Urteil des VG Aachen vom 17.01.2005
VG Aachen: serbien und montenegro, politische verfolgung, kosovo, staatliche verfolgung, bundesamt für migration, reaktive depression, verwaltung, abschiebung, heimatstaat, provinz
Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 3489/04.A
Datum:
17.01.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 3489/04.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist eigenen Angaben zufolge serbisch-montenegrinische Staatsangehörige
albanischer Volkszugehörigkeit. Sie stammt aus dem Kosovo.
2
Zur Begründung ihres nach im Mai 2004 erfolgter Einreise in das Bundesgebiet
gestellten Asylantrags machte sie bei ihrer Anhörung durch das damalige Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge; im Folgenden: Bundesamt) geltend, nach Beendigung des sogenannten
Kosovo-Kriegs habe sie - wie zuvor - in einer U. in Pristina gearbeitet. Sie habe bis zu
ihrer Ausreise Geld von ihrem Arbeitgeber erhalten. Zu der Zeit, als sie mit einem
Serben befreundet gewesen sei, habe sie immer Schwierigkeiten gehabt. Sie sei davon
ausgegangen, dass sie nach ihrer - zwischenzeitlich erfolgten - Heirat mit einem
albanischen Volkszugehörigen unbehelligt leben könne. Das Gegenteil sei der Fall
gewesen. Man habe sie zu Hause schikaniert. Daher habe sie ausreisen müssen. Mit
staatlichen Stellen habe sie zu keiner Zeit Schwierigkeit gehabt. Sie habe sich auch
nicht politisch betätigt. Sie habe Vorfälle zweimal, davon ein Mal am 25. März 2004, bei
der Polizei angezeigt. Man habe ihre Angaben aufgenommen. Beim zweiten Mal habe
man sie darauf verwiesen, das Problem bereits zu kennen.
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Mit Bescheid vom 20. Juli 2004, an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin
abgesandt am 23. Juli 2004, lehnte das Bundesamt den Asylantrag ab. Zugleich stellte
es fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG; in
der seinerzeitigen, bis zum In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung
4
der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von
Unionsbürgern und Ausländern - Zuwanderungsgesetz - vom 30. Juli 2004, BGBl. I S.
1949, gültigen Fassung) nicht vorlägen. Darüber hinaus stellte es fest, dass
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (heute: § 60 Abs. 2 bis 7 des Gesetzes über
den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im
Bundesgebiet [Aufenthaltsgesetz - AufenthG -] vom 30. Juli 2004, BGBl. I S. 1949; vgl.
zur Anwendbarkeit: Art. 15 Abs. 3 Nr. 1 des Zuwanderungsgesetzes, a. a. O.) nicht
vorlägen. Schließlich forderte es die Klägerin zur Ausreise aus dem Bundesgebiet
binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung auf. Zugleich drohte es ihr
für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Serbien und
Montenegro bei gleichzeitigem Hinweis, dass die Abschiebung auch in einen anderen
aufnahmebereiten oder -verpflichteten Staat erfolgen könne, an.
Die Klägerin hat am 2. August 2004 Klage erhoben. Sie macht geltend, sie befürchte,
bei einer Rückkehr in ihre Heimat umgebracht zu werden. Im Übrigen liege politische
Verfolgung auch dann vor, wenn Verfolgungsmaßnahmen von Privatpersonen
ausgingen und der Heimatstaat entweder nicht bereit oder unfähig sei, den Betroffenen
wirksam zu schützen. Aus den mit Schreiben vom 6. Januar 2005 vorgelegten
(fach)ärztlichen Attesten vom 4. und 5. Januar 2005 - auf die wegen der Einzelheiten
Bezug genommen wird - ergebe sich, dass sie wegen reaktiver "Depressionen bei
Kriegstrauma und Vergewaltigungsopfer" sowie wegen einer "posttraumatischen
Belastungsstörung mit überwiegend depressiver Symptomatik nach Trauma in ihrer
Heimat" in medikamentöser Behandlung stehe. In der mündlichen Verhandlung hat die
Klägerin ergänzt, sie habe viel zu erklären. Sie habe im Krieg unter anderem
Traumatisierendes erlebt. Zwei maskierte Unbekannte seien nach dem 18. März 2004 in
ihre Wohnung eingedrungen und hätten sie vergewaltigt. Dies habe sie ihrem Mann
bislang nicht erzählt. Gegenüber dem Bundesamt habe sie diesen Vorfall aus Angst und
Scham nicht erwähnt. Als sie am 25. März 2004 bei der Polizei gewesen sei, habe man
ihr gesagt, über den Fall Bescheid zu wissen und zu versuchen, der Sache
nachzugehen. Ihr Mann sei der Gefahr der Blutrache ausgesetzt. Seine Familie sei in
den so genannten Kopfabtrennungsfall von Übach-Palenberg verwickelt. Derzeit nehme
sie Beruhigungs- und Schlaftabletten ein, die sie vor allem wegen Angstzuständen
erhalten habe. Alle zwei Wochen sei sie bei ihrem Psychotherapeuten, hinsichtlich
dessen sie lediglich den Anfangsbuchstaben ("G.") kenne, in Behandlung. Dieser
beruhige sie. Er frage sie, wie es ihre gehe, und fordere sie auf, sich auf Neues zu
konzentrieren und spazieren zu gehen.
5
Die Klägerin beantragt,
6
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 20. Juli 2004 zu
verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,
7
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse
nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
8
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
9
die Klage abzuweisen.
10
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Die
Erkenntnisse der Kammer zum Herkunftsland Serbien und Montenegro (Kosovo) sind -
ebenso wie die im Terminsprotokoll, auf das verwiesen wird, aufgeführten
Erkenntnismittel - in das Verfahren eingeführt worden.
12
Entscheidungsgründe:
13
Die zulässige Klage ist unbegründet.
14
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu, und die
Abschiebungsandrohung im streitgegenständichen Bescheid des Bundesamts ist
rechtmäßig (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
15
Zunächst liegen mangels politischer Verfolgung weder die Voraussetzungen für eine
Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte noch diejenigen eines
Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG vor. Nach der ständigen
Rechtsprechung der Kammer,
16
vgl. nur die Urteile vom 4. Januar 2004 - 9 K 3241/04.A -, vom 20. Januar 2003 - 9 K
2086/00.A - und vom 28. April 2003 - 9 K 2362/02.A -,
17
die der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen entspricht,
18
vgl. Urteile vom 30. September 1999 - 13 A 93/98.A -, vom 10. Dezember 1999 - 14 A
3768/94.A - und vom 17. Dezember 1999 - 13 A 3931/94.A -, sowie Beschlüsse vom 30.
Oktober 2000 - 14 A 4034/94.A -, vom 6. August 2001 - 14 A 2438/00.A -, vom 4. April
2002 - 14 A 1362/98.A - und vom 4. Juli 2002 - 14 A 891/02.A -,
19
sind ethnische Albaner - ebenso wie Minderheitenzugehörige - aus dem Kosovo, also
auch die Klägerin, gegenwärtig und auf absehbare Zeit bei einer Rückkehr dorthin vor
einer etwaigen politischen Verfolgung durch Serbien und Montenegro hinreichend
sicher. Diesem Staat fehlt nämlich für das Gebiet der Provinz Kosovo die Staatsgewalt
im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit, die ihm eine politische Verfolgung der
dort lebenden Bevölkerung ermöglichen könnte. Demgemäß scheidet eine - wie auch
immer geartete - politische Verfolgung des eingangs erwähnten Personenkreises im
Kosovo durch Serbien und Montenegro auf absehbare Zeit aus.
20
Darüber hinaus ist Bewohnern des Kosovo eine Rückkehr dorthin auch nicht im Hinblick
auf erschwerte Lebensbedingungen oder aber Minen und Blindgänger unzumutbar. Die
infolge der Zerstörung von Infrastruktur erschwerten Lebensbedingungen für alle
Bevölkerungsgruppen im Kosovo haben sich zwischenzeitlich spürbar verbessert, und
die Umsetzung der UN-Resolution zum Kosovo vom 10. Juni 1999 schreitet erkennbar
weiter fort. Im Übrigen tragen internationale Hilfsorganisationen zur Sicherstellung einer
hinreichenden allgemeinen Versorgungslage bei. Anhaltspunkte dafür, dass die
Änderung der Verhältnisse lediglich vorübergehender Natur wäre, sind weiterhin nicht
ersichtlich.
21
Vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnislage,
22
vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungs- relevante Lage in der
Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo) vom 4. November 2004 (Lagebericht); UNHCR,
Position zur fort- dauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo, August
2004; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Update zur Situation der ethnischen
Minderheiten nach den Ereignissen vom März 2004,
23
findet in der Provinz Kosovo auch weder eine mittelbare noch eine quasi-staatliche
Verfolgung statt Was zunächst eine etwaige mittelbare staatliche Verfolgung anbelangt,
so lässt sich den vorerwähnten Erkenntnissen - abgesehen von der hier ersichtlich nicht
einschlägigen Fallgruppe der Unterstützung derartiger Vorkommnisse - kein
hinreichender Anhalt für eine Duldung von Übergriffen u.ä. oder aber eine mangelnde
Fähigkeit und/oder Bereitschaft der internationalen Verwaltung im Kosovo, Schutz
grundsätzlich zu gewährleisten, entnehmen.
24
Vgl. zur mittelbaren staatlichen Verfolgung Bundesverfassungsgericht (BVerfG),
Beschluss vom 10. Juli 1989 - BvR 502, 1000, 961/86 -, Amtliche
Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 80, 315, 333 ff.
(336); zum Kosovo: OVG NRW, Beschluss vom 28. Dezember 2001 - 13 A 4338/94.A -,
sowie Urteil der Kammer vom 23. Juni 2003 - 9 K 2257/02.A -.
25
Des Weiteren ist darauf zu verweisen, dass die Grenze der asylrechtlich bedeutsamen
Pflicht zu staatlicher Schutzgewährleistung erreicht ist, wenn die Kräfte des konkreten
Staates überstiegen werden. Mit anderen Worten endet die asylrechtliche
Verantwortlichkeit eines Staates jenseits der ihm zur Verfügung stehenden Mittel. Diese
Grundsätze beanspruchen auch für die Fälle Geltung, in denen - wie hier für die Provinz
Kosovo - eine internationale Verwaltung an die Stelle eines Staates getreten ist. Es
bedarf insoweit indessen keiner weiteren Erörterung, dass die Herstellung staatlicher
Strukturen, deren Vorläufer untergegangen sind, nicht von Anfang an zu den letztlich
angestrebten Verhältnissen führen kann. Vielmehr wären - nicht zuletzt vor dem
Hintergrund, dass selbst ein seit langem gesichert bestehender Staat seinen
Angehörigen keine absolute Sicherheit gegen gewaltsame Übergriffe Dritter bieten kann
(und dies asylrechtlich auch nicht tun muss) - die Anforderungen an die Fähigkeit der
internationalen Verwaltung, Schutz zu gewährleisten, überspannt, wenn man bereits
heute erwarten wollte, dass ein friedliches Zusammenleben der ursprünglich tief
verfeindeten Bevölkerungsgruppen im Kosovo einschränkungslos ermöglicht werden
müsste.
26
Vgl. OVG NRW, am angegebenen Ort (a.a.O.).
27
Schließlich fehlt es mit Blick darauf, dass die Ausübung der Machtbefugnisse weiterhin
ausschließlich in der Hand der internationalen Verwaltung (UNMIK und KFOR) liegt, an
greifbaren Anhaltspunkten für die Annahme, etwaige - wie auch immer geartete -
Übergriffe erfüllten die Voraussetzungen einer quasi-staatlichen Verfolgung.
28
Vgl. OVG NRW, a.a.O.; weitergehend zu quasi-staatlicher Verfolgung: BVerfG,
Beschluss vom 10. August 2000 - 2 BvR 260/98 u. a. -, Entscheidungssammlung zum
Ausländer- und Asylrecht (EZAR) 202 Nr. 30.
29
In Würdigung der vorerwähnten Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass
albanische Gruppierungen - welcher Art sie auch immer sein mögen - weiterhin nicht in
30
Teilen des Kosovo ein staatsähnliches Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität im
Sinne einer "übergreifenden Friedensordnung" errichtet haben. Vielmehr werden diese
Gruppierungen nach wie vor von der internationalen Verwaltung in den Aufbau einer
multi-ethnischen Interimsverwaltung eingebunden. So gibt es beispielsweise
Programme unter Führung der International Organization for Migration (IOM), die die
Wiedereingliederung ehemaliger UCK-Angehöriger in das Zivilleben durch berufliche
Bildungsprogramme, Arbeitsvermittlung, Existenzgründungskredite u. ä. vorsehen.
Demgemäß übt allein die internationale Verwaltung derzeit die staatlichen
Machtbefugnisse im Kosovo aus. Die ehemalige albanische Befreiungsarmee hat sich
schließlich in mehrere politische Parteien und Bewegungen aufgespaltet, die sich
ihrerseits um die Macht bewerben. Nicht zuletzt dieser Umstand verbietet die Annahme,
dass eine organisierte politische und/oder militärische Machtstruktur auf albanischer
Seite besteht.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Dezember 2001, a.a.O.; Urteil der Kammer, vom 23.
Juni 2003, a.a.O.; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 26. Februar 2003
- 7 UE 847/01.A - mit Nachweisen.
31
§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG, der zwischenzeitlich in Kraft getreten ist,
verlangt keine abweichende Beurteilung. Nach dieser Vorschrift kann eine politische
Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch von nichtstaatlichen
Akteuren ausgehen, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure - der
Staat oder Parteien bzw. Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des
Staatsgebiets beherrschen - einschließlich internationaler Organisationen
erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung
zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht
vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.
Für einen fehlenden Willen der eingangs genannten internationalen Organisationen,
Verfolgungsschutz zu bieten, gibt es bezüglich des Kosovo keinen Anhaltspunkt. Auf
sich beruhen kann, ob im Übrigen für die Provinz Kosovo das Tatbestandsmerkmal
"erwiesenermaßen" zu bejahen sein kann. Dass vorerwähnte Organisationen nicht in
der Lage wären, den erforderlichen Schutz zu bieten, lässt sich zur Überzeugung der
Kammer aus den aktuellen Erkenntnissen,
32
vgl. neben der Presseberichterstattung insbesondere AA, Lagebericht vom 4. November
2004,
33
nach Abschluss der so genannten März-Ereignisse des vergangenen Jahres nämlich
ebenfalls nicht annehmen.
34
Die Angaben der Klägerin rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Ihr erstmals in
der mündlichen Verhandlung erfolgter Vortrag zu einem Vergewaltigungsvorfall in der
Zeit "nach dem 18. März 2004" stellt sich (auch unter Berücksichtigung seines
Anklingens im ärztlichen Attest des Herrn Dr. med. H. , U1. , vom 4. Januar 2005) als
gesteigert und - trotz mehrfacher Nachfragen - vage dar. Im Übrigen hat die Polizei
bereits nach dem Vorbringen der Klägerin mitgeteilt, sich um ihren Fall kümmern zu
wollen. Bei dieser Sachlage fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten insbesondere für
ein Eingreifen des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG.
35
Die Klage hat auch nicht mit dem hilfsweise geltend gemachten Begehren Erfolg, die
Beklagte zu verpflichten, für die Klägerin ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 2
36
bis 7 AufenthG festzustellen. Abschiebungshindernisse im Sinne dieser Vorschrift
liegen für Bewohner des Kosovo grundsätzlich nicht vor. Die geltend gemachten
psychischen Erkrankungen der Klägerin führen nicht auf ein krankheitsbedingtes,
zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG). Nach
dieser Vorschrift kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat
abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für
Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem
Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind,
vermag ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darzustellen. Ein
zwingendes Abschiebungshindernis in diesem Sinne wird durch unzureichende
Behandlungsmöglichkeiten im Heimatstaat allerdings nur dann begründet, wenn die
konkrete Gefahr einer erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung anzunehmen ist.
Erheblich ist eine Gesundheitsgefahr, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von
besonderer Intensität zu erwarten ist. Es muss mit anderen Worten davon auszugehen
sein, dass sich die Krankheit des betreffenden Ausländers bei einer Rückkehr in seinen
Heimatstaat wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern wird. Konkret ist
eine derartige Gefahr, wenn diese Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr eintritt.
37
Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Oktober 1999 - 9 C 7.99 -, veröffentlicht in juris, vom 21.
September 1999 - 9 C 8.99 -, NVwZ 2000, 206, 207, vom 29. Juli 1999 - 9 C 2.99 -,
veröffentlicht in juris, vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, NVwZ 1998, 524 ff., sowie
Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -; OVG NRW, Beschluss vom 20. Oktober 2000 -
18 B 1520/00 -.
38
Daran gemessen liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im
Hinblick auf die geltend gemachten psychischen Erkrankung der Klägerin nicht vor. Der
im ärztlichen Attest des Herrn Dr. med. H. , U1. , vom 4. Januar 2005 enthaltene Hinweis
auf suizidale Handlungen für den Fall, dass die Klägerin in den Kosovo zurück kehren
müsse, deutet zunächst auf ein Vorliegen etwaiger - hier unbeachtlicher -
Auswirkungen, die sich allein durch die (eventuelle) Abschiebung bzw. als deren Folge
- im Gegensatz zu den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat der Abschiebung -
ergeben.
39
Vgl. zur Abgrenzung BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 1999 - 9 C 7.99 -, a. a. O.; VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 11 S 389/01 -, Ausländer- und
Asylrecht 2001, 174 f.
40
Klarstellend ist darüber hinaus anzumerken, dass das Gericht der Tatsache, dass die
die Klägerin behandelnden Ärzte durchgehend das von ihr behauptete Geschehen
offenbar ungeprüft ihren Bescheinigungen zu Grunde gelegt haben, keine Bedeutung
beimisst. Des Weiteren kommt bei der getroffenen Entscheidung nicht zuletzt dem
etwaigen - möglicherweise im Gegensatz zur regelmäßig anzunehmenden Objektivität
eines Gutachters stehenden - Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt keine
Bedeutung zu.
41
Im Übrigen genügen die vorgelegten (fach)ärztlichen Atteste nicht den an sie zu
stellenden Anforderungen. In Fällen der in Rede stehenden Art ist nach der
Rechtsprechung der Kammer von einschlägigen Bescheinigungen zu verlangen, dass
sie die angewandte Diagnosemethode angeben. Zudem müssen sie auf der
42
Durchführung diagnostischer Interviews beruhen, eine traumabezogene Anamnese und
eine Quantifizierung der Symptome enthalten. Darüber hinaus sind Angaben dazu
erforderlich, durch welche Erlebnisse namentlich eine posttraumatische
Belastungsstörung ausgelöst wurde, wann sie erstmals auftrat und warum gerade zu
diesem Zeitpunkt. Darüber hinaus müssen derartige Bescheinigungen eine Prognose
des Behandlers beinhalten, wie und wann sich der Zustand des Betroffenen bei einer
Rückkehr in sein Heimatland verschlechtern wird. Dazu gehört insbesondere, ob sich
bei einem Abbruch der Behandlung binnen kurzer Frist eine erhebliche Leib- oder
Lebensgefahr ergeben würde. Dargestellt werden muss ferner ein konkreter
Therapieplan, der auch den zeitlichen Rahmen, auf den die Behandlung angelegt ist,
angibt.
Vgl. Urteil der Kammer vom 10. Mai 2004 - 9 K 2449/01.A - mit Hinweis auf Middeke,
Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, Deutsches
Verwaltungsblatt (DVBl.) 2004, 150, 153 m.w.N.; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 9.
Dezember 2003 - 8 A 5501/00.A -, juris.
43
Diese Anforderungen erfüllen beide eingereichten Atteste im Ansatz nicht. Sie weisen
lediglich Diagnosen auf. Das Attest des Herrn Dr. med. H. vom 4. Januar 205 enthält
darüber hinaus u.a. eine Beschreibung des Zustands der Klägerin sowie - im Übrigen im
Widerspruch zu eigenem Vorbringen stehende - Hinweise auf von ihr Erlebtes. Das
fachärztliche Attest der Gemeinschaftspraxis Dr. med. Q. u.a., U1. , vom 5. Januar 2005
weist abschließend auf eine geplante Traumatherapie hin.
44
Ungeachtet dessen besteht nach den aktuellen Erkenntnissen der Kammer bezüglich
psychischer Erkrankungen der von der Klägerin geltend gemachten Art (reaktive
Depression, posttraumatische Belastungsstörung mit überwiegend depressiver
Symptomatik) kein Anhalt dafür, dass diese mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im
Kosovo nicht - wie im fachärztlichen Attest der Gemeinschaftspraxis Dr. med. Q. u.a.,
U1. , vom 5. Januar 2005 als erforderlich beschrieben - (ambulant und zum Teil sogar
kostenfrei) medikamentös behandelt werden können.
45
Vgl. Verbindungsbüro, Auskünfte vom 25. und 26. Februar 2004; Verbindungsbüro,
Auskünfte vom 5. und 21. April 2004; AA, Lagebericht vom 4. November 2004 (S. 18).
46
Soweit die Klägerin auf dahin gehendes Befragen in der mündlichen Verhandlung
sinngemäß angegeben hat, bei ihr werde eine Gesprächstherapie durchgeführt, folgt
das Gericht diesem Vorbringen nicht. Die Angaben hierzu blieben trotz mehrfacher
Nachfrage ungenau. Darüber hinaus hat die Klägerin nicht den Eindruck vermittelt, es
handele sich materiell um eine so zu bezeichnende Gesprächtherapie. Ihre Antworten
beschränkten sich auf die Angabe, ihr Ehemann übersetze, der Arzt frage sie, wie es ihr
gehe, und fordere sie auf, sich auf Neues zu konzentrieren.
47
Dass der Standard der erforderlichen Versorgung gegebenenfalls hinter der Betreuung
im Bundesgebiet zurück bleiben mag, kommt keine entscheidungserhebliche
Bedeutung zu. Die Klägerin ist - wie jeder ausreisepflichtiger Ausländer - in
medizinischer und therapeutischer Hinsicht auf den im Heimatland allgemein üblichen
Standard zu verweisen.
48
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Oktober 2004 - 18 B 2140/03 - sowie vom 20.
Oktober 2000 - 18 B 1520/00 - m.w.N., Urteil der Kammer vom 24. März 2003 - 9 K
49
1107/02.A -.
Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen kann dahinstehen, ob die Rechtsprechung
der Kammer,
50
vgl. z.B. Urteil vom 3. November 2004 - 9 K 1582/03.A -,
51
wonach schwer wiegende psychische Erkrankungen von Bewohnern des Kosovo bei
Erfordernis einer Gesprächstherapie auf ein krankheitsbedingtes, zielstaatsbezogenes
Abschiebungshindernis führen können, angesichts der Spruchpraxis des
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,
52
vgl. Beschlüsse vom 15. Oktober 2004 - 18 B 2140/03 - und vom 30. Dezember 2004 -
13 A 1250/04.A -,
53
noch aufrechterhalten werden kann.
54
Die Abschiebungsandrohung begegnet mit Blick auf die §§ 34, 38 Abs. 1 AsylVfG, 59
AufenthG keinen Bedenken.
55
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den § 167 VwGO in
Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
56