Urteil des VG Aachen vom 27.12.2010

VG Aachen (richterliche frist, zpo, frist, anordnung, hauptsache, rechtsschutz, verwaltungsgericht, aussetzung, antrag, vernehmung)

Verwaltungsgericht Aachen, 1 L 515/10
Datum:
27.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 515/10
Tenor:
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO statthafte und auch ansonsten zulässige,
sinngemäß gestellte Antrag,
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, der in ihrem
Dienst stehenden B. G. N. eine Aussagegenehmigung für ihre zeugenschaftliche
Vernehmung im Rahmen des beim Landgericht München I unter dem Aktenzeichen 22
O 744/09 anhängigen Rechtsstreits zu erteilen,
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ist nicht begründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen
Zustand in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung
erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern
oder wenn diese Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass der
Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als
auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920
Abs. 2, 294 ZPO. Ist der Antrag - wie hier - auf eine Vorwegnahme der Hauptsache
gerichtet, so sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und
Anordnungsanspruch in dem Sinne erhöhte Anforderungen zu stellen, dass ohne die
begehrte Verpflichtung ein wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren für die
Antragstellerin nicht zu erreichen ist, dies für sie zu schlechthin unzumutbaren Folgen
führte und sie darüber hinaus im Hauptsacheverfahren aller Wahrscheinlichkeit nach
obsiegen wird,
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vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999 - 2 VR 1/99 -, NJW 2000, 160, 161; VG
Minden, Beschluss vom 17. Dezember 2010 - 10 L 690/10 -, soweit ersichtlich nicht
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veröffentlicht.
Hiernach fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Die
Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie wirksamen Rechtsschutz nicht in
dem bereits anhängigen Verfahren zur Hauptsache - VG Aachen 1 K 2184/10 - erlangen
kann.
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Sie benötigt die Aussagegenehmigung der Antragsgegnerin zugunsten der B1. N. zur
Verfolgung ihres bei dem Landgericht München I unter dem Aktenzeichen 22 O 744/09
anhängigen, gegen die I. S. F. I1. AG gerichteten Schadensersatzanspruchs. In diesem
Zivilprozess soll u. a. durch Einvernahme der Frau N. als Zeugin Beweis über die
Behauptung der Klagepartei erhoben werden, der damalige Risikovorstand der
Beklagten, Frau C. von P. , habe die BaFin am 14. Januar 2008 darüber informiert, dass
tatsächlich ein Abschreibungsbedarf von 560 Mio. EUR auf das Portfolio an CDO's
bestehe.
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Nachdem die 22. Zivilkammer des Landgerichts München I am 29. Oktober 2009 u.a.
beschlossen hat, das Verfahren der Antragstellerin mit weiteren gleichgelagerten
Zivilrechtsstreiten zur Durchführung einer Beweisaufnahme nach § 147 ZPO unter dem
führenden Aktenzeichen 22 O 22586 zu verbinden und einen Vorlagebeschluss nach §
4 KapMuG an das OLG München gefasst hat - KAP 03/10 OLG München -, hat sie das
zum Zweck der Beweisaufnahme führende Verfahren 22 0 22586/08 durch Beschluss
vom 21. Oktober 2010 gemäß § 148 ZPO ausgesetzt, weil der Ausgang des
Musterverfahrens das ausgesetzte Verfahren mit Bindungswirkung nach § 16 KapMuG
erfasst.
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Nach § 249 Abs. 1 ZPO bewirkt die Aussetzung des Verfahrens, dass der Lauf einer
jeden Frist aufhört und nach Beendigung der Aussetzung die volle Frist von Neuem zu
laufen beginnt. Eine mit festem Endtermin gesetzte richterliche Frist entfällt mit der
Aussetzung und ist nach deren Ende neu festzusetzen,
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vgl. Zöller, ZPO, 28. Auflage 2010, § 249 Rdnr. 2 m. w. N.
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Damit entfaltet die der Antragstellerin im zivilgerichtlichen Verfahren zunächst bis zum
31. Dezember 2010 gesetzte, durch Verfügung vom 20. Dezember 2010 bis zum 31.
März 2011 verlängerte Frist zur Herbeiführung einer Aussagegenehmigung der Zeugin
N. bis zur Wiederaufnahme des führenden Verfahrens für alle mit ihm verbundenen
Verfahren - wie das der Antragstellerin - keine Wirkung. Denn solange das führende
Verfahren ausgesetzt ist, kann dort keine Vernehmung der Zeugin N. erfolgen, für die
eine Aussagegenehmigung erstritten werden soll.
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Bei dieser Sachlage kann die Antragstellerin darauf verwiesen werden, eine
Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Sollte das ausgesetzte Verfahren
LG München I - 22 0 22586/08 - mit Blick auf das nach § 4 KapMuG bei dem OLG
München anhängige Musterverfahren wider Erwarten - wieder aufgenommen werden,
so steht es der Antragstellerin frei, erneut um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz
bezüglich der Erteilung einer Aussagegenehmigung nachzusuchen.
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Sollte das OLG München einen identischen oder vergleichbaren Beweisbeschluss zur
Vernehmung der Abteilungsdirektorin N. fassen, kann die Antragstellerin gleichfalls
erneut um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen. Wesentlich,
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schlechthin unzumutbare Nachteile, die eine Vorwegnahme der Hauptsache
rechtfertigen könnten, sind bei dieser Sachlage nicht glaubhaft gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über den Streitwert ergeht nach § 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG,
wobei wegen der angestrebten Vorwegnahme der Hauptsache der volle Betrag des
Auffangwertes zugrundegelegt wird.
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