Urteil des VG Arnsberg vom 18.04.2005

VG Arnsberg: vorläufiger rechtsschutz, entziehung, aufschiebende wirkung, mitgliedstaat, eugh, inhaber, interessenabwägung, einfluss, anerkennung, verkehrssicherheit

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 6 L 62/05
18.04.2005
Verwaltungsgericht Arnsberg
6. Kammer
Beschluss
6 L 62/05
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
Der auf § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestützte sinngemäße Antrag
des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners
vom 13. Januar 2005 wiederherzustellen bzw. hin- sichtlich der Zwangsmittelandrohung
anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Es bestehen bereits Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags.
Mit seinem Bescheid vom 13. Januar 2005 hatte der Antragsgegner unter Anordnung der
sofortigen Vollziehung dem Antragsteller die von ihm in der Tschechischen Republik
erworbene EU-Fahrerlaubnis entzogen (1.), ihm untersagt, von dieser Fahrerlaubnis in
Deutschland Gebrauch zu machen (2.), und ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes
aufgefordert, den tschechischen Führerschein sofort abzugeben (3.).
Es spricht einiges dafür, dass bei dieser Sachlage mangels Erwerbs einer schützens-
werten Rechtsposition vorläufiger Rechtsschutz nicht im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO
gesucht werden kann.
Vgl. insoweit VG München, Beschluss vom 13. Januar 2005 - M 6b S 04.5543 -, und VG
Neustadt a.d.Weinstr., Beschluss vom 4. März 2005 - 3 L 253/05.NW -.
Hintergrund ist die Regelung des § 28 Abs. 5 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Danach
wird das Recht, von einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis in Deutschland
Gebrauch zu machen, in bestimmten Ausnahmefällen erst in einem gesonderten Verfahren
erteilt und besteht nicht - wie im Regelfall des § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV - unmittelbar kraft
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Gesetzes. Ein solcher Ausnahmefall liegt u.a. vor, wenn dem Fahrerlaubnisinhaber zuvor
eine deutsche Fahrerlaubnis bestandskräftig bzw. sofort vollziehbar entzogen worden war.
In diesem Fall ist der Fahrerlaubnisinhaber nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV zunächst nicht
berechtigt, mit seiner ausländischen EU-Fahrerlaubnis in Deutschland Kraftfahrzeuge zu
führen. Vielmehr wird ihm nach § 28 Abs. 5 FeV diese Berechtigung nur auf Antrag und erst
dann erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis nicht mehr
bestehen.
Im Falle des Antragstellers liegen die Tatbestandsmerkmale des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV vor:
Ihm war die deutsche Fahrerlaubnis durch (unangefochten gebliebene) Verfügung des
Antragsgegners vom 26. November 2003 wegen Führens eines Kraftfahrzeuges unter
Einfluss von Betäubungsmitteln entzogen worden; sie ist ihm bisher auch nicht wiedererteilt
worden. Folglich hätte es in seinem Fall nach § 28 Abs. 5 FeV einer gesonderten
Entscheidung des Straßenverkehrsamtes des Antragsgegners bedurft. Da eine solche
Entscheidung jedoch nicht ergangen ist, dürfte der Antragsteller bereits von Gesetzes
wegen nicht zur Führung eines Kraftfahrzeugs in Deutschland befugt gewesen sein. Einer
Entziehung der Fahrerlaubnis durch Verwaltungsakt hätte es danach nicht bedurft. Um eine
positive Entscheidung nach § 28 Abs. 5 FeV zu erreichen, hätte der Antragsteller einen
entsprechenden Antrag beim Antragsgegner stellen und im Falle seiner Ablehnung
Verpflichtungsklage erheben müssen; vorläufiger Rechtsschutz wäre insoweit nach § 123
Abs. 1 VwGO zu beantragen gewesen.
Allerdings erscheint es nicht ausgeschlossen, dass § 28 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 FeV
wegen entgegenstehenden vorrangigen Gemeinschaftsrechts in Fällen wie dem
vorliegenden unanwendbar ist. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29.
Juli 1991 über den Führerschein verbürgt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung der
von den Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnisse. Zwar kann es ein Mitgliedstaat gemäß
Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG ablehnen, die Gültigkeit eines in einem anderen
Mitgliedstaat erworbenen Führerscheins anzuerkennen, wenn dem Inhaber im Inland der
Führerschein entzogen worden ist. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) geht jedoch
davon aus, dass diese Vorschrift eng auszulegen ist.
EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-476/01 -, in: Bayerische Verwal- tungsblätter (BayVBl)
2004, 656 ff.
Zweifelhaft ist danach insbesondere, ob § 28 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 FeV auch dann die
Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis auszuschließen vermag, wenn eine nach
Entziehung der nationalen Fahrerlaubnis verfügte Sperrfrist vor Erteilung der
ausländischen Fahrerlaubnis bereits abgelaufen war oder - wie hier - eine Sperrfrist gar
nicht erst bestand.
verneinend: VG Karlsruhe, Urteil vom 18. August 2004 - 11 K 4476/03 -, in: Neue
Juristische Wochenschrift (NJW) 2005, 460; OLG Köln, Be- schluss vom 4. November 2004
- Ss 182/04 -, in: Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (NZV) 2005, 110 ff.; bejahend: VGH
Baden-Württem- berg, Urteil vom 12. Oktober 2004 - 10 S 1346/04 -; VG Neustadt
a.d.Weinstr. a.a.O.; offen gelassen: VG Sigmaringen, Beschluss vom 5. Januar 2005 - 4 K
2198/04 -; VG München a.a.O.
Letztlich kann diese Frage jedoch offen bleiben. Denn selbst wenn § 28 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m.
Abs. 5 FeV in diesen Fällen nicht zur Anwendung gelangte, die tschechische
Fahrerlaubnis des Antragstellers somit in Deutschland nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV
unmittelbar gültig gewesen wäre, die Entziehungsverfügung des Antragsgegners
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infolgedessen eigenständige Rechtswirkung gehabt hätte und der vorliegende Antrag des
Antragstellers damit zulässig wäre, wäre der Antrag jedenfalls unbegründet. Die im
Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt nämlich
zu Ungunsten des Antragstellers aus.
Bei der Interessenabwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs der
Hauptsache zu berücksichtigen.
Im vorliegenden Verfahren sind diese Erfolgsaussichten als offen zu qualifizieren.
Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer
Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat, die
Fahrerlaubnis zu entziehen. Dies gilt nach § 28 Abs. 1 Satz 3 FeV durchaus auch für
Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse, wobei die Entziehung einer ausländischen
Fahrerlaubnis (Ziff. 1 des angefochtenen Bescheides) nach § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV nur die
Wirkung hat (und haben kann), dass das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen in
Deutschland erlischt (Ziff. 2 des angefochtenen Bescheides). Gemäß § 47 Abs. 1 und 2
FeV ist nach der Entziehung einer Fahrerlaubnis - auch bei ausländischen
Fahrerlaubnissen - der Führerschein beim Straßenverkehrsamt abzugeben (Ziff. 3 des
angefochtenen Bescheides); das Straßenverkehrsamt schickt ihn dann über das Kraftfahrt-
Bundesamt an die ausstellende tschechische Behörde zurück.
Die Frage, ob der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des
§ 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist, dürfte wohl zu bejahen sein.
Ungeeignetheit kann sich u.a. aus dem Konsum von Betäubungsmitteln ergeben. Wann
dies der Fall ist, beurteilt sich nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV in Verbindung mit Anlage 4 zu
§§ 11, 13 und 14 FeV. Unter Nr. 9 dieser Anlage werden eignungsrelevante Sachverhalte
aus dem Bereich des Drogenkonsums erfasst und in differenzierender Weise nach der Art
der Betäubungsmittel und der Konsumgewohnheiten bewertet. Diese für den Regelfall
geltenden, wissenschaftlich begründeten Erfahrungssätze können allerdings durch
individuelle Besonderheiten im Einzelfall kompensiert werden (vgl. Vorbemerkung Nr. 3 der
Anlage 4).
Nach einem unangefochten gebliebenen Bußgeldbescheid der Bußgeldstelle des
Antragsgegners vom 16. September 2003 steht fest, dass der Antragsteller am 30. Juni
2003 unter dem Einfluss von Cannabis und Morphin ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr
geführt hat. Die dabei festgestellte THC-COOH-Konzentration von 78,4 ng/ml lässt auf
einen regelmäßigen Konsum von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 schließen,
der ohne weiteres die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließt.
Daldrup/Käferstein/Köhler/Musshof, Entscheidung zwischen einmali- gem/gelegentlichem
und regelmäßigem Cannabiskonsum, in: Blutalko- hol 2000, 39, 40 f.
Dass der Antragsteller zudem unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hat, belegt,
dass er nicht in der Lage ist, Cannabiskonsum und Führen eines Kraftfahrzeugs strikt
voneinander zu trennen.
Die im Rahmen eines Antrags auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis am 19. Mai 2004 bei
der Q. GmbH, C. , durchgeführte medizinisch-psychologische Untersuchung hat - für die
Kammer nachvollziehbar - ergeben, dass zu erwarten ist, dass der Antragsteller auch
zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel führen wird.
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Gleichwohl ist fraglich, ob im vorliegenden Fall eine Entziehung der tschechischen
Fahrerlaubnis des Antragstellers nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV möglich ist. Denn die
Umstände, die die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen
belegen, waren zum Zeitpunkt der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis (18.
November 2004) bereits bekannt. Wenn deutsche Fahrerlaubnisbehörden die Entziehung
einer ausländischen Fahrerlaubnis auf Gründe stützen dürften, die der ausländischen
Fahrerlaubnisbehörde bekannt waren oder hätten bekannt sein können, von ihr aber nach
dem dortigen nationalen Recht als unbeachtlich angesehen worden waren, könnte dies
eine Umgehung des gegenseitigen Anerkennungsgebots des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie
91/439/EWG darstellen. Es spricht durchaus einiges dafür, dass § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV bei
ausländischen Fahrerlaubnissen nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn ein nach
der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis datierender neuer Lebenssachverhalt
Anlass zur Überprüfung der Fahreignung gibt.
so wohl auch VG Sigmaringen a.a.O.
Die Entziehungsverfügung des Antragsgegners mag aus diesen Gründen nicht
offensichtlich rechtmäßig sein. Offensichtlich rechtswidrig ist sie jedoch ebenfalls nicht.
Denn es steht auf der anderen Seite fest, dass trotz des grundsätzlichen
Anerkennungsgebots des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG jeder Mitgliedstaat die
Möglichkeit behalten soll, in seinem Hoheitsgebiet seine nationalen Vorschriften über den
Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung der Fahrerlaubnis zur Anwendung kommen zu
lassen.
so ausdrücklich EuGH a.a.O.
In diesen nicht harmonisierten Bereichen des Fahrerlaubnisrechts besteht eben keine
ausschließliche Prüfkompetenz des Ausstellungsstaates, sondern behalten die
Mitgliedstaaten das Recht, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, wenn der Betroffene trotz
der in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen EU-Fahrerlaubnis die nationalen Kriterien
für die Kraftfahreignung nicht erfüllt.
So VG München a.a.O.
Wie weit diese Prüfkompetenz im Einzelnen reicht, ist abschließend im
Hauptsacheverfahren zu klären. Gleiches gilt für die vom Antragsteller aufgeworfene
Rechtsfrage, ob § 46 Abs. 5 FeV mit der Richtlinie 91/439/EWG vereinbar ist.
Die im vorliegenden Verfahren letztlich ausschlaggebende allgemeine
Interessenabwägung fällt zu Ungunsten des Antragstellers aus. Das für den Antragsteller
streitende Interesse, seine tschechische Fahrerlaubnis auch in Deutschland auszunutzen,
muss nach Auffassung der Kammer vorläufig hinter dem öffentlichen Interesse an der
Verkehrssicherheit zurücktreten. Insbesondere nach dem medizinisch-psycho-logischen
Gutachten vom 19. Mai 2004 ist davon auszugehen, dass von dem Antragsteller nach wie
vor eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen würde. Dieser Gesichtspunkt ist
so gewichtig, dass vor ihm auch das öffentliche Interesse an einer Durchsetzung des - der
Entziehung der Fahrerlaubnis möglicherweise entgegenstehenden - Gemeinschaftsrechts
zurückstehen muss.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung des Antragsgegners
ist nicht zu beanstanden. Die ihr beigegebene Begründung genügt den Anforderungen des
§ 80 Abs. 3 VwGO. Der Antragsgegner hat bezogen auf den Einzelfall dargestellt, dass aus
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seiner Sicht die Belange der öffentlichen Verkehrssicherheit Vorrang vor dem
Antragstellers an einer weiteren Teilnahme am Straßenverkehr haben. Dies ist
ausreichend.
Die Zwangsmittelandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 55 ff. des
Verwaltungsvollstreckungsgesetzes. Rechtsfehler sind insoweit weder dargetan noch sonst
ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 des
Gerichtskostengesetzes. In Anbetracht der von der Entziehung betroffenen Fahr-
erlaubnisklassen A, B, M und L ist nach ständiger Rechtsprechung der Kammer und des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1 ½-fachen gesetzlichen
Auffangstreitwert auszugehen, der in Anbetracht der Vorläufigkeit des begehrten
Rechtsschutzes um die Hälfte reduziert wird.