Urteil des VG Aachen vom 15.01.2009
VG Aachen: beratung, nichtigkeit, abstimmung, auskunft, öffentlich, ermessen, stellvertreter, unabhängigkeit, gestatten, gerichtsverfassungsgesetz
Verwaltungsgericht Aachen, 16 K 1562/08.PVL
Datum:
15.01.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
16. Kammer (Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen)
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 K 1562/08.PVL
Tenor:
Es wird festgestellt, dass der Beschluss der Einigungsstelle vom 20.
Juni 2008 bezüglich der Verteilung der Plätze der
Betriebskindertagesstätte des Universitätsklinikums B. auf die einzelnen
Beschäftigungsgruppen nichtig ist.
G r ü n d e :
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I.
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Das Universitätsklinikum B. unterhält eine Betriebskindertagesstätte. Über die
Verteilung der vorhandenen Plätze auf die Beschäftigten trafen der Antragsteller und der
Beteiligte zu 2. im Januar 1993 eine Dienstvereinbarung. Danach konnte der
Personalrat der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter über 46 Plätze und der Personalrat
der wissenschaftlichen Mitarbeiter über 4 Plätze verfügen; über 5 Plätze sollte
gemeinschaftlich entschieden werden.
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Da die Verteilung nach Ansicht des Beteiligten zu 2. nicht mehr bedarfsgerecht war,
schlug er dem Antragsteller am 9. April 2008 eine Neuverteilung vor und bat um
Zustimmung gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 des Landespersonalvertretungsgesetzes
(LPVG). Nach Erörterung und Ablehnung seines Vorschlags beantragte er die
Entscheidung der Einigungsstelle.
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Die entsprechende Sitzung der Einigungsstelle fand am 20. Juni 2008 statt. Beteiligt
waren neben dem Vorsitzenden jeweils drei von dem Antragsteller und dem Beteiligten
zu 2. benannte Beisitzer. Ferner war die leitende Sachbearbeiterin des Beteiligten zu 2.
für Fragen der Betriebskindertagesstätte, Frau Verwaltungsamtfrau G. -F. , als
Protokollführerin anwesend. Vonseiten des Antragstellers vertrat dessen Vorsitzender
die Interessen in der Sitzung, während für den Beteiligten zu 2. Assessor K. auftrat.
Nach Abschluss der Erörterung verließen nur die Vertreter des Antragstellers und des
Beteiligten den Sitzungssaal. Die Protokollführerin Frau G. -F. verblieb im Saal und war
während der anschließenden Beratung und Beschlussfassung der Einigungsstelle
anwesend. Die Einigungsstelle "stimmte der Kontingentverschiebung gemäß dem
Antrag (des Dienststellenleiters) vom 09.04.2008 zu".
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Der Antragsteller hat am 22. Juli 2008 das personalvertretungsrechtliche
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Beschlussverfahren eingeleitet.
Er ist der Ansicht, dass die Entscheidung der Einigungsstelle keine Bindungswirkung
entfalte, weil Frau G. -F. als Protokollführerin wesentlich zur Meinungsbildung der
Einigungsstelle beigetragen habe. Sie sei über die Vorgänge betreffend die
Kontingentierung der Plätze des Betriebskindergartens bestens informiert. Demnach
habe sie bei Fragen, die an Herrn K. gerichtet gewesen seien, an dessen Stelle
geantwortet, obwohl sie im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens nur als
Protokollführerin hätte tätig werden dürfen. Darüber hinaus habe sie sogar an der
Beratung der Einigungsstelle teilgenommen und auf deren Ergebnis Einfluss
genommen. Dies alles verstoße gegen die Verfahrensvorgaben, die auch die
Einigungsstelle zu beachten habe.
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Der Antragsteller beantragt,
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festzustellen, dass der Beschluss der Einigungsstelle vom 20. Juni 2008 bezüglich der
Verteilung der Plätze der Betriebskindertagesstätte auf die einzelnen
Beschäftigungsgruppen nichtig ist.
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Die Beteiligten zu 1. und 2. beantragen,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Beteiligte zu 2. trägt vor, dass Frau G. -F. im Rahmen der Erörterung lediglich zu
einer Sachverhaltsfrage Auskunft gegeben habe. Dies sei keine Beeinflussung der
Mitglieder der Einigungsstelle gewesen, sondern habe nur dazu gedient, den
Sachverhalt unstreitig zu stellen. Was die nicht öffentliche Beratung anbetreffe, könne er
keine Angaben machen.
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Der Beteiligte zu 1. erläutert, dass Frau G. -F. während der Beratung zugegen gewesen
sei, sich aber nicht an der Diskussion beteiligt habe. Ihre bloße Anwesenheit verletze
keine Verfahrensvorschriften, da das Einigungsstellenverfahren irgendwelchen
Ausschlussregelungen, wie sie bspw. in § 193 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)
normiert seien, nicht unterliege.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte, die beide Gegenstand der
mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag ist zulässig und begründet.
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Der Beschluss der Einigungsstelle kann ohne weiteres rechtlich überprüft werden.
Gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 6 LPVG entscheidet das Verwaltungsgericht nämlich auch über
Streitigkeiten aus § 67 LPVG. Dies bedeutet zum einen, dass die Einigungsstelle,
vertreten durch ihren Vorsitzenden unmittelbar Beteiligte eines verwaltungsgerichtlichen
Verfahren sein kann. Zum anderen besagt die Norm, dass die Beschlüsse der
Einigungsstelle daraufhin zu überprüfen sind, ob sie den rechtlichen Vorgaben
entsprechen. Ausgeschlossen ist lediglich die Überprüfung der Zweckmäßigkeit oder
der Ermessensgerechtigkeit eines Einigungsstellenbeschlusses, weil die Überlegungen
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des Gremiums "Einigungsstelle" nicht durch ein Verwaltungsgericht ersetzt werden
können.
Nach diesen Vorgaben ist festzustellen, dass der Beschluss der Einigungsstelle vom
20. Juni 2008 an einem Verfahrensfehler leidet, der zu seiner Nichtigkeit führt.
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Dabei bedarf es keiner Ausführungen dazu, dass Frau G. -F. während der Erörterung
eine an Herrn K1. gerichtete Frage beantwortet und fernmündlich eine Auskunft des
Personalratsvorsitzenden der wissenschaftlichen Beschäftigten eingeholt hat. Ebenso
kann dahinstehen, ob Frau G. -F. durch Redebeiträge aktiv an der Beratung der
Einigungsstelle beteiligt war, was zwischen den Beteiligten streitig ist.
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Die Nichtigkeit des Beschlusses der Einigungsstelle ergibt sich schon daraus, dass
Frau G. -F. während der Beratung anwesend war. An der Beratung und
Beschlussfassung der Einigungsstelle darf kein anderer als deren "originäre" Mitglieder
teilnehmen. Auch wenn für diesen Fall detailierte gesetzliche Vorschriften fehlen, so
dass es der Einigungsstelle überlassen ist, das Verfahren nach ihrem Ermessen zu
gestalten,
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vgl. dazu: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW),
Beschluss vom 20. Dezember 1989 - CL 28/87 - PersV 1991, 177; Fischer/Goeres,
GKöD Bd. 5 Stand: März 2005, § 71 BPersVG, Rdnr. 17; Lorenzen/Schmitt/Etzel u. a.,
BPersVG Stand: Mai 1996, § 71 Rdnr. 28,
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folgt dies mittelbar aus dem Wortlaut, jedenfalls aber aus dem Sinn und Zweck der
allgemeinen Regelungen über das Einigungsstellenverfahren.
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Gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 LPVG sind die Sitzungen der Einigungsstelle (grundsätzlich)
nicht öffentlich. Nur bei der Verhandlung, d.h. der Darstellung sowie Erörterung der
Sach- und Streitstandes, ist den Beteiligten die Anwesenheit zu gestatten; anderen
Personen kann sie gestattet werden, vgl. § 67 Abs. 4 Satz 2 LPVG. Die nicht öffentliche
Beratung und Beschlussfassung ist den Mitgliedern der Einigungsstelle vorbehalten.
Aus welchen Mitgliedern die Einigungsstelle besteht, ist in § 67 Abs. 1 Satz 2 LPVG
bestimmt, nämlich ausschließlich aus einem unparteiischen Vorsitzenden, seinem
Stellvertreter und Beisitzern. Die Beisitzer wiederum werden je zur Hälfte von der
Dienststelle und der bei ihr bestehenden Personalvertretung bestellt, vgl. § 67 Abs. 1
Satz 5 LPVG, d.h. sie sind nach ihrer Bestellung nicht beliebig austauschbar. Nur mit
diesen Mitgliedern wird die Einigungsstelle gemäß § 67 Abs. 3 LPVG tätig und
entscheidet nur in dieser Besetzung gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 LPVG durch Beschluss.
Diese allgemeinen Regelungen zwingen zu dem Schluss, dass andere Personen an
der Beratung und Beschlussfassung nicht teilnehmen dürfen.
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Aus dem Sinn und Zweck des Einigungsstellenverfahrens folgt nicht anderes. Die
Einigungsstelle ist dazu berufen, zwischen den Beteiligten zu vermitteln bzw. den Streit
bei Scheitern solcher Bemühungen zu entscheiden. Bei dieser Tätigkeit darf sie
hinsichtlich der Verfahrensgestaltung fundamentale rechtsstaatliche Regelungen, wie
sie bspw. in § 193 Abs. 1 GVG enthalten sind, nicht außeracht lassen. Nach § 193 Abs.
1 GVG ist in einem gerichtlichen Verfahren die Anwesenheit jedes an der
Entscheidungsfindung Unbeteiligten bei der Beratung und Abstimmung verboten. Zwar
ist die Einigungsstelle kein Gericht, sodass die Vorschrift für deren Verfahrensgestaltung
nicht unmittelbar Anwendung findet. Gleichwohl drückt die Norm einen allgemeinen
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Rechtsgedanken aus, der für sämtliche Verfahren Geltung beansprucht, in denen ein
Gremium - nach Beratung - eine streitentscheidende Entscheidung trifft. Sie soll
sicherstellen, dass diejenigen, die zur Entscheidung berufen sind, bei dieser
Verrichtung weder abgelenkt noch beeinflusst werden. Ihre Unabhängigkeit und ihr
Alleinentscheidungsrecht ist absolut zu schützen und schließt schon die bloße
Anwesenheit einer Protokollführerin bei der Beratung und Abstimmung aus. Der Verstoß
hiergegen macht deshalb den Beschluss der Einigungsstelle vom 20. Juni 2008 nichtig.
Eine Kostenentscheidung entfällt in personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren.
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