Urteil des VG Arnsberg vom 19.04.2002

VG Arnsberg: medizinische indikation, bvo, therapie, zahnprothese, behandlung, zahnarzt, anpassung, versorgung, richteramt, beihilfe

Verwaltungsgericht Arnsberg, 13 K 612/00
Datum:
19.04.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
13.Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 612/00
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d
1
Die Klägerin steht als Grundschullehrerin im Dienst des beklagten Landes. Am 22. Juni
1999 erhielt sie von ihrem Zahnarzt T eine Interimsprothese im Oberkiefer zum Ersatz
der Zähne 17-14 und 23-27 angepasst.
2
Am 21. Juli 1999 ließ sich die Klägerin nach Überweisung durch den zuvor genannten
Arzt erstmals von dem Zahnarzt I hinsichtlich einer Implantatversorgung des Oberkiefers
beraten. In diesem Zusammenhang wurden drei Therapie- und Kostenpläne erstellt, die
sich über das Einsetzen von 14 Implantaten, eine darauf aufbauende provisorische
Kronen- und Brückenversorgung sowie eine sich anschließende endgültige Kronen-
und Brückenversorgung verhalten.
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Mit Schreiben vom 28. Juli 1999 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Beihilfen
im Hinblick auf die zuvor genannten drei Therapie- und Kostenpläne. Zur Begründung
machte sie geltend, dass ihr die Prothese diverse Beschwerden und Probleme bereite
(Fremdkörpergefühl, Brechreiz, Mundtrockenheit, Schwierigkeiten beim Sprechen und
Essen, u.a. bedingt durch eine Lockerung der Prothese). Zudem verwies sie auf ein
Schreiben des I vom 07. August 1999, in dem dieser die Implantatlösung als einzig
sichere Möglichkeit bezeichnete, die Klägerin zufrieden stellend zu versorgen.
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Mit Bescheid vom 02. September 1999 lehnte die Beklagte die Bewilligung einer
Beihilfe ab und führte zur Begründung aus, dass die Beihilfefähigkeit von Implantaten
unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit auf bestimmte Indikationen begrenzt sei,
von denen bei der Klägerin keine vorliege.
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Am 24. September 1999 ließ die Klägerin die Implantatversorgung sowie die
provisorische Überkronung durchführen.
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Am 30. September 1999 legte sie Widerspruch gegen den Bescheid vom 02. September
1999 ein, zu dessen Begründung sie ausführte: Auf Grund ihrer durch die Prothese
hervorgerufenen Sprachschwierigkeiten habe sie ihren Beruf als Lehrerin nicht mehr
richtig ausüben können, weil es ständig zu Missverständnissen gekommen sei. Zudem
sei die Prothese ständig aus dem Mund gerutscht, insbesondere bei Husten. Dann habe
sich auch ein starker Brechreiz eingestellt.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2000 wies die Bezirksregierung B den
Widerspruch unter Vertiefung der Begründung aus dem Ausgangsbescheid zurück.
8
Am 17. Februar 2000 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie ihr
bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend sinngemäß geltend macht: Auch wenn
die in den einschlägigen behördlichen Erlassen genannten Voraussetzungen für eine
Implantatversorgung nicht erfüllt seien, sei dadurch nicht ausgeschlossen, dass es sich
bei den Kosten der Behandlung um notwendige Aufwendungen im angemessenen
Umfang handele. Die Erlasse hätten als Verwaltungsvorschriften für die Gerichte keine
Bindungswirkung. Dass die Implantatversorgung eine sinnvolle Behandlung darstelle,
ergebe sich bereits aus dem Schreiben des I vom 07. August 1999. Da die durch die
Prothese hervorgerufenen Probleme und Beschwerden nicht zu beheben gewesen
seien, sei nur noch die Implantatversorgung als medizinisch notwendige Maßnahme in
Betracht gekommen.
9
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 02. September 1999 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2000 zu verpflichten, ihr die beantragte
Beihilfe für die Implantatversorgung zu gewähren.
11
Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung seines Antrags macht es ergänzend geltend: Eine notwendige
Versorgung sei mit einer Zahnprothese zu erreichen gewesen, weil deren Haltbarkeit
gegebenenfalls im Wege der Nachbesserung sicherzustellen gewesen wäre. Eine
Prothesenunverträglichkeit sei medizinisch nicht belegt. Was die Beschwerden der
Klägerin anbelange, bedürfe jede Zahnprothese einer Gewöhnungsphase. Schließlich
sei die Grenze des medizinisch Notwendigen bei 14 Implantaten bei weitem
überschritten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
Verwaltungsakten Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet.
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Der angegriffene Bescheid vom 02. September 1999 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2000 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
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Diese hat keinen Anspruch auf Gewährung von Beihilfen im Hinblick auf die in den
eingereichten Therapie- und Kostenplänen dargestellte Implantatversorgung.
Nach § 88 Satz 2 des Landesbeamtengesetzes für das Land Nordrhein- Westfalen, § 3
Abs. 1 der Beihilfenverordnung (BVO) sind hinsichtlich der hier streitigen Behandlung
die notwendigen Kosten in angemessenem Umfange beihilfefähig. Die Angemessenheit
dieser Aufwendungen beurteilt sich auch im Anwendungsbereich der vorgenannten
Vorschriften, die - anders als etwa § 5 Abs. 1 Satz 2 der Beihilfevorschriften des Bundes
- keine ausdrückliche Verweisung auf die Gebührenordnungen für Ärzte und Zahnärzte
enthalten, jedenfalls grundsätzlich nach dem Gebührenrahmen dieser
Gebührenordnungen, da ärztliche bzw. zahnärztliche Hilfe in aller Regel nach Maßgabe
dieser Gebührenordnungen zu erlangen ist. Damit setzt die Beihilfefähigkeit
grundsätzlich voraus, dass der Arzt oder Zahnarzt die Rechnungsbeträge bei
zutreffender Auslegung der Gebührenordnung zu Recht in Rechnung gestellt hat, dass
es sich also im Sinne des § 3 Abs. 1 BVO um "notwendige Aufwendungen im
angemessenen Umfange" handelt. Daraus folgt, dass der Begriff der notwendigen
Aufwendungen im angemessenen Umfang gerichtlich voll überprüfbar ist.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 30. Mai 1996 - 2 C 10.95 - in:
NVwZ 1997, 75- 76.
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Hier lässt sich bereits eine Notwendigkeit der Implantatversorgung nicht feststellen.
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In welchen Fällen die Aufwendungen für implantatgestützten Zahnersatz einschließlich
der damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen von dem beklagten Land als
notwendig angesehen werden, hat es zulässigerweise durch die Nr. 5.5 der
Verwaltungsverordnung zur Ausführung der BVO (VV) in der Fassung des
Runderlasses vom 23. Mai 1997 bestimmt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift
liegen unstreitig nicht vor. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß §
117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid
vom 02. September 1999 Bezug genommen.
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Zwar ist der Klägerseite zuzugestehen, dass Gerichte durch Verwaltungsvorschriften
grundsätzlich nicht gebunden werden. Entscheidend ist vielmehr, ob es sich im Sinne
von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO um notwendige Aufwendungen in angemessenem Umfang
handelt. Losgelöst von der Nr. 5.5 VV kann eine Implantatversorgung als notwendig im
beihilferechtlichen Sinne angesehen werden, wenn eine prothetische Versorgung mit
herkömmlichem Zahnersatz nicht möglich oder nicht Erfolg versprechend ist. Dies ist
hier nicht der Fall.
23
Die der Klägerin von dem Zahnarzt T angepasste herausnehmbare Oberkieferprothese
zeigt, dass die Funktionsfähigkeit des Gebisses der Klägerin durch herkömmlichen
Zahnersatz grundsätzlich wieder hergestellt werden konnte. Anhaltspunkte dafür, dass
die Anpassung der erwähnten Prothese nicht den anerkannten Regeln der
zahnärztlichen Heilkunst entsprach, sind weder vorgetragen worden noch sonst
ersichtlich. Ferner lassen sich den eingeholten Stellungnahmen der behandelnden
Ärzte keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass bei der Klägerin eine medizinisch
indizierte Prothesenunverträglichkeit vorliegt.
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Was die von der Klägerin geschilderten Beschwerden, die die Kammer nicht in Abrede
stellen will, anbelangt, dürfte es sich überwiegend um psychische bzw.
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psychosomatische Umstände handeln, die nicht als (medizinische) Indikation für die
Notwendigkeit der Implantatversorgung angesehen werden können.
Vgl. in diesem Sinne Mohr/Sabolewski, Beihilfenrecht, § 3 BVO Anm. 1, B 40.
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Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass herausnehmbarer Zahnersatz
gegenüber einer festsitzenden Versorgung als unangenehm empfunden wird. Grund
hierfür sind die von der Klägerin geschilderten Beschwerden, die von der Art her als
typische Begleit- oder Folgeerscheinungen im Zusammenhang mit der Anpassung einer
herausnehmbaren Prothese anzusehen sind. Eine Prothesenunverträglichkeit wird
dadurch jedoch nicht begründet. In aller Regel ist davon auszugehen, dass diese
Beschwerden nach einer gewissen Zeit allmählich zurückgehen. Ebenso wie bei
Kontaktlinsen, Hörgeräten, künstlichen Gliedmaßen etc. muss man sich auch im Fall
des "Fremdkörpers" Zahnprothese zunächst an diese selbst sowie an ihren Gebrauch
gewöhnen. Dies kann je nach Empfindlichkeit des Betroffenen und Art des
"Fremdkörpers" kürzer oder länger dauern. Im Fall der Klägerin hat eine ausreichende
Gewöhnungsphase, in der sie den "Fremdkörper" Zahnprothese allmählich akzeptieren
und das Essen und Sprechen mit ihr "erlernen" konnte, bereits nicht stattgefunden.
Entgegen ihrem Vortrag in der Klagebegründung kann von einer annähernd
zweijährigen Gewöhnungsphase keine Rede sein. Vielmehr zeigt der Umstand, dass
sie am 21. Juli 1999 und damit knapp einen Monat nach der Anpassung der
Interimsprothese implantologischen Rat eingeholt und nur eine Woche später, d.h. mit
Schreiben vom 28. Juli 1999 einen entsprechenden Beihilfeantrag gestellt hat, dass sie
bereits zu diesem Zeitpunkt zu einer Implantatversorgung entschlossen war. Selbst
wenn man berücksichtigt, dass die Implantatversorgung am 24. September 1999, also
drei Monate nach der Anpassung der herausnehmbaren Prothese vorgenommen wurde,
rechtfertigt dies nicht die Annahme einer ausreichenden Gewöhnungsphase. Denn eine
Gewöhnung war anscheinend bereits nach der ersten implantologischen Beratung gar
nicht mehr beabsichtigt, was sich daraus ergibt, dass die Klägerin nach der vom Gericht
eingeholten schriftlichen Auskunft des Zahnarztes I vom 17. Februar 2002 diesem
gegenüber angegeben hatte, die Prothese häufig nur in der Tasche zu tragen.
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Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen eine Implantatversorgung
als medizinisch indiziert ansähe, ist die beihilferechtliche Notwendigkeit der nach den
eingereichten Therapie- und Kostenplänen beabsichtigten Behandlung aus einen
weiteren Grund zu verneinen. Denn für die Anzahl von 14 Implantaten ist weder ein
medizinischer noch ein sonstiger Grund ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
30
Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung beim
Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg, Postanschrift:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 59818 Arnsberg) Antrag auf Zulassung der Berufung
gestellt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von
zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die
Berufung zuzulassen ist.
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Die Berufung ist nur zuzulassen, 1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des
Urteils bestehen, 2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche
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Schwierigkeiten aufweist, 3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des
Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht oder 5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender
Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
beruhen kann.
Die Begründung ist bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821
Arnsberg, Postanschrift: Verwaltungsgericht Arnsberg, 59818 Arnsberg) einzureichen.
Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen in Münster durch Beschluss.
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Bei der Antragstellung und vor dem Oberverwaltungsgericht muss sich jeder Beteiligte,
soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer
deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum
Richteramt vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich
auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie
Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder
Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des
jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören,
vertreten lassen. Auf die besonderen Vertretungsregelungen des § 67 Abs. 1 Sätze 4 bis
7 der Verwaltungsgerichtsordnung wird hingewiesen. Der Antragsschrift sollen
möglichst Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
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Crummnerl Heine Remmert
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B e s c h l u s s
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Ferner hat die Kammer am selben Tage ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter b
e s c h l o s s e n :
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Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.232,70 DM (12.901,27 EUR) festgesetzt.
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B e g r ü n d u n g :
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Die Festsetzung beruht auf den §§ 25 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1, 13 Abs. 1 Satz 1 des
Gerichtskostengesetzes. Auch wenn die Klägerin keinen bezifferten Antrag gestellt hat,
lässt sich die Bedeutung des Verfahrens für sie aus der Höhe der möglichen
Beihilfeleistung ableiten. Diese wiederum hat die Kammer auf der Grundlage der
eingereichten Therapie- und Kostenpläne bestimmt, dabei einen 50- prozentigen
Bemessungssatz angenommen (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 lit. a) BVO) und berücksichtigt,
dass zahntechnische Leistungen von vornherein nur zu 60 Prozent beihilfefähig sind
(vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 6 BVO), was folgende Rechnung ergibt: 50 % von 0 DM + 50
% von (0 DM x 60/100) + 50 % von 0 DM + 50 % von (0 DM x 60/100) + 50 % von 0 DM.
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