Urteil des VG Arnsberg vom 12.12.2005

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Verwaltungsgericht Arnsberg, 14 K 807/04
Datum:
12.12.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 807/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
Tatbestand:
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Der am 6. Dezember 1958 geborene Kläger bezog von dem Beklagten seit Jahren
Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in der bis zum 31. Dezember
2004 geltenden Fassung. Am 6. Mai 2003 bat der Kläger den Beklagen um die
Gewährung eines Ernährungsmehrbedarfs, wobei er auf seine Hepatitis-Erkrankung
hinwies. Später legte er dem Beklagten eine Bescheinigung der Fachärztin für
Allgemeinmedizin T. aus B. -O. vor, wonach er unter einer Hepatitis B und C leide und
es zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes notwendig sei, dass der Kläger eine
vitaminreiche und ausgewogene Kost zu sich nehme.
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Daraufhin beteiligte der Beklagte das Gesundheitsamt des Hochsauerlandkreises, das
sich unter dem 30. September 2003 durch Frau Dr. med. H. wie folgt äußerte: Die
Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung sei nicht erforderlich.
Die Kostform solle vor allem darauf Wert legen, weitere Leberschädigungen, zum
Beispiel durch Alkohol, Drogen oder die Leber belastende Medikamente strikt zu
vermeiden. Nach den einschlägigen Richtlinien entstehe durch diese Kost kein
Mehrbedarf.
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Mit Bescheid vom 6. Oktober 2003 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers unter
Bezugnahme auf die amtsärztlichen Ausführungen ab.
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Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger mit Schriftsatz seiner
Prozessbevollmächtigten vom 10. November 2003 Widerspruch und machte geltend:
Die ärztliche Bescheinigung, die er eingereicht habe, diagnostiziere eine Hepatitis B
und C. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich hierbei um
Lebererkrankungen handele, verweise er wegen der Höhe des anzusetzenden
Mehrbedarfs auf die Empfehlung des Deutschen Vereins für öffentliche und private
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Fürsorge über die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe. Danach sei
für Lebererkrankungen grundsätzlich ein Mehrbedarf von 25,56 Euro zu Grunde zu
legen.
Mit Bescheid vom 4. Februar 2004 wies der Landrat des Hochsauerlandkreises den
Widerspruch als unbegründet zurück. Er verwies auf die Stellungnahme seines
Gesundheitsamtes vom 30. September 2003, wonach die dem Kläger empfohlene
Kostform die Lebenshaltung (Ernährung) nicht verteuere.
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Am 8. März 2004 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung
er erneut auf die Bescheinigung seiner Hausärztin vom 11. September 2003 sowie die
Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge verweist,
wonach bei Lebererkrankungen grundsätzlich ein Mehrbedarf in Höhe von 25,56 Euro
zu Grunde zu legen sei.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 6. Oktober 2003 und des
Widerspruchsbescheides des Landrats des Hochsauerlandkreises vom 4. Februar 2004
zu verpflichten, für die Zeit vom 6. Mai 2003 bis zum 29. Februar 2004 einen Mehrbedarf
für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 25,56 Euro je Monat anzuerkennen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung nimmt er Bezug auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides.
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Mit Beschluss vom 29. März 2004 hat die Kammer den Antrag des Klägers, ihm
Prozesskostenhilfe zu gewähren, abgelehnt, weil es an der hinreichenden
Erfolgsaussicht des Rechtsmittels fehle; nach dem „Begutachtungsleitfaden des
Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe" löse die Krankheit, an der
der Kläger leide, keinen Ernährungsmehrbedarf aus. Mit Beschluss vom 30. Juni 2005 -
16 E 499/04 - hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen der
Beschwerde des Klägers gegen die Entscheidung der Kammer entsprochen und
Folgendes aufgeführt: Der beabsichtigten Rechtsverfolgung könne die hinreichende
Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden. Die Notwendigkeit einer
kostenaufwendigen Ernährung bei einer Erkrankung an Hepatitis B und C werde in den
„Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" des
Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge aus dem Jahre 1997 anders
beurteilt als im Begutachtungsleitfaden, auf den sich die Kammer bezogen habe. Ob die
Empfehlungen des Deutschen Vereins durch die Erkenntnisse des
Begutachtungsleitfadens überholt seien, könne nicht im Prozesskostenhilfeverfahren
geklärt werden, sondern diese Frage müsse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten
bleiben, zumal gegen die Feststellungen des Begutachtungsleitfadens methodische
Bedenken erhoben worden seien.
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Daraufhin hat die Kammer Stellungnahmen des Arbeitsausschusse der
Sozialdezernenten Westfalen-Lippe (vom 15. Juli 2005) und der Akademie für
öffentliches Gesundheitswesen (vom 25. Juli 2005) eingeholt und den Beteiligten
zugänglich gemacht. Die Kammer hat ferner den Kläger aufgefordert, substantiiert
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darzulegen, auf welche Weise er sich in dem fraglichen Zeitraum (bis Februar 2004)
ernährt hat, wo er seine Lebensmittel eingekauft hat und welche Kosten dabei
entstanden sind. Hilfsweise hat sie ihm die Gelegenheit gegeben, seine gegenwärtige
Ernährungssituation zu schildern. Daraufhin hat der Kläger eine weitere Stellungnahme
seiner Hausärztin vorgelegt, in der abschließend festgestellt wird, dass „im Rahmen der
allgemeinen sozialen Hilfe eine Erhöhung der Sozialhilfe zur Verbesserung der
Ernährungs- und Lebensbedingungen wünschenswert" sei. Hierzu hat das
Gesundheitsamt (Frau Dr. H. ) des Hochsauerlandkreises unter dem 28. September
2005 bemerkt, die Begründung der Hausärztin für einen Ernährungsmehrbedarf beziehe
sich nicht auf einen medizinischen Sachverhalt, sondern auf eine soziale Problemlage.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im
übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Widerspruchsbehörde Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Verpflichtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger wird durch
die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten und des Landrats nicht rechtswidrig
in seinen Rechten verletzt im Sinne von § 113 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO), weil ihm der mit der Klage verfolgte Anspruch auf eine höhere
Sozialhilfeleistung in dem fraglichen Streitzeitraum nicht zustand.
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Nach § 22 Abs. 1 BSHG wurden bis zum 31. Dezember 2004 laufende Leistungen zum
Lebensunterhalt aus Mitteln der Sozialhilfe grundsätzlich nach Regelsätzen gewährt.
Die Höhe dieser Regelsätze wurde in der Verordnung zu § 22 BSHG, der sogenannten
Regelsatzverordnung, näher bestimmt. Einen über die Regelsätze hinausgehenden
Anspruch auf laufende Sozialhilfe kam allerdings unter anderem nach § 23 BSHG für
Personen in Betracht, welche die in dieser Vorschrift bestimmten Voraussetzungen für
einen sogenannten Mehrbedarf erfüllten. Im vorliegenden Fall allein einschlägig ist § 23
Abs. 4 BSHG, wonach für Kranke ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anzuerkennen
ist, wenn die betreffenden Personen aufgrund ihrer Erkrankung einer
kostenaufwändigen Ernährung bedürfen. Im vorliegenden Fall hat sich die Kammer
nicht davon überzeugen können, dass in der Person des Klägers die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 23 Abs. 4 BSHG erfüllt waren.
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Bereits in ihrem Beschluss vom 29. März 2004 hat die Kammer darauf hingewiesen,
dass nach sachverständigem Urteil, nämlich dem Begutachtungsleitfaden des
Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen- Lippe aus Januar 2002, die dem
Kläger attestierte Erkrankung keinen Ernährungsmehrbedarf auslöst. Dieser Auffassung
ist freilich das Oberverwaltungsgericht mit seinem Beschluss vom 30. Juni 2005
entgegen getreten und hat die Möglichkeit erwogen, dass im vorliegenden Fall auf der
Grundlage der „Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulage in der
Sozialhilfe" des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge ein
Ernährungsmehrbedarf in Betracht komme.
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Die Kammer hat die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zum Anlass
genommen, die im Tatbestand dieses Urteils zitierten Stellungnahmen einzuholen.
Danach hat sie keine begründeten Zweifel daran, dass jedenfalls für die im
vorliegenden Fall zu beurteilende Krankheit der „Begutachtungsleitfaden"
herangezogen werden kann. Die Ausführungen der Akademie für öffentliches
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Gesundheitswesen vom 25. Juli 2005 sind jedenfalls für den „Normalfall" eines an
Hepatitis B und C erkrankten Menschen eindeutig: Der Kranke soll sich gesund
ernähren und auf eine angemessene Vitaminzufuhr achten, wodurch keine Mehrkosten
im Sinne des § 23 Abs. 4 BSHG entstehen. Von Bedeutung erachtet die Kammer auch
den Hinweis der Akademie darauf, dass ein zusätzlicher „Vitaminstoß", der den
physiologischen Bedarf überschreitet, keineswegs indiziert ist, auch wenn werbende
Veröffentlichungen für nahrungsergänzende Präparate den gegenteiligen Eindruck zu
vermitteln versuchen. Die Kammer sieht sich danach nicht in der Lage, der Klage allein
aufgrund der medizinisch augenscheinlich überholten „Empfehlungen" des Deutschen
Vereins zu entsprechen.
Allerdings weist auch die Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in der zuvor
zitierten Stellungnahme darauf hin, dass je nach individuellem Verlauf der Hepatitis-
Erkrankung schwere Krankheitserscheinungen auftreten können, die eine eingreifende
Therapie erforderlich machen. In diesen (aber auch nur in diesen!) Fällen sind nach dem
Schreiben der Akademie vom 25. Juli 2005 Mehrkosten für die Ernährung denkbar.
Anhaltspunkte dafür, dass entsprechende gesundheitliche Gegebenheiten in der Person
des Klägers erfüllt sind, wurden weder vorgetragen noch sind sie sonst erkennbar.
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Selbst wenn im Übrigen dem „Begutachtungsleitfaden" und den eingehenden
Ausführungen der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen vom 25. Juli 2005 nicht
zu folgen wäre, müsste die vorliegende Klage abgewiesen werden. Denn nach § 3 Abs.
1 BSHG richten sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe nach der Besonderheit des
Einzelfalles, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers. Im vorliegenden Fall hat
der Kläger nicht dargelegt, dass er tatsächlich einen Ernährungsmehrbedarf habe. Der
schlichte Hinweis auf eine Leberschädigung befreit ihn nicht von seiner Darlegungslast,
wenn er seitens des Gerichts hierzu aufgefordert wird. Hätte der Kläger tatsächlich einen
Mehrbedarf gehabt bzw. würde der Bedarf noch heute fortbestehen, müsste es ihm ein
Leichtes sein, die im Tatbestand zitierte Anfrage des Gerichts zu beantworten. Insoweit
ist aber vom Kläger nichts beigebracht worden außer der Stellungnahme seiner
Hausärztin, welche vom Gesundheitsamt des Hochsauerlandkreises zutreffend
charakterisiert worden ist. Der vom Kläger behauptete Mehrbedarf ist danach nicht
medizinisch bedingt, sondern er entspringt dem subjektiven Bewusstsein des Klägers,
der, ohne dies mit konkreten Kosten belegen zu können, lediglich annimmt, die
ernährungsmäßige Rücksicht auf seine Erkrankung begründe einen höheren Bedarf.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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Die Kammer sieht davon ab, die Berufung zuzulassen, weil die Gründe des § 124 Abs. 2
Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen.
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