Urteil des VG Aachen vom 05.03.2009

VG Aachen: krankengymnastik, verordnung, diagnose, bvo, beihilfe, angemessenheit, gerät, begriff, beurteilungsspielraum, zusammenarbeit

Verwaltungsgericht Aachen, 7 K 1948/08
Datum:
05.03.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 1948/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht
das beklagte Land zuvor Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu
vollstreckendenm Betrages leistet.
T a t b e s t a n d Die Beteiligten streiten über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen
für Krankengymnastik.
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Mit Beihilfeantrag vom 21. Juli 2008 machte der als Landesbeamter beihilfeberechtigte
Kläger gegenüber dem Landesamt für Besoldung und Versorgung als Beihilfestelle des
beklagten Landes u.a. Aufwendungen für physiotherapeutische Behandlungen geltend.
In der betreffenden Rechnung der T. . B. Krankenhaus gGmbH vom 25. Juni 2008 sind
folgende Positionen aufgeführt: - Krankengymnastik - Krankengymnastik (KG-Gerät) -
KG Bewegungsbad
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Die Rechnung beläuft sich insgesamt auf 678,50 EUR (im Einzelnen:
Krankengymnastik = 211,80 EUR, Krankengymnastik (KG-Gerät) = 350,00 EUR, KG
Bewegungsbad in der Gruppe = 116,70 EUR). In der zugrundeliegenden ärztlichen
Verordnung des Ärztlichen Direktors der Kliniken C. O. GmbH & Co. KG, Dr. med. U. L. ,
vom 17. März 2008 ist zu den vorgesehenen Behandlungsmaßnahmen - 10 x
Krankengymnastik, - 10 x Wassergymnastik, - 10 x medizinische Bewegungstherapie
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eine einheitliche Diagnose vermerkt.
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Mit Bescheid vom 04. August 2008 lehnte die Beihilfestelle die Gewährung einer
Beihilfe zu Aufwendungen für die Krankengymnastik (211,80 EUR) ab. Zur Begründung
für sie aus, neben krankengymnastischen Behandlungen am Gerät seien
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krankengymnastische Behandlungen nach Nr. 4 bis 6, Bewegungsübungen nach Nr.
10, manuelle Therapie nach Nr. 12 und Massagen nach Nr. 18 des
Leistungsverzeichnisses für ärztlich verordnete Heilbehandlungen nur dann
beihilfefähig, wenn sie aufgrund verschiedender Diagnosestellungen und
eigenständiger ärztlicher Verordnungen erbracht werden.
Gegen diese Versagung legte der Kläger Widerspruch ein und reichte drei ärztliche
Verordnungen des Herrn Dr. med. U. L. vom 11. August 2008 vor. Darin ist im einzelnen
Folgendes angeführt:
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1. Verordnung: 10 x Krankengymnastik, Diagnose: Zementierte Knie-TEP rechts vom
20. Februar 2008,
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2. Verordnung: 10 x medizinische Trainingstherapie, Diagnose: WS-Syndrom,
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3. Verordnung: 10 x Krankengymnastik im Wasser, Diagnose: Zementierte Knie- TEP
rechts vom 20. Februar 2008.
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Den Widerspruch des Klägers wies das LBV mit Widerspruchsbescheid vom 29. August
2008 zurück. Zur Begründung führte es aus, Aufwendungen für ärztlich verordnete
Heilbehandlungen, die von selbständig tätigen Angehörigen der Heilhilfsberufe (z.B.
Masseure, Krankengymnasten) erbracht werden, seien nur im Rahmen der
Gebührensätze nach dem Leistungsverzeichnis aus dem Runderlass des
Finanzministeriums vom 21. Februar 2005 - SMBl. NRW 203204 - beihilfefähig. Danach
seien neben neben gerätegestützten krankengymnastischen Behandlungen nach Nr. 15
des Leistungsverzeichnisses die Leistungen der Nummern Nr. 4 bis 6
(krankengymnastische Behandlungen), Nr. 10 (Bewegungsübungen), Nr. 12 (manuelle
Therapie) und Nr. 18 (Massagen) nur dann beihilfefähig, wenn sie aufgrund gesonderter
Diagnosestellungen und einer eigenständigen ärztlichen Verordnungen erbracht
würden. Die ursprüngliche Verordnung haben diese Vorgaben nicht erfüllt. Da die im
Widerspruchsverfahren vorgelegten Verordnungen nachträglich erstellt worden seien,
könnten sie nicht berücksichtigt werden.
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Der Kläger hat am 24. September 2008 Klage erhoben. Er führt aus, bereits die
Verordnung vom 17. März 2008 sei eine Verordnung im beihilferechtlichen Sinne; die
Zweitschriften vom 11. August 2008 enthielten nur eine Klarstellung. Jedenfalls sei eine
Beihilfe im Wege der Nachsicht nach § 13 Abs. 8 BVO NRW zu gewähren.
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Der Kläger beantragt,
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das beklagte Land unter Änderung des Bescheides des M. für C1. und W. vom 04.
August 2008 und Aufhebung seines Widerspruchsbescheides vom 29. August 2008 zu
verpflichten, ihm eine ergänzende Beihilfe in Höhe von 105,90 EUR (50% von 211,80
EUR) zu gewähren.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen in den
angefochtenen Bescheiden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des M. für C1. und W. vom 04. August 2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29. August 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe.
(§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in
Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung - BVO) vom 27. März 1975
(GV. NW S. 332), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27. Juni 2008 (GV. NRW. S.
530, 551) sind in Krankheitsfällen beihilfefähig die zur Wiedererlangung der Gesundheit
und zur Besserung oder Linderung von Leiden notwendigen Aufwendungen in
angemessenem Umfange. Die beihilfefähigen Aufwendungen umfassen gemäß § 4
Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 und Satz 2 BVO die vom Arzt schriftlich angeordneten
Heilbehandlungen, zu denen auch Massagen und Krankengymnastik gehören.
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Bei dem danach maßgeblichen Begriff der "Angemessenheit" handelt es sich um einen
unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar ist. Weder steht der
Festsetzungsstelle insoweit ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zu, noch
kommt es darauf an, welchen Betrag derjenige, der eine medizinische Leistung erbracht
hat, für angemessen erachtet,
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vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 28. April 2000 - 26 K 2647/99 - juris.
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Die Beihilfevorschriften selbst enthalten keine eigene Definition des Begriffes der
"Angemessenheit". Für Leistungen, die von selbständig Tätigen der Heilhilfsberufe
erbracht werden (z.B. Masseure, Krankengymnasten) gibt es keine Gebührenordnung
wie bei den Honoraransprüchen der Ärzte und Zahnärzte. Für die Überprüfung der
Angemessenheit der Aufwendungen ist das mit Runderlass des Finanzministeriums
vom 28. Dezember 1995 veröffentlichte Leistungsverzeichnis für ärztlich verordnete
Heilbehandlungen nach § 4 Nr. 9 BVO maßgeblich. Die darin vorgesehenen
Höchstbeträge bestimmen, welche Aufwendungen der für einzelne Leistungen von
Angehörigen der Heilhilfsberufe in Rechnung gestellten Beträge noch als angemessen
anzusehen sind.
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Bedenken dagegen, dieses Leistungsverzeichnis zugrunde zu legen, bestehen aus der
Sicht der Kammer nicht. Es entspricht dem, das vom Bundesminister des Innern in
Zusammenarbeit mit dem Verband Physikalischer Therapie und dem Zentralverband
der Krankengymnasten erstellt und herausgegeben worden ist. Die Beteiligung
fachkompetenter Interessenvertreter bei der Entwicklung des Leistungsverzeichnisses
bietet die beste Gewähr für eine sachgerechte Beurteilung der Angemessenheit
heilhilfsberuflicher Leistungen. Das Leistungsverzeichnis ist deshalb als
sachverständige Äußerung zu werten, der sich das Gericht anschließt,
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vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 28. April 2000 - 26 K 2647/99 - juris.
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Auch im Interesse einer Gleichbehandlung aller Beamten ist es dem Dienstherrn
unbenommen, unter Berücksichtigung des rechtlichen Charakters der Beihilfe als einer
ergänzenden Leistung den Maßstab für die Angemessenheit der Aufwendungen in
Richtlinien festzulegen und die Höhe der Beihilfefähigkeit bestimmter Aufwendungen
durch Höchstbeträge zu begrenzen oder die Beihilfefähigkeit verschiedener,
nebeneinander erbrachter Leistungen auszuschließen,
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vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 28. April 2000 - 26 K 2647/99 - juris.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen begegnet die Entscheidung der Beihilfestelle, eine
Beihilfe zu Aufwendungen für Krankengymnastik nicht zu gewähren, keinen
durchgreifenden Bedenken.
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Denn nach Fußnote 12 sind neben den Leistungen nach Nr. 15 (gerätegestützte
Krankengymnastik) Leistungen nach Nr. 4 - 6 (krankengymnastische Behandlung) nur
dann beihilfefähig, wenn sie aufgrund gesonderter Diagnosestellung und einer
eigenständigen Verordnung erbracht werden. Die Regelung zielt erkennbar darauf ab,
die Doppelabrechnung derselben Leistung oder eine Zuvielbehandlung zu verhindern,
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vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - 2 LA 3174/01 -, juris.
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Mit Blick darauf ist die Regelung nicht zu beanstanden. Denn ist wegen einer Diagnose
bereits Krankengymnastik am Gerät verordnet worden, stellt sich die Krankengymnastik
als weniger umfassende Maßnahme als nicht angemessen und notwendig i.S.d. § 3
Abs. 1 BVO NRW dar,
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vgl. in diesem Zusammenhang Nds. OVG, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - 2 LA
3174/01 -, juris.
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Hier sind die Voraussetzungen für die - ausnahmsweise - Beihilfefähigkeit der
Aufwendungen für Krankengymnastik nicht erfüllt. Für alle Leistungen ist in der
ärztlichen Verordnung vom 17. März 2008 nur eine einheitliche Diagnose gestellt
worden.
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Dass die Beihilfestelle die nachträglich vorgelegten "Zweitschriften" außer Betracht
gelassen hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger geltend macht, die
"Zweitschriften" vom 11. August 2008 enthielten nur eine Klarstellung, folgt die Kammer
dieser Argumentation nicht. Denn hier wird erstmals für die medizinische
Trainingstherapie im Unterschied zu den beiden anderen Behandlungsmaßnahmen
eine Diagnose erstellt, nämlich "WS-Syndrom", von der in der ursprünglichen
Verordnung vom 17. März 2008 nicht die Rede war. Eine nachträgliche
Berücksichtigung der differenzierten Diagnosestellung kommt aber nicht in Betracht,
weil die verordneten Behandlungsmaßnahmen bereits durchgeführt worden sind, und
zwar aufgrund der einheitlichen Diagnose in der ursprünglichen Verordnung. Es liegt
auf der Hand, dass der Physiotherapeut die Behandlungsmaßnahmen nur so
durchführen kann, wie es ihm vom behandelnden Arzt im Wege der Verordnung
vorgegeben worden ist. Dass dies im vorliegenden Fall nicht anders war, ergibt sich aus
der Angabe der Diagnose auf der Rechnung der T. . B. Krankenhaus gGmbH vom 25.
Juni 2008. Dort heißt es nämlich "Diagnose Z.n. Knie TEP rechts". Dass
Krankengymnastik und medizinische Trainingstherapie eine unterschiedliche
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Zielrichtung hatten, hat der behandelnde Arzt mithin nicht deutlich gemacht.
Für eine Nachsichtgewährung gemäß § 13 Abs. 8 Satz 1 BVO NRW sieht die Kammer
keinen Raum. Die Norm ist schon tatbestandlich nicht einschlägig, da sie nur die
erforderliche vorherige Anerkennung der Beihilfefähigkeit betrifft. Diese Frage stellt sich
hier nicht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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