Urteil des VG Arnsberg vom 11.09.2002

VG Arnsberg: sri lanka, politische verfolgung, wahrscheinlichkeit, regierung, gefahr, staatliches handeln, amnesty international, staatliche verfolgung, folter, zahl

Verwaltungsgericht Arnsberg, 11 K 3937/01.A
Datum:
11.09.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 3937/01.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits, für den Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die am 29.05.1976 in Chavakachcheri auf der Halbinsel Jaffna geborene Klägerin ist
srilankische Staatsangehörige tamilischer Volkszugehörigkeit. Vor ihrer Ausreise lebte
sie zuletzt in Vavuniya.
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Am 29.06.2000 verließ die Klägerin ihr Heimatland und erreichte auf dem Luftwege
nach einem Zwischenaufenthalt in Singapur und einem weiteren unbekannten Land am
30.06.2000 die Bundesrepublik Deutschland. Am 18.09.2000 beantragte sie die
Gewährung politischen Asyls. Diesen Antrag begründete die Klägerin bei der am
gleichen Tage vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
(Bundesamt) durchgeführten Anhörung wie folgt: Sie habe die Schule mit der 12. Klasse
abgeschlossen. Zunächst habe sie in ihrem Geburtsort, später in Kilinochchi die Schule
besucht. Bis 1999 seien sie in dem Ort Punnarnari bei Paranathan wohnhaft gewesen.
Danach sei sie mit ihren Eltern nach Allamadhu im Mannar-Distrikt gezogen. Nach der
Schule habe sie in der Zeit von 1995 bis 1999 in einem Geschäft der LTTE gearbeitet.
Dort seien Landwirte beraten und Düngemittel verteilt worden, welche sie von der
srilankischen Regierung bezogen hätten. Zunächst sei sie unentgeltlich dort tätig
gewesen; ab 1996 habe sie ein festes Gehalt von zunächst 1.500 Rupien, später 2.000
Rupien bezogen. Im September/Oktober 1996 sei das Geschäft von Kilinochchi nach
Skanthapuram verlegt worden. Sie sei dort bis zu ihrem Umzug nach Mannar tätig
gewesen. Einer ihrer Brüder sei Angehöriger der LTTE gewesen und 1996
zurückgekehrt. Danach sei ein anderer Bruder LTTE-Kämpfer geworden. Ihre Eltern
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hätten um sie - die Klägerin - Angst gehabt, weil so viele Leute von dem srilankischen
Militär verschleppt und getötet worden seien. Sie habe deswegen nicht in Mannar
bleiben können, als dieses von der srilankischen Armee angegriffen worden sei.
Stattdessen sei sie 1999 nach Vavuniya zu einem Onkel gegangen, der sie schließlich
nach Colombo geschickt habe. Dort sei sie am 18.06.2000 angekommen und bereits
wenige Tage später ausgereist.
Durch Bescheid vom 19.09.2001, als Einschreiben zur Post gegeben am 25.09.2001,
lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin ab. Gleichzeitig stellte es fest, dass
die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes und
Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 des Ausländergesetzes bei der Klägerin
nicht vorlägen. Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb eines
Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls sie nach Sri
Lanka oder in ein anderes aufnahmebereites Land abgeschoben werde.
3
Daraufhin hat die Klägerin am 28.09.2001 die vorliegende Klage erhoben.
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Sie beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 19.09.2001 zu verpflichten, sie - die Klägerin - als
Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 des Ausländergesetzes hinsichtlich des Staates Sri Lanka vorliegen,
6
hilfsweise,
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die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass Abschiebungs- hindernisse im
Sinne des § 53 des Ausländergesetzes gegeben sind.
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Die Beklagte, die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen ist,
hat - schriftsätzlich - beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakten und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
12
Die zulässige Verpflichtungsklage ist weder mit dem Hauptantrag noch mit dem
Hilfsantrag begründet.
13
Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 19.09.2001 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf
Anerkennung als Asylberechtigte, da sie nicht im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 des
Grundgesetzes - GG - politisch Verfolgte ist. Im Hinblick auf die nicht festzustellende
politische Verfolgung der Klägerin vermag sie auch nicht mit dem Begehren
durchzudringen, die Beklagte zur Feststellung zu verpflichten, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - vorliegen.
14
Vgl. zur Deckungsgleichheit von Verfolgungshandlung, geschütztem Rechtsgut sowie
politischem Charak- ter der Verfolgung bei Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. = Art. 16 a Abs.
1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18.
02.1992 - 9 C 59.91 -, Neue Zeitschrift für Verwal- tungsrecht (NVwZ) 1992, 892, sowie
zur Deckungs- gleichheit des politischen Charakters bei Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1
AuslG und bei Art. 1 A Nr. 2, Art. 33 Genfer Konvention (GK) BVerwG, Urteil vom
18.01.1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ 1994, 497, 498 f.
15
Wegen der tatsächlichen und rechtlichen Kriterien, unter denen eine politische
Verfolgung und eine daraus folgende Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §
51 Abs. 1 AuslG anzunehmen ist, wird auf die Beschlüsse des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -
(Entscheidungen des BVerfG - BVerfGE - 80, 315 ff.) und vom 22.03.1990 - 2 BvR 875
und 936/86 - verwiesen.
16
Für die Beurteilung, ob die Klägerin politisch Verfolgte ist, ist nicht darauf abzustellen,
ob sie bei Rückkehr in ihr Heimatland vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist,
sondern darauf, ob ihr politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht,
denn sie ist nicht wegen bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung
ausgereist; mithin kommen nur Nachfluchttatbestände in Betracht.
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Vgl. zu den Maßstäben BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 a.a.O., S. 344 und BVerwG,
Urteil vom 23.07.1991 - 9 C 145.90 -, Entscheidungen des BVerwG (BVerwGE) 88, 367,
369 m.w.N.; zur Übereinstimmung der Maß- stäbe nach Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1
AuslG und Art. 1 A Nr. 2 GK in der praktischen Rechtsan- wendung vgl. BVerwG, Urteile
vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwz 1994, 500, und vom 18.01.1994 - 9 C 48.92 -
a.a.O.
18
Bei der Prüfung und Beurteilung erlittener oder unmittelbar drohender Vorverfolgung ist
entscheidend auf. das Vorbringen der Asylbewerber abzustellen. Da sie allein die
bestimmenden Grunde für das Verlassen ihres Herkunftslandes kennen, obliegt es
ihnen, die tatsächliche Grundlage für eine politische Verfolgung selbst in schlüssiger
Form vorzutragen. Dabei haben sie bezüglich der in ihre eigene Sphäre fallenden
Umstände, insbesondere ihrer persönlichen Erlebnisse, unter Angabe genauer
Einzelheiten eine in sich stimmige Sachverhaltsschilderung zu geben, während
hinsichtlich der allgemeinen Umstände im Herkunftsland eine Darstellung von
Tatsachen genügt, aus denen sich die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer
Verfolgung ergibt.
19
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.11.1982 - 9 C 74.81 -, Buchholz, Sammel- und
Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG (Buchholz) 402.24 § 28 AuslG Nr.
42, Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 212,
ferner zur Verfassungsmäßigkeit der Subs- tantiierungslast BVerfG, Beschluss vom
23.12.1985 - 2 BvR 1063/84 -, NVwZ 1987, 487.
20
Nach dem Vorbringen der Klägerin ist nicht ersichtlich, dass sie Sri Lanka aus einer
ausweglosen Lage unter dem Druck erlittener oder unmittelbar drohender politischer
Verfolgung verlassen hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie mit ihrer Ausreise
"lediglich" dem srilankischen Bürgerkrieg und den hiermit aus ihrer Sicht -
beziehungsweise der Sicht ihrer Eltern - verbundenen Gefahren entgehen wollte.
21
Hierbei handelt es sich jedoch nicht um drohende Maßnahmen politischer Verfolgung.
Vielmehr war die Klägerin insoweit Beeinträchtigungen ausgesetzt, die als Folge der
Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen srilankischen Streitkräften und der
LTTE noch außerhalb des Bereichs politischer Verfolgung lagen. Diese
Beeinträchtigungen und Gefährdungen waren Auswirkungen des gegen die LTTE
geführten Bürgerkriegs, der in Bezug auf das Betroffensein der Klägerin typisch
militärisches Gepräge aufwies und insbesondere, wie nachfolgend noch im Einzelnen
auszuführen sein wird, nicht darauf gerichtet war, die im Bürgerkriegsgebiet lebenden
und an der Auseinandersetzung nicht unmittelbar beteiligten Zivilpersonen physisch zu
vernichten oder zu beeinträchtigen beziehungsweise sie unterhalb dieser Schwelle
unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen und auf diese Weise auszugrenzen.
Dementsprechend vermochte die Klägerin mit ihrem Asylbegehren nur dann
durchzudringen, wenn Nachfluchtgründe eingreifen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine
nach dem Verlassen Sri Lankas selbst herbeigeführte Verfolgungsgefahr, die einen
subjektiven Nachfluchtgrund ergeben könnte, ist nicht ersichtlich; insbesondere gibt die
Stellung eines Asylantrages insofern nichts her (Auswärtige Amt - AA - 20.04.2001 S. 4;
24.10.2001 S. 27; UNHCR 25.04.1997). Bei der (Wieder-)einreise nach Sri Lanka
müssen Rückkehrer nicht mit asylrechtsrelevanten Repressalien rechnen. Allerdings
kommen - asylunerhebliche - Befragungen mit kurzzeitigen Inhaftierungen bei den
Einreisekontrollen vor (Bartsch 29.06.2001 S. 6), die im Wesentlichen dem Zweck
dienen, die Identität des Einreisenden und eventuelle Strafvorwürfe ihm gegenüber zu
klären; vereinzelt wird von Fällen berichtet, in denen das Festhalten von Personen im
Rahmen von Identitätskontrollen längere Zeit, mitunter Wochen dauerte (amnesty
international - ai - 01.03.1999 S. 3; Wingler 01.04.1999 S. 3). Rückschlüsse auf eine
Gruppenverfolgung lassen diese Einzelfälle schon mit Rücksicht auf die mangelnde
Dichte der Zugriffe nicht zu. Abgesehen davon kommt einer - gegebenenfalls auch
länger währenden - Inhaftnahme, die objektiv dem Zweck der Identitätsabklärung dient,
nicht ohne weiteres die Qualität einer asylerheblichen Maßnahme zu.
22
Vgl. hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 25.07.2000 - 9 C 28.99 -, NVwZ 2000, 1426.
23
Auch die Verschärfung von Strafvorschriften für Verstöße gegen Bestimmungen des
Ein- und Ausreise- sowie des Passrechts (Südasienbüro 14.09.1998 mit Auszügen aus
dem "Immigrants and Emigrants Act") keinen Anlass zu der Annahme, dass
Rückkehrern politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen könnte.
Indessen stellt die Ahndung von Verstößen gegen Ein-, Ausreise- oder
Passbestimmungen keine Rechtsgutverletzung in Anknüpfung an asylrelevante
Merkmale dar. Die - nicht neu geschaffenen, sondern lediglich in der Strafandrohung
verschärften - Straftatbestände (insbesondere Ein- oder Ausreise ohne gültigen
Reisepass, Nachmachen oder Fälschen von Reisedokumenten, Besitz oder Benutzung
von nachgemachten oder gefälschten Reisedokumente, Besitz oder Beantragung
mehrerer Reisedokumente oder Unbefugter Besitz eines Reisedokumentes einer
anderer Person) sind zur Kontrolle der Außengrenze des Staatsgebietes in der
Staatenpraxis geläufig und ergeben so keinen Hinweis für eine politische Verfolgung.
Auch gelten sie für alle srilankischen Staatsangehörige und nicht nur für tamilische
Volkszugehörige (Südasien-Büro 14.09.1998 mit Auszügen aus dem "Immigrants and
Emigrants Act"). Soweit unter Bezugnahme auf Auskünfte und Stellungnahmen eines
tamilischen Parlamentsabgeordneten ausgeführt ist, dass novellierte Gesetz treffe
insbesondere tamilische Flüchtlinge (KK 12.03.1999 S. 3 und Südasien 2/1999 S. 11),
wird lediglich eine rein tatsächliche Folge aufgezeigt, die als solche ohne
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Aussagegehalt für die Frage der politischen Verfolgung ist. Erst wenn sich
Anhaltspunkte dafür ergeben, dass lediglich Verstöße durch Tamilen verfolgt,
diejenigen durch Staatsangehörige anderer Volkszugehörigkeit aber ungeahndet
blieben oder wenn die Möglichkeit, die Verstöße durch ordnungsgemäße Papiere und
deren gesetzmäßigen Gebrauch zu vermeiden, zwar Personen anderer
Volkszugehörigkeit eingeräumt, den Tamilen jedoch vom srilankischen Staat verwehrt
würden, könnte Anlass zur Annahme einer Asylerheblichkeit entsprechender, auf das
fragliche Gesetz gestützter Maßnahmen bestehen. Indessen lässt sich dem
vorliegenden Material nichts Tragfähiges in dieser Hinsicht entnehmen.
Vgl. hierzu im Einzelnen Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
(OVG NRW), Urteil vom 23.11.2001 - 21 A 4018/98.A -.
25
Ebenso wenig kann auf der Grundlage des vorliegenden Auskunftsmaterials die
Feststellung getroffen werden, dass Rückkehrer bei Maßnahmen der
Identitätsfeststellung, in Anwendung von Strafvorschriften des "Immigrants and
Emigrants Act" oder wegen des Verdachts von Auslandsaktivitäten für die LTTE mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Rechtsgutbeeinträchtigungen,
namentlich Misshandlung und Folter, drohen.
26
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.11.2001 aaO..
27
Auch im Übrigen tragen die Verhältnisse in Sri Lanka, die durch zahlreiche, in
wesentlichen Punkten übereinstimmende Tatsachenangaben in den in das Verfahren
eingeführten Auskünften unterschiedlicher Stellen belegt sind, nicht die
Schlussfolgerung auf politische Verfolgung der Tamilen als Gruppe oder einer
vorliegend möglicherweise relevanten Untergruppe durch den srilankischen Staat, und
zwar weder für das gesamte Land noch für einzelne Landesteile. Dies hat das OVG NW
in einer Reihe von Urteilen in mittlerweile ständiger Rechtsprechung
28
vgl. zuletzt Urteil vom 23.11.2001 aaO.,
29
unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage entschieden. Das erkennende
Gericht folgt dieser Rechtsprechung.
30
Hiernach gilt Folgendes:
31
Die innenpolitischen Situation in Sri Lanka ergibt für Tamilen weder landesweit noch
regional begrenzt die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung, noch
ist für die absehbare Zukunft eine Verschlechterung der Lage in diese Richtung zu
erwarten.
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Eine landesweite staatliche Verfolgung von Tamilen allein aus ethnischen Gründen
findet nach wie vor nicht statt (ai 28.09.1995 S. 3; AA 07.07.1995 S. 1; 24.10.2001 S.
11). Auch landesweite allein ethnisch bedingte Repressalien gegen Tamilen von Seiten
der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit sind auch nach der LTTE zugeschriebenen
Attentaten und Anschlägen und verlustreichen Kämpfen im Norden ausgeblieben.
Nachhaltig beeinträchtigt wird die Situation der tamilischen Volkszugehörigen allerdings
im Zusammenhang mit den Aktionen und Reaktionen der staatlichen Sicherheitskräfte
und der Zivilbevölkerung im Rahmen bzw. als Folge des zwischen der LTTE und den
Sicherheitskräften geführten Bürgerkriegs. Entsprechend den unterschiedlichen
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Ausprägungen dieses Konflikts stellen sich auch dessen Auswirkungen auf die Lage
der Angehörigen der tamilischen Minderheit in den verschiedenen Gebieten Sri Lankas
unterschiedlich dar. Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild: Im Großraum Colombo und
- in geminderter Weise - in den sonstigen Bereichen des Südens und Westens Sri
Lankas drohen Tamilen zwar Beeinträchtigungen. Diese erreichen aber weithin nicht
die Eingriffsintensität, die für eine asylerhebliche Rechtsgutbeeinträchtigung erforderlich
ist, oder es mangelt ihnen an der notwendigen Gerichtetheit oder sie sind dem
srilankischen Staat nicht zuzurechnen; soweit diese einer Asylberechtigung
entstehenden Gesichtspunkte nicht eingreifen, fehlt es an der für eine Asylgewährung
erforderlichen Verfolgungsdichte.
Allerdings besteht für Angehörige der tamilischen Volksgruppe eine gewisse
Wahrscheinlichkeit, einer Identitätsfeststellung unterzogen und zu diesem Zweck
eventuell verhaftet zu werden. Diese Maßnahmen sind im Zusammenhang
insbesondere mit den wiederholten Bombenattentaten zu sehen, zu denen es seit dem
Ende der Friedensgespräche zwischen der Regierung und der LTTE und dem
Wiederausbruch der offenen Kriegshandlungen im Norden Sri Lankas im April 1995 und
erneut und verstärkt kommt und die eine Vielzahl von Opfern fordern sowie zum Teil
erhebliche Sachschäden verursachen. Von ihnen sind in erster Linie jüngere Tamilen
beiderlei Geschlechts im Alter von 15 bis 40 Jahren betroffen sind (AA 24.10.2001 S. 12;
ai --.06.1999, Länderkurzbericht S. 3; KK 04.01.1996 S. 54; Südasien 1/00; Wingler --
.05.2000 S. 1) Schätzungen über die Anzahl der von solchen Maßnahmen Betroffenen
belaufen sich schon bei einzelnen Vorkommnissen auf mehrere Hundert oder gar
Tausende Personen (AA 05.06.2000 S. 16; KK 04.01.1996 S. 55, 13.05.1996 S. 3,
20.03.1998; Wingler 31.05.1998 S. 27, 33). So sollen etwa in den ersten zwei
Oktoberwochen 1999 zweitausend Festnahmen in Colombo erfolgt sein, von denen
etwa 100 längerfristig inhaftiert geblieben sein sollen (ai 23.02.2000[1] S. 4); im
Anschluss an Attentate auf eine Wahlkampfveranstaltung der UNP ("United National
Party") und auf Präsidentin Kumaratunga am 18. Dezember 1999 kam es in Colombo zu
mehreren "Round-ups" mit Tausenden von Festnahmen. Hierbei sollen am 06. Januar
2000 rund 2.200, am folgenden Tag 1.500 Festnahmen erfolgt sein, wobei es sich
ausschließlich um Angehörige der tamilischen Minderheit gehandelt haben soll; am
22.01.2000 sollen 2.218 Personen festgenommen worden sein (ai 23.02.2000 an VG
Hannover (2) - im Folgenden[2] - S. 2; KK 02.02.2000 S. 5); für den 29./30.01.2000 wird
aus den Gebieten von Wattala, Ja-Ela, Negombo und Kathana nördlich von Colombo
von 1.371 festgenommenen männlichen und 365 weiblichen Tamilen berichtet (KK
18.02.2000 S.1; 29.02.2000, S. 3). Aktuell hat sich die Lage ab der zweiten Jahreshälfte
2000 eher entspannt. Die Anzahl der Überprüfungsmaßnahmen ist im Vergleich zur
ersten Jahreshälfte 2000 zurückgegangen. Nach dem Anschlag auf den
Luftwaffenstützpunkt Katunayake und den angrenzenden internationalen Flughafen am
24.07.2001 ist es etwa zu einer weit geringeren Anzahl kurzfristiger Festnahmen
gekommen als bei vergleichbar schweren Anschlägen auf Einrichtungen bzw. Personen
in der Vergangenheit (AA 24.10.2001 S. 6, 12 und 24).
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Den vorbezeichneten Maßnahmen fehlt es an der erforderlichen Eingriffsintensität von
Akten der politischen Verfolgung, und zwar auch dann noch, wenn sie in Inhaftierungen
münden. Dies gilt jedenfalls dann, soweit diese - wie in der weit überwiegenden Zahl -
nur kurze Zeit dauern und es dabei zu keinen anderweitigen asylerheblichen
Rechtsgutverletzungen kommt. Maßnahmen zur Identitätsfeststellung sind
herkömmlicher und üblicher Bestandteil der präventiven und repressiven Tätigkeit
staatlicher Sicherheitskräfte im Rahmen der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung.
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In diesem Rahmen können sie sich auch gegen Unbeteiligte richten, was die
Möglichkeit einschließen kann, Unbeteiligte kurzfristig in Haft zu nehmen, um z. B. ihre
Identität zu überprüfen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2000 aaO. m. w. N..
36
Inhaftierungen mit einer Dauer von nicht mehr als 2 Tagen, die nach dem vorab
Dargestellten aus dem Bereich des asylerheblichen herausfallen, prägen das
Inhaftierungsgeschehen. Die Größenordnung der Fälle, in denen die Inhaftnahme
länger als 2 Tage andauert, wird in jüngerer Zeit vom Auswärtigen Amt auf unter 10 %
geschätzt (AA 24.10.2001 S. 12: Etwa 90 % der Inhaftierten sind innerhalb von 48
Stunden frei, weitere 9% binnen einer Woche). Die Anzahl der wegen Verdachts auf
LTTE-Verbindungen nach den Vorschriften des PTA bzw. ER länger in Haft
befindlichen Personen wird für die jüngere Zeit mit rund 2.000 (AA 24.10.2001 S. 24;
Busch 02.11.2000 S. 6) bzw. mit 1.000 bis 2.000 (Wingler --.05.2000 S. 3) angegeben.
37
Mag die Dauer einer Inhaftierung auch ein wesentliches Element für die Beurteilung der
Frage sein ob die betreffende Maßnahme asylerheblich ist oder nicht, so ist sie als
alleiniges Entscheidungskriterium hierfür indessen nicht ausreichend. Denn ob eine an
asylerhebliche Merkmale anknüpfende und zielgerichtete Verfolgung vorliegt - die
Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals erfolgt - ist anhand des inhaltlichen
Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu bestimmen.
Insoweit fehlt es indessen an ausreichenden Anhaltspunkten dafür, dass bei den in
Rede stehenden Inhaftierungen eine asylerhebliche Gerichtetheit im maßgeblichen
Umfange vorliegt. In allen angesprochenen Stellungnahmen wird ein Zusammenhang
der Verhaftungsaktionen im Großraum Colombo mit den terroristischen Aktivitäten der
LTTE im Süden und Westen hergestellt. Die Verhaftungsaktionen sind insoweit in
prägender Weise objektiv darauf gerichtet, die Infiltration von LTTE-Terroristen aus dem
Norden und Osten des Landes abzuwehren. Entscheidend für eine weiter gehende
Überprüfung des Betroffenen und seine damit möglicherweise einhergehende weitere
Inhaftierung ist dementsprechend, ob sich bei der Personenüberprüfung ein
bestehender "Anfangsverdacht" entkräften lässt, etwa durch den Besitz von Papieren
zum Identitätsnachweis, einen langjährigen Wohnsitz am Ort der Kontrolle, eine
gesicherte familiäre und wirtschaftliche Existenz, eine feste Arbeitsstelle oder einen
sonstigen plausiblen Grund für den Aufenthalt in Colombo (AA 27.07.2000 S. 4,
17.03.1997 S. 4, 16.01.1996 S. 8 f.; ai 23.02.2000[2] S. 4; KK 02.09.1997 S. 1;
18.02.2000 S. 2; European Union, Council - EU - 02.04.1997 S. 10). Insofern ist davon
auszugehen, dass die srilankischen Sicherheitsbehörden bei den massenhaften
Überprüfungen ein Kontrollraster zu Grunde legen, dass nicht an asylerhebliche
Merkmale anknüpft, sondern von - wenn auch aus europäischer Sicht nicht in jeder
Hinsicht ohne weiteres nachvollziehbaren - kriminalistischen und kriminaltaktischen
Erwägungen getragen ist. Der Umstand, dass von den erörterten Maßnahmen gerade
Tamilen betroffen sind, ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der zu bekämpfende
Terror von der LTTE als einer tamilischen separatistischen Organisation ausgeht.
Anknüpfungspunkt für die Sicherheitsüberprüfungen sind damit für diese Organisation
bedeutsame Auffälligkeiten, insbesondere das Erscheinungsbild der Tamilen allgemein.
Dieser Anknüpfungspunkt ist damit rein faktischer Natur und sagt nichts über die
objektive Gerichtetheit der entsprechenden Maßnahmen im Sinne einer politischen
Verfolgung aus.
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Bei der Beurteilung der Frage, welche Umstände als hinreichend anzusehen sind, um
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Inhaftierungen von tamilischen Volkszugehörigen über kurze Dauer hinaus - im Hinblick
auf das Ziel der Verhinderung von Gewalttaten sowie der Verfolgung und Überführung
von Straftätern und der Identifizierung von Personen, die sich nicht ausweisen können
und/oder keinen plausiblen Grund ("valid reason") für ihren Aufenthalt im Großraum
Colombo nachweisen können - wegen fehlender Gerichtetheit der Maßnahmen auf
asylerhebliche Merkmale aus dem Bereich der politischen Verfolgung auszuklammern,
ist die Intensität der abzuwendenden Gefahr ein maßgebliches Beurteilungskriterium.
Diese Gefahr ist angesichts der Vielzahl und der Tragweite der Terroranschläge, die
von der LTTE verübt worden sind oder ihr zugerechnet werden, erheblich. Beispielhaft
seien insoweit genannt die Anschläge auf Treibstofflager im Oktober 1995, auf die
Zentralbank im Januar 1996, auf einen Vorortzug im Juli 1996, auf das Handelszentrum
in Colombo im Oktober 1997, auf den Zahntempel in Kandy im Januar 1998 (AA
19.01.1999, S. 3), auf eine Wahlkampfveranstaltung der UNP am 18.12.1999 (ai
23.02.2000[2] S. 2), auf Präsidentin Kumaratunga am gleichen Tage, auf das Büro der
Ministerpräsidentin Bandaraneike am 05.01.2000 (ai 23.02.2000[2] S. 2), auf den
Minister für industrielle Entwicklung, C. V. Gunaratne, am 07.06.2000 (AA 11.07.2000),
auf einen Militär-Lkw in Wattala am 14.06.2000 (Südasien 4/00 S. 4) und auf die
Kinderhilfsorganisation "Save the children" am 27.06.2000. Die Terroranschläge der
LTTE sind darauf angelegt, unter Inkaufnahme einer Vielzahl unbeteiligter Opfer und
erheblicher Sachschäden die Sicherheitslage nachhaltig zu erschüttern, für
anderweitige Erfolge der Sicherheitskräfte im Kampf gegen die LTTE Rache zu nehmen
und Sicherheitskräfte außerhalb des eigentlichen Kampfgebietes zu binden. Der Druck
auf die staatlichen Stellen, dem zu begegnen, ist nicht zuletzt deshalb ganz erheblich,
weil bei einer Destabilisierung zu besorgen ist, dass es über die unmittelbaren
Rechtsgutbeeinträchtigungen hinaus zu ausgreifenden Unruhen und Ausschreitungen
von Singhalesen gegen Tamilen kommt. Die Ausführungen der Anschläge durch
Selbstmordkommandos oder Einzeltäter, die ihr Leben zu riskieren bereit sind, zwingt
dazu, dem möglichen Umfeld des Täterkreises, der - wie die Ziele der Anschläge, die
Durchführung und das verwendete Material zeigen - der Vorbereitung und Unterstützung
bedarf, besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Spannweite möglicher Ziele der
Terroranschläge lässt vorbeugende Maßnahmen dabei generell als schwierig
erscheinen. Dieses hohe und schwer einzudämmende Gefahrenpotenzial sowie die
nicht zuletzt durch den Bürgerkrieg in Teilen des Landes und die Fluktuation der
Bevölkerung bedingten Schwierigkeiten schon bei der Abklärung der Identität
Festgenommener sind geeignet, auch längeren Inhaftierungen von mehr als 2 Tagen -
weil und sofern sie nach ihrer objektiven Gerichtetheit auf die Verfolgung terroristischer
Straftäter oder präventiv auf Personen ungeklärter Identität oder mit fehlenden
plausiblen Grund für ihren Aufenthalt im Großraum Colombo zielen - wegen mangelnder
Anknüpfung an asylerheblichen Merkmale den Charakter einer politischen Verfolgung
zu nehmen.
Vgl. OVG NRW; Urteil vom 23.11.2001 aaO..
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Anderes kann dann gelten, wenn eine derartige Aufklärungsmaßnahme zur
Terrorismusbekämpfung über das angemessene Maß hinausgeht. In diesem Fall - etwa
bei einer übermäßig langen Freiheitsentziehung - spricht eine Vermutung dafür, dass
die entsprechende Maßnahme nicht nur der Terrorismusabwehr dient, sondern den
Einzelnen zumindest auch wegen seiner asylrechtlichen Merkmale trifft und deshalb
politische Verfolgung darstellt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2000, aaO. (S. 1427).
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Anhaltspunkte dafür, dass es - über Einzelfälle hinaus - zu derartigen Inhaftierungen
kommt, lassen sich aus dem vorliegenden und bereits gewürdigten Zahlenmaterial nicht
gewinnen.
43
Dass es bei den Inhaftierungen über den Freiheitsentzug - unter den in Sri Lanka dabei
allgemein gegebenen (schlechten) Verhältnissen (AA 24.10.2001 S. 25) - hinaus
ansonsten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Maßnahmen kommt, die den Schluss
auf eine gezielte Rechtsgutverletzung in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale
begründen, lässt sich dem vorliegenden Auskunftsmaterial nicht entnehmen, wobei
keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieses Material nicht alles an
Informationen aufgegriffen haben könnte, was zur Verfügung stand oder beschafft
werden konnte. Fälle von Folter bei kurzfristig, insbesondere zur Identitätsabklärung
Verhafteten werden nur vereinzelt berichtet (ai --.06.1999 S. 9, 01.03.1999 S. 4). Die
Gefahr von Folter nimmt jedoch bei längeren Inhaftierungen zu (ai 01.03.1999 S. 2; KK
04.01.1996 S.56); vor allem bei Inhaftierungen wegen eines konkreten und
individualisierten LTTE-Verdachts muss mit Folter gerechnet werden (AA 12.07.1995 S.
2, 27.07.2000 an VG Arnsberg (1) S. 2f.; 24.10.2001 S. 24; ai -- .06.1999, torture in
custody, S. 8f., 01.03.1999 S. 4; KK 20.03.1996 S. 9, 22.06.1999, Anlage Forum for
Human Dignity 12.01.1999; Wingler 11.10.1995 S. 2, 08.10.1997 S. 33, 30.09.1998 S. 3,
4, 27.05.1999 S. 3f., --.05.2000 S. 1 ff.; UNHCR --.07.1998 S. 2) Insoweit sind
Misshandlung und Folter vor allem bei Verhören durch die Spezialeinheiten zur
Terrorismusbekämpfung (u.a. 4. und 6. Stock des CID- Headquarters, des Crime
Detective Bureau - CDB -, die Security Coordinating Division und des Terror
Investigation Department) zu besorgen. Diesen Einheiten werden regelmäßig führende
LTTE-Kader oder sonstige LTTE-Aktivisten überstellt, gegen die konkrete
Verdachtsmomente hinsichtlich der Beteiligung an Terroranschlägen bestehen (AA
27.07.2000 an VG Neustadt/Weinstraße S. 4). Im Übrigen kommen Berichte über Fälle
von Folter und Tod in Haft zumeist aus den östlichen und nördlichen Gebieten, in denen
Auseinandersetzungen mit der LTTE stattfinden (Wingler 12.10.2000 S. 1; KK
28.03.2000).
44
Insgesamt ist in den letzten Jahren gegenüber der früheren Praxis der Sicherheitskräfte
eine Verringerung der Gefahr von Verhören und Folter festzustellen. Das ist
insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Regierung Kontrollmechanismen
gegenüber den weit gehenden Befugnissen der Sicherheitskräfte geschaffen hat
(UNHCR 25.04.1997 S. 3). Das Problem der Folter wird - anders als früher (dazu: AA
23.06.1992 S. 8 f., 12.01.1993 S. 1, 24.10.2001 S. 22) - nach dem Amtsantritt der
Regierung Kumaratunga im Jahre 1994 und der Umsetzung der Konvention gegen
Folter in nationales Recht im gleichen Jahre nunmehr angegangen; die Verübung von
Foltermaßnahmen kann mit erheblicher Gefängnis- und Geldstrafe geahndet werden,
die Verantwortlichen sollen zudem disziplinarisch belangt und mit
Entschädigungsleistungen belastet werden (AA 12.10.1995 S. 5; ai --.06.1999 S. 4 f.).
Der Oberste Gerichtshof hat dementsprechend in einer Reihe von Fällen Folteropfern
eine Entschädigung zugesprochen (AA 24.10.2001 S. 22). Im Juli 1998 ist eine aus
Parlamentariern und Ministern gebildete, allgemein erreichbare Kommission zur
Entgegennahme und Prüfung von Beschwerden wegen Belästigungen und
Misshandlungen bei Verhören ("Anti- Harassment-Committee" - AHC -) einberufen
worden. Seit Gründung des Komitees sind bis zum 25. September 2001 insgesamt
1.124 Beschwerden eingegangen (AA 24.10.2001 S. 10). Gegenüber früher hat die Zahl
der Beschwerden zugenommen, was jedoch nicht auf eine Verschlechterung der
45
Situation zurückgeführt wird, sondern auf wachsende Bekanntheit des Komitees (AA
24.10.2001 S. 10). Schätzungsweise 10 % der Fälle betreffen normale Kriminalität; 90%
sind PTA/ER-Fälle. Daneben versucht die srilankische Regierung durch eine Reihe von
Verfahrensbestimmungen bei Verhaftungen zu erreichen, dass die Haftdauer
beschränkt und der Verbleib von Personen transparent und nachvollziehbar bleibt. So
sahen die in der Vergangenheit in unterschiedlichem Umfang und ab dem 04.08.1998 -
mit Verhängung des Ausnahmezustandes für das gesamte Land - zunächst wieder
landesweit geltenden Bestimmungen des Notstandsrechts, "Emergency Regulations -
ER -" (AA 24.10.2001 S. 7) vor, dass - jeweils binnen 24 Stunden - von der Armee
Festgenommene der nächst gelegenen Polizeistation zu überstellen waren und dass
Festnahmen durch die Polizei dem "Superintendent of Police" des Bezirks gemeldet
werden mussten (AA 06.04.1998 S. 10, 28.04.2000 S.21). Spätestens nach 48 Stunden
mussten die Festgenommenen dem Richter vorgeführt werden (KK 22.02.2997 S. 7), es
sei denn, ein höherrangiger Beamter oder Offizier erließ eine "Detention Order - DO -",
die ein Festhalten ohne richterlichen Haftbefehl von bis zu 60 Tagen bzw. - nach
Versetzung des Landes in Kriegsbereitschaft am 03.05.2000 - 90 Tagen ermöglichte
(KK 05.02.1997 S. 5; AA 28.04.2000 S. 21; 01.08.2000). Hieran hat sich nichts
wesentliches geändert, nachdem die Geltungsdauer des Notstandsrechts im Juli 2001
bedingt durch die Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament nicht verlängert
wurde, so dass es am 04.07.2001 außer Kraft getreten ist (AA 24.10.2001 S. 8).
Vielmehr ist - gestützt auf Art. 27 des PTA - durch Verordnungen ein den ER ähnliches
Regime eingeführt worden (AA 24.10.2001 S. 8). Verhaftungen sind danach weiterhin
durch die Polizei möglich; die Betroffenen müssen innerhalb von 72 Stunden dem
Haftrichter vorgeführt werden (24.10.2001 S. 8). Die Möglichkeit einer "Detention Order"
durch die Polizei besteht nicht mehr (AA 24.10.2001 S. 24). Allerdings kann das
Verteidigungsministerium eine entsprechende Anordnung für drei Monate - verlängerbar
in Drei-Monats-Abständen auf maximal 18 Monate - erlassen. Darüber hinaus ist ein
Festhalten nur mit richterlicher Genehmigung zulässig (AA 06.04.1998 S. 11;
28.04.2000 S. 22; 01.08.2000 S. 3; 24.10.2001 S. 24 f). Ferner waren und sind unter
anderem Mitglieder des "Internationalen Komitees vom Roten Kreuz - IKRK -" befugt,
alle nach den vorgenannten Regelungen festgehaltenen Verdächtigen und Verurteilten
zu besuchen (EU 11.11.1997 S. 16; AA 28.04.2000 S. 22; 24.10.2001 S. 11). Auch sonst
waren und sind Besuche bei den Inhaftierten möglich (AA 06.05.1999 S. 5; Wingler
30.01.1998 S. 12).
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass die gesetzlichen Sicherheitsvorkehrungen in der
Praxis nicht durchweg eingehalten werden und dass auch die sonstigen von der
srilankischen Regierung etablierten Kontrollmechanismen faktisch unterlaufen werden
(KK 28.07.2000 S. 2 und Anlage; Wingler --.05.2000 S. 1 f.). Eine generelle
Verschlechterung ist insoweit - auch nach dem Verbot der LTTE - jedoch nicht
festzustellen (Wingler 31.05.1998 S. 39), so daß die grundsätzliche Wirksamkeit der von
der Regierung ergriffenen Maßnahmen nicht in Frage gestellt ist. Verstöße sind weithin
mit Strafe belegt und ihnen wird nachgegangen (AA 24.10.2001 S. 22, 11.07.1997
16.01.1996 S. 11; EU 11.11.1997 S. 15; ai 23.02.2000[2], S. 5, -- .06.1999 S. 4 f.); dass
derartige Verfahren schleppend verlaufen, schließt eine schon durch die Strafandrohung
und das Aufgreifen von Vorkommnissen hervorgerufene Effizienz der oben dargestellten
Maßnahmen nicht aus. Insgesamt zeigen die in den letzten Jahren geschaffenen
Vorkehrungen gegen menschenrechtswidrige Verstöße im Zusammenhang mit
Inhaftierungen insofern Wirkung, als die Sicherheitskräfte - wie die Auskünfte im
wesentlichen übereinstimmend belegen - im Vergleich zu früher zurückhaltender
agieren. Die Inhaftierungen erlangen schließlich den Charakter der politischen
46
Verfolgung auch nicht dadurch, dass - wie es verbreitet geschieht - Festnahme und
Verzögerung der Freilassung erfolgen, um Lösegeld zu erpressen (KK 04.01.1996 S.
56, 14.10.1996 S. 4, 12.03.1999 S. 5; Wingler 01.11.1995 S. 10 - danach geschieht dies
"fast schon routinemäßig" -, 08.10.1997 S. 33) oder das Angebot von Bestechungsgeld
abzuwarten (Südasien 06/1997 S. 8). In diesen Fällen fehlt es an einem asylerheblichen
Anknüpfungspunkt, weil mit dem kriminellen Handeln nur Gelegenheiten ausgenutzt
werden. Ohne prägenden Charakter sind auch Vorfälle wie der im Magazin-Gefängnis
im Februar 1996, als nach einem LTTE-Anschlag auf die Zentralbank bis zu 100
dienstfreie Gefängniswärter tamilische Gefangene angriffen und zum Teil schwer
verletzten (KK 20.03.1996 S. 4, 06.06.1996 S. 1), oder der im Gefängnis von Kalutara im
Dezember 1997, bei dem zwei Tamilen und ein Muslim von singhalesischen
Mithäftlingen ohne Eingreifen der Aufseher getötet wurden (KK 20.03.1998; Wingler
31.05.1998 S. 37). Hierbei handelte es sich offensichtlich um Exzesse.
Nach alledem ist für zurückkehrende Tamilinnen und Tamilen fest zu halten, dass die
Gefahr, im Großraum Colombo im Zusammenhang mit den Kontrollen und eventuell
daran anschließenden Festnahmen Opfer politischer Verfolgung zu werden, gering ist.
Zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichtet sich diese Möglichkeit - je nach den
Umständen des Einzelfalls - allenfalls für Personen, die konkret verdächtigt werden, mit
geschehenen oder geplanten Anschlägen der LTTE in Verbindung zu stehen oder in
sonstiger hervorgehobener Weise in Tätigkeiten der LTTE oder ihrer
Frontorganisationen verstrickt zu sein.
47
Als Risikofaktoren dafür, bei den srilankischen Sicherheitskräften in einen derartigen
Verdacht zu geraten und hieran anknüpfend von schwererer körperlicher Misshandlung
und Folter während der Inhaftierung bedroht zu sein, gelten nach den vorliegenden
Erkenntnissen im Allgemeinen folgende Umstände: Fehlende oder nicht
ordnungsgemäße Ausweispapiere, Lebensalte unter 35 bis 40 Jahren, geringe
singhalesische Sprachkenntnisse, Geburtsort auf der Jaffna-Halbinsel, Ankunft in
Colombo erst kurz zurückliegend, Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen, in
Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen fest gehaltener Verdacht einer LTTE-
Mitgliedschaft, Identifikation als LTTE-Mitglied durch Informanten der Sicherheitskräfte
und das Vorhandensein körperlicher Wunden (Medical Foundation - -.06.2000 S. 41
unter Berufung auf einen Länderbericht des britischen Innenministeriums; ähnlich KK
18.02.2000 an VG Bremen S. 2; zu einzelnen Risikofaktoren vgl. AA 25.01.2000 S. 1 f.;
ai 30.08.1999 S. 1; Wingler 30.09.1998 S. 2, 13).
48
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.11.2001 aaO..
49
Allgemeine Aussagen zum Gewicht dieser Kriterien und dem Grad der aus ihrem
Vorliegen resultierenden Wahrscheinlichkeit eines intensiveren Zugriffs der
Sicherheitskräfte lassen sich nur sehr eingeschränkt treffen. Angesichts der bei einigen
der Kriterien möglichen "Bandbreite" ihrer Erscheinungsformen sowie der
Mannigfaltigkeit der möglichen Kombinationen bei den einzelnen Asylbewerbers ist
eine generalisierende und fallübergreifende Schlussfolgerung auf eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung weder für die Gruppe der nach Sri Lanka aus
dem Ausland zurückkehrenden Tamilinnen und Tamilen noch für eine nach
allgemeinen Merkmalen eingrenzbaren Untergruppe hiervon möglich. Vielmehr kann
der Schluss auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung nur Ergebnis
einer Würdigung aller vorliegenden Risikofaktoren in jedem konkreten Einzelfall in
Bezug auf den jeweiligen Asylbewerber und seine konkrete Situation sein. Dabei ist von
50
folgenden Grundsätzen auszugehen:
Die allgemeinen Merkmale Alter, fehlende Papiere, Herkunft von der Jaffna- Halbinsel,
geringe singhalesische Sprachkenntnisse und erst kurz zurückliegende Ankunft in
Colombo reichen als solche weder für sich gesehen noch in ihrer Gesamtheit aus, um
einen relevanten LTTE-Verdacht bei den srilankischen Sicherheitskräften zu wecken.
51
Diese Kriterien greifen im Wesentlichen für den ersten Zugriff ein, wie sich etwa aus
einer Zusammenstellung von Aktionen der Sicherheitskräfte im Zeitraum von Oktober
1997 bis Januar 1998 ergibt (KK 20.03.1998, S. 2 f.); sie lassen aber keinen
Rückschluss auf die weitere Behandlung zu. Schon ein Vergleich der Zahl der
landesweit - Zahlen allein für den Großraum Colombo liegen der Kammer nicht vor - für
längere Zeit nach den Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung Inhaftierten (bis zu
2.000) und der geringen Zahl von Misshandlung und Folter während Lang- und
Kurzzeithaft einerseits mit der Zahl der im Großraum Colombo lebenden Tamilen (etwa
400.000, davon ca. 150.000 aus den Norden und Osten, EU 11.11.1997, S. 13)
andererseits macht deutlich, dass die für die Annahme einer Gruppenverfolgung
notwendigen Dichte von Eingriffshandlungen nicht erreicht wird. Dies gilt auch bezogen
auf den Anteil der jungen Tamilen im Rekrutierungsalter der LTTE. Zwar ist die
Altersgruppe der 15 bis 30-jährigen (so AA 24.10.2001 S. 12) bzw. der 15 bis 40-
jährigen (so KK 04.01.1996, S. 54) von den Sicherheitskontrollen besonders betroffen;
auch werden insoweit nicht mehr in erster Linie nur junge Männer (allgemein hierzu:
Wingler 27.05.1999), sondern inzwischen gleichermaßen junge Frauen aufgegriffen,
offenbar weil an den jüngsten Bombenanschlägen in Colombo auch junge Frauen als
"Suicide-Bombers" beteiligt waren (AA 24.10.2001, S. 12). Der Anteil der in Colombo
lebenden jungen Tamilen ist aber so hoch, dass sich die aktuelle Gefahr eigener
Verfolgungsbetroffenheit für jeden Angehörigen dieser Gruppe nicht feststellen lässt.
52
Vgl. zu den Anforderungen: BVerwG, Urteile vom 05.06.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwG
96, 200, 203 und vom 20.06.1995 - 9 C 294.94 -, NVwZ - Rechtsprechungsreport -
(NVwZ - RR -) 1996, 57.
53
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes auf der Grundlage der Volkszählung von
1981 beträgt der Anteil der 14- bis 40-jährigen etwa 60% (AA 10.01.1996 S. 3).
Verlässliche Zahlen aus neuerer Zeit stehen nicht zur Verfügung, doch dürfte sich an
der sehr jungen Altersstruktur der srilankischen Bevölkerung nichts Wesentliches
geändert haben. Das bedeutet, das schätzungsweise 240.000 bzw. - soweit zusätzlich
auf die Herkunft aus dem Norden oder Osten des Landes abgestellt wird - 80.000
Personen in Colombo der risikobehafteten Gruppe angehören.
54
Hinsichtlich des Risikofaktors eines aktenkundigen oder den Sicherheitsbehörden auf
sonstige Weise zugetragenen LTTE-Verdachts muss nach der tatsächlichen oder
vermeintlichen Position des Betroffenen innerhalb der LTTE und dem Grad der
Unterstützung unterschieden werden. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen zur
Bedeutung von Auslandsaktivitäten im Zusammenhang mit den Einreisekontrollen am
Flughafen von Colombo verwiesen. Vergleichbares gilt für eine zurückliegende LTTE-
Mitgliedschaft oder -Unterstützung in Sri Lanka. Wer die LTTE, insbesondere im Bereich
der von ihr beherrschten Gebiete wie etwa der von 1990 bis 1995 unter ihrer Kontrolle
stehenden Jaffna-Halbinsel gezwungenermaßen oder im Rahmen seiner Berufstätigkeit
bzw. geschäftlichen Beziehungen oder im caritativen Bereich (z. B. Essensausgabe,
Transport von Medikamenten) unterstützt hat, muss heute nicht mehr damit rechnen,
55
dass deswegen Verfolgungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden. Selbst ehemals
aktiv am bewaffneten Kampf beteiligte LTTE-Kader, die sich unter Bekenntnis ihrer
Vergangenheit ins Privatleben zurückgezogen haben, und von denen daher keiner
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mehr zu erwarten ist, droht in aller Regel keine
Strafverfolgung mehr (AA 28.04.2000, S. 10; vgl. auch KK 26.07.1999 an VG Bremen, S.
1 f.).
Das Bestehen eines Verwandschaftsverhältnisses zu einem LTTE-Mitglied oder -
Unterstützer führt ebenfalls nicht ohne weiteres mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu
asylrelevanten Maßnahmen. Sippenhaft findet in Sri Lanka in der Regel nicht statt, ein
entsprechender Tatbestand ist dem srilankischen Strafrecht fremd (AA 04.02.2000, S. 1;
01.12.2000; 24.10.2001 S. 16). Gefährdet sind allenfalls Rückkehrer, deren Angehörige
eine höherrangige aktive Stellung in der LTTE bekleiden, wenn dies den
Sicherheitskräften bekannt wird. Je konkreter der Verdacht, je enger die
verwandtschaftliche Beziehung, je höher die Stellung des Verwandten in der LTTE ist
und je spektakulärer seine Taten sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für einen
Familienangehörigen, selbst in Verdacht zu geraten (AA 09.11.1996, S. 3; ai
23.02.2000; siehe auch: KK 03.02.2000, wo für zwei der drei genannten Belegfälle
ausdrücklich ein Bezug zu Bombenanschlägen hergestellt wird). Eine weniger wichtige
Aktivität für die LTTE, z. B. die Veröffentlichung eines Gedichtes in einer Publikation der
LTTE, führt demgegenüber nicht zu einer erhöhten Gefährdung von
Familienangehörigen des Verfassers (KK 17.11.1998, S. 2). Ebenso ist für einen
Rückkehrer regelmäßig unschädlich, wenn er nur mit einem einfachen Kämpfer der
LTTE verwandt ist. Dies folgt daraus, dass es zahlreiche Familien gibt, die - häufig
zwangsweise - einen LTTE-Kämpfer stellen (AA 05.09.1997, S. 1 f.; 05.06.2000 S. 10),
die Zahl der berichteten Verhaftungen von Familienangehörigen demgegenüber aber
vergleichsweise gering ist. Amnesty international geht davon aus, dass "derzeit nicht
von einer Alltäglichkeit bzw. Regelmäßigkeit" solcher Verhaftungen ausgegangen
werden kann, und kann - wie auch sonstige Quellen - über wenige Einzelfälle hinaus
keine konkreten Zahlen zur Inhaftnahme von Familienangehörigen bekannter oder
mutmaßlicher LTTE-Anhänger benennen (ai 23.02.2000 [2], S. 4). Schließlich ist zu
berücksichtigen, dass verwandtschaftliche Beziehungen oftmals nur schwer erkennbar
sind, weil LTTE-Kämpfer während ihrer fünfjährigen "Dienstzeit" zumindest Aliasnamen
tragen und ihre Identität nicht an Außenstehende bekannt geben (AA 09.11.1996, S. 3).
56
Auch Körperverletzungen und Narben reichen für sich gesehen in aller Regel nicht aus,
um bei den srilankischen Sicherheitskräften einen aktuellen, konkreten LTTE-Verdacht
zu wecken. Zwar können typische Kampfverletzungen wie Schusswunden (so: AA
25.01.2000, S. 1 f.) oder Narben, die sich jemand als LTTE- Kämpfer zugezogen haben
kann (so: ai 30.08.1999, S. 1; Wingler 01.04.1999, S. 5), eine erhöhte Festnahmegefahr
auslösen (ähnlich: KK 12.03.1999, S. 1 f., der allerdings nicht nach der Art der Narben
differenziert). Damit ist aber Nichts über die beachtliche Wahrscheinlichkeit
asylerheblicher Weiterungen gesagt. Denn in Sri Lanka leben zahlreiche Personen, die
im Zusammenhang mit Kriegsereignissen und Anschlägen, aber auch durch Arbeits-,
Straßenverkehrs- und häusliche Unfälle Verletzungen erlitten haben (AA 25.01.2000, S.
1 f.), so dass ein etwaiger Anfangs- Verdacht auf Grund von Narben - vorbehaltlich der
Besonderheiten des Einzelfalles, namentlich des Vorliegens weiterer
Verdachtsmomente - regelmäßig nichts für eine beachtliche
Verfolgungswahrscheinlichkeit hergibt; selbst eine Schusswunde kann jemand nicht nur
als aktiver Kämpfer, sondern auch als unbeteiligter Zivilist erlitten haben.
57
Vgl. zum Vorstehenden insgesamt zusammenfassend: OVG NRW, Urteil vom
23.11.2001 aaO..
58
Die Situation, mit der aus dem Ausland nach Colombo gelangende Tamilen konfrontiert
sind, trägt auch nicht aus anderen als den bereits erörterten Umständen den Schluss auf
die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung dieser Volkszugehörigen oder
einer nach asylerheblichen Merkmalen eingegrenzten Gruppe unter ihnen. Der
Aufenthalt in Colombo ist zwar schwierig, doch drohen die Beeinträchtigungen, soweit
sie überhaupt die für eine Verfolgung erforderliche Intensität erreichen, entweder nicht in
einem solchen Grade, dass auf die für die Annahme einer Gruppenverfolgung
notwendige Dichte geschlossen werden kann oder sie lassen sich weithin und in
entscheidendem Umfang nicht auf ein staatliches Handeln zurückführen, welches im
Sinne einer politischen Verfolgung auf asylerhebliche Merkmale gerichtet ist.
59
Es ist zunächst nicht ersichtlich, dass ein aus dem Ausland zurückkehrender Tamile mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, in Landesteile auszuweichen, in
denen ihm Nachteile insbesondere infolge von kriegerischen Auseinandersetzungen
drohen. Amtliche Regelungen in dieser Hinsicht - mit der anzunehmenden Folge einer
verbreiteten Durchsetzung - bestehen nicht (AA 30.01.1998, 02.10.1997; UNHCR
12.02.1998; KK 18.02.2000 für VG Hannover - im Folgenden [1] - S. 2, 13.09.1997;
Wingler 08.10.1997 S. 40). Zwar ist zu beobachten, dass Rückkehrer, die sich zum
Zwecke der Registrierung bei der zuständigen Polizeistation, ein "Stay permit" jeweils
nur für wenige Woche erhalten mit der Möglichkeit, dieses verlängern zu lassen (KK
18.02.2000[1] S. 1 f.). Die Vergabepraxis für dieses "Permit" ist dabei häufig willkürlich
und nicht selten von der Höhe eines gewährten Bestechungsgeldes abhängig (KK
18.02.2000[1] S. 2). Auf der anderen Seite fehlt es aber an nachvollziehbaren
Referenzfällen über zwangsweise Rückführungen von aus dem Norden oder Osten
zugewanderten, geschweige denn von aus Europa zurückkehrenden Tamilen in ihre
Heimatgebiete. Vielmehr wird berichtet, dass gerade die aus dem Ausland
abgeschobenen oder zurückgekehrten Asylbewerber es vorziehen und es ihnen
vielfach auch gelingt, im Großraum Colombo ihren Wohnsitz zu nehmen (AA 24.10.2001
S. 31).
60
Soweit die aus dem Ausland zurückkehrenden Tamilen im Großraum Colombo
beeinträchtigte Existenzbedingungen vorfinden, sind diese Beeinträchtigungen ihrer
Schwere nach ebenfalls noch nicht asylerheblich, nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit zu besorgen oder sind nicht als staatliche Verfolgung mit
asylrelevanter Gerichtetheit zu werten. Die Möglichkeit, Arbeit zu finden ist - nicht nur für
Tamilen - zunächst schon wegen der herrschenden Arbeitslosigkeit, also infolge der
allgemeinen Wirtschaftslage schwierig. Soweit auf zusätzliche Probleme für Tamilen
verwiesen wird, weil potenzielle Arbeitgeber bei der Einstellung von Tamilen
Schwierigkeiten mit den Sicherheitskräften befürchten (KK 18.02.2000 an VG Bremen -
im Folgenden [2] S 3, 08.12.1998, 22.06.1999 S. 9), kann ungeachtet der Frage nach
der erforderlichen Schwere der Beeinträchtigung nicht von einer politischen Verfolgung
gesprochen werden. Inwieweit Sprachprobleme (KK 08.12.1998) trotz des hohen
tamilischen Bevölkerungsanteils in Colombo (AA 27.05.1999 S. 2) Bedeutung haben
und inwieweit sie durch Vorteile wie etwa während des Auslandaufenthalts gesammelte
Ersparnisse oder erworbene Fach- und Sprachkenntnisse aufgewogen werden (AA
06.05.1998; skeptisch hierzu: Wingler --.05.2000 S. 4 "Schüblinge fallen in ein tiefes
existenzielles Loch") mag dahinstehen; hier fehlt jeder Ansatz für eine staatliche
Eingriffshandlung.
61
Im Übrigen besteht für diejenigen Rückkehrer, die bei der Suche nach einem
Arbeitsplatz nicht auf Sri Lanka beschränkt sind, die Möglichkeit, sich an eine der
zahlreichen Arbeitsvermittlungsagenturen für Anstellungen im Ausland, insbesondere
im arabischen Bereich, zu wenden - wobei allerdings die Verdienstmöglichkeiten
geringer sind als in Europa, Kanada oder Australien (AA 05.06.2000 S. 3).
62
Die Möglichkeit, sich eine Unterkunft zu verschaffen, ist zunächst durch die allgemeine
Knappheit an Wohnraum in Colombo und die demgemäß hohen Preise, ferner durch die
schwierige Sicherheitslage mit der Folge von Kontrollen und unter Umständen auch
Schließung von Unterkünften geprägt (KK 08.12.1998), so daß dieselben Erwägungen
wie zur Arbeitssituation eingreifen und zusätzlich auf die jedenfalls einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit drohende Obdachlosigkeit wegen fehlender Papiere und
Aufenthaltsberechtigung entstehenden obigen Erwägungen zum Aufenthalt,
insbesondere unter dem Aspekt des Meldeerfordernisses, Bezug genommen werden
kann. Für eine weitverbreitete Obdachlosigkeit ist dem umfassenden Auskunftsmaterial
nichts Greifbares zu entnehmen; zumindest die Erlangung einer einfachen Unterkunft in
einem der zahlreichen "Billighotels" ("Lodges") ist grundsätzlich möglich (AA
27.05.1999 S. 2; 21.06.2001 S. 4; KK 11.06.2001 S. 3; 18.02.2000[2] S. 4). Das
Rückkehrern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sonstige schwere
Rechtsgutbeeinträchtigungen im Hinblick auf ein Leben in Colombo drohen, ist nicht
festzustellen. Daher mag auch dahinstehen, inwieweit ein staatliches Handeln oder
Unterlassen mit asylerheblicher Gerichtetheit zugrundeliegt. Fälle der Verelendung oder
eines bloßen Dahinvegetierens am Randes des Existenzminimums sind nicht bekannt
(AA 06.05.1998, 27.05.1999 S. 4; KK 08.12.1998). Selbst wenn ein für die Rückkehrer
eingreifendes System der sozialen Grundsicherung nicht besteht (AA 27.05.1999 S. 1;
KK 08.12.1998), ist dies kein tragfähiges Indiz für eine in dem erforderlichen Grade
konkretisierte Gefahr der Rechtsgutverletzung. Denn insofern sind die in Sri Lanka
gewachsenen Verhältnisse zu beachten, nach denen traditionell die Familien und die
Dorfgemeinschaften für Hilfsbedürftige einstehen (AA 06.05.1998 S. 1; 24.10.2001 S.
31) und sich demgemäß ein festgefügtes staatliches System der sozialen Sicherung
nicht entwickelt hat. Vor diesem Hintergrund muss der Feststellung zu den tatsächlichen
Lebensmöglichkeiten ein wesentliches Gewicht gegenüber dem Fehlen einer
organisierten und geregelten, regelmäßigen Unterstützung - nur diese wird von Keller-
Kirchhoff (aaO.) auch für die Hilfe durch die Volksgruppe sowie caritative
Organisationen und Einrichtungen verneint - gegeben werden. Es bedarf also der
Feststellung, dass es in einer relevanten Dichte zu Rechtsgutbeeinträchtigungen der
erforderlichen Intensität tatsächlich gekommen ist und kommen wird; dazu aber gibt das
umfassenden Auskunftsmaterial nichts her.
63
Die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ist auch nicht im Hinblick auf
Übergriffe der übrigen Zivilbevölkerung gegenüber Tamilen gegeben; insofern fehlt es -
jedenfalls heute - an der erforderlichen Verfolgungsdichte.
64
Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 23.11.2001 aaO..
65
Was die Situation im Norden Sri Lankas betrifft, so ist die Lage dort teilweise seit Jahren
durch Bürgerkrieg gekennzeichnet. Seit dem Ende der Friedensverhandlungen und dem
Bruch der am 08.01.1995 beschlossenen "Vereinbarung zur Einstellung der
Feindseligkeiten" (Wingler 31.03.1995 S. 2; KK 20.02.1995 S. 3) durch die LTTE am
19.04.1995 (AA 12.10.1995 S. 1) ist es zunächst mit Schwergewicht auf der Jaffna-
66
Halbinsel (KK 04.01.1996 S. 8, 22) und sodann in der Vanni-Region (Wingler
30.01.1998 S. 14, 31.05.1998 S. 16 f., 30.09.1998 S. 19, 01.04.1999 S. 8) zu
Militäroffensiven von staatlicher Seite gekommen. Nach erheblichen militärischen
Erfolgen, die zu einer Besetzung nahezu der gesamten Jaffna-Halbinsel - insbesondere
der Stadt Jaffna - durch die srilankische Armee führten, befindet sich die LTTE seit
Anfang November 1999 in dieser Region wieder in der Offensive und hat bereits
zahlreiche Gebiete im Bereich der Jaffna-Halbinsel und in der Vanni-Region
zurückerobert (AA 28.04.2000 S. 14 f.; Südasien 02-03/2000 S. 15 ff., 04/2000 S. 12 f.,
05/2000 S. 12 f.). Den Auskünften über die Auseinandersetzungen ist zu entnehmen,
dass die im Kampfgebiet lebende Zielbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wird.
Über die körperlichen Beeinträchtigungen infolge des Kampfgeschehens hinaus kommt
es zu Zerstörung und Beschädigung sozialer, kultureller und religiöser Einrichtungen
(KK 04.01.1996 S. 4 f.; Wingler 30.09.1998 S. 20; Südasien 05/2000 S. 14). Den
militärischen Offensiven beider Bürgerkriegsparteien haben ferner Fluchtbewegungen
mit in die 100.000 gehenden Flüchtlingen ausgelöst (KK 04.01.1996 S. 6; Wingler
01.11.1995 S. 6, 30.01.1998 S. 14, 31.05.1998 S. 19; AA 28.04.2000 S. 15; Südasien
02- 03/2000 S. 16).
Zwar ist nach alledem davon auszugehen, dass der Krieg von der srilankischen Armee
in einer Weise geführt wird, welche die gebotene Rücksicht auf die Zivilbevölkerung
vermissen lässt. Insgesamt bieten die Geschehnisse während der bisherigen
Kriegshandlungen allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorgehen der
staatlichen Sicherheitskräfte die Merkmale einer politischen Verfolgung aufweist. Es
kann nicht festgestellt werden, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte nach ihrer
objektiven Gerichtetheit über eine militärische Prägung mit dem Ziel der Rückeroberung
von der LTTE beherrschter bzw. der Sicherung rückeroberter Gebiete (KK 20.03.1996 S.
6, 04.01.1996 S. 22, 24.10.1995 S. 9 f.) sowie der Abwehr, Schwächung oder
Vernichtung der LTTE (AA 16.01.1996 S. 5; Wingler 31.05.1998 S. 17) hinausgingen
oder -gehen.
67
Angesichts der Siedlungsstruktur, der Guerilla-Taktik der LTTE, die ein ausgedehntes
Netz militärischer Stützpunkte in den von ihr kontrollierten Gebieten besitzt (KK
04.01.1996 S. 2, 9), über mobile Lager verfügt (AA 16.01.1996 S. 2) und die
Bevölkerung vor der Zusammenarbeit mit den Militärkräften warnt (Wingler -- .11.1996 S.
8), sowie ferner unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die srilankischen Truppen
auf Grund ihres technischen Standards - jedenfalls in der Vergangenheit und vor den
umfangreichen Waffenkäufen in jüngster Zeit (Südasien 04/2000 S. 12, 05/2000 S. 12) -
zumeist zu "punktgenauen" Angriffen nicht in der Lage waren (KK 04.01.1996 S. 41; AA
16.01.1996 S. 6; Wingler 01.11.1995 S. 4, 8) und niedrig fliegende Flugzeuge oder
Hubschrauber von Boden-Luft-Raketen der LTTE bedroht sind (KK 24.10.1995 S. 11;
Wingler --.04.1996 S. 22), ist die Beeinträchtigung der tamilischen Zivilbevölkerung
durch die Kampfhandlungen allein kein tragfähiger Hinweis auf eine über die
Bekämpfung der LTTE hinausgehende Gerichtetheit der Kampfhandlungen gegen die
Tamilen. Eine zu gegenteiligen Schlussfolgerungen führende andersartige
Vorgehensweise bei ethnisch anders zusammengesetzter Zivilbevölkerung ist nicht
festzustellen, da in den Kampfgebieten nach der Vertreibung anderer
Bevölkerungsgruppen durch die LTTE (AA 14.02.1995 S. 3, 27.03.1995 S. 4,
12.10.1995 S. 3, 28.04.2000 S. 15) ausschließlich Tamilen leben. Der Umstand, dass
die Sicherheitskräfte bei ihren Kampfmaßnahmen keine (Wingler 20.07.1995 S. 4) oder
nur punktuell (AA 16.01.1996 S. 2) Rücksicht auf eventuell mitbetroffene Zivilisten
nehmen, mag diese zwar als menschenrechtswidrig prägen, stellt allein jedoch keinen
68
Grund dar, sie als objektiv gezielt an asylerhebliche Merkmale anknüpfende staatliche
Verfolgungsmaßnahmen zu qualifizieren (vgl. Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - 80, 341). Vielmehr ist die Zahl der
Vorkommnisse, bei denen die Zivilbevölkerung in erheblicher Weise in das
Kriegsgeschehen mit einbezogen worden ist, gering; auch die Zahl der zivilen Opfer ist
angesichts des Umfangs der Offensiven, des eingesetzten Kriegsgeräts, der im
Kampfgebiet herrschenden Bevölkerungsdichte - die sich in den Zahlen der Flüchtlinge
niederschlägt - sowie der Dauer und Härte der Auseinandersetzungen relativ niedrig
geblieben. Das IKRK gelangt zu dem Schluss, die zivilen Opfer in den
Auseinandersetzungen seien geringer, als es unter vergleichbaren Umständen in
anderen Ländern der Fall sei (AA 24.10.2001 S. 11). Dies spricht dafür, dass die
Aktionen der Streitkräfte objektiv nicht auf eine physische Vernichtung oder schwer
wiegende Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung gerichtet sind.
Es ergeben sich ferner keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kriegsführung durch die
srilankischen Streitkräfte über die mit ihr verbundene Missachtung des Rechts auf
Leben und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen wie Tötungen,
Verschwindenlassen und Misshandlungen (UNHCR 07/1998, S. 2 und dazugehörige
Anlage 1 S. 9 f.; ai --.06.1999 S. 21 f; Südasien 05/2000 S. 14) und die somit zweifellos
gegebene Rücksichtslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung hinaus darauf gerichtet
ist, die im Bürgerkriegsgebiet lebenden und an den Auseinandersetzungen nicht
unmittelbar beteiligten Personen unterhalb der Schwelle der physischen Vernichtung
oder Beeinträchtigung unter dem Druck brutaler zu setzen und auf diese Weise
auszugrenzen. Dem steht zum einen das von der srilankischen Regierung nach wie vor
verfolgte, die militärischen Kampfhandlungen ergänzende politische Konzept zur
Lösung des Konflikt durch Dezentralisierung bzw. Regionalisierung der Macht und
teilweise Autonomie für tamilische Siedlungsgebiete (Südasien 05/2000 S. 8 f.) sowie
ein beabsichtigtes - in Jaffna angelaufenes (AA 28.04.2000 S. 15, 30.08.1996 S. 9;
Wingler 27.11.1996 S. 23) - Wiederaufbauprogramm entgegen (KK 04.01.1996 S. 22 ff.;
AA 16.01.1996 S. 5). Auch die Bemühungen der Regierung, die Not leidende
Infrastruktur in den Krisenregionen des Nordens und Ostens zu verbessern - etwa die
Initiative im Frühling des Jahres 2000, 1.250 zusätzliche Lehrer einzustellen, um in den
betroffenen Regionen wieder ein regelmäßiges Schulangebot zu ermöglichen
(Südasien 02-03/2000 S. 11) - sprechen gegen die Annahme asylerheblicher
Ausgrenzungsmaßnahmen gegenüber der Volksgruppe der Tamilen.
69
Es gibt auch keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass die Aktionen der
Sicherheitskräfte objektiv auf eine Vertreibung der Tamilen und deren Abdrängen in
eine ausweglose Lage, also auf eine Verelendung und damit verbundene Ausgrenzung
der Zivilbevölkerung im Norden gerichtet sind. Die Versorgungslage ist in den
Kriegsgebieten zwar schlecht; dies gilt insbesondere für die in die 100.000 gehenden
Flüchtlinge in der Vanni-Region; es gelten Einzelverbote für kriegswichtiges Material
wie Treibstoff, Zement, Waffen, Stacheldraht, Elektrogeräte etc. Andererseits versorgt
die Regierung - teilweise mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes sowie anderer
Nichtregierungsorganisationen und mitunter unter großen Schwierigkeiten - die
Zivilbevölkerung in den von der LTTE beherrschten Gebieten mit Lebensmitteln und
anderen Hilfsgütern, obwohl die LTTE regelmäßig einen Teil der Lieferung zur eigenen
Verwendung abzweigt (AA 24.10.2001 S. 30). Die weit gehende Blockierung des
Wirtschaftslebens durch die Beschränkung von Gütern und Transportwegen (KK
04.01.1996 S. 42 ff.) ist nachvollziehbar Bemühungen zuzuordnen, möglichen Nutzen
für den Bürgerkriegsgegner weitgehend auszuschalten. Im Übrigen räumt die Regierung
70
der Wiederherstellung der privaten Wirtschafts- und Geschäftsstruktur in den Gebieten,
in denen sie die Gebietsherrschaft zurück erlangt hat, Vorrang ein. Dies hat etwa in
Bezug auf Jaffna in den letzten Jahren zur freiwilligen Rückkehr Zehntausende Tamilen
geführt (AA 24.10.2001 S. 19).
Soweit es in den Bürgerkriegsgebieten in unmittelbaren Bezug zu Zivilisten zu
schweren Übergriffen durch srilankische Soldaten gekommen ist - sei es die wiederholt
berichteten Vergewaltigungen oder etwa die Entführung und Ermordung zweier junger
tamilischer Frauen sowie im Zusammenhang mit einem dieser Fälle die Ermordung
dreier weiterer Tamilen - handelt es sich um Exzesstaten ohne Aussagegehalt für einen
Hintergrund politischer Verfolgung. Es ist bekannt geworden, dass in derartigen Fällen
Armeeangehörige verhaftet (Südasien 07- 08/1996 S. 17; KK 24.02.1997 S. 6) und in
einem Aufsehen erregenden Fall sieben Täter zum Tode und acht zu langjährigen
Freiheitsstrafen verurteilt worden sind (South-Asia-Bureau Inform 07/1998 S. 10). Auch
wenn dies bislang der einzige Fall ist, in dem extralegale Hinrichtungen zu
Verurteilungen der Täter führten (AA 28.04.2000 S. 21), so zeigt sich doch, dass die
Übergriffe staatlicherseits nicht einfach hingenommen, erst recht nicht als Mittel einer
Einschüchterung der Zivilbevölkerung akzeptiert werden.
71
In den vom Bürgerkrieg betroffenen Gebieten, in denen der srilankische Staat seine
Gebietsgewalt an die LTTE verloren hat, hat diese eigne quasi-staatliche Strukturen
aufgebaut (AA 05.06.2000 S. 7 f; 24.10.2001 S. 18; Südasien 5/00 S. 16) und eine
innere Ordnung von gewisser Stabilität errichtet, wenn gleich diese nur durch
Hilfeleistung des srilankischen Staates - etwa durch Finanzierung der Einrichtungen der
Daseinsvorsorge und Nahrungsmittellieferungen - aufrecht zu erhalten ist (AA
05.06.2000 S. 7 f). Aus der hiermit erlangten Fähigkeit der LTTE zu einer "quasi-
staatlichen" politischen Verfolgung der in den fraglichen Gebieten ansässigen
Bevölkerung,
72
vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 20.02.2001 - 9 C 20.00 -, NVwZ 2001, 815 und - 9 C
21.00 -, NVwZ 2001, 818,
73
folgt für Rückkehrer aus dem Ausland indessen nichts im Sinne einer möglichen
Asylrelevanz, weil diese sowohl am Ort ihrer Ankunft als auch in den übrigen, vom
srilankischen Staat beherrschten Landesteilen durch dessen Sicherheitskräfte geschützt
sind.
74
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.11.2001 aaO..
75
In den Gebieten des Nordens, in denen es zu einer Beendigung des offenen
Bürgerkriegs gekommen ist und der srilankische Staat die Gebietsgewalt
zurückgewonnen hat, ist ebenfalls nicht eine Rückkehrern mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohende politische Verfolgung festzustellen. Weder bietet das
allgemeine Vorgehen der Regierung generell Anlass zu Annahme, dass die tamilische
Zivilbevölkerung in diesen Gebieten einer ausgrenzenden Behandlung unterworfen sei,
noch ergibt sich aus einzelnen Maßnahmen - etwa kurzzeitigen Massenverhaftungen
zum Zwecke der Identitätskontrolle (UNHCR 24.08.2001 S. 1 f) - eine asylrelevante
Verfolgungswahrscheinlichkeit. Dies gilt auch in Ansehung von früheren Berichten über
Festnahmen und Verschwindenlassen insbesondere junger tamilischer Männer (vgl.
insoweit die Zusammenstellungen UTHR 27.12.1996 und ai --.11.1997; siehe auch: AA
28.04.2000 S. 19, 21). Insoweit hat sich die Situation gegenüber früheren Jahren
76
durchgreifend verbessert; die Zahl der Verschwundenen ist auf einen Stand reduziert,
bei dem es an der für eine Gruppen- oder Untergruppenverfolgung erforderlichen Dichte
fehlt.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.11.2001 aaO..
77
Die srilankische Regierung ist bemüht, durch konkrete Maßnahmen zu Gewähr leisten,
dass der Verbleib von Personen, die unter Anwendung der Sondergesetze zu
Terrorismusbekämpfung festgenommen werden, transparent und nachvollziehbar bleibt
(AA 28.04.2000 S. 6). Insoweit wird wegen der bei Verhaftungen zu beachtenden
Regularien auf die entsprechenden obigen Darlegungen zur Anwendung der
angesprochenen Notstandsgesetzgebung im Großraum Colombo Bezug genommen.
78
Ferner ist von Bedeutung, dass dem Verschwinden von Personen durch staatlich
eingerichtete Kommissionen nachgegangen wird. So ist beim Verteidigungsministerium
ein "Board of Investigation" eingerichtet worden, dem Hunderte von Beschwerden
vorliegen und von dem bereits in 160 Fällen die Spuren ermittelt worden sind;
außerdem ist die HRC, die inzwischen über Büros in Jaffna und Vavuniya verfügt (AA
24.10.2001 S. 9; Wingler 30.01.1998 S. 19) und auf Provinzebene von "Sub-
Commitees" unterstützt wird (AA 28.04.2000 S. 6) eingeschaltet, die etwa allein im Jahr
1998 ca. 1.5000 Besucher in Polizeistationen und Haftanstalten durchführte (AA
28.04.2000 S. 7). Die Regierung hat darüber hinaus eine weitere unabhängige
Untersuchung der Fälle angekündigt, in denen im Jahre 1996 Personen zu Hunderten
verschwunden waren (Südasien 02-03/2000 S. 11). Schließlich wird dem Vorgehen der
Armee insbesondere im Hinblick auf das Verschwinden von Zivilisten auch in der
Öffentlichkeit aufmerksam gewidmet. Sie richtete etwa eine in Colombo erscheinende
Wochenzeitung 1996 eine regelmäßige Rubrik mit Namen von als Verschwunden
geltenden Personen ein (KK 22.02.1997, S. 3); Richter des obersten Gerichtshofs
werfen den Verfolgungsbehörden öffentlich Rechtsverletzungen und Folter vor (KK
24.02.1997 S. 4; ai 23.02.2000[2] S. 5). Für die Frage der Gefährdung von Rückkehrern
nach einem langjährigen Auslandsaufenthalt ist zudem die Übertragbarkeit dessen, was
die Gefährdungssituation insbesondere für junge männliche Tamilen ausmachte, in
einem für die Dichte wesentlichen Umfang zu verneinen. Denn als Vergleichsfälle sind
die Vorkommnisse auszuschließen, die im Rahmen des Bürgerkriegsgeschehens nach
der Wiedererlangung ehemals von der LTTE besetzter Gebiete darauf gerichtet waren,
LTTE-Verdächtige in der Bevölkerung, insbesondere unter den Flüchtlingen,
festzunehmen und - unterhalb der Schwelle, die zu politischer Verfolgung führen könnte
- Informationen über LTTE-Aktivitäten zu gewinnen. Insofern ist die Tatsache, sich in
jüngerer Zeit in einem von der LTTE beherrschten Bereich aufgehalten zu haben, ein
wesentliches Merkmal für den Kreis der Betroffenen, welches die Rückkehrer nicht
teilen.
79
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.11.2001 aaO..
80
Was schließlich die Verhältnisse in den östlichen Landesteilen von Sri Lanka anbetrifft,
so sind die dort lebenden Tamilen - über die auch in anderen Bereichen des Landes
üblichen Aktionen der Sicherheitskräfte zur Identifizierung und Verhaftung von LTTE-
Kräften hinaus - Gefährdungen an Leib und Leben durch staatliche oder staatlich
geduldete bewaffnete Kräfte ausgesetzt. Die für die Annahme einer Gruppenverfolgung
unerlässliche Dichte von derartigen Übergriffen, also eine Situation, in der die Übergriffe
unterschiedslos auf die Mitglieder einer Gruppe gerichtet sind und nach Intensität und
81
Häufigkeit so eng gestreut fallen, dass daraus bei objektiver Betrachtung für jeden nicht
nur die allgemeine Möglichkeit, sondern die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit
entsteht, die für ihn den Aufenthalt dort unzumutbar erscheinen lässt, ist für die Tamilen
insgesamt oder eine Untergruppe indessen nicht festzustellen.
Eine Situation offenen Bürgerkriegs und der Verlust der Gebietshoheit des Staates ist
nicht entstanden. Zwar führten die Militäroperationen im Norden Sri Lankas ab April
1995 zu einer Reduzierung der Präsenz der staatlichen Sicherheitskräfte im Osten, was
dort eine Destabilisierung zur Folge hatte (KK 04.01.1996 S. 32; Südasien-Büro
15.04.1996 S. 2; Wingler 11.12.1995 S. 45, 31.01.1996 S. 39; Südasien 07-08/1996 S.
11). Der Abzug der Truppen ermöglichte es LTTE-Kadern einzudringen, so daß sich der
Einflussbereich der LTTE im Osten des Landes ausweitete (KK 04.01.1996 S. 32;
Südasien-Büro 15.04.1996 S. 2). Nach der Niederlage auf der Jaffna-Halbinsel hat sie
ihre Präsenz im Osten weiter verstärkt und kontrolliert dort viele Gebiete (KK 06.06.1996
S. 13; Wingler --.09.1996 S. 36; AA 24.10.2001 S. 18). Die srilankische Regierung hielt
und hält jedoch zumindest die Gebietsgewalt über den Landstreifen an der Küste und
die dortigen Ortschaften (AA 24.10.2001 S. 18, 06.04.1998 S. 5; Südasien 02-03/2000
S. 17; EU 02.04.1997 S. 4, Wingler 31.05.1998 S. 19; KK 04.01.1996 S. 32). In diesem
Bereich besteht eine starke Militärpräsenz (Südasien 05/2000 S. 15). Größere Teile des
Dschungels im Hinterland werden allerdings von der LTTE kontrolliert (Südasien 02-
03/2000 S. 17, 05/2000 S. 15; AA 28.04.2000 S. 15), die von dort aus mit empfindlichen
Verlusten für die Armee zuschlagen kann (AA 28.04.2000 S. 15). Schwerwiegendere
militärische Auseinandersetzungen sind gleichwohl nicht bekannt geworden. Insoweit
kann von einer nachhaltigen Beeinträchtigung der tamilischen Bevölkerung durch
Maßnahmen, die einer kriegerischen Auseinandersetzung zuzuordnen und
entsprechend den vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Kriterien als politische
Verfolgung zu qualifizieren sind, nicht gesprochen werden.
82
Andererseits sind Übergriffe gegenüber der Zivilbevölkerung im Sinne von Maßnahmen,
bei denen Aspekte der Bekämpfung der LTTE oder der Aufklärung von deren Umfeld
keine Bedeutung erlangten, seit 1995 immer wieder vorgekommen und haben zum Tod
zahlreicher Zivilisten geführt. Auch von Fällen der Vergewaltigung wird immer wieder
berichtet.
83
Vgl. hierzu im Einzelnen die Nachweise bei OVG NRW, Urteil vom 23.11.2001 aaO..
84
Indessen ist nicht erkennbar, dass hinter diesen Beeinträchtigungen ein bestimmtes
Programm der politischen Verfolgung steht, auf Grund dessen sich für jeden Tamilen im
Osten von Sri Lanka die Gefahr aktueller Betroffenheit ergibt. Dabei braucht nicht auf die
Einzelgesichtspunkte eingegangen zu werden, die für eine Qualifizierung von Vorfällen
als Akte politischer Verfolgung maßgeblich sind. Der Annahme eines
Verfolgungsprogramms stehen zunächst die Verschiedenartigkeit und Spannweite der
oben aufgeführten Akte, die Vielfalt der Anlässe und Ursachen sowie die
Unterschiedlichkeit der Handelnden entgegen. Es kann auch nicht davon ausgegangen
werden, dass die Regierung die Situation gewollt unkontrolliert lässt und bewusst die
Beeinträchtigungen der Tamilen duldet, etwa um diese als Bevölkerungsgruppe
ungeachtet einer etwaigen Verbindung zur LTTE auszugrenzen. Denn die Übergriffe
bleiben nicht mehr ohne jede staatliche Reaktion. So ist der Vorfall von 1996, bei dem
24 Personen getötet wurden, zum Gegenstand einer offiziellen Untersuchung gemacht
worden (AA 30.08.1996 S. 9 f.) und führte der Übergriff mit 6 Toten im September 1997
alsbald zur Versetzung der Verantwortlichen (Wingler 08.10.1997 S. 23). Auch nach
85
Vergewaltigungen kam es zu Festnahmen (AA 24.10.2001 S. 25; KK 22.02.1997 S. 3).
Die eingeleiteten Maßnahmen führen zwar nicht zu zügiger Klärung der
Verantwortlichkeiten und abschließenden Sanktionen (Wingler 08.10.1997 S. 25), sie
stehen aber der Schlussfolgerung entgegen, die Tamilen seien Übergriffen völlig hilflos
ausgesetzt und fänden nirgendwo Gehör. In diesem Zusammenhang ist auch zu sehen,
dass - wie insbesondere die wiederholt angeführten Auskünfte Winglers zeigen - in den
Medien von Übergriffen berichtet wird und Politiker Vorfälle aufgreifen und öffentliche
Proteste stattfinden (AA 24.10.2001 S. 25; Wingler 08.10.1997 S. 23). Die aufgezeigten
Beeinträchtigungen - für die im Einzelnen eine Untersuchung des Charakters der
politischen Verfolgung unterbleibt - reichen in ihrer Gesamtheit nicht aus, um auf eine
aktuelle Gefahr für jeden einzelnen zu schließen. Die Vergeltungsschläge sind im
Vergleich zu den Übergriffen der LTTE eher selten geblieben. Denn die Situation ist seit
Jahren dadurch geprägt, dass die LTTE eine Vielzahl von Übergriffen auf strategisch
wichtige Ziele, auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei sowie - um
Ausschreitungen von Singhalesen gegen Tamilen zu provozieren (KK 04.01.1996 S.
34) - auf singhalesische Dörfer verübt (KK 04.01.1996 S. 17; AA 12.07.1995 S. 1,
17.03.1997 S. 5; Wingler 31.01.1996 S. 40 f., 10.07.1997 S. 39, 53, 08.10.1997 S. 21 f.,
30.01.1998 S. 19; Südasien 04/2000 S. 8). Es kam zu Übergriffen der LTTE mit in
Einzelfällen sehr hoher Zahl an Opfern vor allem unter singhalesischen Bevölkerung -
so im Mai 1995 mit 42 (AA 07.11.1995 S. 1) und im Oktober 1995 mit 73 Getöteten (KK
24.10.1995 S. 15) -. Die Anzahl der bewaffneten Zwischenfälle dürfte erheblich sein, wie
aus den oben genannten bekannt gewordenen Vorfällen unter Hinzurechnung einer
entsprechend hohen Dunkelziffer ergibt. Demgegenüber ist es nur in Einzelfällen zu
Vergeltungsaktionen gegenüber der Zivilbevölkerung gekommen. Eine Situation, bei
der praktisch nach jedem Akt der LTTE mit einer zugespitzten Gefährdung zu rechnen
ist, kann daher nicht festgestellt werden. Das Verschwindenlassen von Personen bei
Gelegenheit der Vergeltungsaktionen und in sonstigen Zusammenhängen sowie die
Vergewaltigungen sind zwar - was in die Beurteilung der Zumutbarkeit des Aufenthalts
einfließen muss - Akte von ganz erheblicher Schwere; die Häufigkeit kann aber selbst
bei Berücksichtigung einer Dunkelziffer nicht als zu hoch angesehen werden, dass für
jeden aus dem jeweils in Betracht zu ziehenden Personenkreis mit dem jederzeitigen
Eintritt zu rechnen ist, zumal die schon angesprochene mögliche Publizität und
staatliche Reaktion eine eindämmende Wirkung entfalten können. Auch für die
sonstigen Übergriffe wie die durch andere Bevölkerungsgruppen und Organisationen
ergibt sich keine in dem erforderlichen Sinne zugespitzte Gefahrenlage für den
einzelnen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.11.2001 aaO..
86
Nach alledem rechtfertigen die bekannten Tatsachen für keinen Teil von Sri Lanka den
Schluss, dass Tamilen dort - bei aller Unsicherheit der Situation - politische Verfolgung
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei beruht die Beurteilung der Situation der
Tamilen durch die Kammer auf Erkenntnissen über einen Zeitraum von mehreren
Jahren und kann, da tragfähige Anhaltspunkte für eine Entwicklung hin zum
Schlechteren fehlen, insoweit auch bei der gebotenen Prognose zu grundegelegt
werden. Tatsächlich haben sich die Verhältnisse - worauf die Kammer vorsorglich
hinweist - zwischenzeitlich nachhaltig verbessert: Nach den Parlamentswahlen im
Dezember vergangenen Jahres und dem Wahlsieg der bisher oppositionellen "United
National Party" (UNP) unter dem neuen Premierminister Wickremesinghe gab es erste
Annäherungsversuche zwischen den verfeindeten Parteien. Befördert wurden diese
durch den starken Druck vor allem der USA auf die tamilischen Separatisten, die im
87
Zusammenhang mit dem von der USA angeführten "Kampf gegen den internationalen
Terrorismus" zum Einlenken aufgefordert wurden. Ein zwischen Regierung und LTTE
Ende 2001 vereinbarter Waffenstillstand ging im Februar 2002 in ein von Norwegen
vermitteltes und von der USA, der EU und Indien unterstütztes "Memorandum of
Understanding" über (Keller, Südasien 2/02 S.56). Dieses Abkommen hat weit gehende
Reiseerleichterungen vor allem für die tamilische Zivilbevölkerung gebracht. Die
Wirtschaftsblockade der Regierung über weite Teile der von der LTTE kontrollierten
Landesteile im Norden Sri Lankas wurde fast vollständig aufgehoben. Den Tamil Tigers
wurde von der neuen Regierung erlaubt, in den bisher von der Armee kontrollierten
Nordostgebieten Büros zu eröffnen, um dort ihrer politischen Tätigkeit nachzugehen
(Keller aaO.). Auch in militärischer Hinsicht hat sich die Situation dramatisch entspannt:
Seit dem zweiten Weihnachtstag 2001 schweigen die Waffen im Wesentlichen; seither
kam es nur noch auf dem Meer zu verschiedenen militärischen Zwischenfällen mit Toten
und Verwundeten (Flück, Südasien 2/02 S.58). Die Auseinandersetzungen werden jetzt
politisch geführt. Was die Gefahr betrifft, wegen - vermeintlicher oder tatsächlicher -
Zugehörigkeit zur LTTE festgenommen und misshandelt zu werden, so wird diese zum
Teil bejaht (Flück aaO. S.59), zum Teil jedoch im Hinblick auf die anstehende
Aufhebung des LTTE-Verbots zumindest derzeit verneint (KK 17.04.2002 S.6).
Mag auch unter Berücksichtigung dieser Entwicklungen die Feststellung, dass sich die
Situation in Sri Lanka grundlegend entspannt hat und Tamilen dort vollständig sicher
sind, - noch - nicht möglich sein, so wird indessen aus alledem hinreichend deutlich,
dass von einer Verschärfung der oben beschriebenen Situation im Zeitraum vor
Dezember 2001 jedenfalls auch nicht die Rede sein kann.
88
Besondere in der Person der Klägerin liegende in ihrem Einzelfall zu würdigende
Anknüpfungspunkte für eine bis zum Maß einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit
gesteigerte Gefahr politischer Verfolgung sind nicht ersichtlich. Die Klägerin weist zwar
verschiedene Risikofaktoren auf, welche die Wahrscheinlichkeit eines ersten Zugriffs
zur Identitätsfeststellung erhöhen können; sie tragen aber nicht den Schluss, dass ihr
dabei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylerhebliche längerfristige Inhaftierung
und/oder körperliche Misshandlungen drohen. Mit Blick auf die Risikofaktoren fehlende
Ausweispapiere,Alter, unzureichende Sprachkenntnisse sowie ihre Herkunft teilt die
Klägerin das Schicksal einer Vielzahl nach Sri Lanka zurückkehrender tamilischer
Asylbewerber, deren Geburts- oder Herkunftsort im Jaffna- oder Mullaitivu-Distrikt liegt,
welche die singhalesische oder englische Sprache nicht beherrschen oder die bei der
Rückkehr nicht über gültige Ausweispapiere verfügen, ohne dass es bei diesem
Personenkreis mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu asylrelevanten Übergriffen
kommt. Insoweit wird auf die entsprechenden Darlegungen zur allgemeinen
Sicherheitslage in Colombo Bezug genommen. Ebenfalls wird auf die dortigen
Ausführungen verwiesen, was die mangelnde Asylerheblichkeit der - beruflichen -
Tätigkeit der Klägerin für die LTTE und ihrer Verwandschaft mit aktiven oder aktiv
gewesenen LTTE-Kämpfern betrifft.
89
Auch der Hilfsantrag bleibt ohne Erfolg. Das Bundesamt hat die Feststellung, dass
Abschiebungshindernisse nach § 53 des Ausländergesetzes (AuslG) nicht vorliegen, zu
Recht getroffen.
90
§ 53 Abs. 1 AuslG greift nicht ein; die dort geforderte konkrete Gefahr, der Folter
unterworfen zu werden, besteht nicht. Wie oben insbesondere zum Großraum Colombo
ausgeführt, sind Fälle von Folterungen zwar nicht generell auszuschließen; diese fallen
91
aber im Wesentlichen mit Fällen politischer Verfolgung zusammen. Da dergleichen aber
nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, ist auch eine konkrete Gefahr,
vgl. dazu: BVerwG, Urteil vom 05.06.1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391,
92
der Folter unterworfen zu werden, zu verneinen.
93
Eine Unzulässigkeit der Abschiebung nach der Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und der Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention
(EMRK) -, die zu einem Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG führen könnte,
ist nicht festzustellen. In Betracht zu ziehen sind nur Umstände, die sich aus Gefahren
ergeben, die in Sri Lanka als dem Zielland der Abschiebung drohen.
Beeinträchtigungen, die sich im Bundesgebiet ergeben - wie etwa die des Rechts auf
Wahrung des Familienlebens aus Art. 8 EMRK bei Ausreisepflicht einzelner
Familienmitglieder - sind nicht vom Bundesamt, sondern von der Ausländerbehörde im
Zusammenhang mit der Durchsetzung der Ausreisepflicht zu prüfen.
94
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.11.1997 - 9 C 13.96 -, NVwZ 1998, 526.
95
Weiterhin scheiden mit Bedeutung insbesondere für die Unzulässigkeit der
Abschiebung wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK)
Umstände aus, die nicht vom srilankischen Staat ausgehen oder sonst von ihm zu
verantworten sind, also etwa die Folgen des Bürgerkrieges sowie die Auswirkungen
eines unterentwickelten Gesundheitssystems.
96
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17.10.1995 - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 331, vom 15.04.1997 -
9 C 38.96 -, BVerwGE 104, 265, vgl. auch: NVwZ 1997, 1127, vom 25.11.1997 - 9 C
58.96 -, NVwZ 1998, 524 und vom 24.05.2000 - 9 C 34.99 -, NVwZ 2000,1302.
97
Die danach im Rahmen des § 53 Abs. 4 AuslG als möglicherweise relevant
verbleibenden Anknüpfungspunkte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention
sind bereits im Zusammenhang mit den Fragen zur politischen Verfolgung erörtert; dass
diesbezüglich die erforderliche konkrete Gefahr einer Beeinträchtigung,
98
vgl. dazu: BVerfG, Beschluss vom 27.10.1995 - 2 BvR 384/95 -, Deutsches
Verwaltungsblatt (DVBl.) 1996, 196; BVerwG, Urteil vom 04.06.1996 - 9 C 134.95 -,
99
nicht besteht, ergibt sich - vorbehaltlich des nachfolgend Ausgeführten - aus den obigen
Darlegungen. Die konkrete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art.
3 EMRK lässt sich auch nicht im Hinblick auf eine mögliche strafrechtliche Verurteilung
wegen eines Verstoßes gegen die neuen srilankischen Ein-, Ausreise- und
Passbestimmungen feststellen. Es ist schon nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ein
Strafverfahren wegen eines solchen Verstoßes eingeleitet wird. In der Praxis kommt es
nämlich nur selten zu Anklagen gegen Rückkehrer wegen Passfälschungen bzw.
illegaler Ausreise, da sich die Strafverfolgungsbehörden zumeist mit unüberwindlichen
Beweisschwierigkeiten konfrontiert sehen (AA 16.04.1999 S. 3, 28.04.2000 S. 24).
Abgesehen davon fehlt es an tragfähigen Anhaltspunkten dafür, dass es sich bei der
strafrechtlichen Verfolgung und Ahndung solcher Verstöße - etwa im Hinblick auf das zu
erwartenden oder verhängte Strafmaß - um eine unmenschliche Behandlung im Sinne
des Art. 3 EMRK handelt. Denn die vorgesehenen Strafen gelten für eine große
Spannweite von Delikten und Begehungsformen. Feststellungen zu der tatsächlich
100
geübten Praxis sind nach dem vorliegenden Auskunftsmaterial, das ersichtlich alle zur
Verfügung stehenden Erkenntnisquellen und -möglichkeiten ausschöpft, nicht zu treffen.
Auch sonst kann die konkrete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung während der
Untersuchungshaft oder während des Vollzugs einer Strafe wegen eines Verstoßes
gegen die genannten Ein-, Ausreise- und Passbestimmungen nicht festgestellt werden.
Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit aus individuellen Gründen
(§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) ist nicht ersichtlich. Eine extreme allgemeine Gefahrenlage,
die jeden einzelnen zurückkehrenden Tamilen gleichsam sehenden Auges dem
sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern und daher in
verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ein
Abschiebungshindernis nach Satz 1 begründen würde,
101
vgl. BVerwG, Urteile vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324, vom 08.12.1998 - 9
C 4.98 -, DVBl. 1999, 549 und vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 und 1 C 5.01 -,
102
ist jedenfalls für den Großraum Colombo, den die Rückkehrer als erstes erreichen, nicht
gegeben. Soweit oben bereits Übergriffe und sonstige Beeinträchtigungen
angesprochen worden sind, die Tamilen oder Gruppen von ihnen treffen können, sind
sie im vorliegenden Zusammenhang ohne Gewicht, weil sie sich - zumal mit der in Rede
stehenden Eingriffsintensität - schon nicht mit der für die Annahme einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit, geschweige denn mit der für die Annahme einer extremen
Gefahrenlage erforderlichen Dichte feststellen lassen. Insoweit kann auf die
Ausführungen zum Hauptbegehren verwiesen werden. Ebensowenig liegen
Anhaltspunkte dafür vor, dass die Rückkehrer einer Verelendung ausgeliefert wären.
Das umfangreiche Auskunftsmaterial, das gerade auch die Lebensbedingungen im
Großraum Colombo in den Blick nimmt, enthält für den hier erforderlichen
Gefährdungsgrad keine tragfähigen Hinweise. Zwar ist die Erlangung einer
wirtschaftlichen Lebensgrundlage für Tamilen jedenfalls dann nicht einfach, wenn ihnen
familiäre Beziehungen fehlen (UNHCR 23.07.1996 S. 4; KK 24.02.1997 S. 1); auch mag
der Zugang zu staatlichen Hilfsprogrammen für Rückkehrer, die nicht aus Colombo
stammen, ausgeschlossen sein (AA 27.05.1999 S. 1 und 24.10.2001 S. 30; KK
08.12.1999 und 22.06.1999 S. 8). Doch greifen ersichtlich andere Hilfsmöglichkeiten
ein, etwa durch bereits in Colombo ansässige Volkszugehörige oder durch lokale und in
Sri Lanka zahlreich vertretene internationale Hilfsorganisationen (AA 14.01.1997,
27.05.1999 S. 2, 25.01.2000 S. 2); ferner sind - wenn auch möglicherweise
eingeschränkte (KK 22.06.1999 S. 9) - Möglichkeiten zu berücksichtigen, in
verschiedenen Wirtschaftszweigen eine einfache, vergleichsweise schlecht entlohnte
Arbeit zu finden (AA 27.05.1999 S. 3; 21.06.2001 S. 4 und 24.10.2001 S. 31), die es
Rückkehrern im Allgemeinen erlaubt, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. Auch
dies erklärt, dass keine Berichte zu Beispielsfällen tatsächlicher existenzieller
Gefährdung von Einzelnen oder bestimmten Gruppen vorliegen (AA 06.05.1998,
27.05.1999 S. 4 f.; 21.06.2001; 24.10.2001 S. 29 ff.), obwohl angesichts der vielfältigen
Beobachtung der Situation dergleichen schwerlich unerkannt geblieben wäre. Das
Fehlen von Belegfällen für eine Verelendung kann nicht darauf zurückgeführt werden,
dass die Rückkehrer nicht im Großraum Colombo verblieben wären, denn es wird
zugleich auf erhebliche Hemmnisse verwiesen, in andere - insbesondere tamilisch
besiedelte - Gebiete zurückzukehren (KK 08.12.1999) und darüber hinaus berichtet,
dass Rückkehrer, soweit ihnen nicht eine erneute Ausreise gelingt, es in der Mehrzahl
vorziehen, im Großraum Colombo Wohnsitz zu nehmen (AA 27.05.1999 S. 3,
24.10.2001 S. 31). Allerdings wird die Ausländerbehörde mit Rücksicht darauf, dass die
103
Klägerin - wie sich der Kammer in der mündlichen Verhandlung nach dem Augenschein
erschlossen hat - stark vorgealtert ist, besonders sorgfältig zu prüfen haben, ob sie auf
den dauernden Beistand ihrer in der Bundesrepublik lebenden Kinder angewiesen ist
und mit Rücksicht darauf eine Abschiebung ausscheidet.
Die im Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung sowie die Abschiebungsandrohung
begegnen auf der Grundlage der in ihrem Bestand unberührt bleibenden anderweitigen
Regelungen im Bescheid des Bundesamtes keinen Bedenken; insoweit ist auch
klägerseitig nichts geltend gemacht.
104
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708, 711
der Zivilprozessordnung - ZPO -. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b Abs. 1
AsylVfG.
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