, dass durch die Realisierung des
Bebauungsplanes weitere geschützte Biotope, insbesondere das Biotop GB 5114-0004-
2001 (Quellbereich), nicht beeinträchtigt werden. Hierzu hätte es jedenfalls eines
eindeutigen Ausspruchs im Tenor des Bescheides bedurft, sollte eine solche rechtlich
bindende Feststellung überhaupt möglich sein. Es reicht insoweit nicht, dass lediglich in
den Auflagen Nr. 2. und 3. und in dem „Vorbehalt" auf Seite 4 des Bescheides
verschiedene andere kartierte Biotope erwähnt werden und Maßnahmen zu deren
Schutz getroffen oder vorbehalten werden. Sollten entgegen der Auffassung des
Antragsgegners und der Beigeladenen durch die Verwirklichung des Bebauungsplanes
außer den drei von der Ausnahmeerteilung ausdrücklich umfassten Biotope weitere
Biotope beeinträchtigt werden, müsste vor entsprechenden Baumaßnahmen eine
Ausnahmegenehmigung nach § 62 Abs. 2 LG eingeholt werden. Wenn dies rechtlich
nicht möglich wäre, wäre der Bebauungsplan - eventuell teilweise - rechtswidrig, da
seiner Verwirklichung dauerhafte Hindernisse entgegenstehen würden.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.1997 - 4 NB 12.97 -, a.a.O.
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Der in diesem Sinne zu verstehende Ausnahmebescheid vom 7. September 2001 findet
seine Rechtsgrundlage in § 62 Abs. 2 LG, der seinerseits auf der bundesrechtlichen
Vorschrift des § 20 c Abs. 2 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege
(Bundesnaturschutzgesetz - BNatSchG -) beruht. Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 LG kann die
untere Landschaftsbehörde, hier der Antragsgegner, im Einzelfall Ausnahmen von den
Verboten des § 62 Abs. 1 Satz 1 LG zulassen, soweit dies aus überwiegenden Gründen
des Gemeinwohls erforderlich ist.
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Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht viel dafür, dass die
Erteilung der Ausnahme nicht bereits deshalb rechtswidrig ist, weil sie nicht für einen
Einzelfall erteilt worden wäre. Zwar ist die Ausnahme pauschal für bislang nicht näher
bestimmte Baumaßnahmen auf den drei Biotop-Flächen erteilt worden. Dies dürfte
jedoch unschädlich sein. Alle Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass die
Biotope durch die Verwirklichung des Bebauungsplanes H. in seiner gegenwärtigen
Fassung vollständig zerstört würden. Es kommt daher nicht auf die Art der
Baumaßnahmen an. Für das Merkmal „Einzelfall" dürfte es ausreichen, dass die drei
betroffenen Biotope konkret bezeichnet sind.
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Die Ausnahmeerteilung dürfte voraussichtlich auch nicht deshalb rechtswidrig sein, weil
die Beigeladene Adressatin des Bescheides ist. Zwar benötigt die Beigeladene als
Plangeber die Ausnahmegenehmigung nicht; erforderlich ist sie erst für den, der den
Plan in die Tat umsetzen will.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.1997 - 4 NB 12.97 -, a.a.O.
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Für die Entscheidung nach § 62 Abs. 2 LG spielt es aber keine Rolle, wer - etwa als
privater Bauherr - Maßnahmen zur Realisierung des Bebauungsplanes trifft. Vor diesem
Hintergrund dürfte es unschädlich sein, wenn die Ausnahme bereits im Vorfeld zu
Gunsten der späteren Bauherren erteilt wird.
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Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt sich hingegen nicht
feststellen, ob die Erteilung der Ausnahme „aus überwiegenden Gründen des
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Gemeinwohls erforderlich" ist. Gründe des Gemeinwohls erfordern eine Ausnahme nicht
erst dann, wenn den Belangen der Allgemeinheit auf keine andere Weise als durch eine
Ausnahme entsprochen werden könnte, sondern nach dem Sinn und Zweck der
Vorschrift schon dann, wenn es vernünftigerweise geboten ist, mit Hilfe der Ausnahme
ein bestimmtes Vorhaben, dass im Gegensatz zu naturschutzrechtlichen Verboten oder
Geboten steht, im öffentlichen Interesse an der vorgesehenen Stelle zu verwirklichen.
Die Ausnahme muss nicht schlechterdings das einzige denkbare Mittel für die
Verwirklichung des jeweiligen öffentlichen Interesses sein. Auch dann, wenn andere
Möglichkeiten zur Erfüllung des Interesses zur Verfügung stehen, kann eine Ausnahme
zur Wahrnehmung des öffentlichen Interessen in dem vorstehend erläuterten Sinne
„vernünftigerweise geboten" sein. Es genügt allerdings nicht, dass die Ausnahme dem
Gemeinwohl nur irgendwie nützlich oder dienlich ist.
Vgl. für eine Befreiung nach Baurecht: BVerwG, Urteil vom 09.06.1978 - 4 C 54.75 -,
BVerwGE 56, 71, 76; für eine landschaftsrechtliche Befreiung: Schink, Naturschutz- und
Landschaftspflegerecht Nordrhein-Westfalen, 1989, Rdnr. 788; Stollmann,
Landschaftsgesetz Nordrhein-Westfalen, Stand: September 2001, 2.2.2.3 zu § 69 LG;
Schink, Wertvolle Biotope - ohne gesetzlichen Schutz?, Verwaltungsarchiv 1995 (Band
86), 398, 409.
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Gründe des Gemeinwohls reichen für sich nicht aus, um eine Ausnahme zu
rechtfertigen. Erforderlich sind vielmehr überwiegende Gründe des Gemeinwohls. Bei
der konkreten Abwägung müssen sie die durch die Verbote des § 62 Abs. 1 LG
geschützten Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege überwiegen. Je
größer die Schutzwürdigkeit des Biotops ist, umso gewichtigere Gründe des
Allgemeinwohls müssen für die Ausnahme sprechen. Dabei müssen die Gründe des
Gemeinwohls schon objektiv von erheblichem Gewicht sein. Diese objektiv gewichtigen
Belange überwiegen die Naturschutzbelange nur, wenn der angestrebte Erfolg
zugunsten des allgemeinen Wohls mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten wird.
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Vgl. Louis, Die naturschutzrechtliche Befreiung, NuR 1995, 62, 69; Schink, Wertvolle
Biotope - ohne gesetzlichen Schutz?, Verwaltungsarchiv 1995 (Band 86), 398, 409.
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Bei der danach erforderlichen Abwägung der gegenläufigen Belange steht der unteren
Landschaftsbehörde kein Beurteilungsspielraum zu, so dass ihre Entscheidung insoweit
gerichtlich voll überprüfbar ist.
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Vgl. für eine Befreiung nach Baurecht: BVerwG, Urteil vom 09.06.1978 - 4 C 54.75 -,
BVerwGE 56, 71, 75
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Im Rahmen des nur summarischen Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes kann
nicht festgestellt werden, dass die vom Antraggegner vorgenommene
Interessenabwägung zu Gunsten der Beigeladenen offensichtlich rechtmäßig oder
rechtswidrig ist.
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Zunächst ist zweifelhaft, ob die im Ausnahmebescheid vom 7. September 2001
geäußerte Ansicht des Antragsgegners zutrifft, unter Berücksichtigung der kommunalen
Planungshoheit sei nicht zu prüfen, ob der Bedarf an Wohnbauflächen tatsächlich
vorliege und ob andere alternative Planungen erforderlich gewesen seien. Diese
grundlegende Rechtsfrage muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Es
lässt sich auch nicht ohne weiteres feststellen, dass die Ausweisung von
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Wohnbauflächen gerade im Bereich der betroffenen Biotope in jedem Fall
„vernünftigerweise geboten" ist oder ob nicht doch Planungsalternativen mit
vergleichbarem Aufwand und Nutzen in Betracht kommen.
Zudem ist nicht ohne weiteres festzustellen, ob die Auffassung des Antragstellers zutrifft,
die Magerwiesen und -weiden erstreckten sich entgegen der Kartierung durch die LÖBF
auf weitere Flächen mit einer Gesamtgröße von ca. 1 bis 1,5 ha und seien auch nicht
erst in den letzten Jahren entstanden. Wenn dies der Fall wäre, wäre möglicherweise
die Bedeutung der Biotope in der Region anders zu bewerten, als dies von Seiten des
Antragsgegners bislang geschehen ist.
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Nur zur Klarstellung weist das Gericht darauf hin, dass es aus den oben genannten
Gründen für die Beurteilung nicht darauf ankommen dürfte, ob durch eine Realisierung
des Bebauungsplanes auch andere Biotope, insbesondere der Quellbereich, betroffen
wären; diese Frage ist nicht Gegenstand des Ausnahmebescheides.
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Erweist sich - wie hier - ein Verwaltungsakt weder als offensichtlich rechtmäßig noch als
offensichtlich rechtswidrig, so hat das Gericht das Interesse an der sofortigen
Vollziehung der angefochtenen Verfügung gegen das Interesse des Antragstellers
abzuwägen, die Vollziehung bis zur endgültigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit
des Verwaltungsaktes zu verhindern. Diese Abwägung hat dann ohne Berücksichtigung
der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nach allgemeinen Gesichtspunkten zu
erfolgen.
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Hiervon ausgehend ist dem Antrag stattzugeben, denn gegenüber dem Interesse am
(vorläufigen) Schutz von Natur und Landschaft hat das öffentliche Interesse
insbesondere der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung des
Ausnahmebescheides zurückzutreten. Hierfür ist maßgeblich, dass durch Bauarbeiten
zur Realisierung des Bebauungsplanes im Bereich der hier betroffenen und nach
Auffassung aller Beteiligten grundsätzlich schützenswerten Biotope Schäden für den
Naturhaushalt eintreten würden, die irreversibel wären. Demgegenüber muss das
öffentliche Interesse an der möglichst zeitnahen Bereitstellung von Wohnbaufläche
zurücktreten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beigeladene nach der oben
dargelegten Auffassung des Gerichts den Bebauungsplan als Satzung beschließen
könnte, auch ohne dass die sofortige Vollziehung des Ausnahmebescheides bestehen
bleibt. Die Zeit, die bis zur Bestandskraft des Ausnahmebescheides vergehen wird, wird
also nicht gänzlich ungenutzt bleiben müssen. Lediglich Maßnahmen, die zur
tatsächlichen Beeinträchtigung der Biotope führen könnten, müssten unterbleiben. Das
Risiko der Beigeladenen, dass sich im Nachhinein ergibt, dass die Erteilung der zur
Realisierung des Bebauungsplanes notwendige Ausnahmegenehmigung nicht erteilt
werden darf und dass sich deshalb der Plan als rechtswidrig erweisen könnte, bestünde
auch, wenn der Antrag abgewiesen würde. Denn dies würde nicht zwangsläufig
bedeuten, dass im Hauptsacheverfahren keine Entscheidung zu Lasten der
Beigeladenen ergehen könnte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Das Gericht
erklärt die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aus Billigkeitsgründen nicht für
erstattungsfähig, da die Beigeladene mit ihrem Begehren nicht erfolgreich war.
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Die Streitwertentscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz
2 des Gerichtskostengesetzes. Bei der Streitwertfestsetzung ist zu berücksichtigen, dass
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der Antragsteller kein wirtschaftliches, sondern nur ein ideelles Interesse am Ausgang
des Rechtsstreites hat. Es ist deshalb angemessen, zunächst vom Auffangstreitwert in
Höhe von 4.000 EUR für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten auszugehen. Dieser
wäre im Hauptsacheverfahren zu verdoppeln, da es vorliegend nicht um die Erteilung
einer Ausnahme für ein bestimmtes, konkretes Bauvorhaben geht, sondern um eine
allgemeine Ausnahme für eine Fläche von immerhin 6.600 qm. Im Hauptsacheverfahren
würde deshalb ein Streitwert von 8.000 EUR als angemessen erscheinen. Dieser
Betrag ist im Hinblick auf die nur vorläufige Bedeutung einer Entscheidung des
einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.
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