Urteil des VG Arnsberg vom 17.02.2006

VG Arnsberg: beförderung, ermessen, beurteilungsspielraum, erlass, berechtigung, beamter, aufmerksamkeit, mitbewerber, notengebung, begriff

Verwaltungsgericht Arnsberg, 2 L 1123/05
Datum:
17.02.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 1123/05
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selber trägt.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der - sinngemäße - Antrag des Antragstellers,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die der
Kreispolizeibehörde des N. Kreises zum 1. Dezember 2005 zugewiesene Stelle der
Besoldungsgruppe A 12 BBesO nicht mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis über sein,
des Antragstellers, Beförderungsbegehren unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts erneut entschieden worden ist,
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hat keinen Erfolg.
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Der nach Maßgabe von § 123 Abs. 1 VwGO grundsätzlich mögliche Erlass einer
einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs.
2 ZPO die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes und eines
Anordnungsanspruchs voraus.
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Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass ein Anordnungsgrund gegeben ist, d. h.
die begehrte Regelung notwendig ist, um den geltend gemachten
Beförderungsanspruch zu sichern. Im Falle des Vollzugs der fraglichen
Stellenbesetzung, für die nach der Auswahlentscheidung der Bezirksregierung
Arnsberg der Beigeladene vorgesehen ist, würde eine Ernennung des Antragstellers
endgültig vereitelt; denn die Beförderung des Beigeladenen könnte nach den
Vorschriften des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (
Landesbeamtengesetz - LBG - ) nicht mehr rückgängig gemacht werden.
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Der Antragsteller hat jedoch das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft
gemacht.
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Bei der rechtlichen Beurteilung der von dem Antragsteller zur Überprüfung des Gerichts
gestellten Auswahlentscheidung ist davon auszugehen, dass der Beamte einen strikten
Anspruch auf Beförderung nicht hat; es steht vielmehr im Ermessen des Dienstherrn,
welchem Beamten er bei einer Beförderung den Vorzug gibt. Jeder Beamte hat jedoch
einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr eine am Leistungsgrundsatz ausgerichtete
ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber trifft, welchem Beamten er eine
Beförderungsstelle überträgt. Dieser Anspruch kann durch einstweilige Anordnung
gesichert werden, wenn die getroffene Auswahlentscheidung fehlerhaft ist und nicht
ausgeschlossen werden kann, dass eine fehlerfreie Entscheidung des Dienstherrn zu
einer Beförderung des Antragstellers führen würde.
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Im vorliegenden Fall spricht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die
streitbefangene Auswahlentscheidung rechtlich fehlerfrei ist.
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Der gesetzliche Rahmen der Auswahlentscheidung wird durch § 7 Abs. 1 LBG
festgelegt. Danach ist die Auslese der Bewerber (nur) nach Eignung, Befähigung und
fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben,
religiöser und politischer Anschauungen, Herkunft oder Beziehungen vorzunehmen. Die
Auswahl unter mehreren Bewerbern sowie die Gestaltung des hierbei anzuwendenden
Verfahrens liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Seinem Ermessen ist es
insbesondere überlassen, welchen (sachlichen) Umständen er bei seiner Auswahl das
größere Gewicht beimisst und in welcher Weise er den Grundsatz des gleichen
Zugangs zu jedem öffentlichen Amt nach dem Leistungsprinzip verwirklicht, sofern nur
dieses Prinzip selbst nicht in Frage gestellt ist. Dementsprechend hat der jeweilige
Bewerber nur einen (sicherungsfähigen) Anspruch auf eine verfahrensfehler- und
ermessensfehlerfreie Entscheidung.
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist dem Antragsteller einstweiliger Rechtsschutz in
der Gestalt, dass die Besetzung der Beförderungsstelle einstweilen zu unterbleiben hat,
zu versagen.
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Anhaltspunkte dafür, dass die Auswahlentscheidung an einem Verfahrensmangel leidet,
sind nicht gegeben. Auch in materiellrechtlicher Hinsicht stellt sich die angegriffene
Entscheidung als fehlerfrei dar; insbesondere hat der Antragsteller nicht glaubhaft
gemacht, dass er für die zu besetzende Beförderungsstelle besser qualifiziert ist als der
Beigeladene.
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Die der Auswahlentscheidung zu Grunde gelegten letzten dienstlichen Beurteilungen
des Antragstellers und des Beigeladenen, die sich jeweils auf den Beurteilungszeitraum
1. Juni 2002 bis 30. September 2005 beziehen, weisen einen Leistungsvorsprung des
Antragstellers nicht aus. Die Beamten sind übereinstimmend mit dem Gesamturteil „Die
Leistung und Befähigung übertreffen die Anforderungen in besonderem Maße" (5
Punkte ) beurteilt worden. Es besteht gerichtlicherseits keine Veranlassung, die
Berechtigung der Notengebung anzuzweifeln. Diesbezügliche Bedenken werden auch
von keinem Beteiligten substantiiert geltend gemacht.
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Ein Leistungsvorsprung des Antragstellers ergibt sich auch nicht mit Blick auf die von
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der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur inhaltlichen „Ausschöpfung"
dienstlicher Beurteilungen und zur Berücksichtigung älterer dienstlicher Beurteilungen.
Vor dem Hintergrund, dass bei Qualifikationsvergleichen im Rahmen von
Auswahlentscheidungen neben aktuellen Beurteilungen, die in erster Linie maßgebend
sind, auch ältere dienstliche Beurteilungen zu berücksichtigen sind, und zwar nicht erst
auf der Ebene der Hilfskriterien, sondern schon auf der Ebene des Leistungs- und
Eignungsvergleichs der Beförderungsbewerber,
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vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01 -, DÖD 2003, 200, vom 27.
Februar 2003 - 2 C 16.02 -, ZBR 2003, 420, und vom 21. August 2003 - 2 C 14.02 -,
DVBl 2004, 317 = ZBR 2004, 101 = NJW 2004, 870; OVG NRW, Beschlüsse vom 17.
Dezember 2003 - 6 B 2172/03 - und vom 22. Dezember 2003 - 6 B 2321/03-;
Beschlüsse der Kammer vom 29. Januar 2004 - 2 L 1792/03 - und vom 9. Juli 2004 - 2 L
714/04 -.
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ist der Dienstherr gehalten, der Aussagekraft der zuletzt erstellten dienstlichen
Beurteilungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Um dem gerecht zu werden, darf
er sich grundsätzlich nicht darauf beschränken, allein die (gleich lautenden)
Gesamturteile in den dienstlichen Beurteilungen der konkurrierenden Beamten in den
Blick zu nehmen. Eine solche isolierte Betrachtung der Endnote wird den an einen
sachgerechten Qualifikationsvergleich zu stellenden Anforderungen in aller Regel nicht
gerecht. Vielmehr ist der Dienstherr gehalten, eine weitere inhaltliche Auswertung der
dienstlichen Beurteilungen vorzunehmen und deren Inhalt (außerhalb der textlichen
Bestandteile des Gesamturteils) mit der Intention, aussagekräftige Anhaltspunkte für
einen eventuellen Qualifikationsvorsprung eines der Bewerber aufzuspüren, weiter
auszuschöpfen. Führt die Auswertung der Einzelfeststellungen zu dem Ergebnis, dass
ein Beamter für das Beförderungsamt besser qualifiziert ist als seine Mitbewerber, wird
die Aussagekraft älterer Beurteilungen relativiert und regelmäßig in den Hintergrund
gedrängt.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Februar 2004 - 6 B 2451/03 -; Beschlüsse der
Kammer vom 25. Juni 2004 - 2 L 521/04 - und vom 9. Juli 2004 - 2 L 714/04 -.
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Allerdings steht dem Dienstherrn bei der Würdigung von Einzelfeststellungen einer
Beurteilung - wie bei der dienstlichen Beurteilung insgesamt - ein gerichtlich nur
eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung des
Dienstherrn, bestimmte Einzelfeststellungen zur Begründung eines
Qualifikationsvorsprunges heranzuziehen oder nicht, ist demnach nur dann fehlerhaft,
wenn der in diesem Zusammenhang anzuwendende Begriff oder der gesetzliche
Rahmen, in dem sich der Dienstherr frei bewegen kann, verkannt worden ist oder wenn
der Dienstherr von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige
Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat. Hat der
Dienstherr sich aufdrängenden oder zumindest nahe liegenden Unterschieden in den
dienstlichen Beurteilungen der jeweiligen Konkurrenten keine Bedeutung beigemessen,
so trifft ihn - mit Blick auf das Gebot effektiver Rechtsschutzgewährung - insoweit eine
erhöhte Begründungs- und Substantiierungspflicht.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Februar 2004 a. a. O. sowie Beschlüsse vom 27.
September 1996 - 6 B 2009/96 - und vom 17. Dezember 2003 - 6 B 2172/03 -;
Beschluss der Kammer vom 8. Juli 2004 - 2 L 824/04 -.
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Hiervon ausgehend begegnet die Entscheidung des Antragsgegners, bei der
Stellenbesetzung den Beigeladenen dem Antragsteller vorzuziehen, keinen
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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Entgegen der Antragsbegründung führt eine qualitative „Ausschärfung" der aktuellen
dienstlichen Beurteilungen nicht zu einem Qualifikationsvorsprung des Antragstellers.
Der Antragsteller und der Beigeladene sind in den Hauptmerkmalen
„Leistungsverhalten", „Leistungsergebnis" und „Sozialverhalten" gleichermaßen mit
„übertrifft die Anforderungen in besonderem Maße" (5 Punkte) beurteilt worden.
Allerdings ist diese Note dem Antragsteller auch in dem weiteren Hauptmerkmal
„Mitarbeiterführung" zuerkannt worden, wogegen die letzte dienstliche Beurteilung des
Beigeladenen hierzu keinen Eintrag enthält. Hieraus ist für den Antragsteller indes ein
Qualifikationsvorsprung vor dem Beigeladenen nicht herleitbar. Dass der Antragsgegner
der Bewertung des Antragstellers in dem Hauptmerkmal „Mitarbeiterführung" keine
ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat, begegnet keinen durchgreifenden
rechtlichen Bedenken. Denn soweit eine Beurteilung in einem Hauptmerkmal nicht
erfolgt ist, ist ein qualitativer Vergleich zwischen den Bewerbern bezüglich dieses
Merkmales nicht möglich.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. September 2004 - 6 B 1586/04 und 6 B 1587/04 -.
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Allenfalls könnte sich in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob der Antragsteller
schon allein deshalb, weil er im Gegensatz zum Beigeladenen während des
Beurteilungszeitraumes und zum maßgeblichen Beurteilungszeitraum bereits eine
Führungsfunktion ausgeübt hat, einen Qualifikationsvorsprung aufweist oder ein solcher
nahe liegt. Diese Frage ist jedoch zu verneinen. Denn die streitbefangene
Beförderungsstelle stellt an die bisher ausgeübte Funktion der Bewerber keine
speziellen Anforderungen und ist auch nicht typischerweise mit Führungsfunktionen
verbunden, so dass dem Kriterium der Mitarbeiterführung bei der Bewerberauswahl
keine wesentliche Bedeutung zukommt. Entgegen der Auffassung des Antragstellers
handelt es sich bei - wie vorliegend - Dienstposten der Besoldungsgruppe A 12 BBesO
nicht ohne weiteres um solche, die mit Führungsverantwortung verbunden sind und
deshalb die Berücksichtigung des Kriteriums der Mitarbeiterführung gebieten.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. September 2005 - 6 B 1163/05 -, vom 27. Juli 2005
- 6 B 1007/05 - und vom 7. Januar 2005 - 6 B 2441/04 -, alle ergangen in Verfahren, die
die Übertragung von Beförderungsstellen der Besoldungsgruppe A 12 BBesO zum
Gegenstand hatten.
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Auch eine qualitative „Ausschärfung" der sich auf den Beurteilungszeitraum 1. Juni
1999 bis 31. Mai 2002 beziehenden vorletzten dienstlichen Beurteilungen ergibt keinen
Leistungsvorsprung des Antragstellers; denn der Antragsteller und der Beigeladene sind
in diesen Beurteilungen jeweils im Gesamturteil und in allen Hauptmerkmalen mit
„übertrifft die Anforderungen" (4 Punkte) beurteilt worden.
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Schließlich führt auch die Würdigung der sich auf den Beurteilungszeitraum 1. Juni
1996 bis 31. Mai 1999 beziehenden drittletzten dienstlichen Beurteilungen für den
Antragsteller nicht weiter, denn in diesen Beurteilungen sind sowohl der Antragsteller
als auch der Beigeladene jeweils im Ergebnis mit „Die Leistung und Befähigung
entsprechen voll den Anforderungen" (3 Punkte) bewertet worden. Allerdings hat der
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Antragsteller im Gegensatz zu dem Beigeladenen, dem in allen vier Hauptmerkmalen
die Note „entspricht voll den Anforderungen" zuerkannt worden ist, in zwei
Hauptmerkmalen die Note „übertrifft die Anforderungen" (4 Punkte) erzielt. Bei der
Würdigung der drittletzten dienstlichen Beurteilungen hat der Antragsgegner jedoch
ausschließlich auf das Gesamturteil abgestellt, ohne wie bei den vorangegangenen
dienstlichen Beurteilungen auch die Bewertung der einzelnen Hauptmerkmale in
Betracht zu ziehen. Hierbei hat sich der Antragsgegner davon leiten lassen, dass der
Beginn des Beurteilungszeitraumes dieser Beurteilungen nunmehr etwa 9 ½ Jahre
zurückliegt und somit im Hinblick auf einen Leistungsvergleich diese Beurteilungen nur
noch bedingt heranziehbar sind. Vor dem Hintergrund, dass dem Dienstherrn - wie
dargelegt - bei der Würdigung von Einzelfeststellungen einer Beurteilung wie bei der
dienstlichen Beurteilung insgesamt ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer
Beurteilungsspielraum zukommt, sieht die Kammer in dieser Vorgehensweise keinen
Grund zur Beanstandung. Denn es liegt auf der Hand, dass eine dienstliche Beurteilung
für einen Leistungsvergleich umso mehr in ihrer Aussagekraft abnimmt, je weiter sie
zurückliegt.
Ist somit auf der Ebene des Leistungs- und Eignungsvergleiches ein
Qualifikationsvorsprung des Antragstellers nicht feststellbar, geben für die vorliegende
Auswahlentscheidung Hilfskriterien den Ausschlag. Danach erscheint es als
ermessensfehlerfrei, die in Rede stehende Beförderungsstelle dem Beigeladenen zu
übertragen, weil er dem gehobenen Dienst nahezu ein Jahr länger angehört (erstes
Hilfskriterium) als der Antragsteller.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, wobei
berücksichtigt ist, dass der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat.
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Die Festsetzung des Streitwertes in Höhe des hälftigen Regelwertes beruht auf §§ 53
Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung.
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