Urteil des VG Aachen vom 23.04.2008

VG Aachen: geringes verschulden, grad des verschuldens, erlass, dienstliche verrichtung, unschuldsvermutung, fürsorgepflicht, beistandspflicht, bestreitung, ermittlungsverfahren, beamter

Verwaltungsgericht Aachen, 1 K 333/08
Datum:
23.04.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 333/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte
Land zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d:
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Der am 00.00.0000 geborene Kläger, der als Kriminaloberkommissar im Dienst des
beklagten Landes steht, begehrt die Bewilligung eines Vorschusses zur Bestreitung der
notwendigen Kosten seiner Rechtsverteidigung in einem Strafverfahren (sog.
Rechtsschutz).
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Mit Schreiben vom 18. Mai 2007 teilte er mit, er habe erfahren, dass die
Staatsanwaltschaft Aachen gegen ihn unter dem Aktenzeichen 901 Js 17/07 ein
Ermittlungsverfahren führt. Gegen ihn werde der Vorwurf der Bestechlichkeit nach § 332
StGB und der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 Abs. 2 und 5 StGB
erhoben. Ihm sei weiter bekannt geworden, dass strafprozessuale Maßnahmen gegen
ihn gerichtet worden seien. Er wisse nicht, wie die Vorwürfe zustande gekommen seien.
Da ihm jede Prozesserfahrung fehle, sei er auf juristische Hilfe angewiesen. Unter
Hinweis auf den gemeinsamen Runderlass des Innen- und Finanzministers vom 30.
Oktober 1967 - II A 1-1.30.03-4018/67 - bitte er um die Übernahme der Kosten der
Rechtsverteidigung.
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Unter dem 31. Mai 2007 lehnte das Q. Aachen den Antrag des Klägers ab. Nach den
derzeitigen Erkenntnissen sei nicht davon auszugehen, dass den Kläger ein nur
geringes Verschulden treffe.
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Das Q. Aachen wies den Widerspruch des Klägers vom 20. Juli 2007 mit der
Begründung, der Gehalt der Unschuldsvermutung sei verkannt worden, mit
Widerspruchsbescheid vom 20. August 2007 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt,
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die Gewährung sog. Rechtschutzes sei nach der Erlasslage zu versagen, wenn nach
den Umständen des Falles anzunehmen sei, dass den Betroffenen mehr als nur ein
geringes Verschulden treffe. Diese vom Erlassgeber vorausgesetzte Feststellung
verlange zwangsläufig eine Prognoseentscheidung über die Schuldschwere. Diese
Prognose, die Bestandteil einer rein internen Regelungen sei, kollidiere auch nicht mit
der Unschuldsvermutung, denn der Ausgang des Strafverfahrens werde weder
vorweggenommen noch beeinflusst.
Mit Anklageschrift vom 3. September 2007 klagte die Staatsanwaltschaft Aachen den
Kläger unter dem Aktenzeichen 901 Js 17/07 an durch fünf selbständige Handlungen in
vier Fällen unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen
Lebensbereich gehörendes Geheimnis offenbart zu haben, das ihm als Amtsträger
anvertraut worden oder sonst bekannt geworden sei sowie in einem Fall als Amtsträger
einen Vorteil dafür angenommen zu haben, dass er eine Diensthandlung vorgenommen
habe, wodurch er seine Dienstpflichten verletzt habe. Der Anklage zu Grunde gelegt
wurden Vorkommnisse, die im Rahmen einer Telefonüberwachung des Klägers in
anderer Sache bekannt geworden waren, und anlässlich derer der Kläger für Bekannte
in ihm dienstlich zugänglichen Datensystemen Auskünfte über Dritte recherchiert und
weitergegeben haben soll. In zwei der Fälle soll der Kläger für die erteilten Auskünfte
beim Kauf von Autoersatzteilen einen dem Bekannten zustehenden Mitarbeiterrabatt in
Anspruch genommen haben.
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Am 5. September 2007 erhob der Kläger unter dem Aktenzeichen 1 K 912/07 Klage.
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Das Landgericht Aachen ließ mit Beschluss vom 30. Oktober 2007 in der Sache 66 Kls
901 Js 17/07, 18/07 die Anklage zur Hauptverhandlung zu. Das Verfahren wurde vor
dem Amtsgericht Aachen - Strafrichter - eröffnet. Die Sache sei entgegen des Antrages
der Staatsanwaltschaft nicht vor dem Landgericht zu verhandeln, da ihr weder wegen
des Ausmaßes der Rechtsverletzung noch wegen der Auswirkungen der Straftat oder
wegen einer Erhöhung des Unrechtsgehalts besondere Bedeutung zukomme. Das zu
erwartende Medieninteresse reiche nicht aus. Die für die Beurteilung der Bedeutung
relevanten Umstände - Stellung des Beschuldigten, Gewicht der weitergegebenen
Informationen, der erlangte geldwerte Vorteil - stellten sich nicht als überdurchschnittlich
dar.
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Im Erörterungstermin in der Sache 1 K 912/07 vom 7. Dezember 2007 hob das beklagte
Land die angefochtenen Bescheide auf und verpflichtete sich zur Neubescheidung des
Antrages. Die Beteiligten erklärten daraufhin die Hauptsache übereinstimmend für
erledigt.
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Mit Bescheid vom 14. Januar 2008 lehnte das Q. Aachen den Antrag des Klägers vom
18. Mai 2007 erneut ab. Als Anspruchgrundlage komme die dem Dienstherrn
obliegende Fürsorgepflicht in Betracht. Neben weiteren Pflichtenkreisen werde dieser
auch die Beistandspflicht des Dienstherrn bei dienstlichen und außerdienstlichen
Sonderbelastungen zugeordnet. Diese Pflicht sei auch dann angesprochen, wenn
gegen einen Beamten im Zusammenhang mit seiner Stellung oder Funktion als
Beamter strafrechtlich ermittelt werde. Der vom Kläger angeführte Runderlass vom 30.
Oktober 1967 diene der näheren Ausgestaltung dieser Beistandspflicht. Im Fall des
Klägers lägen bei Berücksichtigung der besonderen Umstände im Erlass ausdrücklich
aufgeführte Ausschlussgründe vor. Zum einen sei davon auszugehen, dass den Kläger
mehr als nur ein geringes Verschulden treffe. Ein weiterer Ablehnungsgrund ergebe sich
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auch wegen des fehlenden dienstlichen Interesses an der Rechtsverteidigung des
Klägers. Der Polizeipräsident verneine ein dienstliches Interesse regelmäßig, wenn es
sich um Straftaten nach dem 30. Abschnitt des StGB handele und das
Ermittlungsverfahren selbst eingeleitet habe. Mit dieser Verwaltungspraxis sei er eine
Selbstbindung eingegangen. Diese sei verwaltungsgerichtlich nur auf ihre
Gleichheitskonformität bei Vollzug daraufhin überprüft werden, ob die Richtlinien unter
Beachtung der Grundsätze für die Auslegung von Willenserklärungen angewendet
worden seien. Das Fehlen eines dienstlichen Interesses ergebe sich daraus, dass der
Erlass seiner Intention nach Bedienstete unter bestimmten Voraussetzungen von den
Sonderbelastungen freistellen soll, die sich aus einer im Zusammenhang mit seiner
Tätigkeit oder Stellung als Beamter erfolgen, im nachhinein nicht gerechtfertigten
Strafverfolgung ergeben. Dadurch solle die innere Unabhängigkeit des Beamten
gestärkt werden und seine Bereitschaft zur Wahrnehmung solcher Tätigkeiten
entsprechend berücksichtigt werden. Der Beamte solle sich nicht durch die Angst vor
unberechtigter Strafverfolgung in der ordnungemäßen Erfüllung seiner Dienstaufgaben
gehemmt oder gar gehindert sehen. Eine solche Gefahr sei im Bereich der Vollzugs-
und Vollstreckungsaufgaben besonders augenfällig. In Fällen wie dem vorliegenden, in
denen der Tatvorwurf nur auf im "Zusammenhang" mit einer dienstlichen Verrichtung
erfolgten Handlungen beruht, sei weiter abzugrenzen. Insoweit sei nicht nur ein
Verschulden des Beamten zu berücksichtigen sondern auch die Auswirkungen auf das
Ansehen der Behörde in der Öffentlichkeit. Ist der Ausgang des Verfahrens in Fällen
dieser Art jedenfalls offen, überwiege das Interesse des Dienstherrn, nicht durch eine
Gewährung eine Vorschusses einen Ansehensverlust zu erleiden, das Interesse des
Betroffenen. Dies zumal in einer Konstellation wie der vorliegenden, in der das
Ermittlungsverfahren von der Behörde selbst eingeleitet worden sei.
Am 20. Februar 2008 hat der Kläger Klage erhoben. Die Prognoseentscheidung
hinsichtlich des Grades des Verschuldens sei mit Blick auf die Unschuldsvermutung
unzulässig. Im Übrigen müsse bei der Beurteilung, ob ein nur geringes Verschulden des
Klägers vorliege, auch der Inhalt des Beschlusses des Landgerichts vom 30. Oktober
2007 berücksichtigt werden. Auch die Ausführungen zum Fehlen eines dienstlichen
Interesses seien nicht geeignet, eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zu begründen.
Es sei nicht dargelegt, aus welchem Grund ein dienstliches Interesse nicht gegeben sei.
Das beklagte Land weise nur pauschal auf eine Selbstbindung der Behörde hin.
Entgegen der Einschätzung des beklagten Landes sei es sehr wohl im dienstlichen
Interesse, den Kläger in seiner Rechtsverteidigung zu unterstützen, da im Falle des
Freispruchs feststehe, dass es bei der Polizei nicht zu Unregelmäßigkeiten komme, bei
einer nur milden Strafe deutlich werde, dass die Unregelmäßigkeiten sich im tolerablen
Bereich halten. Die Gewährung von Rechtsschutz sei im Übrigen auch nicht nur auf
Polizisten einschränkt, die Vollzugs- oder Vollsteckungsaufgaben wahrnähmen. Diese
Interpretation sei aus der Luft gegriffen und benachteilige den Kläger unangemessen.
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Der Kläger beantragt, das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom
00.00.0000 zu verpflichten, dem Kläger einen Vorschuss zur Bestreitung der
notwendigen Kosten seiner Rechtsverteidigung in dem Strafverfahren vor dem
Amtsgericht Aachen unter dem Aktenzeichen 52 Ds 901 Js 17/07 - 950/07 zu bewilligen,
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hilfsweise den Antrag des Klägers vom 18. Mai 2007 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Das beklagte Landes beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Ermessen sei fehlerfrei ausgeübt worden. Die Gewährung von Rechtsschutz liefe
im konkreten Einzelfall dem berechtigten Interessen des Dienstherrn zuwider und könne
diesem nicht zugemutet werden. Es sei weiterhin von einem nicht nur geringen
Verschulden des Klägers auszugehen. Diese Prognose sei auch nicht unzulässig,
sondern vom Erlass zwingend gefordert. Da es um die Gewährung eines Vorschusses
zur den Kosten der Rechtsverteidigung gehe, könne der Ausgang des Verfahrens auch
nicht abgewartet werden. Die Unschuldsvermutung sei schon deshalb nicht betroffen,
weil es sich um eine verwaltungsinterne Entscheidung handele, die den Ausgang des
Verfahrens nicht vorwegnehme. Die Prognose sei auch nicht unter Berücksichtigung
des Beschlusses des Landgerichts vom 30. Oktober 2007 unrichtig geworden. Das
Gericht habe über den Grad des Verschuldens keine Aussage getroffen. Bei der
Ausübung des Ermessens sei eine restriktive Handhabung angezeigt gewesen. Dies
ergebe sich aufgrund des Umstandes, dass der Kläger nicht in Wahrnehmung
hoheitlicher Vollzugs- oder Vollstreckungsaufgaben gehandelt habe. In diesem Fall
greife eine Regelvermutung für das Vorliegen ein dienstlichen Interesses nicht. Dieser
Gedanke beruhe auf der Überlegung, das gerade die Beamten des Vollzugs- und
Vollstreckungsdienstes unter besonderem Entscheidungsdruck stünden. Dass der
Erlass dagegen auf Vollzugs- und Vollstreckungsbeamte beschränkt sei, habe das
beklagte Land nie angenommen. Im Übrigen werde erneut auf die Selbstbindung der
Behörde hingewiesen. Die Nennung konkreter Bezugsfälle sei aus Datenschutzgründen
nicht möglich.
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Wegen des Ergebnisses des Erörterungstermins vom 18. April 2008 wird auf das
Protokoll verwiesen.
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Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet
und sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin einverstanden erklärt.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Das Gericht durfte ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch die
Berichterstatterin entscheiden. Die Beteiligten haben jeweils ihr Einverständnis mit einer
solchen Vorgehensweise erklärt, vgl. §§ 87a Abs. 2 und 3, 101 Abs. 2 VwGO.
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Der Kläger hat weder Anspruch auf die Gewährung sog. Rechtschutzes in Form eines
Vorschusses zur Bestreitung der notwendigen Kosten seiner Rechtsverteidigung noch
kann er die Neubescheidung seines Antrages vom 18. Mai 2007 verlangen. Der
ablehnende Bescheid des Q1. Aachen vom 14. Januar 2008 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 VwGO.
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Zu Recht hat das beklagte Land seiner Entscheidung zu Grunde gelegt, dass für das
Begehren des Klägers als Anspruchsgrundlage die dem Dienstherrn diesem gegenüber
obliegende Fürsorgepflicht in Betracht kommt, der die Beistandspflicht des Dienstherrn
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bei dienstlichen und außerdienstlichen Sonderpflichten zugeordnet ist. Die
Beistandspflicht wiederum ist auch dann betroffen, wenn gegen einen Beamten im
Zusammenhang mit seiner Stellung oder Funktion als Beamter strafrechtlich ermittelt
wird.
Die Ausübung der Fürsorgepflicht steht grundsätzlich im freien und pflichtgemäßen
Ermessen des Dienstherrn. Es ist dem Dienstherrn allerdings unbenommen, die ihm
eingeräumte Gestaltungsfreiheit in der Ausübung der Fürsorgepflicht durch
Verwaltungsvorschriften für bestimmte Fallgruppen nach generellen Gesichtspunkten zu
binden. Dies ist hier mit dem Gemeinsamen Runderlass des Innen- und Finanzministers
vom 30. Oktober 1967 geschehen. Dass diesem Erlass Erwägungen zu Grunde liegen
würden, die der Zielsetzung der vom Gesetz eingeräumten Ermächtigung
widersprächen und er deshalb nicht zur Anwendung käme, ist nicht ersichtlich und wird
auch von den Beteiligten nicht behauptet.
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Nach Ziff. 1 Satz 1 des Runderlasses soll einem Rechtsschutzsuchenden, gegen den
wegen einer dienstlichen Verrichtung oder eines Verhaltens, das mit einer dienstlichen
Verrichtung zusammenhängt, u.a. ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet
wurde, auf seinen Antrag ein Vorschuss zur Bestreitung der notwendigen Kosten seiner
Rechtsverteidigung gewährt werden. Voraussetzung ist nach dem Erlass u.a., dass ein
dienstliches Interesse an einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung besteht, Ziff.
1 Satz 2 Nr. 1 des Runderlasses, und dass nach den Umständen des Falles
anzunehmen ist, dass den Rechtsschutzsuchenden kein oder nur ein geringes
Verschulden trifft, Ziff. 1 Satz 2 Nr. 3.
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Das beklagte Land durfte seine Ablehnung jedenfalls auf das Fehlen eines dienstlichen
Interesses an einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung des Klägers stützen.
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Ob - wofür allerdings auch unter Berücksichtigung des Hinweises des Klägers auf die
Reichweite der Unschuldsvermutung Einiges spricht - darüber hinaus die Annahme des
Beklagten, den Kläger treffe ein nicht nur geringes Verschulden und deshalb fehle es an
einer weiteren Voraussetzung des Runderlasses, zutrifft, kann offen bleiben.
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Die im Klageverfahren im Rahmen des § 114 Satz 2 VwGO konkretisierte Begründung,
dass im vorliegenden Fall jedenfalls ein dienstliches Interesse an der
zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht bestehe, wird vom Erlass getragen.
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Dabei ist hinsichtlich der gerichtlichen Prüfungsdichte zu beachten, dass der
Runderlass keine Rechtsnorm, sondern eine Verwaltungsvorschrift ist, durch die sich
der Dienstherr selbst bindet, um - soweit ihm ein Ermessensspielraum zukommt -
entsprechend der Zielsetzung der zugrundeliegenden Rechtsvorschriften eine
gleichmäßige Ermessensausübung gegenüber den Betroffenen sicherzustellen; der
Erlass entfaltet Außenwirkung für den einzelnen betroffenen Beamten nur mittelbar über
dessen in Art. 3 Abs. 1 GG geschütztes Recht, entsprechend der in der "antizipierten
Verwaltungspraxis" zum Ausdruck kommenden Ermessensbindung der Verwaltung
gleichmäßig behandelt zu werden. Die Verwaltungsvorschrift ist daher nicht wie eine
Rechtsnorm aus sich heraus, sondern gemäß der von ihrem Urheber gebilligten oder
doch geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen,
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vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1995 - 2 C 19.94 - DVBl 1995, 627f. und Urteil
vom 8. April 1997 - 3 C 6/95 - BVerwGE 104, 220.
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Dass die vom beklagten Land vorgenommene Auslegung des Begriffes "dienstliches
Interesse" einer anderweitigen - gebilligten oder geduldeten - Verwaltungspraxis des
Erlassgebers - ebenfalls des Landes - widersprechen würde, ist nicht zu erkennen. Die
Auslegung widerspricht darüber hinaus auch nicht den allgemeinen Grundsätzen für die
Auslegung von Willenserklärungen. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot
Art. 3 GG ist ebenfalls nicht ersichtlich.
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Das beklagte Land hat zunächst die Zielsetzung des Erlasses zutreffend mit der
Sicherung der für die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung unabdingbaren
inneren Unabhängigkeit der Beamten bei der Ausübung ihres Dienstes erfasst. Der
Begriff des dienstlichen Interesses wurde anhand dieser Zielsetzung nach sachlichen
Kriterien und im Einklang mit dem Wortlaut des Erlasses ausgefüllt. Dabei ist es
insbesondere sachlich gerechtfertigt, danach zu differenzieren, in welchem Grad eine
dienstliche Verrichtung als solche bereits die Gefahr birgt, einer ggf. ungerechtfertigten,
strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt zu werden. Insoweit ist es auch unter
Gleichbehandlungsgesichtpunkten nicht zu beanstanden, wenn das beklagte Land
Beamte des (Polizei)Vollzugs- und Vollstreckungsdienstes als spezifisch gefährdet
einstuft und hier ein dienstliches Interesse regelmäßig als gegeben ansieht. Zum
anderen ist es auch sachgerecht, weil auch vom Wortlaut des Erlasses getragen - vgl.
Ziff. 1 Satz 1 des Runderlasses am Anfang - , wenn das beklagte Land für die Prüfung
des dienstlichen Interesses auch danach differenziert, ob die Strafverfolgung
Handlungen eines Beamten betrifft, die dienstliche Verrichtungen darstellen oder
Handlungen, die nur im Zusammenhang mit einer dienstlichen Tätigkeit stehen. Die
Schlussfolgerung, vorliegend sei ein "Regelfall" eines dienstlichen Interesses nicht
gegeben, steht mit diesen allgemeinen Vorgaben ebenso in Einklang wie das Ergebnis
der - dann folgerichtig offenen - Interessenabwägung, vorliegend überwiege das
dienstliche Interesse an einer Ablehnung des begehrten Rechtschutzes. Der Kläger war
weder im Vollzugs- oder Vollstreckungsdienst tätig noch stellten die angeklagten
Handlungen dienstliche Verrichtungen dar. Sie erfolgten - wie das beklagte Land richtig
erkannt hat - allenfalls im losen Zusammenhang und damit sozusagen bei Gelegenheit
des Dienstes mit der Folge, dass die Zielsetzungen des Erlasses und die damit eng
zusammenhängenden dienstlichen Interessen des Dienstherrn in allenfalls noch
geringem Maße tangiert sind.
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Dass vor diesem Hintergrund bei einer - anhand des Wortlauts durchaus möglichen und
vertretbaren - engeren Auslegung der Erlassformulierung "Verhalten, das mit einer
dienstlichen Verrichtung zusammenhängt" Fälle der vorliegenden Art gänzlich aus dem
Anwendungsbereich des Erlasses fielen, ist hier angesichts der tatsächlichen und damit
für das Gericht maßgeblichen - weiten - Auslegung durch das beklagte Land nicht zu
thematisieren.
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Die entsprechend dieser Vorgaben vorgenommene Abwägung zwischen den
dienstlichen Interessen des Dienstherrn und den Interessen des Klägers weist
Abwägungsmängel nicht auf. Das beklagte Land hat nicht einzelnen Gesichtspunkten
ein Gewicht zugemessen, das ihnen nach objektiven Kriterien und im Lichte der
Reichweite und des Inhalts der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht nicht zukommen
würde. Auch sonst sachfremde oder willkürliche Erwägungen sind nicht angestellt
worden. Insbesondere erweist sich die Erwägung des Dienstherrn wegen des aus
seiner Sicht bei einer Verurteilung des Klägers drohenden Ansehens- und
Vertrauensverlust der (Polizei)Behörde in deren Integrität von einer auch nur vorschuss-
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mäßigen finanziellen Beteiligung an der Rechtsverteidigung Abstand zu nehmen und
ein dienstliches Interesse hieran zu verneinen, als sachlich gerechtfertigt. Diese
Einschätzung trägt in lebensnaher Weise einer hohen Sensibilierung der Bevölkerung
hinsichtlich des staatlichen Zugriffs und Umgangs auf und mit persönlichen Daten und
der damit verbundenen Befürchtung, das Datenmaterial könne missbräuchlich
verwendet werden, Rechnung. Dass ein Interesse des Dienstherrn an der mit einer
milden Strafe verbundenen Feststellung, datenrelevante Unregelmäßigkeiten hielten
sich in seiner Behörde in einem "tolerablen" Bereich, - wie der Kläger meint - überhaupt
besteht und diesem Interesse ein überwiegendes Gewicht zukäme, vermag das Gericht
nicht zu erkennen. Dies auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger
sich gerade nicht aus dienstlichen, sondern aus rein privaten Gründen der Gefahr einer
strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt hat. Dass sonstige schützenswerte, auch private
Interessen des Klägers nicht oder nur unzureichend berücksichtigt worden wären, lässt
sich nicht erkennen.
Aus alledem folgt, dass auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Runderlasses
Ermessensfehler nicht vorliegen. Soweit eine Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach
ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO auch, ob der
Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts
rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder
von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen
hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
ergänzen, vgl. § 114 Satz 2 VwGO. Eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens liegt vor
bei einer Ermessensüberschreitung und bei einem Ermessensfehlgebrauch sowie,
wenn die Behörde eine in Wahrheit nicht bestehende Beschränkung ihres
Ermessensspielraums annimmt (Ermessensunterschreitung) oder verkennt, dass sie
überhaupt ein Ermessen hat (Ermessensnichtgebrauch).
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Das beklagte Land hat weder verkannt, dass ihm ein Ermessen zustand. Auch
Ermessensfehler sind - wie oben ausgeführt - nicht zu erkennen. Das beklagte Land hat
in nicht zu beanstandender Weise sachlich gerechtfertigt, willkürfrei und auch unter
Verhältnismäßigkeitsgesichtpunkten tragbar neben einer entsprechenden
Selbstbindung und dem Bestehen einer entgegenstehenden Verwaltungspraxis auf das
die finanziellen Interessen des Klägers überwiegende Fehlen eines dienstlichen
Interesses abgestellt. Die diesen Gesichtpunkt tragenden Erwägungen sind nicht zu
bemängeln.
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Nach alledem war der Klage im Haupt- und im Hilfsantrag mit der Kostenfolge des § 154
Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708
Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung
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