Urteil des VG Aachen vom 16.12.2010

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Verwaltungsgericht Aachen, 9 Nc 10/10
Datum:
16.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 Nc 10/10
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
G R Ü N D E :
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I.
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Der Antragsteller besitzt die allgemeine Hochschulreife und erstrebt die Zulassung zum
Studium der Humanmedizin im Wintersemester 2010/2011 an der Rheinisch-
Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen im Modellstudiengang
Medizin, erster Studienabschnitt (kapazitätsrechtlich: Vorklinischer Studienabschnitt).
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Mit der Begründung, die verordnungsrechtlich festgesetzten Zulassungszahlen für das
erste Fachsemester erschöpften die tatsächlich vorhandene Ausbildungskapazität nicht,
beantragt der Antragsteller,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihn - ggf. nach
Maßgabe eines gerichtlich anzuordnenden Losverfahrens - zum Studium der
Humanmedizin im Wintersemester 2010/2011 als Studienanfänger zuzulassen.
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Der Antragsgegner hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten; er hat in diesem
Rahmen die kapazitätsrelevanten Berechnungsunterlagen zur Generalakte
Humanmedizin - Vorklinik - vorgelegt. II.
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Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist unbegründet.
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Die Zahl der Studienplätze im ersten Fachsemester hat der Minister für Innovation,
Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen (MIWFT)
durch Verordnung über die Festsetzung von Zulassungszahlen und die Vergabe von
Studienplätzen im ersten Fachsemester für das Wintersemester 2010/2011 vom 25. Juni
2010 (GV. NRW. S. 354), geändert durch Verordnung vom 15. November 2010 (GV.
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NRW. S. 626), auf 258 festgesetzt.
Nach Mitteilung des Antragsgegners vom 25. Oktober 2010 sind 259 Studenten für das
erste Semester eingeschrieben.
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Eine darüber hinausgehende Kapazität besteht nicht.
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Die Ausbildungskapazität ermittelt sich gemäß der von der Rechtsprechung als
geeignet anerkannten Verordnung über die Kapazitätsermittlung, die
Curricularnormwerte und die Festsetzung von Zulassungszahlen (Kapazitätsverordnung
- KapVO -) in der Neufassung vom 25. August 1994 (GV NRW S. 732), zuletzt geändert
durch Verordnung vom 12. August 2003 (GV NRW S. 544), aus einer
Gegenüberstellung von Lehrangebot und Lehrnachfrage, ausgedrückt jeweils in
Deputatstunden (DS). Dabei wird gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 KapVO der Studiengang
Medizin für Berechnungszwecke in einen vorklinischen und einen klinischen Teil
untergliedert, wobei der vorklinische Teil den Studienabschnitt bis zum Ersten Abschnitt
der ärztlichen Prüfung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Approbationsordnung für Ärzte
vom 27. Juni 2002 (BGBl. I S. 2405 - ÄAppO n.F. -), zuletzt geändert durch Artikel 10 des
Gesetzes zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften
(KVRÄndG) vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 983), und der klinische Teil den
Studienabschnitt zwischen dem Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung und dem
Beginn des Praktischen Jahres nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ÄAppO n.F. umfasst. Nach
§ 7 Abs. 3 Satz 2 KapVO sind dann zur Berechnung der jährlichen Aufnahmekapazität
für den Studiengang Medizin die Lehreinheiten Vorklinische Medizin - umfassend das
erste bis vierte Fachsemester -, Klinisch-theoretische Medizin und Klinisch-praktische
Medizin zu bilden.
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Das Lehrangebot in der Lehreinheit Vorklinik der RWTH Aachen beträgt gemäß der
Kapazitätsermittlung der Hochschule nach § 4 Abs. 1 KapVO zum Berechnungsstichtag
15. September 2010 wie im Vorjahr insgesamt 269 Deputatstunden (DS) bei 44 Stellen.
Diese werden entsprechend dem Stellenplan für das Wissenschaftliche Personal
gebildet von 4 Universitätsprofessoren (W3) und 6 Universitätsprofessoren (W2) mit
jeweils 9 DS, 3 Amtsräten ohne ständige Lehraufgaben mit je 5 DS, 4 Akademischen
Oberräten auf Zeit mit je 7 DS, 13 Akademischen Räten auf Zeit mit je 4 DS, 7
Wissenschaftlichen Angestellten mit befristeten Arbeitsverträgen mit je 4 DS und 7
Wissenschaftlichen Angestellten mit unbefristeten Arbeitsverträgen mit je 8 DS. Dabei
entsprechen die angesetzten Lehrverpflichtungen der Verordnung über die
Lehrverpflichtung an Universitäten und Fachhochschulen
(Lehrverpflichtungsverordnung - LVV) vom 24. Juni 2009 (GV. NRW. S. 409).
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Die Kammer hat anhand der vorgelegten Arbeitsverträge sowie der Auflistung des
Antragsgegners über die Wissenschaftlichen Angestellten der Lehreinheit Vorklinik
überprüft, ob jeweils ein hinreichender sachlicher Grund für die Befristung bzw. die
Befristungsdauer im Sinne der Bestimmungen des Gesetzes über befristete
Arbeitsverträge in der Wissenschaft - Wissenschaftszeitvertragsgesetz - [Art. 1 des
Gesetzes vom 12. April 2007 (BGBl. I 506)] vorliegt; dies ist der Fall.
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Eine Erhöhung des Lehrangebotes aufgrund § 10 KapVO (Lehrauftragsstunden) wurde
vom MIWFT mangels entsprechender Meldungen nicht vorgenommen. Dies ist bei der
gebotenen summarischen Überprüfung nicht zu beanstanden. Das zusätzliche
Lehrangebot aufgrund auf Dauer angelegter, vom Stellenplan abweichender
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Stellenbesetzung durch Personen mit individuell anderer Lehrverpflichtung beträgt - wie
in den Vorjahren - 2 DS.
Von dem Lehrangebot ist gemäß § 11 KapVO der sog. Dienstleistungsexport, den die
Lehreinheit Vorklinische Medizin für die Zahnmedizin erbringt, in Abzug zu bringen. Der
Anteil am Curricularnormwert des nicht zugeordneten Studienganges Zahnmedizin, der
von der Lehreinheit Vorklinik erbracht wird, in Höhe von 0,87 ist - wie auch in den
vorhergehenden Berechnungszeiträumen - nicht zu beanstanden. Ausgehend von einer
für die Lehreinheit Zahnmedizin festgesetzten Kapazität - ohne Schwundausgleich - von
58 Studenten ergibt sich ein Dienstleistungsexport von 0,87 x 29,00 = 25,23 DS.
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Somit besteht ein halbjährliches Lehrangebot von (271 - 25,23 =) 245,77 DS, was zu
einem bereinigten jährlichen Lehrangebot von (245,77 DS x 2 =) 491,54 DS führt.
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Der für die Berechnung der Ausbildungskapazität des Weiteren maßgebliche
Curricularnormwert für den Studiengang Vorklinische Medizin beträgt gemäß der
Anlage 2 zu § 13 KapVO 2,42. Hierin sind nach der Kapazitätsermittlung des MIWFT
Fremdanteile von 0,44 (0,02 für die Klinisch-theoretische Medizin und je 0,14 für Physik,
Chemie und Biologie) enthalten, während der Eigenanteil 1,98 beträgt. Diese seit dem
Wintersemester 2003/2004 mit der Einführung des Modellstudiengangs an der RWTH
Aachen geltenden Ansätze hat die Kammer in ihrem Beschluss vom 28. Januar 2004 - 9
L 820/03.NC u.a. - bestätigt, auf den wegen der weiteren Einzelheiten und vor allem im
Hinblick auf den an der RWTH praktizierten Modellstudiengang Bezug genommen wird.
Diesen rechtlichen Ansatz haben auch das Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen in seinen Beschlüssen vom 31. März 2004 (13 C 75/04, betr.
Beschwerden), vom 28. Mai 2004 (13 C 20/04 u.a., betr. Gegenvorstellungen) und vom
2. Juni 2010 - 13 C 239/10 - sowie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss
vom 31. August 2004 (1 BvR 1480/04) geteilt.
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Die Kammer hat daran in ihren Entscheidungen zu den nachfolgenden Wintersemestern
festgehalten und sieht keinen Anlass, hiervon für das vorliegende Wintersemester
2010/2011 abzuweichen.
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Das bereinigte jährliche Lehrangebot von 491,54 DS ist nach Formel 5 der Anlage 1 zur
KapVO durch den gewichteten Curricularanteil zu dividieren. Danach beträgt die
jährliche Aufnahmekapazität 491,54 : 1,98 = 248,25, die nach Wegfall des der Vorklinik
zugeordnet gewesenen Masterstudiengangs Biomedical Engineering und der damit
verbundenen Fremdanteilquote von 0,005 zu 248 Studenten führt. Eine Erhöhung nach
§§ 14 Abs. 3 Nr. 3, 16 KapVO (Schwundquote) hat der Antragsgegner auch dieses Mal
vorgenommen, da nach seinen Berechnungen aufgrund der Studentenstatistik der
RWTH Aachen ein Schwund zu verzeichnen war. Den Schwundausgleichsfaktor hat er
wie im Vorjahr mit 1/0,96 ermittelt, so dass sich eine Studienanfängerzahl von 248 : 0,96
= 258,33 und gerundet 258 ergibt.
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Diese Zahl ist durch die vorgenommenen 259 Einschreibungen überschritten und die
vorhandene Kapazität somit erschöpft.
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Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die für das Wintersemester 2010/2011
durch die Stiftung für Hochschulzulassung (Stiftung) als Nachfolgeeinrichtung der
Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) vorgenommenen Zulassungen
fehlerhaft seien, weil es noch an einer wirksamen Stiftungssatzung fehle mit der Folge,
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dass diese Plätze für Bewerber um außerkapazitäre Studienplätze zur Verfügung
stünden und an diese zu verteilen seien. Denn die Stiftungssatzung betrifft nur den
Binnenbereich der Stiftung und hat demzufolge keine unmittelbare Außenwirkung auf
das für das Wintersemester 2010/2011 durchgeführte Zulassungs- und
Vergabeverfahren. Ein Rechtsfehler ist auch nicht darin zu erblicken, dass das
Vergabeverfahren nach den Regelungen durchgeführt worden ist, die sich an die -
inzwischen aufgelöste - ZVS gerichtet haben. Mangels entsprechender Regelungen für
die Stiftung selbst konnten die bisher geltenden Regelungen (wieder) zur Grundlage
des Verfahrens gemacht werden, weil ansonsten ein geordnetes Zulassungsverfahren
nicht gewährleistet gewesen wäre.
Vgl. hierzu: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
17. August 2010 - 13 B 1065/10 -, NRWE, und Verwaltungsgericht Düsseldorf,
Beschluss vom 10. November 2010 - 15 Nc 18/10 -, juris.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 des
Gerichtskostengesetzes (GKG). Die Kammer schließt sich insoweit der Rechtsprechung
des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in seinen Beschlüssen
vom 26. Januar 2009 - 13 B 1922/08 - und 4. Februar 2009 - 13 C 4/09 - an, wonach der
Auffangwert von 5.000,-- EUR in Verfahren der hier vorliegenden Art nicht mehr wie
bislang verringert wird, weil die begehrte Entscheidung die Entscheidung in der
Hauptsache regelmäßig vorwegnimmt. Dies gilt auch unabhängig davon, ob der Antrag
auf die Teilnahme an einem Losverfahren beschränkt worden ist.
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