Urteil des VG Arnsberg vom 22.03.2007

VG Arnsberg: europäischer gerichtshof, projekt, klageänderung, richteramt, genehmigungsverfahren, öffentlich, zustellung, datum, erhaltung, wahrscheinlichkeit

Verwaltungsgericht Arnsberg, 7 K 830/06
Datum:
22.03.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 830/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird
nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte
zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für
die Errichtung und den Betrieb von zwei Windkraftanlagen.
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Unter dem 17. November 2004 stellte der Kläger beim Staatlichen Umweltamt M. einen
Antrag auf Genehmigung der Errichtung einer Windkraftanlage des Typs Enercon E-70
E4 mit einem Rotordurchmesser von 71 m und einer Nabenhöhe von 64 m. Einen
weiteren Genehmigungsantrag betreffend eine Windkraftanlage des gleichen Typs
stellte die Fa. Enercon für den Kläger mit Schreiben vom 30. Dezember 2004. Beide
Anlagen sollten auf dem nördlich von X. gelegenen Grundstück Gemarkung B. Flur 13
Flurstück 97 errichtet werden. Die Standorte der geplanten Anlagen liegen innerhalb der
im Flächennutzungsplan der Stadt X. seit November 1998 dargestellten Vorrangfläche
für Windkraftanlagen "X. ". Seinerzeit war in der näheren Umgebung der vorgesehenen
Standorte bereits eine Windkraftanlage vorhanden; drei weitere Anlagen waren in
Planung (Genehmigungsanträge der X1. GmbH vom 10. Februar 2005 bzw. des Herrn
E. vom 26. November 2004; vgl. hierzu die Urteile in den Verfahren 7 K 831/06 und 7 K
832/06).
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Nach vorangegangenen Planungen sollten in der ausgewiesenen Vorrangfläche
insgesamt sieben Windkraftanlagen errichtet werden. Hierzu lag ein "Ornithologisches
Gutachten zu den Auswirkungen von Bau und Betrieb des geplanten Windparks auf die
Avifauna unter besonderer Berücksichtigung des Wachtelkönigs" vor, das im Auftrag der
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Betreiber von dem Landschaftsarchitekten M1. im Oktober 2003 erstellt worden war. In
einem auf die Vorrangfläche bezogenen - letztlich nicht mehr fortgeführten -
Bebauungsplanverfahren war zu ornithologischen Fragen zuvor bereits eine
Umweltverträglichkeitsstudie (N1. , September 2001) eingeholt worden.
Mit Datum vom 17. Dezember 2004 (MBl. NRW vom 26. Januar 2005, S. 66) machte das
Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz die
europäischen Vogelschutzgebiete in Nordrhein-Westfalen bekannt. Hierzu zählt auch
das Gebiet "I1.---wegbörde ", das (u.a.) größere Flächenanteile des Kreises T1. erfasst.
Schutzzweck des Gebiets ist die "Erhaltung und Entwicklung der durch Offenheit,
Großräumigkeit, weitgehende Unzerschnittenheit und überwiegende ackerbauliche
Nutzung geprägten Agrarlandschaft als - Brutgebiet insbesondere für Wiesen- und
Rohrweihe und Wachtelkönig - Rast- und Durchzugsgebiet insbesondere für
Goldregenpfeifer, Mornellregenpfeifer, Kornweihe und Rotmilan". Die Standorte der
geplanten Windkraftanlagen liegen innerhalb des Vogelschutzgebiets.
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Mit einem erneuten, auf beide geplanten Anlagen bezogenen Antrag vom 30. Mai 2005
legte der Kläger dem Staatlichen Umweltamt M. weitere Unterlagen vor. Zum "Windpark
X. " reichte er eine im Juli 2005 von M1. erstellte FFH- Verträglichkeitsprüfung ein.
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Zur Frage der naturschutzrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens des Klägers gingen
im Genehmigungsverfahren Stellungnahmen der Unteren Natur- und
Landschaftsschutzbehörde des Kreises T1. vom 15. Februar 2005, 16. September 2005
und 9. Dezember 2005, der Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten
(LÖBF) vom 4. Februar 2005 sowie der Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz
im Kreis T1. e.V. vom 2. März 2005 ein; intern beteiligte die Beklagte ihre höhere
Landschaftsbehörde (Stellungnahmen vom 22. Juli 2005 und 10. Oktober 2005).
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Mit Bescheid vom 12. Dezember 2005 lehnte die Beklagte die Genehmigungsanträge
des Klägers ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass der Errichtung und dem
Betrieb der geplanten Windkraftanlagen erhebliche ornithologische Bedenken als
naturschutzfachliche und damit öffentlich-rechtliche Belange entgegen stünden. Die
Verträglichkeit der Anlagen mit den Schutz- und Erhaltungszielen des
Vogelschutzgebiets "I1.---wegbörde " sei nicht nachgewiesen worden.
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Am 5. April 2006 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, die zunächst nur auf
eine Verpflichtung der Beklagten gerichtet war, ihm die beantragte
immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die beiden streitgegenständlichen
Windkraftanlagen zu erteilen.
9
Durch Bescheid vom 6. April 2006 hat die Bezirksregierung B1. den Widerspruch des
Klägers gegen ihren Ablehnungsbescheid vom 12. Dezember 2005 als unbegründet
zurückgewiesen.
10
Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2007 hat der Kläger sein Begehren durch Hilfsanträge
ergänzt. Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Bereits in
den Gutachten des M1. aus 2003 und 2005 sei nachgewiesen worden, dass sechs der
sieben in der Schutzzweckausweisung des Vogelschutzgebiets genannten Arten keine
signifikanten Vorkommen im Vorhabenbereich hätten. Daher könne es hier nur um das
Wachtelkönig-Vorkommen gehen. Unter das Verbot einer erheblichen Beeinträchtigung
des Gebiets als Brutgebiet für den Wachtelkönig könne nicht jede theoretische
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Beeinträchtigungsmöglichkeit subsumiert werden. Abzustellen sei nur auf
Beeinträchtigungen von qualifiziertem Gewicht. Das Vogelschutzgebiet "I1.--- wegbörde
" umfasse eine Fläche von 48.417 ha. Damit sei ein Areal unter Schutz gestellt worden,
das im Vergleich zu den meisten anderen Vogelschutzgebieten in NRW riesig sei.
Dabei handele es sich um eine intensiv - überwiegend ackerbaulich - genutzte
Agrarlandschaft mit entsprechend angepassten Arten. Inmitten des Gebiets lägen die
Städte X2. , T1. , F. , B2. und H. . Bei der Ausweisung des Vogelschutzgebiets seien in
der Umgebung der Siedlungsflächen teilweise sehr große Gebiete ausgenommen
worden. Außer den angesprochenen Städten befänden sich in dem Vogelschutzgebiet
zahlreiche kleine und mittlere Ortschaften und ein umfangreiches Verkehrswegenetz.
Vor diesem Hintergrund müsse die im Schutzzweck genannte weitgehende
Unzerschnittenheit des Gebiets stark relativiert werden. Die Größe der insgesamt
ausgewiesenen Fläche stehe in Kontrast zur Individuenzahl der zu schützenden Art.
Andere Konzentrationszonen seien aus dem Vogelschutzgebiet herausgenommen
worden. Nur bei der streitgegenständlichen Zone sei man von diesem Grundsatz
abgewichen, ohne dass hierfür nachvollziehbare Gründe vorgelegen hätten. All diese
Besonderheiten müssten bei der Beurteilung der Erheblichkeitsschwelle berücksichtigt
werden. Durch eine im Laufe des Verfahrens vorgenommene Standortoptimierung sei
ausgeschlossen worden, dass es bei den Wachtelkönigen zu sogenannten
Rufplatzverlusten kommen könne. Dabei sei der Gutachter M1. hinsichtlich möglicher
Beeinträchtigungen von einem "Worst-Case-Szenario" ausgegangen. In den Vermerken
der Höheren Landschaftsbehörde der Beklagten sei es offenbar bewusst darum
gegangen, die fachliche Qualifikation und Seriosität des Gutachters M1. in Zweifel zu
ziehen. (Der Kläger geht im Folgenden im Einzelnen auf die Kritikpunkte ein.) Zu den
zentralen Fragen der Zulassungsfähigkeit des Vorhabens habe die Behörde aber wenig
bis gar nichts vorgebracht. Sowohl das Gutachten als auch die FFH-
Verträglichkeitsprüfung des M1. seien an den gängigen methodischen Fachstandards
und den üblichen Durchführungsrichtlinien orientiert. Schon die bisherigen Ergebnisse
der Gebietsuntersuchung aus den Jahren 2001, 2003 und 2005 hätten zu dem Ergebnis
geführt, dass der Schutzzweck des Schutzgebiets im Hinblick auf den Wachtelkönig
nicht berührt werde. Jedenfalls werde die Schwelle des erheblichen Eingriffs nicht
überschritten. Während in 2001 und 2003 noch eine geringe Ruferdichte im
Untersuchungsgebiet "L. " habe festgestellt werden können, sei in 2005 überhaupt kein
Wachtelkönig mehr angetroffen worden. Auch im Rahmen einer nachträglich
durchgeführten Kartierung im Frühjahr 2006 habe sich bestätigt, dass im gesamten
Untersuchungsgebiet keine Wachtelkönige gesiedelt hätten. Das stütze die
Einschätzung aus der FFH-Verträglichkeitsprüfung, wonach der "L. " kein alljährlich
besetzter Vorrangbereich oder eine Kernfläche für den Wachtelkönig sei. Im Übrigen
habe M1. in einer zusätzlichen Stellungnahme dargelegt, auf welche Weise eine
mögliche Beeinträchtigung durch Teilabschaltungen der Windkraftanlagen in den
Kernzeiten der Rufaktivität des Wachtelkönigs minimalisiert werden könne. Hierauf
beruhten die gestellten Hilfsanträge. Dabei müsse davon ausgegangen werden, dass
die Rufe ab einer Windgeschwindigkeit von 6 m/sec in Nabenhöhe ohnehin durch
Windnebengeräusche überdeckt oder jedenfalls wesentlich gestört würden. Soweit in
dem Bescheid vom 6. April 2006 erstmals die Auffassung vertreten worden sei, in der
FFH-Verträglichkeitsprüfung seien die auf andere Vogelarten bezogenen Schutzziele
des Schutzgebiets nicht ausreichend beleuchtet worden, sei hierzu eine weitere
Stellungnahme des M1. eingeholt worden, aus der sich ergebe, dass diese Schutzziele
in keiner Weise beeinträchtigt würden.
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger auf seinen Antrag vom 17. November 2004 und
30. Mai 2005 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung von zwei
Windenergieanlagen (WEA) (Nr. 2 und 3 laut Lageplan) vom Typ Enercon E-70/E4 in X.
-B. , Gemarkung B. , Flur 13, Flurstück 97, zu erteilen, und zwar unter gleichzeitiger
Aufhebung des Ablehnungsbescheides der Beklagten vom 12. Dezember 2005 in der
Fassung des Widerspruchsbescheids vom 6. April 2006,
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hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 12.
Dezember 2005 und des Widerspruchsbescheids vom 6. April 2006 zu verpflichten, dem
Kläger die zuvor bezeichnete immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu erteilen mit
folgenden Nebenbestimmungen betreffend den Artenschutz: a) Die WEA werden in der
Zeit vom 10. Mai bis 30. Juni eines jeden Jahres von 22.30 Uhr bis 5.00 Uhr
abgeschaltet, wenn eine Windgeschwindigkeit in Nabenhöhe gemessen von 6 m/sec
unterschritten wird. b) Zur Sicherstellung der vorgenannten Nebenbestimmung sind die
jeweiligen WEA mit einer automatisch arbeitenden Abschaltautomatik zu versehen, die
entsprechend programmiert wird. Eine Bescheinigung des Herstellers über den
ordnungsgemäßen Einbau, die Funktionsweise und entsprechende Programmierung ist
der Genehmigungsbehörde vor Inbetriebnahme der WEA zu übersenden. Auf Wunsch
kann die Behörde verlangen, dass die Richtigkeit der Bescheinigung des Herstellers
durch einen neutralen Sachverständigen bestätigt wird. c) Die entsprechenden
Betriebsparameter der WEA wie Windgeschwindigkeit in Nabenhöhe und tageszeitliche
Betriebszeit sind für mindestens drei Monate, rückwärts gerechnet ab dem jeweils
aktuellen Datum, zu speichern und der Behörde in Form von Dateien oder
Dateiausdrucken jederzeit auf Anforderung zur Verfügung zu stellen. d) Sind im Umkreis
von 300 m um die jeweilige WEA herum keine rufenden Wachtelkönige festzustellen,
bleibt dem Kläger vorbehalten, die Abschalteinrichtung zu deaktivieren. Dies wird ihm
nur gestattet, wenn er die Abwesenheit von rufenden Wachtelkönigen in der fraglichen
Distanz durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens bestätigt. Dieses muss
mindestens von einem Dipl.-Biologen erstellt sein und muss auf dem Ergebnis von
mindestens drei Begehungen zwischen dem 20. April und dem 20. Mai 2005 beruhen.
Die Deaktivierung ist immer nur für eine Saison und immer nur auf der Grundlage eines
in dieser Saison erstellten Gutachtens möglich, ganz hilfsweise die vorgenannten
Nebenbestimmungen dahingehend zu modifizieren, dass die zu a) genannten
Abschaltzeiten erweitert werden auf den Zeitraum der maximal möglichen Rufaktivität in
der Zeit vom 20. April bis 20. Juli eines jeden Jahres sowie tageszeitlich auf die Zeit von
22.00 Uhr bis 7.00 Uhr.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt im Wesentlichen vor: Die Klage sei hinsichtlich des Haupt- und der
Hilfsanträge bereits unzulässig. Was den Hauptantrag anbelange, so komme allenfalls
eine Bescheidung des Genehmigungsantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts in Betracht. Vor dem Hintergrund des § 20 Abs. 2 der 9. Verordnung zur
Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sei das Genehmigungsverfahren
durch ablehnenden Bescheid beendet worden, als die Prüfung ergeben habe, dass die
Genehmigungsvoraussetzungen nicht vorlägen und ihre Erfüllung auch nicht durch
Nebenbestimmungen sichergestellt werden könne. Damit habe die nach Feststellung
der UVP-Pflicht notwendige Beteiligung der Öffentlichkeit nicht stattgefunden. Bei den
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Hilfsanträgen komme hinzu, dass diese eine Klageänderung beinhalteten, der
widersprochen werde und die auch nicht sachdienlich sei. Die mit den Hilfsanträgen
begehrte eingeschränkte Genehmigung sei ein neuer Streitgegenstand, für den das
erforderliche Genehmigungs- und Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden sei.
Zur Begründung der Hilfsanträge habe die Klägerseite neue gutachterliche
Stellungnahmen vorgelegt, die im Verfahren nicht hätten geprüft werden können. Ob das
eingeschränkte Vorhaben genehmigungsfähig sei, könne ohne Beteiligung der
entsprechenden Stellen nicht verbindlich gesagt werden. Mit der Klageänderung werde
auch in die Beteiligungsrechte z.B. der Naturschutzverbände eingegriffen. Die Klage sei
im Übrigen - sowohl hinsichtlich des Haupt- als auch der Hilfsanträge - auch
unbegründet. Die angefochtenen Bescheide seien Ergebnis einer Abwägung, in welche
die übereinstimmend ablehnenden Stellungnahmen der Unteren Landschaftsbehörde,
der LÖBF und der beteiligten Naturschutzverbände (ABU) eingeflossen seien. Im
Genehmigungsverfahren habe sie - die Beklagte - keineswegs die Problematik auf das
Wachtelkönigvorkommen reduziert. Das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, weil es
zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Europäischen Vogelschutzgebietes in
seinen für die Erhaltungsziele und den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führe
bzw. führen könne. Nach § 34 Abs. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes sei ein Projekt
nicht erst dann unzulässig, wenn positiv festgestellt werde, dass es zu
Populationsbeeinträchtigungen geschützter Arten komme. Vielmehr genüge, dass
nachteilige Folgen für die Lebensbedingungen geschützter Arten eintreten könnten. Das
sei bereits dann der Fall, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass
das Vorhaben im Einzelfall geeignet sei, sich nachteilig auszuwirken. Davon müsse
nach den eindeutigen und fachlich überzeugenden Stellungnahmen der beteiligten
Träger öffentlicher Belange ausgegangen werden. Hinsichtlich der Gewichtung der
möglichen Beeinträchtigung stehe ihr - der Beklagten - ein Abwägungsrecht zu. In
Anbetracht der übereinstimmend negativen Stellungnahmen sei die der ablehnenden
Entscheidung zugrunde liegende Bevorzugung der Belange des Naturschutzes nicht
angreifbar. Mit ihren Hilfsanträgen gestehe die Klägerseite ein, dass zumindest eine
erhebliche Prognoseunsicherheit für Populationsbeeinträchtigungen der geschützten Art
des Wachtelkönigs vorliege. Den Hilfsanträgen sei in der Sache auch
entgegenzuhalten, dass die rechtliche und fachliche Problematik in unzulässiger Weise
auf den Wachtelkönig fokussiert werde. Im Übrigen nehme die Beklagte auf
Stellungnahmen des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW
(LANUV, ehemals LÖBF) vom 15. März 2007 und ihrer eigenen Höheren
Landschaftsbehörde vom 18. März 2007 Bezug.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat weder mit dem Haupt- noch mit den Hilfsanträgen Erfolg. Die mit dem
Hauptantrag verfolgte Verpflichtungsklage ist zulässig, aber unbegründet (I.).
Hinsichtlich der Hilfsanträge ist die Klage bereits unzulässig (II.).
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I. Soweit der Kläger mit seinem Hauptantrag eine Verpflichtung der Beklagten begehrt,
ihm die beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung von
zwei Windkraftanlagen zu erteilen, ist die Klage unbegründet. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Die Ablehnung des begehrten
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Verwaltungsakts ist daher nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist nach § 6 Abs. 1 des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich
aus § 5 und einer auf Grund des § 7 erlassenen Rechtsverordnung ergebenden
Pflichten erfüllt werden (Nr. 1), und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und
Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht
entgegenstehen (Nr. 2). Die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 2
BImSchG liegen hier nicht vor, weil der Errichtung der streitigen Anlagen öffentlich-
rechtliche Vorschriften entgegen stehen. Das Vorhaben ist nämlich nach den §§ 48 c
Abs. 5 Satz 4 Nr. 1, 48 d Abs. 4 des Gesetzes zur Sicherung des Naturhaushalts und zur
Entwicklung der Landschaft (LG NRW) unzulässig.
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§ 48 c Abs. 5 Satz 1 LG NRW regelt, dass die im Ministerialblatt des Landes NRW vom
26. Januar 2005 (S. 66) bekannt gemachten Europäischen Vogelschutzgebiete durch
dieses Gesetz mit ihren dort jeweils aufgeführten Gebietsabgrenzungen und mit den dort
genannten gebietsspezifischen Schutzzwecken nach Maßgabe der Sätze 3 bis 9 unter
Schutz gestellt sind. Gemäß § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 LG NRW ist in diesen Gebieten
die Errichtung genehmigungsbedürftiger baulicher Anlagen verboten, sofern diese zu
einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebiets in seinen für den Schutzzweck
maßgeblichen Bestandteilen führen können. § 48 c Abs. 5 Satz 3 LG NRW bestimmt,
dass in den Europäischen Vogelschutzgebieten u.a. die §§ 48 d und 48 e gelten. Nach
§ 48 d Abs. 1 Satz 1 LG NW sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf
ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Gebiets von gemeinschaftlicher
Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebiets zu überprüfen. Nach § 48 d
Abs. 4 LG NRW ist ein Projekt unzulässig, wenn die Prüfung der Verträglichkeit ergibt,
dass das Projekt einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten
zu erheblichen Beeinträchtigungen eines in Absatz 1 genannten Gebiets - hierzu zählen
die Europäischen Vogelschutzgebiete - in seinen für die Erhaltungsziele oder den
Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann.
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Bei der Prüfung, ob der Verbotstatbestand des § 48 d Abs. 4 LG NRW erfüllt ist, sind
sämtliche Gesichtspunkte des jeweiligen Projektes, die für sich oder mit anderen Plänen
und/oder Projekten die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele beeinträchtigen
können, einzustellen. Dabei genügt die mögliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele
bezogen auf einen Lebensraumtyp oder eine Art. Unter Berücksichtigung des
Vorsorgeprinzips ist der notwendige Grad der Wahrscheinlichkeit, der zu weiteren
Anforderungen an die Zulassung des Projekts führt, schon dann erreicht, wenn anhand
der objektiven Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Plan oder das
Projekt das fragliche Gebiet in einem seiner Erhaltungsziele erheblich beeinträchtigt.
Eine erhebliche Beeinträchtigung ist auszuschließen, wenn aus wissenschaftlicher
Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass das Projekt keine solchen
Auswirkungen haben wird.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. Juli 2006
- 20 D 80/05.AK - Juris Rn. 38, unter Hinweis auf Europäischer Gerichtshof, Urteile vom
20. Oktober 2005 - C-6/04 - und vom 7. September 2004 - C-127/02 -, EuGHE I 2004,
7405 = NuR 2004, 788.
25
Dieselben Maßstäbe haben auch für die Frage der Vereinbarkeit der Errichtung einer
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genehmigungsbedürftigen baulichen Anlage mit dem Verbot des § 48 c Abs. 5 Satz 4
Nr. 1 LG NRW zu gelten.
Hier ist nach den objektiven Umständen nicht auszuschließen, dass das Vorhaben des
Klägers im Zusammenwirken mit den weiteren in der Nachbarschaft geplanten
Windkraftanlagen zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Vogelschutzgebiets "I1.---
wegbörde " führen kann, soweit es dessen Schutzzweck betrifft, die Agrarlandschaft als
Brutgebiet für den Wachtelkönig zu erhalten und zu entwickeln.
27
Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand der ornithologischen Forschung liegt die
Annahme nahe, dass die Geräusche von Windkraftanlagen bei der als besonders
gefährdet eingestuften Vogelart des Wachtelkönigs zu einer Überlagerung der Balz- und
Revierrufe führen können, worauf die Tiere die Nähe der Anlagen meiden (S1. ,
Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Vögel - Was wissen wir heute?, Bulletin
SEV/VSE 15/04, S. 35 (36); ders., Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Vögel -
Ausmaß und planerische Bewältigung, Diss. Berlin 2003, S. 139, 153; jeweils m.w.N.).
Die Empfindlichkeit des Wachtelkönigs gegenüber den Emissionen von
Windkraftanlagen wird hierbei als "deutlich" bzw. "hoch" eingeschätzt (S1. ,
Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Vögel - Ausmaß und planerische
Bewältigung, a.a.O., S. 167, 170, 183, 188, 192). An der Seriosität dieser Wertungen zu
zweifeln, besteht kein Anlass, zumal es sich um wissenschaftliche Arbeiten handelt, die
selbst vom Bundesverband Windenergie e.V. verbreitet werden (http://www.wind-
energie.de/de/themen/mensch- umwelt/vogelschutz/studien).
28
Aufgrund des mutmaßlich ausgeprägten Meideverhaltens des Wachtelkönigs
gegenüber Windkraftanlagen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Vorhaben
des Klägers (im Zusammenwirken mit den weiteren geplanten Anlagen) zur Folge hat,
dass die Eignung der näheren Umgebung der Vorhabenstandorte als Brutgebiet des
Wachtelkönigs erheblich beeinträchtigt wird, indem rufende Wachtelkönige durch die
Geräuschemissionen der Anlagen hieraus verdrängt werden. Die Möglichkeit einer
solchen Beeinträchtigung wiegt schwer vor dem Hintergrund, dass der Wachtelkönig als
besonders bestandsgefährdete Vogelart anzusehen ist, die im Anhang I der Richtlinie
des Rates der Europäischen Gemeinschaft über die Erhaltung der wildlebenden
Vogelarten (79/409/EWG; Vogelschutzrichtlinie - VSRL) vom 2. April 1979 (Abl. L 103
vom 25. April 1979, S. 1) aufgeführt ist und damit nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 VSRL
besonderer Schutzmaßnahmen bedarf. In der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands
vom 8. Mai 2002 (http://www.nabu.de/m05/m05_03/01229.html) wird der Wachtelkönig
in der "Kategorie 2 - stark gefährdet" geführt; in der Roten Liste der gefährdeten
Vogelarten Nordrhein-Westfalens (Stand Oktober 1996; http://
www3.lanuv.nrw.de/sta/tic/infosysteme/roteliste/default2.htm) fällt er unter die "Kategorie
1 - vom Aussterben bedroht". Der hohe Schutzstatus dieser Art bedingt, dass Vorhaben,
gegenüber denen der Wachtelkönig empfindlich reagiert - hierzu sind die Errichtung und
der Betrieb von Windkraftanlagen zu zählen - tendenziell ein hohes Konfliktpotential
beinhalten (auf diesen Aspekt weist S1. , a.a.O., S. 178, zutreffend hin).
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Die u.a. vom Kläger vorgelegten Gutachten des M1. , insbesondere dessen FFH-
Verträglichkeitsprüfung aus Juli 2005, sind nicht geeignet, die Möglichkeit einer
erheblichen Beeinträchtigung im Sinne der §§ 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1, 48 d Abs. 4 LG
NRW auszuschließen.
30
M1. greift in seiner FFH-Verträglichkeitsprüfung die Erkenntnisse u.a. von S1. auf und
31
führt aus (S. 40 f):
"Unter Berücksichtigung eines sehr deutlichen Meideverhaltens von 300 m gegenüber
den damals 7 WKA wurde 2003 eine Veränderung der akustischen Umwelt für eine
Fläche von ca. 130 ha prognostiziert (M1. 2003). Weite Teile dieser Flächen schieden
aber ohnehin als Rufplatz aus, weil sie die Kuppenlage betrafen. Die Unterstellung
eines geringeren Meideverhaltens von 200 m führte zu einer akustischen Beeinflussung
von ca. 85 ha. Aus Vorsorgegründen wurde deshalb seinerzeit trotz Tab. 10 ein
Mindestabstand der WKA von 300 m zu den Rufplätzen angesetzt, um eine
Beeinträchtigung auszuschließen. Wie unter Kap. 2.3 näher ausgeführt, sind deshalb
zwei WKA ganz weggefallen, eine weitere wurde deutlich von den potentiellen
Rufplätzen weg verschoben. Eine Prognose im Rahmen dieser FFH-VP für den neuen
Genehmigungsantrag mit 5 WKA kann somit weitgehend ausschließen, dass jetzt noch
potentielle Rufplätze betroffen werden. ... Dennoch könnten die fünf WKA die zukünftige
Bildung von Rufergruppen beeinflussen, d.h. die Vögel, die die Anlagen während ihres
Betriebs als akustische Störung wahrnehmen, könnten die Bildung ihrer Rufergruppen
mit einigem Abstand zu den Anlagen ausrichten. Der eigentliche Kuppenbereich mit den
WKA wird sich nach der Realisierung des Vorhabens kaum noch als Lebensraum
eignen. Er war aber schon 2001 und 2003 von den Wachtelkönigen, die am Haarstrang
offenbar Südhanglagen bevorzugen, gar nicht besiedelt. ... Eine Quantifizierung des
indirekten Flächenentzugs ist äußerst schwierig. Zu unterstellen ist, dass durch die 5
WKA insgesamt ca. 62 ha Fläche akustisch beeinflusst und in ihrer Funktion als
Rufplatz beeinträchtigt werden. Teile dieser Flächen sind aber bereits durch die
vorhandene WKA Nr. 1 und den Gewerbebetrieb L. akustisch stark vorbelastet. Nach
grober Abschätzung unter Zugrundelegung eines 200 m-Radius wären noch ca. 50 ha
zusätzlich akustisch beeinträchtigt. Nach jetzigem Kenntnisstand liegen innerhalb
dieser 50 ha aber keine bekannten Rufplätze. Wichtig ist die Feststellung, dass diese
Fläche von 50 ha trotz der lärmbedingten Einwirkungen nicht zur Gänze als
Lebensraum des Wachtelkönigs verloren geht, sondern noch für viele Funktionen als
Teilhabitat geeignet ist. Lediglich die Funktion dieser Fläche als potentieller Rufplatz
kann nicht mehr vollständig erfüllt werden."
32
Unter der Überschrift "Beurteilung der Beeinträchtigung der Individuen" führt M1. im
Folgenden aus (S. 46):
33
"Wie unter Kap. 2.3 näher ausgeführt, sind zur Eingriffsminderung zwei WKA ganz
weggefallen, eine weitere WKA (Nr. 2) wurde deutlich von den potentiellen Rufplätzen
weg verschoben. Die WKA 2 liegt jetzt knapp 300 m vom Rufplatz 4 und 375 m vom
Rufplatz 6 aus 2003 entfernt (vgl. M1. 2003, Blatt 5). In der Prognose wird deshalb
weitgehend ausgeschlossen, dass diese beiden Rufplätze jetzt noch betroffen werden.
Es ist daher festzuhalten, dass individuenbezogene Beeinträchtigungen des
Wachtelkönigs (z.B. Verdrängung von Rufern, Aufgabe von Revieren bzw. Rufplätzen)
nach jetzigem Kenntnisstand auszuschließen sind."
34
Nach weiteren Ausführungen zur "Beurteilung der Beeinträchtigung der Population" und
zur "Erheblichkeitsbeurteilung durch kumulativ wirkende Projekte" kommt M1.
schließlich zu folgender zusammenfassender Bewertung (S. 51):
35
"Durch das Vorhaben L. kommt es zu keiner relevanten Verringerung der
Bestandsgröße oder Überlebenswahrscheinlichkeit der Population. Es ist insgesamt
nicht zu erwarten, dass nach Realisierung des Vorhabens in dessen Umgebung keine
36
Wachtelkönige mehr auftreten oder sich keine Rufergruppen mehr bilden könnten. Die
Lebensraumfläche und damit die Bestandsgröße der Art wird in erster Linie durch die
überregionale Bestandsentwicklung (z.B. in grünlandgeprägten Primärhabitaten) und
die Art der Flächenbewirtschaftung in der I1.---wegbörde geprägt. Der durch das
Vorhaben auftretende Flächenentzug von 885 m² liegt unterhalb der Bagatellgrenze
nach Lambrecht et. al. (2004), essenzielle Habitatsonderstrukturen (z.B. Störstellen,
Vegetationslücken) werden dabei nicht entwertet. Die ermittelte Funktionsminderung
bzw. der nicht genau zu quantifizierende Flächenverlust für rufende Männchen ist nicht
als erhebliche Beeinträchtigung zu bewerten, weil - nach Reduzierung des Vorhabens -
keine bekannten Rufplätze mehr betroffen sind. Auch das "worst-case"-Szenario mit
dem Verlust eines Rufplatzes würde den günstigen Erhaltungszustand der Population
der I1.--- wegbörde nicht erheblich beeinträchtigen. Dies gilt selbst bei Beachtung
kumulativ wirkender Projekte, namentlich der Windvorrangzone X3. : Obwohl hier nach
den Daten aus 2005 keine Wachtelkönige betroffen sind, würden den Daten aus 2003
nach zwei Rufplätze innerhalb der Vorrangzone verschwinden. In Relation zur Zahl der
Rufer verschiedener Bezugspopulationen ergäbe sich eine kumulierte, maximale
Betroffenheit rufender Männchen von 1,5-2,3% der Population der I1.---wegbörde . Dies
wird als nicht erhebliche Beeinträchtigung der für die Erhaltungsziele maßgeblichen
Bestandteile eingestuft."
Diese Bewertung kann nicht überzeugen. Weder die FFH-Verträglichkeitsprüfung aus
2005 noch das vorangegangene Gutachten aus 2003 lassen den - für die Zulässigkeit
des Vorhabens erforderlichen - Schluss zu, es bestehe aus wissenschaftlicher Sicht
kein vernünftiger Zweifel daran, dass das Projekt nicht zu erheblichen
Beeinträchtigungen im Sinne der §§ 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1, 48 d Abs. 4 LG NRW
führe. Dieser hohe Grad der Wahrscheinlichkeit kann schon deshalb nicht erreicht
werden, weil es gegenwärtig an der dafür erforderlichen Basis hinreichend gesicherter
Erkenntnisse über das Meidungsverhalten des Wachtelkönigs gegenüber
Windkraftanlagen fehlt.
37
M1. selbst konzediert in seiner FFH-Verträglichkeitsprüfung, "über das Ausmaß der
artspezifischen Beeinträchtigungen durch WKA" herrsche "noch keine Klarheit". Eine
ausführliche Studie zum Meideverhalten der Art gegenüber WKA fehle bislang (vgl.
hierzu S. 37). Auch S1. weist darauf hin, dass bei der Mehrzahl der Brutvogelarten - so
auch beim Wachtelkönig - nach gegenwärtigem Stand lediglich "Tendenzaussagen"
über die Empfindlichkeit gegenüber Windkraftanlagen möglich seien, die zwar in ihrer
Gesamtheit plausibel erschienen, im Einzelfall aber "noch nicht hinreichend
abgesichert" seien (Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Vögel - Ausmaß und
planerische Bewältigung, a.a.O., S. 167, 170). Hinsichtlich der Arten mit hoher
Empfindlichkeit - wie z.B. der Wachtel und dem Wachtelkönig - sei "der Kenntnisstand
bezüglich der Reaktion dieser Arten auf Windkraftanlagen noch so gering, dass
plausible Kompensationsmodelle schwierig abzuleiten" seien (a.a.O., S. 183).
38
In Anbetracht dessen sind auch die von M1. zugrunde gelegten "Worst-Case"-
Annahmen nicht dazu angetan, jegliche vernünftigen Zweifel an dem Ausschluss
erheblicher Beeinträchtigungen auszuräumen. In Ermangelung einer gesicherten
Erkenntnisbasis ist der "Worst-Case" kaum verlässlich zu definieren. Insoweit
angenommene Werte könnten nur dann taugen, wenn sie eine so groß bemessene
Sicherheitsreserve beinhalteten, dass in jedem Fall den dargelegten
Wahrscheinlichkeitsanforderungen genügt wäre. Dafür geben M1. Ausführungen aber
nichts Stichhaltiges her, zumal er in seiner FFH-Verträglichkeitsprüfung wiederholt
39
darauf hinweist, dass Beeinträchtigungen "weitgehend" - also gerade nicht ohne jeden
vernünftigen Zweifel - auszuschließen seien. Insbesondere kann keine Rede davon
sein, dass eine Beeinträchtigung von Rufplätzen durch Windkraftanlagen mit der
notwendigen Gewissheit ausgeschlossen ist, wenn ein Mindestabstand zu Rufplätzen
von 300 m eingehalten wird. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand und dem
Ergebnis der mündlichen Verhandlung, in der die auf beiden Seiten aufgetretenen
sachkundigen Personen angehört wurden, ist lediglich davon auszugehen, dass das
Meideverhalten des (rufenden) Wachtelkönigs gegenüber Windkraftanlagen jenseits
eines Abstandes von 300 m signifikant abnimmt. Weil aber gesicherte Erkenntnisse zum
- auch jenseits dieses Abstandes - verbleibenden Maß der Beeinträchtigung nach wie
vor fehlen, kann deren Erheblichkeit nicht frei von vernünftigen Zweifeln verneint
werden. Als weiteres Ergebnis der mündlichen Verhandlung kommt hinzu, dass auch
nicht als gesichert angesehen werden kann, dass der Wachtelkönig alljährlich örtlich
"feste" Rufplätze einhält. In Anbetracht der möglichen Variabilität der Rufplätze geht
eine Beeinträchtigungsprognose, die methodisch auf der Annahme bestimmter - in
einzelnen Jahren kartierter - Rufplätze beruht, zwangsläufig fehl. Es liegen auch keine
hinreichend verlässlichen Erkenntnisse dafür vor, dass der Kuppenbereich, in dem die
Standorte der geplanten Windkraftanlagen liegen, ohnehin als Ruf- oder Brutplatz des
Wachtelkönigs ausscheidet. Soweit M1. in seiner FFH- Verträglichkeitsprüfung hierzu
ausführt, dieser Bereich sei "schon 2001 und 2003 von den Wachtelkönigen, die am
Haarstrang offenbar Südhanglagen bevorzugen, gar nicht besiedelt" gewesen (S. 41
oben), ist daraus nicht zu folgern, dass das fragliche Areal als Lebensraum des
Wachtelkönigs nicht in Betracht kommt. Erhebungen in einzelnen, wenigen Jahren
lassen einen solchen Schluss nicht zu, da die Verbreitung des Wachtelkönigs langjährig
deutliche Veränderungen aufweisen kann. Nach den Erkenntnissen von N1.
(Umweltverträglichkeitsstudie zum B-Plan Windpark X. , Sept. 2001, S. 30), die auch
M1. nicht in Frage stellt (vgl. die FFH- Verträglichkeitsprüfung, S. 34), sind jahrweise
wechselnde Besiedelungen in der I1.-- -wegbörde nicht ungewöhnlich. Insofern ist die
Windvorrangfläche "L. " jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiterhin als
potentielle Siedlungsfläche des Wachtelkönigs anzusehen. Ob sie derzeit noch eine
"Kernfläche" des Wachtelkönigs darstellt, mag hierbei dahinstehen. Immerhin weist M1.
hierbei selbst darauf hin, es bedürfe "weiterer Untersuchungen", um die Frage, ob der
"L. " nach wie vor eine Kernfläche für Wachtelkönige sei, "hieb- und stichfest" zu
beantworten (a.a.O., S. 35). Im Übrigen haben die sachkundigen Personen auf Seiten
der Beklagten in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf vorliegende
Kartierungen (vgl. hierzu die in der Verhandlung überreichte Karte des LÖBF vom 11.
Mai 2006) überzeugend dargelegt haben, dass der Wachtelkönig anderenorts am
Haarstrang auch in ähnlichen Kuppenlagen siedelt.
Belegen die vorstehenden Ausführungen die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des
Vogelschutzgebiets "I1.---wegbörde " in seinem Schutzzweck der Erhaltung des
Agrarlandes als Brutgebiet des Wachtelkönigs, so ist erst recht davon auszugehen, dass
auch eine Beeinträchtigung des - weiterreichenden - Schutzzwecks der Entwicklung
möglich ist. Die Differenzierung zwischen diesen beiden Schutzzwecken verdeutlicht,
dass die Ausweisung des Vogelschutzgebiets nicht nur der bloßen Sicherung des
Bestandes der geschützten Vogelart und ihres Lebensraumes dienen soll, sondern dass
- darüber hinausgehend - auch das Ziel verfolgt wird, nach Möglichkeit auch bisher von
der Vogelart nicht besiedelte Agrarflächen als künftige Habitate zu erschließen.
Maßnahmen, die sich negativ auf die Eignung bestimmter Flächen als Lebensraum
einer solchen Art auswirken, sind vor diesem Hintergrund besonders kritisch zu
betrachten.
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II. Die Hilfsanträge beinhalten eine unzulässige Klageänderung. Gemäß § 91 Abs. 1
VwGO ist eine Änderung der Klage zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen
oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Die Beklagte hat der
Klageänderung widersprochen. Die Änderung ist auch nicht sachdienlich, weil die
geänderte Klage unzulässig ist. Denn für das geänderte Vorhaben fehlt es an der
erforderlichen Antragstellung vor Klageerhebung und dem nach § 68 VwGO
erforderlichen Vorverfahren. Der vom Kläger gestellte Antrag war auf einen zeitlich
unbeschränkten Betrieb der geplanten Anlagen gerichtet. Demgegenüber zielen die
Hilfsanträge auf eine Genehmigung, nach der die Anlagen bei Vorliegen bestimmter
Voraussetzungen zu bestimmten Jahres- und Tageszeiten abzuschalten ist. In
Anbetracht dieser für die Abschaltung zu prüfenden Bedingungen kann diese
Genehmigung nicht gleichsam als bloßes Minus der uneingeschränkten Genehmigung
angesehen werden, wie es etwa - hierauf bezog sich der Kläger in der mündlichen
Verhandlung - bei einem Übergang vom Dauerbetrieb zum Tagbetrieb denkbar wäre.
Ein solcher Übergang knüpft ohne weitere Voraussetzungen lediglich an einfache
zeitliche Gegebenheiten - nämlich an den Eintritt einer bestimmten Tages- bzw.
Nachtzeit - an. In aller Regel ist auch offensichtlich, dass eine aus
Immissionsschutzgründen vorgenommene Nachtabschaltung geeignet ist, das zugrunde
liegende Lärmproblem zu beseitigen. Hier liegen die Verhältnisse jedoch anders. Eine
im Sinne der Hilfsanträge erteilte Genehmigung würde ein neues, komplexes
Prüfprogramm auslösen. Ob die diesem Prüfprogramm zugrunde gelegten
Voraussetzungen geeignet sind, die naturschutzrechtlichen Bedenken gegen das
Vorhaben auszuräumen, ist ohne sachverständige Hilfe nicht zu beantworten. Die sich
insoweit stellenden Fragen sind im Genehmigungs- und Widerspruchsverfahren
vollkommen unbehandelt geblieben. Das geänderte Vorhaben ist daher als Aliud
anzusehen mit der Folge, dass es einer erneuten Antragstellung und eines erneuten
Vorverfahrens bedarf.
41
Die Kostenentscheidung ergeht auf der Grundlage von § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten beruht auf § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
42
Die Berufung ist durch die Kammer nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vorliegen.
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Rechtsmittelbelehrung:
44
Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung beim
Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg, Postanschrift:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 59818 Arnsberg) Antrag auf Zulassung der Berufung
gestellt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von
zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die
Berufung zuzulassen ist.
45
Die Berufung ist nur zuzulassen, 1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des
Urteils bestehen, 2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche
Schwierigkeiten aufweist, 3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des
Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
46
beruht oder 5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender
Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung
beruhen kann.
Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Zulassungsantrag vorgelegt
worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
(Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, bzw. Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder
in elektronischer Form nach Maßgabe der Verordnung über den elektronischen
Rechtsverkehr bei den Verwaltungsgerichten und den Finanzgerichten im Lande
Nordrhein-Westfalen - ERVVO VG/FG - vom 23. November 2005 (GV. NRW. S. 926)
einzureichen. Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch
Beschluss.
47
Vor dem Oberverwaltungsgericht muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag
stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im
Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen.
Das gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Juristische Personen des
öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit
Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst,
Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum
Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen
Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In
Abgabenangelegenheiten sind vor dem Oberverwaltungsgericht als
Prozessbevollmächtigte auch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zugelassen. Der
Antragsschrift sollen möglichst Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
48
T. I. S.
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Die Kammer hat ferner
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beschlossen:
51
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) auf 90.000,00
EUR festgesetzt.
52
Gründe:
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Die Kammer orientiert sich an den Regelungen des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004. Hiernach sind bei Vorhaben der vorliegenden Art 2,5
% der Investitionssumme als Streitwert zugrunde zu legen (Nr. 19.1.1). Im
angefochtenen Bescheid hat die Beklagte die Errichtungskosten im Rahmen der
Gebührenberechnung auf 1.800.000,00 EUR je Anlage, insgesamt also auf
3.600.000,00 EUR festgesetzt. Dieser Betrag, der auch der Festsetzung des vorläufigen
Streitwerts nach § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG zugrunde lag, erscheint nach Auffassung der
Kammer angemessen, die gesamten Investitionskosten für das streitige Vorhaben zu
erfassen.
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Rechtsmittelbelehrung:
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Gegen die Streitwertfestsetzung können die Beteiligten schriftlich oder zur Niederschrift
des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Verwaltungsgericht Arnsberg
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(Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg, Postanschrift: Verwaltungsgericht Arnsberg, 59818
Arnsberg) Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht entscheidet, falls
das beschließende Gericht ihr nicht abhilft. Die Beschwerde gegen die
Streitwertfestsetzung ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt
wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das
Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Ist der Streitwert später als einen Monat vor
Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde noch innerhalb eines
Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses
eingelegt werden. Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des
Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR nicht überschreitet; die Beschwerde findet auch
statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der
grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.
Der Beschwerdeschrift sollen möglichst Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt
werden.
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