Urteil des VG Aachen vom 19.11.2009

VG Aachen (kläger, luftwaffe, nato, zulage, verband, erlass, berechtigung, angehöriger, verwaltungsgericht, anlage)

Verwaltungsgericht Aachen, 1 K 1183/09
Datum:
19.11.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 1183/09
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides des
Kommandeurs der Unterstützungsgruppe beim NATO-E-3A-Verband
vom 6. April 2009 sowie des Beschwerdebescheides des Dienstältesten
Deutschen Offiziers beim NATO -E-3A-Verband vom 28. Mai 2009
verurteilt, dem Kläger ab dem 1. Januar 2009 die Stellenzulage für
Soldaten als fliegendes Personal gemäß Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 der
Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B
auszuzahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
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Der 37-jährige Kläger ist Berufssoldat im Rang eines Majors. Er ist Angehöriger der
Teilstreitkräfteeinheit Luftwaffe und befähigt, als Kommandeur Strahlluftfahrzeuge zu
führen. Mit Wirkung vom 2. Juli 2004 wurde er zum NATO-E-3A-Verband in H. versetzt.
Nach Erwerb der entsprechenden Fluglizenzen wird er als verantwortlicher
Kommandeur auf den von der AWACS-Aufklärungsstaffel verwendeten
Luftfahrzeugmustern Boeing 707 und 703/TCA eingesetzt.
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Unter dem 3. März 2009 beantragte der Kläger, ihm rückwirkend ab dem 1. Januar 2009
die Zulage für Soldaten als fliegendes Personal gemäß Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 der
Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B (BBesO, Anlage I zum
Bundesbesoldungsgesetz - BBesG - ) auszuzahlen. Er erfülle die in dieser Vorschrift
genannten Voraussetzungen.
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Diesen Antrag lehnte der Kommandeur der Unterstützungsgruppe beim NATO-E-3A-
Verband mit Bescheid vom 6. April 2009 ab. Zur Begründung ist ausgeführt, die erhöhte
Stellenzulage stehe nach dem Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung
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(BMVg)- PSZ III 2 - Az 19-02-08/04 - vom 18. April 2007 nur denjenigen verantwortlichen
Luftfahrzeugführern mit Kommandantenberechtigung zu, die auf bestimmten
Flugzeugmustern verwendet würden. Hierzu zählten die Boeing 707/ Boeing 703/TCA
nicht. Die Beschwerde des Klägers wies der Dienstälteste Deutsche Offizier beim
NATO-E-3A-Verband mit Beschwerdebescheid vom 28. Mai 2009, zugestellt am 5. Juni,
zurück.
Der Kläger hat am 30. Juni 2009 Klage erhoben. Seiner Ansicht nach schränkt der
Erlass des BMVg vom 18. April 2007 die Zulagenberechtigung rechtswidrig ein. Von
einer Beschränkung auf Flugzeugführer, die auf einem bestimmten Flugzeugmuster
verwendet würden, sei im Gesetz nicht die Rede. Durch die willkürliche Nennung von
bestimmten Flugzeugmustern werde eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung und
rechtswidrige Verwaltungsübung geschaffen, die weder für sich noch in Verbindung mit
dem Gleichheitssatz oder dem Vertrauensgrundsatz eine anspruchsbeschränkende
Selbstbindung herbeiführen könne. Sie folge auch nicht aus der Ermächtigung zum
Erlass einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift gemäß Nr. 6 Abs. 6 der
Vorbemerkungen zur BBesO.
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Der Kläger beantragt,
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den ablehnenden Bescheid des Kommandeurs der Unterstützungsgruppe beim NATO-
E-3A-Verband vom 06.04.2009 sowie den Beschwerdebescheid des Dienstältesten
Deutschen Offiziers beim NATO-E-3A-Verband vom 28.05.2009 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab dem 1. Januar 2009 die Stellenzulage für
Soldaten als fliegendes Personal gemäß Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 der Vorbemerkungen zur
BBesO auszuzahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Kläger zähle nicht zu dem zulageberechtigten Personenkreis. Die Stellenzulage sei
ausschließlich für "Soldaten der Luftwaffe" vorgesehen. Mit dieser Formulierung habe
der Gesetzgeber einen Zusammenhang zwischen dem Organisationsbereich "Luftwaffe"
und der herausgehobenen Funktion innerhalb dieses Bereiches hergestellt. Nur so
werde gewährleistet, dass ein Angehöriger der Luftwaffe, der vorübergehend zum Heer
oder zur Marine kommandiert und dort mit Aufgaben betraut werde, für welche die
dortigen Soldaten mit vergleichbaren Funktionen keine erhöhte Zulage erhielten, selbst
auch nicht in den Genuss der Zulage käme. Es müsse sich also um Soldaten handeln,
die dem Organisationsbereich der Luftwaffe angehörten und dort oder im Einsatz, also
bei einer Tätigkeit in diesem Organisationsbereich oder während besonderer Einsätze
für diesen Organisationsbereich, herausgehobene Funktionen auszuüben hätten.
Diesen Voraussetzungen genüge die Tätigkeit des Klägers als Angehöriger des NATO-
E-3A-Verbandes nicht. Daneben entspreche es Sinn und Zweck der Neufassung der
Verordnung, nur denjenigen Luftfahrzeugführern die erhöhte Zulage zukommen zu
lassen, die auf "Transportflugzeugen" eingesetzt würden. Letzteres sei in der
Beschlussempfehlung des Innenausschusses des Deutschen Bundetages zum
Dienstrechtsneuordnungsgesetz (BT- Drucksache 16/10850, S. 235) zum Ausdruck
gebracht. Dort sei ausgeführt, dass ein Kommandant im Lufttransport - insbesondere bei
Auslandseinsätzen - weitgehend eigenverantwortlich operieren müsse, ohne auf die
Organisations- und Servicestruktur seines Heimatplatzes zurückgreifen zu können. Dem
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werde mit der erhöhten Stellenzulage Rechnung getragen. Hiergegen werde der Kläger
nicht als Transportflugzeugführer, sondern bei der NATO als Luftfahrzeugführer eines
AWACS-Flugzeugs im Wesentlichen zur Luftraumüberwachung verwendet. Dies
unterscheide ihn von den in dem Erlass genannten Luftfahrzeugführern, sodass dieser
Erlass nur die Gesetzeslage nachvollziehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten
hierzu ihr Einverständnis erteilt haben, vgl. § 101 Abs. 2 VwGO.
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BBesG ab
dem 1. Januar 2009 einen Anspruch auf Auszahlung der erhöhten Stellenzulage nach
Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 der Vorbemerkungen zur BBesO. Der ablehnende Bescheid vom 06.
April 2009 und der Beschwerdebescheid des Dienstältesten Deutschen Offiziers beim
NATO-E-3A-Verband vom 28. Mai 2009 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in
seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 BBesG haben Soldaten ebenso wie Beamte und Richter einen
strikten (Rechts-)Anspruch auf Besoldung. Zur Besoldung gehören gemäß § 1 Abs. 2
Nr. 4 BBesG u. a. Zulagen. Die Zulagenberechtigung wiederum ist in § 42 ff. BBesG
geregelt. Hierzu gehören auch die sog. Funktionszulagen, wie sie u. a. in Nr. 6 der
Vorbemerkungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B als Anlage I zum
BBesG aufgeführt sind.
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Hiernach ergibt sich der Anspruch des Klägers auf die erhöhte Stellenzulage
unmittelbar aus Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 der Vorbemerkungen. Der Kläger erfüllt sämtliche
dort genannten Voraussetzungen.
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Nach der Neufassung der Vorbemerkungen durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz
vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160) erhöht sich die Stellenzulage für Soldaten und
Beamte als fliegendes Personal bis zum 31. Dezember 2004 um den Betrag nach
Anlage IX (zum BBesG) "für Soldaten der Luftwaffe, die als verantwortliche
Luftfahrzeugführer mit der Berechtigung eines Kommandanten auf Flugzeugen
verwendet werden, für die eine Mindestbesatzung von zwei Luftfahrzeugführern
vorgeschrieben ist." Die Zulage beträgt monatlich 600,- EUR. Inwieweit die
Berechtigung als Kommandant auf Flugzeugen besteht, für die eine Mindestbesatzung
von zwei Luftfahrzeugführern vorgeschrieben ist, wird gemäß Nr. 6 Abs. 6 Satz 1 der
Vorbemerkungen durch eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums
der Verteidigung geregelt. Im Übrigen erlässt die oberste Dienstbehörde die
allgemeinen Verwaltungsvorschriften im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des
Innern (Nr. 6 Abs. 6 Satz 2 der Vorbemerkungen).
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Hieraus ergibt sich: Der Kläger ist "Soldat der Luftwaffe" im Sinne dieser Norm.
Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich aus der Verwendung dieses Begriffs
nicht ableiten, dass hiermit nur solche Soldaten gemeint sind, die nicht nur
dienstrechtlich der Teilstreitkräfteeinheit Luftwaffe angehören, sondern auch im
Organisationsbereich der Luftwaffe oder während besonderer Einsätze für diesen
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Organisationsbereich verwendet werden. Eine derartige Interpretation gibt der Wortlaut
nicht her. Er umfasst alle Soldaten der Luftwaffe und schließt mit dieser Formulierung
nur diejenigen Soldaten aus, die zwar die weiteren Voraussetzungen der Regelung
erfüllen, aber eben Soldaten der beiden anderen Teilstreitkräfte Heer oder Marine sind.
Der Kläger ist trotz seiner Versetzung zum NATO-E-3A-Verband weiterhin Soldat der
Luftwaffe, d. h. Angehöriger der Teilstreitkräfte. Er wird dienst- und besoldungsrechtlich
von der Verwaltung der Luftwaffe betreut und ist deren Personalplanung unterworfen.
Mit der militärischen Verwendung beim NATO-E-3A-Verband ist er der dortigen
multinationalen Einheit nur in der konkreten Diensttätigkeit zugeordnet und insoweit
weisungsgebunden. Im übrigen ist er verantwortlicher Luftfahrzeugführer mit der
Berechtigung eines Kommandanten auf Flugzeugen, für die eine Mindestbesatzung von
zwei Luftfahrzeugführern vorgesehen ist und wird entsprechend verwendet.
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Für die in dem Erlass des BMVg vom 18.04.2007 aufgezählte weitere Bedingung für
den Anspruch auf die Zulage, nämlich die Verwendung auf bestimmten
Flugzeugmustern, fehlt es an einer gesetzlichen Ermächtigung. Der Gesetzgeber hat die
Zulage nicht auf die Ausübung einer konkreten Funktion zu beschränkt. Dies folgt
unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm, wobei der nach dem allgemeinen
Sprachgebrauch (noch) mögliche Wortsinn die Grenze der Auslegung dessen bildet,
was das Gesetz regelt. Hiernach sind die gesetzlichen Voraussetzungen für den
Anspruch auf die Zulage eindeutig und abschließend.
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Demgegenüber kann die Beklagte sich nicht auf die Begründung der
Beschlussempfehlung des Innenausschusses des Dt. Bundestages vom 12. November
2008 (BT-Drs. 16/10850) berufen. Weder die Zulage noch deren Erhöhung war im
Gesetzentwurf der Bundesregierung enthalten (BT-Drs. 16/7076). Erst der
Innenausschuss beschloss, den Gesetzentwurf u.a. durch eine "befristete Anhebung der
bzw. Einführung von Stellenzulagen für bestimmte Piloten und Ärzte der Bundeswehr zu
ergänzen" (BT-Drs. 16/10850 S. 4). Erläuternd heißt es dazu, bei dem Personenkreis
der Kommandanten handele es sich um "Soldaten der Luftwaffe, die als
"Transportflugzeugführer" in besonders verantwortungsvoller und deshalb
herausgehobener Funktion verwendet werden" (BT-Drs. 16/10850 S. 235). Dies hat
jedoch keinen Niederschlag im Gesetzestext gefunden. Dem Wortlaut der Nr. 6 Abs. 1
Satz 2 der Vorbemerkungen lässt sich nicht entnehmen, dass nur dieser Personenkreis
in den Genuss der Zulage kommen sollte. Anderenfalls wäre es ein Leichtes gewesen,
die Vorbemerkung entsprechend zu formulieren, indem man beispielsweise eingesetzt
hätte: "für Soldaten der Luftwaffe, die als verantwortliche Transportflugzeugführer ...
verwendet werden."
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Ebensowenig ermächtigt Nr. 6 Abs. 6 der Vorbemerkungen die Beklagte dazu, die
Voraussetzungen für die Zulagenberechtigung im Erlasswege zu definieren. Nach Nr. 6
Abs. 6 Satz 1 ist das BMVg berechtigt, eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu
erlassen, die den Erwerb der Berechtigung nach Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 präzisiert. Dies ist
vorliegend indes keine Streitfrage, da der Kläger die entsprechende Berechtigung eines
Kommandanten auf Flugzeugen besitzt, für die eine Mindestbesatzung von zwei
Luftfahrzeugführern vorgeschrieben ist. Die Ermächtigung zum Erlass einer (sonstigen)
allgemeinen Verwaltungsvorschrift gemäß Nr. 6 Abs. 6 Satz 2 befähigt das BMVg auch
nicht zu der Festlegung auf bestimmte Flugzeugmuster. Es liegt nicht in der
Organkompetenz des BMVg, über eine allgemeine Verwaltungsvorschrift den objektiv
erkennbaren und vom Gesetzgeber formulierten Inhalt des Gesetzes zu verändern. Dies
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gilt auch unter Beachtung einer - möglicherweise - besonderen Belastung von
Kommandanten im Lufttransport. Dem Wortlaut der Vorbemerkungen für die erhöhte
Stellenzulage nach Nr. 6 Abs. 1 Satz 2 lässt sich nämlich nicht entnehmen, dass nur
dieser Personenkreis in den Genuss der Zulage kommen sollte.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit
folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 709 ZPO.
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