Urteil des VG Arnsberg vom 19.11.2004

VG Arnsberg: öffentliche gesundheit, drohende gefahr, aufschiebende wirkung, schutz der gesundheit, nummer, gesetzliche vermutung, vollziehung, sicherheit, empfehlung, interessenabwägung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 3 L 1444/04
19.11.2004
Verwaltungsgericht Arnsberg
3. Kammer
Beschluss
3 L 1444/04
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen
die Nummer I 2. der Ordnungsverfügung vom 30. September 2004 und
die sich hierauf beziehende Androhung eines Zwangsgeldes (III 2.) wird
wiederhergestellt bzw. angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag
abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin zu 4/5 und die
Antragsgegnerin zu 1/5.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Antrag der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 1. Oktober 2004 gegen die
Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 30. September 2004 wiederherzustellen,
hat keinen Erfolg, soweit ihr in Nummer I 1. der Ordnungsverfügung die Aufbereitung von
Medizinprodukten untersagt und insoweit für den Fall einer Zuwiderhandlung ein
Zwangsgeld von 30.000 EUR (III 1.) angedroht worden ist. Soweit der Antragstellerin in
Nummer I 2. der Ordnungsverfügung aufgegeben worden ist, zu bestätigen, dass
entsprechend der Anordnung in Nummer I 1. keine Medizinprodukte mehr aufbereitet
werden, und ihr insoweit für den Fall einer Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld von 1.000,00
EUR (III 2.) angedroht worden ist, hat der Antrag Erfolg.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt (noch) den formellen Anforderungen des
§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Für die Erfüllung des formellen Begründungserfordernisses ist
jede schriftliche Begründung ausreichend, die - sei sie sprachlich oder gedanklich auch
noch so unvollkommen - zu erkennen gibt, dass die Behörde aus Gründen des zu
entscheidenden Einzelfalles eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält.
Dabei können - je nach Fallgestaltung - die Gründe für den Sofortvollzug mit den Gründen
für den Erlass des Verwaltungsaktes identisch sein. In solchen Fällen genügt es, wenn die
Behörde in der Begründung darauf in geeigneter Form hinweist.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2003 - 13 B 1313/03.
Gemessen hieran ist gegen die streitige Vollziehungsanordnung nichts einzuwenden. Mit
Blick auf die nach Einschätzung der Antragsgegnerin von den hier in Rede stehenden - von
der Antragstellerin selbst so eingestuften - kritischen Medizinprodukten im Falle einer nicht
ordnungsgemäßen Aufbereitung ausgehenden Gefahren für Patienten ist eine solche
Entsprechung der Gründe anzunehmen. Kritische Medizinprodukte sind solche zur
Anwendung von Blut, Blutprodukten und anderen sterilen Arzneimitteln und
Medizinprodukten, die die Haut oder Schleimhaut durchdringen und dabei in Kontakt mit
Blut, inneren Geweben oder Organen einschließlich Wunden kommen. Schon ein
einmaliger Kontakt mit einem infektiösen Medizinprodukt kann in einer solchen Situation
zur Infektion mit gravierenden gesundheitlichen Folgen für die Patienten führen. Die
Antragsgegnerin hat in ihrer Begründung (noch) deutlich gemacht, dass nach ihrer
Überzeugung bei Würdigung der Umstände dieses Falles eine sofortige Vollziehung der
Anordnungen geboten erscheint. Dass in der Begründung von einer ​Klinik C" gesprochen
wird, ist unerheblich. Aus dem gesamten Begründungszusammenhang der angegriffenen
Ordnungsverfügung wird erkennbar, dass es sich insoweit lediglich um eine
Fehlbezeichnung der Einrichtung ​Klinik N" handelt.
Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen
hinsichtlich der Nummer I 1. der Ordnungsverfügung und der hierauf bezogenen
Zwangsgeldandrohung (Nummer III 1.) geht zu Lasten der Antragstellerin aus, weil das
öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das private Aussetzungsinteresse der
Antragstellerin überwiegt.
Eine an den Erfolgsaussichten des Widerspruchs orientierte Abwägung ergibt kein
Überwiegen des Aussetzungsinteresses der Antragstellerin. Es spricht Überwiegendes für
die Rechtmäßigkeit dieser Anordnungen. Die Anordnung in Nummer I 1 der
Ordnungsverfügung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 28 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 des
Medizinproduktegesetzes. Danach trifft die zuständige Behörde alle erforderlichen
Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherheit von Patienten, Anwendern und
Dritten vor Gefahren durch Medizinprodukte; sie ist insbesondere befugt, Anordnungen
auch über die Schließung des Betriebes oder der Einrichtung zu treffen, soweit es zur
Abwehr einer drohenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit, Sicherheit oder Ordnung
geboten ist. Eine drohende Gefahr für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit ist hier
gegeben, weil die Antragstellerin nach summarischer Prüfung unter Verstoß gegen § 4
Abs. 2 Satz 1 der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) Medizinprodukte in
ihrer Einrichtung aufbereitet. Nach der vorgenannten Vorschrift ist die Aufbereitung von -
wie hier - bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur Anwendung kommenden
Medizinprodukten unter Berücksichtigung der Angaben des Herstellers mit geeigneten
validierten Verfahren so durchzuführen, dass der Erfolg dieser Verfahren nachvollziehbar
gewährleistet ist und die Sicherheit und Gesundheit von Patienten, Anwendern oder Dritten
nicht gefährdet wird. Das von der Antragstellerin angewandte Aufbereitungsverfahren
widerspricht diesen gesetzlichen Vorgaben.
Zunächst kann sich die Antragstellerin nicht auf die Vermutung einer ordnungsgemäßen
Aufbereitung von Medizinprodukten nach § 4 Abs. 2 Satz 3 MPBetreibV berufen. Nach den
nicht angegriffenen Feststellungen der Antragsgegnerin werden die Medizinprodukte in der
Einrichtung der Antragstellerin nicht entsprechend dieser Vorschrift unter Beachtung der
gemeinsamen Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und
Infektionsprävention am Robert Koch- Institut und des Bundesinstitutes für Arzneimittel und
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Medizinprodukte aufbereitet (sogen. RKI-Empfehlung).
Zwar lässt die Nichteinhaltung der RKI-Empfehlung umgekehrt noch nicht den Schluss zu,
dass die grundlegenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufbereitung von
Medizinprodukten nach § 4 Abs. 2 Satz 1 MPBetreibV nicht eingehalten worden sind. Denn
§ 4 Abs. 2 Satz 3 MPBetreibV ist lediglich als gesetzliche Vermutung der
ordnungsgemäßen Aufbereitung zu Gunsten des Instandhalters von Medizinprodukten
ausgestaltet. Dies hat zur Folge, dass, wenn die Vermutung - wie hier - nicht greift, anhand
der Anforderungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 MPBetreibV die Ordnungsgemäßheit der
Aufbereitung von bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur Anwendung kommenden
Medizinprodukten im einzelnen festzustellen ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die von der
Antragstellerin praktizierte Aufbereitung der bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur
Anwendung kommenden Produkte genügt aber auch nicht den Vorgaben des § 4 Abs. 2
Satz 1 MPBetreibV. Diese Vorschrift setzt zwingend voraus, dass die Aufbereitung der
Medizinprodukte mit geeigneten validierten Verfahren so durchzuführen ist, dass der Erfolg
dieser Verfahren nachvollziehbar gewährleistet ist. Damit wird für die Aufbereitung von
Medizinprodukten verlangt, dass die Eignung (Produktverträglichkeit) der zur Anwendung
kommenden Aufbereitungsverfahren (Gewährleistung der funktionellen und
sicherheitsrelevanten Eigenschaften des Medizinproduktes nach Aufbereitung) und die
Wirksamkeit im Rahmen einer produkt- /produktspezifischen Prüfung und Validierung
belegt werden. Nur mit der Validierung der Aufbereitungsprozesse werden die Parameter
definiert, die erforderlich sind zu beweisen, dass der jeweilige Prozess in einer Form
durchlaufen wurde, die die effektive Reinigung, Desinfektion und Sterilisation garantiert.
Bei einer Validierung handelt es sich um ein dokumentiertes Verfahren zum Erbringen,
Aufzeichnen und Interpretieren der Ergebnisse, die für den Nachweis benötigt werden,
dass ein Verfahren beständig Produkte liefert, die den vorgegebenen Spezifikationen -
bestimmungsgemäß keimarm oder sterile Medizinprodukte - entsprechen. Das von der
Antragstellerin praktizierte Verfahren entspricht diesen grundlegenden Anforderungen
bereits nicht. Die Antragstellerin wendet nach den - von ihr nicht in Abrede gestellten -
Feststellungen der Antragsgegnerin kein derart dokumentiertes Verfahren zur Aufbereitung
der Medizinprodukte an; insbesondere hat eine Überprüfung der eingesetzten
Dampfsterilisatoren auf eine mögliche Validierfähigkeit der Prozesse bislang nicht
stattgefunden (Punkt 7. Inspektionsprotokoll vom 27. August 2004).
Die Antragstellerin ist von der Verfahrensvalidation nicht etwa deshalb befreit, weil sie - wie
vorgetragen - eine Rehabilitationseinrichtung und kein Akutkrankenhaus betreibt. § 4 Abs.
2 Satz 1 MPBetreibV unterscheidet nicht nach der Art der Einrichtungen, sondern nach der
Klassifizierung des Medizinprodukts. Die Vorschrift knüpft allein an die Art der Aufbereitung
an, nämlich daran, ob - was die Antragstellerin selbst einräumt - bestimmungsgemäß
keimarm oder steril zur Anwendung kommende Medizinprodukte aufbereitet werden. Diese
Anknüpfung an die Klassifizierung des Medizinprodukts wird allein dem Normzweck, für die
Sicherheit der Medizinprodukte sowie die Gesundheit und den erforderlichen Schutz der
Patienten zu sorgen (§ 1 Medizinproduktegesetz), gerecht. Die Antragsgegnerin hat
zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die Infektiosität eines nicht ordnungsgemäß
aufbereiteten Medizinprodukts nicht nach der Einrichtung, in der das infektiöse
Medizinprodukt angewendet wird, oder nach der Häufigkeit des Einsatzes eines solchen
Medizinproduktes richtet; vielmehr bestimmt der Einsatzbereich des Medizinproduktes
maßgeblich die Gefährdung des Patienten im Falle einer nicht ordnungsgemäßen
Aufbereitung.
Die Aufbereitung der Medizinprodukte mit nicht validierten Verfahren stellt - unabhängig
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von der Frage, ob die aufgearbeiteten Medizinprodukte im konkreten Einzelfall steril sind -
eine drohende Gefahr im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 Medizinproduktegesetz dar. Denn
der Verordnungsgeber geht davon aus, dass das erhebliche Gefährdungspotenzial von
Medizinprodukten, die bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur Anwendung gelangen
müssen, nur bei einer ordnungsgemäßen Aufbereitung, d.h. mit validierten Verfahren,
hingenommen werden kann, weil bereits ein einmaliger Kontakt mit einem infektiösen
Medizinprodukt zur Infektion führen und damit für den Patienten mit gravierenden
Gesundheitsfolgen verbunden sein kann.
Die Untersagung der Aufbereitung der bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur
Anwendung kommenden Medizinprodukte ist ermessensfehlerfrei erfolgt; sie ist
insbesondere verhältnismäßig. Ausgehend von dem von nicht ordnungsgemäß
aufbereiteten Medizinprodukten der vorgenannten Art ausgehenden erheblichen
Gefährdungspotenzial ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die weitere
Aufbereitung untersagt hat, nachdem die Antragstellerin die geforderte Mängelbeseitigung
verweigert hat. Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Maßnahme ist es
insbesondere nicht Aufgabe der Antragsgegnerin, geeignete, von den Anforderungen der
RKI-Empfehlung abweichende, validierte Verfahren zur Aufbereitung der hier in Rede
stehenden Medizinprodukte zu entwickeln und diese der Antragstellerin als milderes Mittel
aufzugeben. Dies verbietet sich bereits im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr. Die
Untersagungsanordnung ist angesichts des von nicht ordnungsgemäß aufbereiteten
Medizinprodukten der hier vorliegenden Art ausgehenden Gefährdungspotenzials auch
nicht unangemessen. Es ist nicht erkennbar und wird von der Antragstellerin auch nicht
konkret dargelegt, dass die Aufbereitung nicht an Externe vergeben werden kann.
Die Zwangsgeldandrohung (III 1. der Ordnungsverfügung) findet ihre Rechtfertigung in §§
55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60 und 63 VwVG NRW.
Die von den Erfolgsaussichten unabhängige Interessenabwägung fällt zu Lasten der
Antragstellerin aus. Dafür ist zunächst ausschlaggebend, dass Vieles dafür spricht, dass
die Antragstellerin die hier in Rede stehenden Medizinprodukte nicht entsprechend den
Anforderungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 MPBetreibV aufbereitet und von nicht
ordnungsgemäß aufbereiteten Medizinprodukten ein erhebliches Gefährdungspotenzial
ausgeht. Es kann mangels Anwendung validierter Verfahren nicht ausgeschlossen werden,
dass unsterile Medizinprodukte in der Einrichtung der Antragstellerin zur Anwendung
gelangen. Die Anwendung von unsterilen Medizinprodukten in der hier vorgesehenen Art
und Weise kann zum Eindringen von Mikroorganismen in den Menschen führen, die je
nach Disposition und weiteren Faktoren zu schweren Erkrankungen und in deren Folge
möglicherweise auch zum Tod führen können. Dagegen ist es der Antragstellerin möglich
und zumutbar, vorübergehend die bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur Anwendung
kommenden Medizinprodukte extern aufbereiten zu lassen. Das Interesse an der
einstweiligen Nichtvollziehung tritt daher hinter das öffentliche Interesse an der Fortdauer
der Vollziehung zurück.
Hinsichtlich der Anordnung zu Nummer I 2. der Ordnungsverfügung und der damit
verbundenen Zwangsgeldandrohung geht die Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5
VwGO zu Gunsten der Antragstellerin aus. Dies ergibt sich bereits aus einer an den
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs orientierten Interessenabwägung. Die Anordnung ist
offensichtlich rechtswidrig. Sie kann insbesondere nicht auf § 28 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1
Medizinproduktegesetz gestützt werden. Sie dient allein dem Zweck, die Beachtung der
Anordnung zu Nummer I 1 der Ordnungsverfügung zu überwachen. Welche Maßnahmen
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im Rahmen der Überwachung zulässig sind, ergibt sich aus § 26 Medizinproduktegesetz,
insbesondere aus dessen Abs. 3. Dieser sieht die Abgabe einer Erklärung zur Einhaltung
eines angeordneten behördlichen Verbots indes nicht vor. Abgesehen davon wäre die
Anordnung zur Gefahrenabwehr auch ungeeignet. Die bloße Erklärung, das Verbot
beachten zu wollen, bietet nicht die Gewähr, dass das Verbot auch tatsächlich eingehalten
wird. Sie entbindet die Überwachungsbehörde insbesondere nicht davon, die Einhaltung
des Verbots zu kontrollieren.
Die mit der Anordnung zu Nummer I 2. der Ordnungsverfügung verbundene
Zwangsgeldandrohung (III 2.) teilt das rechtliche Schicksal der Grundverfügung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung
auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.