Urteil des VG Aachen vom 13.11.2009

VG Aachen (deutsch, kläger, klasse, zeugnis, schüler, schule, förderung, verwaltungsgericht, öffentliches recht, bildung)

Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 25/09
Datum:
13.11.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 25/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Der 1999 geborene Kläger besuchte bis zum Abschluss des Schuljahres 2008/2009 die
beklagte Schule. Fachärztlich wurde bei ihm unter dem 27. März 2008 eine Lese- und
Rechtschreibstörung (Legasthenie; ICD10:F81.0 G) diagnostiziert. Der Kläger wendet
sich gegen die Aufnahme der Note für das Fach Deutsch im Halbjahreszeugnis der
Klasse 4 (1. Halbjahr). Er besucht derzeit ein Privatgymnasium in .
2
Das ihm von der Beklagten erteilte Zeugnis der Klasse 2 vom 19. Juni 2007 enthält
keine Deutschnote, ebenso sind Lesen und Rechtschreiben nicht benotet.
3
Sein Zeugnis der Klasse 3 (2. Halbjahr) weist für Deutsch sowie Lesen und
Rechtschreibung jeweils die Note "ausreichend" aus.
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Mit Schreiben vom 10. Juni 2008 beantragte der Kläger beim Schulamt für den Kreis F.
(Schulamt) die Aussetzung der Schulnoten auf dem Abschlusszeugnis der Klasse 3a
bezüglich Rechtschreibung und Lesen, gegebenenfalls im Fach Deutsch insgesamt. Er
verwies auf ein beigefügtes Schreiben des Ministeriums für Schule und Weiterbildung
des Landes Nordrhein-Westfalen (Ministerium) vom 3. Juni 2008. Darin wurde
ausgeführt, Rechtsgrundlage zur Leistungsfeststellung und Leistungsbewertung bei
Schülerinnen und Schülern mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten sei der Runderlass
"Förderung von Schülerinnen und Schülern bei besonderen Schwierigkeiten im
Erlernen des Lesens und Rechtschreibens (LRS)" vom 19. Juli 1991 (Runderlass).
Dieser stelle die verbindliche Vorgabe für Schulen der Primarstufe und der
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Sekundarstufe I insoweit dar, als für Schülerinnen und Schüler bis zur Klasse 6, in
besonders begründeten Einzelfällen auch bis zur Klasse 10, die Rechtschreibleistungen
nicht in die Beurteilung der schriftlichen Arbeiten und Übungen im Fach Deutsch oder in
einem anderen Fach mit einbezogen würden und Leistungen im Lesen und
Rechtschreiben bei Entscheidungen über die Versetzung, über die Eignung für eine
weiterführende Schulform oder bei der Vergabe von Abschlüssen nicht den Ausschlag
geben dürften.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2008 lehnte das Schulamt für den Kreis F. den Antrag ab.
Zur Begründung wurde auf das Schreiben der Bezirksregierung L. vom 11. Juni 2008
verwiesen. Dieses ging dahin, dass nach der Ausbildungsordnung für die Grundschule
Zeugnisse am Ende der Klasse 3 im Fach Deutsch Noten in Sprachgebrauch, Lesen
und Rechtschreiben und eine Gesamtnote enthielten. Der Runderlass betone bezüglich
der Gewichtung der Note im Fach Deutsch, dass der Anteil des Rechtschreibens bei der
Bildung der (Gesamt-)Note zurückhaltend zu gewichten sei. Das bedeute, dass
schlechte Rechtschreibleistungen (ausschließlich) als "Note für Rechtschreiben" auf
dem Zeugnis zu dokumentieren seien und sich nicht negativ auf die (Gesamt-)Note
auswirken sollten. Der Runderlass gebe auch bei Kindern mit LRS keinen Raum für den
völligen Verzicht auf Erteilung der Rechtschreibnote oder gar der (Gesamt-)Note im
Fach Deutsch. Das Ministerium teile diese Auffassung. Aktenkundig ist ein hiergegen
gerichteter Widerspruch mit Eingang 15. Oktober 2008. In der Begründung heißt es
unter anderem, der frühere LRS-Erlass und die schulverwaltungsrechtliche Praxis
hätten bis zum letzten Jahr (2007) auch die Aussetzung der Note vorgesehen.
6
Unter dem 31. Oktober 2008 teilte das Schulamt dem Kläger mit, dass es sich nicht um
einen rechtsmittelfähigen Bescheid gehandelt habe. Die zuständige
Schulaufsichtsbeamtin habe lediglich die mit der Bezirksregierung und dem
Schulministerium abgestimmte Rechtsauffassung zur verbindlichen Anwendung des
Runderlasses mitgeteilt. Es gebe keine Rechtsgrundlage für eine Anweisung des
Schulamtes, Schulnoten in einem Zeugnis auszusetzen. Auch im Falle eines von dem
Schulamt im Rahmen der Fachaufsicht eventuell durchzuführenden Beschwerde- oder
Widerspruchsverfahrens gegen die Zeugnisnote im Fach Deutsch hätte es eine solche
Anweisung ebenfalls nicht erteilen können. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass
seit Inkrafttreten des II. Bürokratieabbaugesetzes der Widerspruch gegen
Entscheidungen der Schulaufsichtsbehörde nicht mehr statthaft sei. Verwaltungsakte
der Schulaufsichtsbehörde könnten seither nur noch im Wege der Klage vor dem
Verwaltungsgericht angefochten werden. Im vorliegenden Fall liege ein solcher
Verwaltungsakt jedoch gerade nicht vor.
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Das dem Kläger am 23. Januar 2009 ausgestellte Zeugnis der Klasse 4 (1. Halbjahr)
weist für Deutsch die Note "ausreichend" sowie für Sprachgebrauch, Lesen und
Rechtschreiben ebenfalls jeweils die Note "ausreichend" aus. Es enthält eine
begründete Empfehlung zur Wahl der Schulform in der Sekundarstufe I, wonach der
Kläger für den Besuch der Realschule und der Gesamtschule geeignet und für den
Besuch des Gymnasiums mit Einschränkung geeignet ist.
8
Am 6. Januar 2009 hat der Kläger Klage gegen Bürgermeister der Stadt C. N. sowie den
Landrat des Kreises F. erhoben. Nach einem gerichtlichen Hinweis, dass die Erteilung
von Schulzeugnissen den Schulen obliege, verbunden mit der Bitte um Überprüfung
des Passivrubrums, hat der Kläger mit am 30. Januar 2009 per Fax eingegangenem
Schriftsatz die Änderung des Passivrubrums dahin gehend beantragt, dass als Beklagte
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die Städtische Gemeinschaftsgrundschule C. N. geführt wird. Er macht unter anderem
geltend, von einem Fortbestehen seines Rechtsschutzinteresses sei auszugehen. Ein
Wechsel in seiner Schullaufbahn von nach Nordrhein-Westfalen sei nicht
auszuschließen, so dass die Noten auf dem Zeugnis für die weiterführende Schule von
Bedeutung sein könnten. Dies gelte erst recht für den Fall eines Umzuges nach Bayern,
wo es auf einen Gesamtschnitt von 2,0 ankomme. Sein Vater habe in den letzten Tagen
in O. Gespräche geführt, die zum Gegenstand gehabt hätten. An anderen Schulen im
Raum S. , N1. ,C1. werde der Runderlass derart interpretiert, dass die Noten im Fach
Deutsch ausgesetzt würden. Unter Berufung auf ein vorgelegtes Gutachten von Frau
Prof. Dr. Christine Langenfeld , Georg-August-Universität Göttingen, Institut für
öffentliches Recht, trägt der Kläger weiter vor, die Aussetzungsverpflichtung ergebe sich
aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Ohne Aussetzung der
Noten läge zudem eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und von Art. 12 Abs. 1 GG im
Bereich der Ausbildung und des Berufes vor. Der Grundsatz der Normklarheit und das
Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erforderten zudem, dass die Grundsätze
der Behandlung legasthener Schüler vom Gesetzgeber in den Grundzügen selbst
festgelegt werden müssten. Verwiesen werde auf die Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichts (VG) Kassel vom 23. März 2006 - 3 G 419/06 -, des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofes (Hess. VGH) vom 3. Januar 2006 - 8 TG 3292/05 -, Neue
Juristische Wochenschrift (NJW) 2006, 1608 sowie des Oberverwaltungsgerichts
Schleswig-Holstein vom 19. August 2002 - 3 M 41/02 -. In Rheinland-Pfalz würden
Noten ebenfalls ausgesetzt.
Der Kläger beantragt,
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die Beklagten zu verpflichten, die Note im Fach Deutsch nicht in das erste
Schulhalbjahreszeugnis des 4. Schuljahres aufzunehmen,
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hilfsweise festzustellen, dass die Note im Fach Deutsch nicht in das erste
Schulhalbjahreszeugnis des 4. Schuljahres aufzunehmen ist.
12
Die Beklage beantragt,
13
die Klage abzuweisen. Sie erwidert, es beständen Bedenken hinsichtlich des
Rechtsschutzinteresses. Es gebe keinen Anspruch auf Aussetzung der Note im Fach
Deutsch auf dem Zeugnis der Klasse 4. Der Runderlass sehe in Ziffer 4.2 (Zeugnisse)
bezüglich der Gewichtung der Noten im Fach Deutsch vor, dass der Anteil des
Rechtschreibens bei der Bildung der Gesamtnote im Fach Deutsch zurückhaltend zu
gewichten sei. Sowohl die Klassenlehrerin als auch die Fachlehrerinnen hätten den
rechtschriftlichen Anteil in den Bewertungen der Gesamtleistungen in den einzelnen
Fächern nicht berücksichtigt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den
Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des
Schulamtes für den Kreis F. .
15
Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist nach dem Hauptantrag zulässig, aber unbegründet.
17
Dabei kann hinsichtlich der Klageart dahinstehen, ob es sich um eine Leistungs- oder
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eine Verpflichtungsklage handelt. Für eine Leistungsklage spricht, dass es sich weder
bei dem Zwischenzeugnis selbst,
vgl. die Aufzählung der Verwaltungsakte bei Minten in: Jülich/Van den Hövel,
Schulrechtshandbuch Nordrhein-Westfalen, § 49 SchulG, Rn. 8,
19
noch bei einer einzelnen Note auf einem Zwischenzeugnis,
20
vgl. Jehkul in: Jehkul pp., Schulgesetz Nordrhein-Westfalen, Gesamtkommentar, § 42,
Erl. 2.5 (6),
21
um einen Verwaltungsakt handelt. Dass mit der Deutschnote in einem Zwischenzeugnis
ausnahmsweise eine besondere Qualifikation verbunden sein oder es sich um ein
Bewerbungszeugnis handeln könnte,
22
vgl. in diesem Zusammenhang Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG
NRW), Beschluss vom 22. Januar 2001 - 19 A 1901/00 -, Deutsches Verwaltungsblatt
2001, 823,
23
ist nicht ersichtlich. Ob die in dem Zwischenzeugnis enthaltene Schulformempfehlung
einen Verwaltungsakt darstellt, kann offen bleiben, weil diese nicht Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens ist. Selbst wenn man in der grundsätzlichen Entscheidung
über die Gewährung eines so genannten Notenschutzes in Form der Nichtaufnahme der
Note in das Zeugnis einen Verwaltungsakt sehen würde,
24
vgl. für einen Notenschutz hinsichtlich der Oberstufe und des Abiturs: Schleswig-
Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 10. Juni 2009 - 9 A 208/08 -,
nachgewiesen in juris,
25
wären die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt.
26
Die für beide Klagearten nach § 42 Abs. 2 VwGO (analog) notwendige Klagebefugnis
ergibt sich mit Blick darauf, dass die Möglichkeit einer Verletzung des Klägers in seinen
Rechten nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Ein Anspruch auf Nichtaufnahme der
Deutschnote könnte sich zumindest aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergeben.
27
Was das nur für eine Verpflichtungsklage erforderliche Vorverfahren nach § 68 VwGO
anbetrifft, wäre ein solches nicht erforderlich, weil sich die Beklagte zur Sache
eingelassen hat. Zwar ist sie nicht auch Widerspruchsbehörde. Dies erweist sich jedoch
angesichts der Besonderheit des vorliegenden Verfahrens, dass nämlich die
einheitliche Auffassung der Widerspruchsbehörde sowie der oberen und der obersten
Schulaufsichtsbehörde bereits aktenkundig ist, als unbeachtlich.
28
Die Verpflichtungsklage wäre auch nicht verfristet, weil die Klage am Ende der letzten
Schulwoche, in der die Grundschulzeugnisse nach Nr. 6.14 der Verwaltungsvorschriften
zu § 6 der Verordnung über den Bildungsgang in der Grundschule (Ausbildungsordnung
Grundschule - AO-GS) vom 23. März 2005, zuletzt geändert durch Verordnung vom 5.
November 2008 (GV.NRW S. 674), ausgehändigt werden, gegen die Beklagte gerichtet
worden ist.
29
Sowohl für die Leistungsklage als auch für die Verpflichtungsklage ist die Beklagte
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richtige Klagegegnerin. Für die Leistungsklage ergibt sich Abweichendes nicht aus dem
Rechtsträgerprinzip des § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, weil diese Bestimmung keine
Anwendung auf die allgemeine Leistungsklage findet.
Vgl. Funcke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll,
Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Auflage, § 78 Rn. 4.
31
Zudem ist eine Gemeinde zwar Schulträgerin, aber angesichts der in § 3 SchulG
statuierten Selbstverwaltung der Schule nicht Rechtsträgerin. Die Aufgaben der
Schulträger bestimmen sich aus den hier nicht maßgeblichen Vorschriften des Achten
Teils des Schulgesetzes.
32
Schließlich ist auch das für beide Klagearten erforderliche Rechtsschutzbedürfnis
gegeben. Was den nicht ausgeschlossenen Wechsel von dem Gymnasium in an ein
Gymnasium in Nordrhein-Westfalen angeht, erscheint zwar ein Vorteil bei einem Erfolg
der Klage fraglich, weil es auf die Schulformempfehlung, welche den Besuch jedenfalls
eines nordrhein-westfälischen Gymnasiums eröffnet, vornehmlich ankommen dürfte.
Dass im Übrigen ein Wechsel auf ein bayerisches Gymnasium bevorsteht oder
zumindest wahrscheinlich ist, ist nicht vorgetragen worden. Dem braucht jedoch nicht
weiter nachgegangen zu werden, weil ein Rechtsschutzinteresse nur zu verneinen
wäre, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei nennenswerte rechtliche
oder tatsächliche Vorteile bringen könnte,
33
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 21. November 1996 - 4 C 13/95 -,
NJW 1997, 1173,
34
wovon nicht ausgegangen werden kann.
35
In materieller Hinsicht fehlt es an einer Anspruchsgrundlage für das geltend gemachte
Begehren.
36
Diese ergibt sich zunächst nicht aus den einschlägigen schulrechtlichen
Bestimmungen.
37
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen
(Schulgesetz NRW - SchulG) werden Leistungen durch Noten bewertet. Gemäß Satz 3
dieser Bestimmung können die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen vorsehen, dass
schriftliche Aussagen an die Stelle von Noten treten oder diese ergänzen. Nach § 48
Abs. 6 SchulG kann die Ausbildungs- und Prüfungsordnung ein Punktsystem neben
oder anstelle der in Absatz 3 geregelten Notenstufen vorsehen, wobei sich Noten- und
Punktsystem wechselseitig umrechnen lassen müssen.
38
§ 5 Abs. 2 Satz 1 AO-GS bestimmt, dass die Leistungen der Schülerinnen und Schüler
in den Klassen 3 und 4 mit Noten bewertet werden. Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 AO-GS
enthalten die Zeugnisse der Klasse 4 unter anderem Noten für die Fächer. Ein
Punktsystem im Sinne des § 48 Abs. 6 SchulG ist nicht vorgesehen.
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Dementsprechend schreibt der Runderlass für die Bildung der Zeugnisnote im Fach
Deutsch unter Nr. 4.2 vor, dass der Anteil des Rechtschreibens dabei zurückhaltend zu
gewichten ist. Er eröffnet indes nicht die Möglichkeit, von der Bildung der Zeugnisnote in
diesem Fach abzusehen (so genannter Notenschutz). Von der Benotung abgesehen
40
werden kann nach Nr. 4.1 des Runderlasses lediglich bei einer schriftlichen Arbeit oder
Übung unter anderem zur Bewertung der Rechtschreibleistung im Fach Deutsch. In
diesem Fall ist die Klassenarbeit mit einer Bemerkung zu versehen, die den Lernstand
aufzeigt und zur Weiterarbeit ermutigt. Dabei handelt es sich um eine der im Einzelfall
eröffneten Handlungsalternativen neben der Stellung einer anderen Aufgabe und der
Einräumung von mehr Bearbeitungszeit.
Mit Blick auf die Übereinstimmung des Runderlasses mit den (formell-)materiellen
Landesgesetzen besteht auch keine Notwendigkeit, die in diesem unter Nr. 4
"Leistungsfeststellung und -beurteilung" enthaltenen Regelungen dem Gesetzgeber
vorzubehalten. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Runderlass den gesetzlichen
Bestimmungen zuwiderliefe.
41
Ein Anspruch auf Nichtaufnahme der Deutschnote in das Halbjahreszeugnis lässt sich
auch nicht aus verfassungsrechtlichen Bestimmungen herleiten.
42
Aus Art. 2 Abs. 1 GG folgt ein Recht schulpflichtiger Kinder auf eine möglichst
ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit auch im Bereich der Schule,
43
vgl. Di Fabio in Maunz - Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Band I, Art. 2 Abs. 1 (Stand:
Juli 2001), Rn. 210,
44
und eine ihre Anlagen und Befähigungen möglichst weitgehend berücksichtigende
Ausbildung.
45
Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 -
, Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 96, 288;
OVG NRW, Urteil vom 9. Juni 2004 - 19 A 1775/02 -, Nordrhein-Westfälische
Verwaltungsblätter (NWVBl) 2004, 425.
46
Dem entsprechen auch der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung für
das Land Nordrhein-Westfalen (Verf),
47
vgl. in diesem Zusammenhang: Kleinrahm in Geller/Kleinrahm, Die Verfassung des
Landes Nordrhein-Westfalen (Stand: 1994), Art. 8, Erl. 2a), aa) sowie bb),
48
sowie der Regelungsgehalt der §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 9 SchulG. § 1 Abs. 1 SchulG
beinhaltet das Recht jedes jungen Menschen auf schulische Bildung, Erziehung und
individuelle Förderung nach Maßgabe dieses Gesetzes; § 2 Abs. 9 SchulG schreibt die
besondere Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Entwicklungsstörungen und
Behinderungen vor.
49
Diesen Grundsätzen ist genügt, weil dem Kläger der Zugang zu den
Bildungseinrichtungen offen steht und für Kinder mit LRS im Runderlass eine Förderung
vorgesehen ist, die der Kläger in Abstimmung mit den Eltern erhalten hat. Die Förderung
ist insbesondere im Bereich der Nrn. 2.3 und 3.2 auch einzelfallbezogen.
50
Inwieweit ein Nachteilausgleich bereits mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs.1
Verf,
51
vgl. zu Letzterem: Kleinrahm, a. a. O., Erl. 2a), bb), geboten ist, kann dahinstehen, da
52
derartige Maßnahmen wie beispielsweise eine erstrebte Schreibzeitverlängerung,
vgl. herzu Hess. VGH, a. a. O.; Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein, a. a. O.; VG
Kassel, a. a. O.,
53
hier nicht streitgegenständlich sind.
54
Ein Anspruch auf Nichtvergabe der Deutschnote in einem (Zwischen-)Zeugnis ergibt
sich nicht aus Art. 3 GG.
55
Hierbei ist zunächst in den Blick zu nehmen, dass eine Abweichung von den beim
Besuch einer allgemeinen Schule geltenden normativen Bewertungsgrundsätzen mit
Blick auf den Grundsatz der Chancengleichheit aller Schüler aus Art. 3 Abs. 1 GG einen
sachlich rechtfertigenden Grund voraussetzt. Dies ist der Fall, wenn bei einem Schüler
(Teil-)Leistungsstörungen vorliegen, die in dem betreffenden Schuljahr nicht oder nicht
hinreichend durch schulische Förderung in der allgemeinen Schule behoben werden
können und denen auch durch Ausgleichsmaßnahmen, wie etwa
Schreibzeitverlängerungen, nicht hinreichend begegnet werden kann. Insoweit sieht der
Runderlass für die Bildung der Note im Fach Deutsch vor, dass der Anteil des
Rechtschreibens zurückhaltend zu gewichten ist.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11. Juli 2008 - 19 A 744/05 -.
57
Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Nichtbenotung im Fach Deutsch lässt sich
aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht herleiten. Vgl. Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht,
Beschluss vom 10. Juli 2008 - 2 ME 309/08 -, Neue Zeitschrift für Verwaltungs-recht -
Rechtsprechungsreport (NVwZ-RR) 2009, 68; Verwaltungsgericht Köln, Beschluss vom
26. September 2008 - 10 L 1240/08 -, nachgewiesen bei juris; zur Auswirkung eines
Notenschutz in Form der Nichtbenotung der Rechtschreibleistungen vor dem
Hintergrund der Erlasslage in Hessen auf die Gewährung eines Nachteilsausgleichs:
VG Kassel, a.a.O.
58
Auch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG führt nicht auf den verfolgten Anspruch. Danach darf
niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Kammer lässt mit Blick
auf die fehlende verfassungsrechtliche Bestimmung des Begriffes der Behinderung,
59
vgl. Bundesverfassungsgericht, a. a. O.,
60
offen, ob es sich bei der LRS um eine Behinderung handelt.
61
Vgl. ebenso: Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, a. a. O.; bejahend:
Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein, a. a. O; VG Kassel, a. a. O.
62
Des Weiteren braucht nicht geklärt zu werden, ob sich aus diesem Grundrecht originäre
Leistungsansprüche ergeben können.
63
Vgl. offen lassend Bundesverfassungsgericht, a. a. O., unter Hinweis auf das
entgegenstehende Schrifttum; verneinend: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom
30. Juni 1997 - 6 B 36/97 -, nachgewiesen bei juris; OVG NRW, Beschluss vom 16.
November 2007 - 6 A 2171/05 -, NVwZ-RR 2008, 271; Schleswig-Holsteinisches
Verwaltungsgericht, a. a. O.; bejahend, indes für so genannte derivative Teilhaberechte
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und Schutz- sowie Förderpflichten nach einer einfach-gesetzlichen Ausgestaltung:
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. August 1997 - 6 B 34/97 -, ebenfalls
juris.
Jedenfalls vermag sich ein Anspruch auf Nichterteilung der Zeugnisnote nicht aus Art. 3
Abs. 3 Satz 2 GG zu ergeben.
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vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juni 2009 - 3 M
16.09 -, nachgewiesen bei juris; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, a. a. O.;
VG Köln, a. a. O.; a. A. M. Langenfeld, Gutachten S. 26 ff.
66
Zwar schränkt auch diese Bestimmung die weitgehende Entscheidungsfreiheit der für
das Schulwesen zuständigen Länder ein,
67
vgl. Bundesverfassungsgericht, a. a. O.,
68
woraus zunächst folgt, dass es auf Ausgestaltungen in anderen Bundesländern nicht
ankommt. Aus dem Benachteiligungsverbot ergibt sich die Pflicht, für behinderte Kinder,
die wie nicht behinderte Kinder grundsätzlich die Pflicht zum Besuch der öffentlichen
Schulen haben, schulische Einrichtungen bereitzuhalten, die auch ihnen eine
sachgerechte schulische Erziehung, Bildung und Ausbildung ermöglichen. Zu beachten
ist indes, dass Art. 3 Abs. 3 GG den Schutz des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art.
3 Abs. 1 GG für bestimmte Personengruppen dahin gehend verstärken soll, dass der
staatlichen Gewalt engere Grenzen insoweit gesetzt werden, als die Behinderung nicht
als Anknüpfungspunkt für eine - benachteiligende - Ungleichbehandlung dienen darf.
Daraus folgt, dass dieses Benachteiligungsverbot Bevorzugungen mit dem Ziel einer
Angleichung der Verhältnisse von Nichtbehinderten und Behinderten erlaubt, dies aber
nicht ohne Weiteres vorschreibt. Dabei ist die Frage, ob ein Verstoß gegen das
Benachteiligungsverbot vorliegt, aufgrund einer Gesamtbetrachtung im konkreten
Einzelfall zu beantworten, und zwar unter anderem nach Art und Schwere der jeweiligen
Behinderung des Schülers. Vgl. BVerfG, a. a. O.; OVG NRW, Urteil vom 11. Juli 2008 -
19 A 744/05 -.
69
Das Benachteiligungsverbot zielt daher in Anbetracht des Gleichbehandlungsgebotes in
Form der Chancengleichheit aller Schüler auf eine Gleichstellung behinderter und nicht
behinderter Schüler ab,
70
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Mai 2002 - 19 A 3100/01 -, nachgewiesen bei juris.
71
Daraus folgt aber gerade nicht, dass eine Ungleichstellung durch das Absehen von
Zeugnisnoten verfassungsmäßig vorgegeben sein könnte, so dass dahinstehen kann,
ob die Nichtbenotung des Faches Deutsch im Zeugnis sogar auf eine Besserstellung
der Schülerinnen und Schüler mit LRS im Vergleich zu anderen Schülern, denen aus
anderen Gründen Rechtschreibfehler in erheblichem Umfang unterlaufen, hinausliefe.
72
Vgl. zur Besserstellung: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, a. a. O.;
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, a. a. O.
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Schließlich ist ein Abweichen von geltenden normativen Bewertungsgrundsätzen nicht
aus Verhältnismäßigkeitsgründen geboten. Auch unter diesem Gesichtspunkt kommt
eine Abweichung nur dann in Betracht, wenn konkret festgestellt worden ist, dass bei
74
dem jeweiligen Schüler (Teil-)Leistungsstörungen vorliegen, die keinen
sonderpädagogischen Förderbedarf begründen und denen durch anderweitige
Ausgleichsmaßnahmen in der allgemeinen Schule nicht angemessen begegnet werden
kann.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11. Juli 2008, a. a. O.
75
Der Runderlass sieht die Förderung von Kindern mit LRS durch allgemeine und
zusätzliche Fördermaßnahmen vor. Er stellt eine sachverständige schulfachlich
Konkretisierung des Anspruchs auf individuelle Förderung in der Schule dar.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Januar 2008 - 19 E 726/07 -, NWVBl. 2008, 310.
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Dass damit eine ausreichende Förderung erreicht werden kann, zeigt sich auch im
vorliegenden Verfahren. Der Kläger hat die Primarstufe erfolgreich durchlaufen und die
Qualifikation für das Gymnasium erreicht.
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Was den Hilfsantrag anbetrifft, ergibt sich die Unzulässigkeit der erhobenen
Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage aus Gründen der Subsidiarität nach §
43 Abs. 2 VwGO. Dass die Feststellungsklage einen weiter gehenden Rechtsschutz
gewähren würde, ist angesichts der sich in der Sache gleichermaßen stellenden Fragen
nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Berufung war nach §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO nicht
zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung liegt mit Blick auf die nordrhein-westfälische
Gesetzeslage und die vorhandene Rechtsprechung mangels einer klärungsbedürftigen
Frage nicht vor. Eine Divergenz ist nicht erkennb
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