Urteil des VG Aachen vom 25.10.2007

VG Aachen: treu und glauben, gleichheit im unrecht, grundstück, beitragssatz, zusage, abwasseranlage, satzung, beitragspflicht, gemeindeordnung, veranlagung

Verwaltungsgericht Aachen, 4 K 2613/05
Datum:
25.10.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 2613/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte
vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Kanalanschlussbeitrag für
sein an der Straße X. gelegenes Grundstück Gemarkung H. , Flur 00, Flurstücke 000
und 001, das vom Bebauungsplan Nr. 00 "X. " erfasst wird. Im Jahr 2004 wurden in den
Straßen des Ortsteils X. der Stadt T. Kanäle für Schmutz- und Regenwasser verlegt. Am
13. September 2004 gab der Bürgermeister bekannt, dass die öffentliche
Abwasseranlage in der Ortslage X. betriebsfertig erstellt sei. Diese umfasse die Straßen
X. , Am N. , L.------- straße , Zum T1. , I.---straße , Q. und A.------------weg . Mit der
betriebsfertigen Erstellung der öffentlichen Abwasseranlage werde der Anschlusszwang
gemäß § 9 der Entwässerungssatzung der Stadt T. vom 13. September 1997 für die an
diese Straßen angrenzenden Grundstücke wirksam. Am 26. Juni 1997 hatte der Rat der
Stadt T. im Zusammenhang mit einer Entscheidung über eine Änderung der früheren
Beitragssatzung beschlossen, für die Ortslagen L1. , X. und X1. sowie die Straße I1. den
Beitragsanteil, der den Betrag von 5,00 DM/Maßstabseinheit überschreitet, generell im
Wege der Billigkeit zu erlassen. Diese Regelung sollte bis zum 31. Dezember 1999
gelten.
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Mit Schreiben vom 6. Juli 2001 wandte sich der Bürgermeister der Stadt T. an die
Bürgerinnen und Bürger des Ortsteils X. . Darin heißt es unter anderem: "Die Entlastung,
die Sie durch den Wegfall der Kleinkläranlage erfahren, hat aber auch eine Belastung in
Form von Kanalanschlussbeiträgen zur Folge. Die Kanalanschlussbeiträge betragen
zurzeit 16,00 DM/m² Grundstücksfläche. Da die Orte X. , L1. und X1. die letzten Orte im
Stadtgebiet T. sind, in denen eine Kanalisation gebaut wird, hat der Stadtrat vor einigen
Jahren beschlossen, diese Orte bezüglich der Kanalanschlussgebühr so zu behandeln,
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wie in früheren Jahren andere Ortsteile Schleidens abgerechnet worden sind, um hier
eine Benachteiligung der Bürger zu verhindern. Somit gilt laut Stadtratsbeschluss für
den Ort X. ein Kanalanschlussbeitrag von 5,00 DM/m² Grundstücksfläche. Bei
zweigeschossiger Bebauung erhöht sich dieser Betrag um 20 %, somit also auf 6,00
DM/m². Da für alle Grundstücke in X. eine zweigeschossige Bebauung zulässig ist,
kommt diese Regelung zur Anwendung. Dieser Beschluss gilt aber nur für die
Grundstücke, für die zum jetzigen Zeitpunkt ein Baurecht besteht. Neuerschließungen
sind von dieser Regelung ausgenommen."
Am 13. Dezember 2001 befasste sich der Rat der Stadt T. erneut mit dem
Kanalanschlussbeitrag für die Ortslage X. . Er fasste zu der Frage, wie verfahren werden
solle, keine Entscheidung, und beschloss, den Tagesordnungspunkt zu vertagen. In
seiner Sitzung vom 16. Juni 2005 fasste er den Beschluss, für die Ortslage X. im Wege
der Billigkeit den Beitragsanteil zu erlassen, der den Betrag von 7,26 EUR/m²
überschreitet.
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Mit Bescheid vom 14. Juli 2005 zog der Beklagte den Kläger zur Zahlung eines
Kanalanschlussbeitrages von 11.202,18 EUR heran. Der Bescheid ist gestützt auf § 8
des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG NRW), die
Entwässerungssatzung der Stadt T. vom 5. September 1997 sowie die Satzung über die
Erhebung von Abwassergebühren, Kanalanschlussbeiträgen und Kostenersatz für
Grundstücksanschlüsse vom 3. November 2000 in der geltenden Fassung. Dabei legte
er eine anrechenbare Fläche von 1.543 m² und einen Beitragssatz von 7,96 EUR/m²
zugrunde. Von dem dabei sich ergebenden Betrag von 12.282,28 Euro brachte er einen
"Erlass aus Billigkeitsgründen" von 0,70 EUR/m², das sind 1.080,10 EUR, in Abzug.
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Mit Schreiben vom 15. August 2005 erhob der Kläger Widerspruch. Zu dessen
Begründung berief er sich auf das Schreiben des Bürgermeisters vom 6. Juli 2001 und
machte geltend, durch die Heranziehung werde die notwendige Gleichbehandlung der
Bürger verletzt.
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Den Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 17. November 2005 zurück. Er
führte aus, nach § 11 Abs. 1 der Satzung über die Erhebung von Abwassergebühren,
Kanalanschlussbeiträgen und Kostenersatz für Grundstücksanschlüsse in der Fassung
der 4. Änderungssatzung betrage der Beitragssatz 7,96 EUR/m². Der Stadtrat habe zwar
am 26. Juni 1997 beschlossen, unter anderem für die Ortslage X. den Beitragsanteil, der
den Betrag von 5,00 DM/Maßstabseinheit überschreite, generell zu erlassen. Diese
Regelung sei aber bis zum 31. Dezember 1999 befristet gewesen. Dem Ratsbeschluss
vom 16. Juni 2005, im Wege der Billigkeit den Beitragsanteil, der den Betrag von 7,26
EUR/m² überschreite, zu erlassen, habe er durch einen Abzug von 0,70 EUR/m²
Rechnung getragen. Soweit im Schreiben vom 6. Juli 2001 ausgeführt worden sei, dass
auch für den Ort X. noch die alte 5,00 DM-Regelung gelte, sei diese Information
fehlerhaft. Daraus könne kein Rechtsanspruch abgeleitet werden.
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Der Kläger hat am 15. Dezember 2005 Klage erhoben.
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Er ist der Auffassung, die der Veranlagung zugrunde liegende Satzung sei unter
anderem deshalb nichtig, weil den Mitgliedern des Stadtrats nicht alle für die
Entscheidung maßgeblichen Informationen vorgelegen hätten. Insbesondere gelte dies
für eine Chronologie der Arbeitsgemeinschaft Abwasser (AgAW). Das Schreiben des
Bürgermeisters vom 6. Juli 2001 stelle eine schriftliche Zusicherung dar und sei deshalb
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verbindlich. Dem stehe § 64 Abs. 1 der Gemeindeordnung nicht entgegen, weil die
Gemeinde sich durch die Erklärung des Bürgermeisters nicht verpflichtet, sondern
freiwillig auf etwas verzichtet habe. Im übrigen würde ansonsten die Vorschrift des § 38
des Verwaltungsverfahrensgesetzes unterlaufen, wonach die zuständige Stelle
schriftliche Zusicherungen machen könne. Der Zusage liege der Ratsbeschluss vom 26.
Juni 1997 zugrunde. Zwar sei der Billigkeitserlass bis zum 31. Dezember 1999 befristet
gewesen, jedoch stelle das Schreiben des Bürgermeisters klar, dass der Rat an seinem
Beschluss festgehalten habe. Ein solcher genereller Billigkeitserlass sei auch rechtlich
zulässig, denn es sei zu § 135 Abs. 5 des Baugesetzbuches anerkannt, dass eine
Gemeinde auf Erschließungsbeiträge ganz oder teilweise verzichten könne, wenn dies
im öffentlichen Interesse liege. Ein solcher Erlass sei hier politisch gewollt gewesen.
Des weiteren hätte der Beklagte die Abwasseranlage bei ordnungsgemäßer
Wahrnehmung seiner Aufgaben erheblich früher erstellen können und müssen. Eine
Auseinandersetzung darüber, in welcher Höhe Beiträge zu entrichten seien, wäre dann
gar nicht erst entstanden. Alle Ortslagen der Stadt T. mit Ausnahme des Ortsteils X.
seien zum Beitragssatz von 5,00 DM/m² abgerechnet worden. Zuletzt sei dies in der
Ortslage X1. trotz der ursprünglichen Befristung des Ratsbeschlusses bis zum 31.
Dezember 1999 am 10. November 2000 geschehen. Vor diesem Hintergrund verstoße
die vorliegende Beitragsfestsetzung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Weiterhin
lässt der Kläger vortragen, gegen die Wirksamkeit der Bebauungspläne lägen
kommunalrechtliche Bedenken vor, weil Personen an den Beschlüssen mitgewirkt
hätten, die befangen sein könnten oder dürften. Außerdem sei das Plangebiet willkürlich
gewählt worden.
Nachdem der Kläger in seiner Klageschrift einen Antrag auf Aufhebung der Bescheide
des Beklagten angekündigt hatte, beantragt er nunmehr,
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den Bescheid des Beklagten vom 14. Juli 2005 in der Gestalt
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des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2005
12
aufzuheben,
13
hilfsweise,
14
unter teilweiser Aufhebung dieser Bescheide den Beklagten zu verpflichten, den
Kanalanschlussbeitrag unter Zugrundelegung eines Beitragssatzes von 2,56 Euro (5,00
DM) je Quadratmeter anzurechnender Veranlagungsfläche neu festzusetzen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt ergänzend vor, mit dem Schreiben vom 6. Juli 2001 habe das Tiefbauamt der
Stadt T. die Bürger von X. über den Planungsstand der Abwasserbeseitigung informiert.
Grund sei die Abweichung von der bisherigen Planung gewesen. Soweit in dieser
Information die beitragsrechtliche Seite so dargestellt worden sei, dass auch für den Ort
X. noch die alte 5,00 DM- Regelung gelte, handele es sich um keine Zusicherung im
Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes, sondern lediglich um eine Mitteilung.
Zudem fehle die nach § 64 der Gemeindeordnung erforderliche zweite Unterschrift. Ein
Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor, weil es einen sachlich
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einleuchtenden Grund für die Differenzierung zu früheren Beitragsveranlagungen gebe.
Die Veranlagung sei entsprechend der rechtsverbindlichen Satzung erfolgt. Inwieweit
ein Beitrag erlassen werden könne, sei eine Einzelfallentscheidung. Der Veranlagung
liege der rechtsverbindliche Bebauungsplan Nr. 30 "X. " aus dem Jahr 1960 zugrunde.
Bezogen auf den Bebauungsplan Nr. 70 "X. -Ortslage" sei das Verfahren nicht
weiterbetrieben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug
genommen.
19
Entscheidungsgründe:
20
Die Klage hat keinen Erfolg.
21
Die mit dem Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Festsetzung des Kanalanschlussbeitrags im Bescheid des Beklagten vom 14. Juli
2005 und dessen Widerspruchsbescheid vom 17. November 2005 sind rechtmäßig und
verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Rechtsgrundlage der streitbefangenen
Heranziehung sind die Vorschriften der Satzung über die Erhebung von
Abwassergebühren, Kanalanschlussbeiträgen und Kostenersatz für
Grundstückshausanschlüsse der Stadt T. vom 3. November 2000 in der Fassung der 4.
Änderungssatzung vom 20. Juli 2004 (im Folgenden: BGS).
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Gemäß § 10 Abs. 1 und 2 dieser auf den §§ 7 bis 9 der Gemeindeordnung für das Land
Nordrhein-Westfalen (GO NRW) sowie den §§ 1, 2 und 8 des
Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG NRW)
beruhenden Satzung erhebt die Stadt T. als Gegenleistung für die Möglichkeit der
Inanspruchnahme der städtischen Abwasseranlage und den hierdurch gebotenen
wirtschaftlichen Vorteil einen Kanalanschlussbeitrag zum Ersatz des durchschnittlichen
Aufwandes für deren Herstellung, Anschaffung und Erweiterung. Der Beitragspflicht
unterliegt gemäß § 11 Abs. 1 BGS ein Grundstück, wenn es tatsächlich und rechtlich an
die Abwasseranlage angeschlossen werden kann (Buchstabe a), nach der
Entwässerungssatzung ein Anschlussrecht besteht (Buchstabe b) und wenn es baulich
oder gewerblich genutzt wird oder eine bauliche oder gewerbliche Nutzung - z.B. durch
Bebauungsplan - festgesetzt ist oder, soweit eine bauliche oder gewerbliche Nutzung
nicht festgesetzt ist, es nach der Verkehrsauffassung Bauland ist und nach der
geordneten baulichen Entwicklung der Gemeinde zur Bebauung ansteht (Buchstabe c).
Hiervon unabhängig unterliegt nach Abs. 2 ein - z.B. im Außenbereich gelegenes -
Grundstück der Beitragspflicht auch dann, wenn es tatsächlich an die Abwasseranlage
angeschlossen wird. Die Beitragspflicht entsteht nach § 14 Abs. 1 BGS, sobald das
Grundstück an die Abwasseranlage angeschlossen werden kann, im Falle des § 11 Ab.
2 BGS mit dem tatsächlichen Anschluss. Beitragspflichtig ist gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1
BGS, wer im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides Eigentümer des
Grundstücks ist. In formeller Hinsicht bestehen gegen die Wirksamkeit dieser Satzung
keine Bedenken. Die Ursprungssatzung vom 3. November 2000 und die hierzu
ergangenen Änderungssatzungen wurden am 26. Oktober 2000, 13. Dezember 2001,
25. April 2002, 1. April 2004 und 15. Juli 2004 vom Rat der Stadt T. beschlossen und auf
Grund der Bekanntmachungsanordnungen des Bürgermeisters vom 3. November 2000,
14. Dezember 2001, 29. April 2002, 2. April 2004 und 20. Juli 2004 gemäß § 16 Abs. 1
23
der Hauptsatzung der Stadt T. vom 3. März 1997 im "Mitteilungsblatt der Stadt T. -
Amtsblatt für die Stadt T. " am 10. November 2000, 31. Dezember 2001, 3. Mai 2002, 16.
April 2004 und 30. Juli 2004 öffentlich bekannt gemacht.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass bei den jeweiligen Satzungsbeschlüssen gegen
Verfahrens- oder Formvorschriften der Gemeindeordnung verstoßen wurde, sind nicht
ersichtlich. Insbesondere ist davon auszugehen, dass die Ratsmitglieder die Möglichkeit
hatten, die entsprechenden Verwaltungsvorlagen zur Kenntnis zu nehmen. Ob die
Chronologie der Arbeitsgemeinschaft Abwasser allen Ratsmitgliedern zugänglich
gemacht wurde, kann dahinstehen, weil diese für die Kalkulation des Beitragssatzes
ohne Belang war. Im übrigen gehört es nicht zu den Aufgaben der Verwaltung, von
privater Seite verfasste Stellungnahmen allen Ratsmitgliedern zugänglich zu machen.
Hiervon unabhängig könnte die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften der
Gemeindeordnung gemäß § 7 Abs. 6 Satz 1 GO NRW nach Ablauf eines Jahres seit
ihrer Verkündung auch nicht mehr geltend gemacht werden. Hierauf ist nach Satz 2
dieser Vorschrift bei den öffentlichen Bekanntmachungen der Satzungen
ordnungsgemäß hingewiesen worden.
24
Bedenken gegen die materiellrechtliche Wirksamkeit der die Veranlagung des Klägers
tragenden Satzungsvorschriften sind weder hinreichend substantiiert vorgetragen noch
sonst ersichtlich. Insbesondere ist der in Anwendung des § 14 Abs. 1 BGS der
Heranziehung zugrunde gelegte Beitragssatz von 7,96 Euro je Quadratmeter
Veranlagungsfläche nicht zu beanstanden. Ausweislich der vorgelegten
Kalkulationsunterlagen ging der Rat der Stadt T. bei der Neukalkulation des
Straßenentwässerungsanteils für die 3. Änderungssatzung vom 2. April 2004 zutreffend
von der Zwei-Kanal-Theorie des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen (OVG NRW),
25
vgl. Beschlüsse vom 2. September 1998 - 15 A 7653/95 -, vom 2. November 1999 - 15 A
4406/99 - und vom 28. Februar 2003 - 15 A 960/03 -,
26
aus und ermittelte in nachvollziehbarer Weise für den Kalkulationszeitraum von 1995 bis
2006 auf der Basis tatsächlich entstandener und (für die Jahre 2004 bis 2006)
geschätzter Kosten für vergleichbare Kanalbaumaßnahmen einen umlagefähigen
Aufwand von 4.753.286,51 Euro. Hieraus ergibt sich bei einer Gesamtfläche von
597.357,5 qm - substantiierte Bedenken hiergegen sind nicht vorgetragen - ein
Beitragssatz für den Vollanschluss von 7,96 Euro je Quadratmeter. Soweit für die
Kanalisation des Ortsteils X. in Abweichung von den geschätzten Gesamtkosten von
818.767,41 Euro tatsächliche Kosten von 1.091.852,93 Euro entstanden sind, kann
dahinstehen, ob diese Mehrkosten vermeidbar waren und sich die diesem Aufwand
zugrunde liegenden Ausbauentscheidungen in den Grenzen des Ermessens der
Gemeinde bewegten. Hierauf kommt es nicht an, weil die Kalkulation von den
geschätzten Baukosten ausgeht und die entstandenen Mehrkosten deshalb auf den
Beitragssatz ohne Einfluss geblieben sind.
27
Soweit darüber hinaus geltend gemacht wird, es seien durch eine Überdimensionierung
der Abwasseranlagen im Bereich X. ungerechtfertigte Mehrkosten entstanden, muss
dem nicht weiter nachgegangen werden. Hierauf kommt es nicht an, weil Fehler bei der
Ermittlung des Gesamtaufwandes nur dann zur Nichtigkeit der Beitragssatzung führen,
wenn das Aufwandsüberschreitungsverbot des § 8 Abs. 4 Satz 5 KAG NRW erheblich
oder gröblich verletzt ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn zu Lasten der
28
Beitragspflichtigen der kalkulierte Gesamtaufwand den tatsächlichen bzw. rechtmäßig
ermittelten Aufwand um mehr als 10 % überschreitet,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Juni 1995 - 15 A 3123/93 - Nordrhein-Westfälische
Verwaltungsblätter (NWVBl) 1996, S. 9 = Kommunale Steuerzeitschrift (KStZ) 1997, S.
17.
29
Hierfür sind im vorliegenden Fall - bei einem Gesamtaufwand von 4.753.286,51 Euro -
auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers keinerlei Anhaltspunkte
ersichtlich.
30
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Heranziehung des Klägers zu einem
Kanalanschlussbeitrag sind gegeben: Sein Grundstück unterliegt nach § 11 Abs. 1
Buchstabe c BGS der Beitragspflicht, weil es im Bereich des Bebauungsplans Nr. 30 "X.
" der Stadt T. liegt und nach dessen Festsetzungen bebaubar ist. Soweit der Kläger
meint, dieser Bebauungsplan sei unwirksam, sind hierfür keine konkreten Tatsachen
vorgetragen. Im übrigen ist nach Auffassung der Kammer,
31
vgl. Urteil vom 23. Juni 2005 - 4 K 1088/04 -,
32
für die Beitragserhebung grundsätzlich von der Rechtsverbindlichkeit eines
Bebauungsplans auszugehen, solange dieser - was hier der Fall ist - weder aufgehoben
noch durch gerichtliche Entscheidung für nichtig erklärt worden ist,
33
vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 24. Oktober 1995 - 15 A 3408/92 -, mit weiteren
Nachweisen; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Loseblattkommentar (Stand:
September 2001), § 8 Rdnr. 548.
34
Mit der Bekanntmachung der betriebsfertigen Herstellung der Abwasseranlage am 13.
September 2004 ist der Beitrag gemäß § 14 Abs. 1 BGS entstanden, weil der Kläger ab
diesem Zeitpunkt sein Grundstück an die Kanalleitungen anschließen konnte.
35
Bedenken gegen die Beitragshöhe sind nicht gegeben. Das Grundstück hat eine Fläche
von 4.845,00 qm, wovon nach den unbeanstandet gebliebenen Berechnungen des
Beklagten 1.543 qm innerhalb des Plangebietes liegen. Nach den Festsetzungen des
Bebauungsplans ist das Grundstück eingeschossig bebaubar, so dass sich bei einem
Beitragssatz von 7,96 Euro je Quadratmeter ein Beitrag von 12.282,28 Euro ergibt.
36
Sofern der Kläger im Rahmen seiner Anfechtungsklage gegen den Beitragsbescheid
Erlassgründe geltend machen will, ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem
Heranziehungsbescheid einerseits und der Ablehnung einer weitergehenden
Billigkeitsmaßnahme andererseits um zwei voneinander unabhängige Verwaltungsakte
handelt, auch wenn sie gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4b) KAG NRW in Verbindung mit § 163
Satz 3 der Abgabenordnung (AO) miteinander verbunden werden können. Sie können
deshalb auch nur mit den jeweils dagegen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen
angegriffen werden. Eine vom Abgabenpflichtigen begehrte anderweitige
Billigkeitsentscheidung kann infolgedessen nur im Wege der Verpflichtungsklage
erstritten werden,
37
vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Februar 1990 - 2 A 302/87 - und Beschluss vom 7.
August 1989 - 2 A 2528/88;
38
eine zu Unrecht unterlassene Herabsetzung eines Beitrags wegen sachlicher
Unbilligkeit führt in keinem Fall zur (teilweisen) Rechtswidrigkeit des
Beitragsbescheides,
39
vgl. OVG NW, Urteil vom 4. Dezember 2001 - 15 A 5566/99 -, NWVBl 2002, S. 188, und
Beschlüsse vom 17. Januar 2003 - 15 A 169/03 - und vom 9. Oktober 2002 - 15 E
980/02.
40
Soweit der Kläger nunmehr hilfsweise beantragt, unter teilweiser Aufhebung des
angefochtenen Bescheides den Kanalanschlussbeitrag aus Billigkeitsgründen unter
Zugrundelegung eines Beitragssatzes von 2,56 Euro je Quadratmeter anzurechnender
Veranlagungsfläche neu festzusetzen, bestehen bereits Bedenken gegen die
Zulässigkeit dieses Antrags. Insoweit könnte die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs. 2
VwGO verstrichen sein, denn der in der Klageschrift angekündigte Klageantrag ist nach
seinem Wortlaut ausschließlich auf die Aufhebung des angefochtenen Bescheides
gerichtet. Es kommt hinzu, dass der Kläger anwaltlich vertreten ist; in solchen Fällen ist
zur Bestimmung des Streitgegenstandes regelmäßig von den schriftsätzlich formulierten
Klageanträgen auszugehen. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, denn die
Verpflichtungsklage ist jedenfalls unbegründet.
41
Ein Anspruch auf Herabsetzung des Beitrages wegen sachlicher Unbilligkeit nach § 12
Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a KAG NRW in Verbindung mit § 163 Satz 1 AO ist nicht
gegeben. Ein solcher Anspruch kommt in Betracht, wenn im Einzelfall die Erhebung der
Abgabe in einer bestimmten Höhe mit dem Sinn und Zweck des Abgabengesetzes nicht
vereinbar ist, wenn also - mit anderen Worten - der gegebene Sachverhalt zwar den
gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Abgabenerhebung aber dennoch den Wertungen
des Gesetzes zuwider läuft,
42
vgl. OVG NRW, Urteile vom 4. Dezember 2001 - 15 A 5566/99 - und vom 30. Oktober
2001 - 15 A 5184/99 -, S. 16 f. des amtlichen Umdrucks.
43
Diese Voraussetzungen sind im Bereich des Anliegerbeitragsrechts insbesondere dann
gegeben, wenn der dem Beitragspflichtigen durch den Ausbau vermittelte Vorteil
aufgrund tatsächlicher Umstände - etwa einem nur erschwert möglichen Zugang - im
Vergleich zu den übrigen Anliegern erheblich geringer ist. Insoweit ist eine
Herabsetzung des Beitrages aus Billigkeitsgründen - falls dieser Umstand nicht von
vornherein im Rahmen einer satzungsrechtlichen Regelung berücksichtigt wird - dann
geboten, wenn bei der Bewertung des wirtschaftlichen Vorteils der Anlieger im Einzelfall
Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, dass die
Gleichbehandlung der Beitragspflichtigen nicht mehr zu rechtfertigen ist,
44
vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. März 2000 - 15 A 3494/96 - (zum
Straßenbaubeitragsrecht).
45
Hiervon ausgehend liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Reduzierung
des Beitrages schon deshalb nicht vor, weil das Vorbringen des Klägers keinen
grundstücksbezogenen Einzelfall, sondern letztlich alle Beitragspflichtigen des Ortsteils
X. betrifft. Er hat weder geringere Vorteile als diese, noch sind Erschwernisse
erkennbar, die seine Veranlagung als Sonderfall erscheinen lassen. Allein die Höhe
des zutreffend ermittelten Beitrags ist kein Grund für eine Beitragsreduzierung, denn
46
hiervon sind alle Beitragspflichtigen betroffen, und Härten, die im Gesetz selbst liegen,
begründen keine sachliche Unbilligkeit, vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung -
Finanzgerichtsordnung, Kommentar zur AO und FGO, Stand: 113. Lfg. 2007. Auf die
Vorschrift des § 135 Abs. 5 des Baugesetzbuches (BauGB), wonach die Gemeinde
auch dann von der Erhebung des Erschließungsbeitrags ganz oder teilweise absehen
kann, wenn dies im öffentlichen Interesse geboten ist, kann sich der Kläger nicht
berufen, denn diese Vorschrift ist auf Beiträge nach § 8 KAG NRW nicht entsprechend
anwendbar,
vgl. zum Straßenbaubeitragsrecht OVG NRW, Urteil vom 28. März 2000 - 15 A 3494/96 -
.
47
Soweit der Rat der Stadt T. am 26. Juni 1997 beschlossen hat, unter anderem für die
Ortslage X. "den Beitragsanteil, der den Betrag von 5,00 DM/Maßstabseinheit
überschreitet, generell im Wege der Billigkeit zu erlassen", kann dahinstehen, ob dieser
Beschluss nicht deshalb rechtswidrig ist, weil auch der Rat an das von ihm gesetzte
Ortsrecht gebunden und es ihm deshalb verwehrt ist, hiervon durch einfachen
Ratsbeschluss abzuweichen. Hierauf kommt es nicht an, weil diese Regelung bis zum
31. Dezember 1999 befristet war und dementsprechend die im Jahr 2004 entstandene
Beitragspflicht der Grundstückseigentümer im Ortsteil X. nicht mehr erfasst.
48
Auf das Schreiben des früheren Bürgermeisters vom 6. Juli 2001 kann sich der Kläger
schon deshalb nicht berufen, weil es sich dabei nach Auffassung der Kammer um keine
"von einer zuständigen Behörde erteilte Zusage" im Sinne des § 38 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW)
handelt. Dem steht entgegen, dass der frühere Bürgermeister nach dem Wortlaut dieses
Schreibens keine eigene Entscheidung getroffen sondern lediglich mitgeteilt hat, was
der Stadtrat bezogen auf die Kanalanschlussbeiträge in den Orten X. , L1. und X1. "vor
einigen Jahren" beschlossen habe. Es kommt hinzu, dass nach § 13 Abs. 3 Buchstabe
d der Hauptsatzung der Stadt T. vom 3. März 1997 der Bürgermeister nur ermächtigt ist,
Geldforderungen der Stadt bis zur Höhe von 1.000,00 Euro im Einzelfall aus
Billigkeitsgründen niederzuschlagen oder zu erlassen, so dass aus Sicht eines
objektiven Erklärungsempfängers kaum etwas für eine in eigener Zuständigkeit
ausgesprochene Zusage sprechen kann, einen Teil der zukünftigen Beitragsforderung
aus Billigkeitsgründen erlassen zu wollen. Hiervon unabhängig wäre eine solche
Zusage auch rechtswidrig. Aus der Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und
Recht (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) folgt nämlich, dass die Abgabenerhebung
nicht abweichend von den gesetzlichen Regelungen erfolgen darf. Demzufolge darf die
Verwaltung in Abweichung von den satzungsrechtlichen Regelungen nur dann auf
Beiträge verzichten, wenn die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass nach § 12
Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Buchstabe a KAG NRW in Verbindung mit § 163 oder dem im
wesentlichen gleichlautenden § 227 AO vorliegen. Solche Umstände sind hier nicht
gegeben, insbesondere sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass etwa
alle Grundstücke im Ortsteil X. übergroß sind und deshalb bei sämtlichen
Beitragspflichtigen in dieser Ortslage ein wesentlich verminderter wirtschaftlicher Vorteil
in Betracht kommen könnte.
49
Ob eine gleichwohl (gesetzwidrig) erteilte Zusage gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
Buchstabe b KAG NRW in Verbindung mit 125 AO - besonders schwerwiegender
Fehler, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände
offenkundig ist - nichtig wäre,
50
vgl. für eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung BVerwG - Urteile vom 5. Juni 1959
- VII C 83.57 -, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 59, S. 1937 = KStZ 59, S. 189,
und vom 27. Januar 1982 - 8 C 24.81 -, KStZ 82, S. 129,
51
kann dahinstehen, weil sie bereits aus kommunalverfassungsrechtlichen Gründen nicht
bindend wäre. Nach § 64 Abs. 1 Satz 2 GO NRW sind nämlich Erklärungen, durch
welche die Gemeinde verpflichtet werden soll, vom Bürgermeister oder seinem
Stellvertreter und einem vertretungsberechtigten Beamten oder Angestellten der Stadt
zu unterzeichnen. Hierunter fallen alle Erklärungen, die darauf abzielen, eine
Verpflichtung für die Gemeinde einzugehen,
52
vgl. Held u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein- Westfalen, Lieferung Dezember
2005, § 64, Anmerkung 1.
53
Dementsprechend hätte nach Sinn und Zweck der Regelung auch die Zusage, bei
(zukünftiger) Entstehung der Beitragspflicht den über 5,00 bzw. 6,00 DM je
Quadratmeter Veranlagungsfläche hinausgehenden Beitragsanteil zu erlassen bzw.
nicht festzusetzen, von einem zweiten vertretungsberechtigten Beamten oder
Angestellten der Stadt unterzeichnet werden müssen. Diese Formvorschrift ist im
vorliegenden Fall nicht eingehalten, so dass eine etwaige Zusage die Stadt gemäß § 64
Abs. 4 GO NRW nicht binden würde.
54
Gegenüber der Formnichtigkeit einer Verpflichtungserklärung könnte sich der Kläger
nicht auf Treu und Glauben berufen. Nur außergewöhnliche Umstände rechtfertigen es
nämlich, das Vertrauen des Bürgers in die Verbindlichkeit einer formungültigen Zusage
zu schützen. Denn das in § 64 Abs. 1 und 4 GO NRW zum Ausdruck kommende
öffentliche Interesse, die Gemeinde und damit die Allgemeinheit vor unüberlegten und
belastenden Verpflichtungen zu schützen, ist regelmäßig gegenüber dem
Einzelinteresse an der Einhaltung formungültiger Zusagen vorrangig. Allenfalls dann,
wenn die Nichteinhaltung einer solchen Zusage zu nahezu unvertretbaren
Verhältnissen für den Betroffenen führt, kann dessen Vertrauen geschützt werden,
55
vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. Mai 1975 - II A 28/73 -, KStZ 76, S. 73.
56
Anhaltspunkte für eine solche Fallgestaltung sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
57
Soweit im Ortsteil X1. entgegen der im Beschluss des Stadtrats vom 26. Juni 1997
enthaltenen Befristung noch im Jahr 2000 Beitragspflichtige mit einem Beitragssatz von
5,00 DM je Quadratmeter Veranlagungsfläche zu Kanalanschlussbeiträgen
herangezogen wurden führt dies nicht zu einem Anspruch auf weitergehende
Herabsetzung des Beitrages. Die Entscheidung, ob und in welcher Höhe ein
Grundstück zu einem Kanalanschlussbeitrag zu veranlagen ist, ist nämlich durch die
gesetzlich normierte Beitragserhebungspflicht zwingend vorgegeben. Soweit andere
Beitragspflichtige fälschlich mit einem niedrigeren Beitragssatz herangezogen worden
sind, liegt zwar eine Ungleichbehandlung vor, jedoch kann der Veranlagte keine
Fehlerwiederholung ihm gegenüber verlangen, weil der Gleichheitssatz keinen
Anspruch auf Gleichheit im Unrecht gewährt,
58
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Dezember 2004 - 15 B 2689/04 -.
59
Gründe, die bezogen auf das Grundstück des Klägers die Herabsetzung des Beitrages
aus Billigkeitsgründen rechtfertigen könnten, sind nicht geltend gemacht. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11 und
711 ZPO.
60
Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4
VwGO nicht vorliegen.
61