Urteil des VG Aachen vom 12.10.2004

VG Aachen: wichtiger grund, ausbildung, spanien, universität, medikamentöse behandlung, anfang, klagefrist, fachhochschule, informatik, krankheit

Verwaltungsgericht Aachen, 5 K 2621/03
Datum:
12.10.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 2621/03
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 7. April
2003 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom
25. August 2003 verpflichtet, dem Kläger dem Grunde nach
Ausbildungsförderung für sein Studium der Informatik an der
Fachhochschule Aachen für den Bewilligungszeitraum von Oktober
2002 bis August 2003 zu bewilligen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
T a t b e s t a n d :
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Der am 00.00.1976 geborene Kläger zog nach dem Abitur nach Barcelona zu seiner
spanischen Familie. Er studierte an der ESADE-Universität in Barcelona ab September
1998 das Fach Wirtschaftswissenschaften. Im September 2001 brach er das Studium
ab.
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Der Kläger beantragte im Oktober 2002 die Bewilligung von Ausbildungsförderung für
das Studium der Informatik an der Fachhochschule B. , welches er zu Beginn des
Wintersemesters 2002/2003 aufgenommen hatte. Er führte zu dem vorgenommenen
Fachrichtungswechsel aus, dass er seit Anfang 2001 an einer immer wieder
auftretenden Depression gelitten habe. Anfang des Jahres 2002 habe er für zwei
Monate stationär in eine psychotherapeutische Klinik in der Bundesrepublik
aufgenommen werden müssen. Während der Therapie habe sich herausgestellt, dass er
die Fächer des Studiums im Bereich IT mit viel größerem Interesse verfolgt habe als die
der Ökonomie. Außerdem habe er die Familie und den Freundeskreis in Deutschland
vermisst. Er habe den sozialen Umgang in Spanien wegen der hohen Anstrengung und
dem großen Zeitaufwand, welcher nötig gewesen sei, um in einer fremden Sprache zu
studieren, sehr vernachlässigt.
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Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 7. April 2003 ab. Zu der
Begründung führte er an, bei dem von dem Kläger vorgenommenen
Fachrichtungswechsel könne gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ein wichtiger Grund nur bis zum Beginn
des 4. Fachsemesters anerkannt werden. Der Kläger habe jedoch sechs Semester lang
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in Spanien studiert, so dass der vorgegebene Zeitrahmen auch nach Abzug der zwei
Auslandssemester gemäß § 5 a BAföG überschritten sei. Ein unabweisbarer Grund im
Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG, welcher einen Fachrichtungswechsel auch
noch nach Beginn des 4. Semesters zulasse, sei nicht erkennbar. Die aufgetretenen
Depressionen während des Studiums in Spanien seien nicht als solcher anzuerkennen,
weil ein kausaler Zusammenhang mit dem Wirtschaftsstudium mit dem zwingenden
Erfordernis, die Fachrichtung wechseln zu müssen, fehle. Die krankheitsbedingten
Beeinträchtigungen seien vielmehr aufgetreten, weil das Studium an der spanischen
Hochschule nicht seinen Neigungen entsprochen habe. Diesem Neigungswandel hätte
der Kläger aber nach den Vorschriften des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG während der
ersten drei Semester Rechnung tragen und den Fachrichtungswechsel vollziehen
müssen.
Der Kläger erhob am 24. April 2003 Widerspruch. Er machte geltend, der entscheidende
Auslöser seiner Depression sei das falsche Studienfach gewesen. Dies habe er aber
gerade wegen der Art und Schwere seiner Erkrankung nicht rechtzeitig erkennen
können. Seine Depressionen hätten, seitdem er Informatik studiere, praktisch aufgehört.
Seine seelische Erkrankung, welche ganz entscheidend durch das falsche Studienfach
und das krankheitsbedingte Verharren in dem Fach BWL ausgelöst und verstärkt
worden sei, könne nicht anders beurteilt werden als eine körperliche Erkrankung, die es
beispielsweise einem Sportstudenten unmöglich mache, dieses Fach weiter zu
studieren.
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Die Bezirksregierung L. wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid
vom 25. August 2003 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, nach den Aussagen
des Klägers seien die gesundheitlichen Beschwerden nicht die Ursache, sondern die
Wirkung der mangelnden Eignung bzw. Neigung für das bisherige Studium. Hätte er
sich frühzeitiger mit seinen Problemen im Studium ernsthaft auseinandergesetzt, wäre
es ihm möglich gewesen, seine Nichteignung erheblich früher zu erkennen. - Der
Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 16. September 2003 zugestellt -.
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Der Kläger hat am 20. November 2003 Klage erhoben und Wiedereinsetzung in die
versäumte Klagefrist beantragt. Er macht zur Begründung geltend, es sei ihm nicht
möglich gewesen, die Klagefrist einzuhalten. Bis Ende September/Oktober sei er in
einer schweren depressiven Krankheitsphase gewesen, welche sodann in ein schweres
manisches Krankheitsbild umgeschlagen sei. Dieses sei erst Mitte November 2003
durch medikamentöse Behandlung und Erfolge einer Therapie abgeklungen. Dies
belegten die beigefügten ärztlichen Bescheinigungen vom 14. No- vember 2003. Die
Depression verursache bei ihm unter anderem eine enorme Antriebslosigkeit, ein
unentwegtes Grübeln und enorme Schamgefühle, wodurch es unmöglich sei, den
alltäglichen Verpflichtungen nachzukommen. Die manische Phase verursache einen
ungeheuren Energiefluss und totale Verwirrung. Er habe in dieser Zeit nicht die
Klagefrist einhalten können.
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Er sei während seines Studiums in Spanien nie richtig gesund gewesen. In den Zeiten,
in welchen er die Vorlesungen besucht und Prüfungen geschrieben habe, sei er
trotzdem durchgehend in einer unterschwelligen depressiven Phase gewesen. In den
Jahren von 1998 bis Ende 2001 sei die Krankheit viermal so stark ausgeprägt gewesen,
dass er während eines Zeitraums von jeweils zwei bis drei Monaten sogar Angst gehabt
habe, auf die Straße zu gehen, geschweige denn zur Universität. Er habe zur
Begründung seines Fachrichtungswechsels zunächst nur davon geschrieben, dass er
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seit Anfang 2001 an immer wieder auftretenden Depressionen gelitten habe. Hierbei sei
ihm nicht bewusst gewesen, dass der exakte Zeitraum und die Art der Erkrankung für
den BAföG-Antrag wichtig gewesen seien, deswegen habe er sich nur auf den für ihn
besonders schlimmen Zeitraum bezogen. Wenn seine Aussagen teils widersprüchlich
erschienen, so sei dies nur die Wiederspiegelung der chronologischen "Berg- und
Talfahrt", welche seine Krankheit auszeichne. Er leide an einer bipolaren Psychose und
damit an Stimmungsschwankungen, welche während der Krankheitsperioden die
gesamte Persönlichkeit einnähmen. Im Verlauf der Therapie bei Herrn Dr. C. sei ihm
mittlerweile klar geworden, dass der Krankheit außer dem für ihn ungeeigneten
Studiengang noch andere, viel schwerwiegendere familiäre Probleme zugrunde lägen.
Er habe sich in Spanien auch nicht lediglich für das 5. Semester einschreiben können.
In Spanien erfolge die Einschreibung nämlich für ein akademisches Jahr. Er habe den
Entschluss, die Fachrichtung zu wechseln, nicht früher fassen können. So sei er
während der Vorlesungszeit mehrere Male für ca. zwei Monate erkrankt. In Zeiten, in
denen sich die Symptome abgeschwächt hätten, habe er meistens sofort in einer
Nachhilfegruppe angefangen, um für Prüfungen zu lernen. Dieses Verharren in dem
Studium sei durch Schuldgefühle und starke Angst vor Versagen in den Depressionen
ausgelöst und damit krankheitsbedingt gewesen. Auch sei aus der Bescheinigung der
spanischen Universität ersichtlich, dass er die geforderten Studieninhalte von insgesamt
sechs Semestern nur für vier Semester habe erfüllen können.
Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 7. April 2003 und des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 25. August 2003 zu verpflichten,
dem Kläger dem Grunde nach Ausbildungsförderung für sein Studium der Informatik an
der Fachhochschule B. für den Bewilligungszeitraum von Oktober 2002 bis August 2003
zu bewilligen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er führt zur Begründung aus, die Erkrankung des Klägers könne nicht als
unabweisbarer Grund im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG anerkannt werden.
Selbst wenn er sich seit Beginn seines Studiums in einer unterschwellig depressiven
Phase befunden habe, hätte er spätestens Anfang 2001 die Konsequenzen aus seiner
falschen Studienwahl ziehen müssen, weil zu diesem Zeitpunkt auch für ihn erkennbare
Depressionen aufgetreten seien. Die krankheitsbedingte Entschlussunfähigkeit, die
dazu geführt haben solle, dass der Kläger zu einer Unterbrechung seines Studiums
nicht in der Lage gewesen sei, könne nicht zur Anerkennung eines unabweisbaren
Grundes führen. Der Kläger habe bis September 2001 Vorlesungen besucht und
Prüfungsleistungen erbracht. Dies schließe eine erhebliche Entschlussunfähigkeit aus.
Dass die Erkrankung des Klägers nicht im Kausalzusammenhang mit dem gewählten
Studiengang in der Fachrichtung Wirtschaft gestanden habe, sei auch daraus
erkennbar, dass auch nach dem Wechsel des Studiums erneute depressive
Krankheitsphasen aufgetreten seien. Hier liege ein Fachrichtungswechsel vor, bei dem
ein wichtiger Grund (Neigungswandel bzw. Eignungsmangel) aus vom Kläger selbst zu
vertretenden Gründen zu spät erkannt worden sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
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Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug
genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage hat Erfolg.
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Die Klage ist zulässig. Sie ist vor allem nicht wegen Versäumung der Klagefrist gemäß
§ 74 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) unzulässig.
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Der mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Widerspruchsbescheid
der Bezirksregierung L. war dem Kläger am 16. September 2003 zugestellt worden.
Zwar war auf der Postzustellungsurkunde nur die Geschäftsnummer des
Widerspruchsbescheides angebracht. Ob dies den gesetzlichen Anforderungen an eine
ordnungsgemäße Zustellung, vgl § 3 Abs. 1 Verwaltungszustellungsgesetz, genügte
oder ob es eines zusätzlichen Hinweises zur Identifizierung der Sendung (des
Widerspruchsbescheides) bedurfte,
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vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 12. Januar 1990 VI R 137/86 -, NVwZ-RR 1991, 115,
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kann hier offenbleiben. Denn selbst wenn die Zustellung des Widerspruchsbescheides
nicht an einem ihre Wirksamkeit berührenden Mangel gelitten haben sollte, so wäre die
mehr als zwei Monate nach Zustellung des Widerspruchsbescheides erhobene Klage
zwar verspätet eigereicht worden; dem Kläger wäre jedoch Wiedereinsetzung in die
versäumte Klagefrist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren. Denn er war ohne
Verschulden gehindert, die Klagefrist einzuhalten. Der Kläger hat in der Klageschrift
substantiiert dargelegt und durch das ärztliche Attest des behandelnden
Psychotherapeuten C. vom 14. November 2003 glaubhaft gemacht, dass er infolge einer
depressiven Krankheitsphase, die Anfang Oktober 2003 in ein manisches
Krankheitsbild umgeschlagen war, krankheitsbedingt nicht dazu in der Lage gewesen
ist, sich um seine persönlichen Angelegenheiten, u.a. das vorliegende Verfahren
gegenüber dem Beklagten, zu kümmern.
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Der Kläger hat den Antrag auf Wiedereinsetzung auch rechtzeitig binnen zwei Wochen
nach Wegfall des Hindernisses gestellt, § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO, und die Tatsachen
zur Begründung seines Antrages bei der Antragstellung glaubhaft gemacht. Nach den
Angaben seines Arztes in dem vorgenannten Attest vom 14. November 2003 war das
manische Krankheitsbild "erst jetzt" abgeklungen. Die Klageerhebung am 20. November
2003 erfolgte damit rechtzeitig binnen der Zweiwochenfrist.
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Die Klage ist auch begründet.
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Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Gewährung von
Ausbildungsförderung für sein Informatikstudium an der Fachhochschule in B. gemäß
§§ 11 ff. Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Er erfüllt die gesetzlichen
Voraussetzungen für die Förderung der Ausbildung nach vorgenommenem
Fachrichtungswechsel gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG.
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Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für eine andere Ausbildung
geleistet, wenn der Auszubildende, 1. aus wichtigem Grund oder 2. aus unabweisbarem
Grund, die Ausbildung abgebrochen oder die Fachrichtung gewechselt hat; bei
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Auszubildenden an Hochschulen gilt Nr. 1 allerdings nur bis zum Beginn des 4.
Fachsemesters.
Der Kläger hat die Fachrichtung gewechselt, indem er das Studium der
Betriebswirtschaft an der spanischen Universität aufgegeben und an der
Fachhochschule in B. das Studium der Informatik aufgenommen hat. Er strebt im Sinne
des § 7 Abs. 3 Satz 3 BAföG einen anderen berufsqualifizierenden Abschluss an einer
Ausbildungsstätte derselben Ausbildungsstättenart (Hochschule) an.
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Der Kläger hat den Fachrichtungswechsel vor dem Beginn des 4. Fachsemesters
vorgenommen. Er hat in Spanien in dem Zeitraum von September 1998 bis
September/Oktober 2001 Betriebswirtschaft studiert, also über die Dauer von drei
Jahren. Bei der Berechnung der in dem ersten Studium im Ausland verbrachten
Semestern bleiben allerdings zwei Semester (ein Jahr) gemäß § 5 a BAföG außer
Betracht. Gemäß dieser Bestimmung bleibt bei der Leistung von Ausbildungsförderung
für eine Ausbildung im Inland die Zeit einer Ausbildung, die der Auszubildende im
Ausland durchgeführt hat, längstens jedoch bis zu einem Jahr, unberücksichtigt. Diese
Bestimmung wirkt sich u.a. auch auf die Prüfung im Rahmen des § 7 Abs. 3 BAföG aus.
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Vgl. Wilts in Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Kommentar, Stand:
November 1999, § 5 a Rn. 4.
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Von den hiernach verbleibenden vier Semestern des Auslandsstudiums können dem
Kläger aber allenfalls drei Semester als Fachsemester im Rahmen des § 7 Abs. 3 Satz 1
BAföG angerechnet werden.
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Bei der Prüfung, wie viele Fachsemester der Auszubildende in der ersten Ausbildung
studiert hat, fällt jedes Semester, in dem die Ausbildung in der ersten Fachrichtung
erfolgt ist, ins Gewicht.
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Vgl. Blanke in Rothe/Blanke, a.a.O., § 7 Rn. 42.2.
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Hat der Auszubildende jedoch über einen gewissen Zeitraum die Ausbildung etwa
krankheitsbedingt unterbrochen, so ist diese Zeit der Unterbrechung nicht als Betreiben
der Ausbildung anzusehen, es sei denn, die Unterbrechung war so kurz bemessen,
dass eine Beeinträchtigung des Ausbildungserfolges nicht zu erwarten war.
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Vgl. Blanke in Rothe/Blanke, a.a.O., Stand: Juni 2001, § 15 Rn. 8 und 8.1.
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Zwar ist die hochschulrechtliche Einschreibung ein verlässliches Beweisanzeichen für
die Aufnahme einer förderungsfähigen Ausbildung. Der Student hat nämlich durch die
Einschreibung seine Absicht bekundet, das Studium fortzusetzen. Wer diese Erklärung
abgegeben hat, kann grundsätzlich nicht mit dem Einwand gehört werden, er habe
tatsächlich sein Studium gar nicht betrieben; denn hiermit würde er sich zu seinen
eigenen hochschulrechtlichen Erklärungen in Widerspruch setzen und versuchen, aus
einem Verstoß gegen seine Pflicht zu ordnungsgemäßem Studieren Rechtsvorteile
abzuleiten. Dies verstieße gegen das Verbot unzulässiger Rechtsausübung. Allerdings
kann der durch die Immatrikulation bewirkte Anschein, eine förderungsfähige (Vollzeit-)
Ausbildung unternehmen zu wollen, durch sonstige Umstände widerlegt werden, etwa
durch eine Berufstätigkeit, die die Arbeitskraft des Berufstätigen mit 40 Wochenstunden
bereits weitgehend in Anspruch nimmt.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 3. Juni 1988 - 5 C 59.85 -, FamRZ
1989, 216.
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Eine im Sinne des Ausbildungsförderungsrechts relevante förderungsfähige Ausbildung
ist gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG nur eine solche, welche die Arbeitskraft des
Auszubildenden im allgemeinen voll in Anspruch nimmt. Eine vollständig in Teilzeitform
durchgeführte Ausbildung etwa zählt nicht hierzu.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - 11 C 28.93 -, FamRZ 1995, 839.
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Unter Heranziehung dieser Grundsätze für die förderungsrechtliche Definition der
betriebenen Ausbildung gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der zunächst durch
die Einschreibung an der spanischen Universität bewirkte Anschein des Betreibens
einer förderungsfähigen Ausbildung im Falle des Klägers für mehrere mehrmonatige
Zeiträume widerlegt ist.
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Der Kläger hat glaubhaft dargelegt und durch die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen
belegt, dass er seit mehreren Jahren an einer schweren seelischen Erkrankung leidet.
Die Kammer hat auch keinen Zweifel an der Schilderung des Klägers über das Ausmaß
der Krankheit während seines Studiums. Auch der Beklagte hat das Zutreffen der
Angaben des Klägers hierzu nicht in Frage gestellt. Hiernach litt der Kläger in der
fraglichen Zeit an einer bipolaren Psychose, die sich in schweren mehrmonatigen
depressiven und daran anschließenden manischen Phasen äußerte. Der Kläger hat
glaubhaft geschildert, dass er in der Zeit der schweren Depressionen mehrfach über
einen Zeitraum von 2 bis 3 Monaten nicht dazu in der Lage gewesen ist, sein Zimmer zu
verlassen oder irgendeine Art von Sozialkontakt zu pflegen. Die Kammer nimmt dem
Kläger ab, dass er in diesen Phasen nicht dazu in der Lage gewesen ist, die Universität
aufzusuchen und sein Studium weiterzubetreiben. Wenn die Angaben des Klägers über
die konkreten Zeitpunkte der mehrmonatigen krankheitsbedingten Ausfälle nicht
durchweg gleich blieben, so fällt dies nicht entscheidend ins Gewicht. Vielmehr
erscheint es ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Kläger sich nach 4 bis 5 Jahren
nicht mehr exakt an bestimmte Daten zu erinnern vermag. Es spricht danach eher für die
Glaubhaftigkeit seiner Angaben, wenn er - in der mündlichen Verhandlung - einräumt,
dass er sich hinsichtlich der genauen Zeiträume nicht mehr sicher ist. Nach dem hier
maßgeblichen und stets gleichgebliebenen Kerngehalt seiner Angaben hat er sein
Studium in Spanien mehrfach über einen Zeitraum von mindestens zwei Monaten
krankheitsbedingt unterbrochen. Die erste längere Unterbrechung erfolgte im
Wintersemester 1999/2000, nachdem er damit konfrontiert worden war, dass er in
seinem Studium Vorträge halten sollte. Nachdem er im Sommersemester 2000
regelmäßig die Universität besuchte und auch mehrer Prüfungen absolvierte, kam es im
folgenden Wintersemester erneut zu einer lang andauernden depressiven Phase, in
welcher er auch ärztliche Hilfe in Spanien in Anspruch nahm. In der Zeit von Anfang bis
Mitte 2001 besuchte der Kläger überhaupt nicht die Universität, sondern nahm auf
Anraten seiner Ärzte eine Teilzeitbeschäftigung auf, um eine gesundheitliche
Besserung und Stabilisierung zu erreichen. Der Umstand, dass der Kläger in Laufe
seines Studiums in Spanien immer wieder Prüfungen absolvierte, widerlegt nicht die
Feststellung, dass er seine Ausbildung in den Zwischenzeiten unterbrochen hatte. Nach
seinen glaubhaften Angaben ging sein Bestreben nach dem Abklingen der depressiven
Phasen nämlich dahin, das gesetzte Ausbildungsziel zu erreichen, und hatte er wenige
Wochen vor den Prüfungen zu Hause angefangen zu lernen.
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Die Summierung der als krankheitsbedingte Unterbrechungen anzuerkennenden
Fehlzeiten von einmal mindestens zwei und einmal jedenfalls mehr als 4 Monaten
ergibt, dass diese mehr als ein Semester ausmachen. Diese Unterbrechungszeit ist dem
Kläger im Rahmen des § 7 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz BAföG "gutzuschreiben".
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1981 - 5 C 111/79 -, FamRZ 1982, 544: Betreffend
die Summierung von Fehlzeiten bei der Verlängerung der Förderungsdauer aus
schwerwiegendem Grund gemäß § 15 Abs. 3 BAföG.
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Steht damit fest, dass der Kläger die Fachrichtung vor dem Beginn des vierten
Fachsemesters gewechselt hat, so bedurfte er für die ausbildungsförderungsrechtliche
Anerkennung des Fachrichtungswechsels gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG eines
wichtigen Grundes hierfür. Auch diese Voraussetzung hat der Kläger erfüllt.
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Der Kläger hat vorgetragen, dass er im Verlauf des BWL-Studiums festgestellt habe,
dass er die Fächer des Studiums im Bereich IT mit viel größerem Interesse verfolgt habe
als die der Ökonomie. Der damit gegebene Neigungswandel wird grundsätzlich als
wichtiger Grund im Rahmen des § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG anerkannt. Er muss
allerdings von so schwerwiegender und grundsätzlicher Art sein, dass dem
Auszubildenden die Fortsetzung der Ausbildung nicht mehr zugemutet werden kann.
Überdies gelten mit zunehmender Dauer des Erststudiums gesteigerte Anforderungen
an die Anerkennung eines wichtigen Grundes. Es muss nämlich erwartet werden, dass
der Student sich noch im Anfangsstadium der zunächst gewählten Ausbildung von den
elementaren Fragen des später auszuübenden Berufs ein Bild macht und auch prüft, ob
er den Anforderungen genügen kann und will.
42
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Dezember 1989 - 5 C 32.84 -, Buchholz 436.36 § 7
BAföG Nr. 90; Blanke in Rothe/Blanke, a.a.O. § 7 Rn. 42.3.2.
43
Der Auszubildende ist grundsätzlich gehalten, seine Ausbildung umsichtig zu planen
und zielstrebig zu betreiben. Dazu gehört, dass dem Auszubildenden entsprechend
seinem Ausbildungsstand und Erkenntnisvermögen zuzumuten ist, den Gründen, die
einer Fortsetzung der bisherigen Ausbildung entgegenstehen, rechtzeitig zu begegnen.
Sobald ernsthafte Zweifel an der Eignung für das gewählte Fach entstehen, muss von
dem Auszubildenden verlangt werden, dass er sich alsbald Gewissheit verschafft, ob
die fehlende Eignung der Fortsetzung seiner Ausbildung entgegensteht; sodann muss
er, damit ein wichtiger Grund bejaht werden kann, unverzüglich, das heißt ohne
schuldhaftes Zögern, die erforderlichen Konsequenzen ziehen.
44
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Mai 1989 - BVerwG 5 B 117.88 - Buchholz 436.36, § 7
BAföG Nr. 83.
45
Der Kläger hat drei Jahre lang das Erststudium in Spanien betrieben, von denen
förderungsrechtlich gemäß § 5 a BAföG ein Jahr unberücksichtigt bleibt. Aber auch nach
vier Semestern bzw. zwei Jahren befand sich der Kläger nicht mehr im Anfangsstadium
der ersten Ausbildung. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, hohe Anforderungen
an die geltend gemachte Unzumutbarkeit der Fortsetzung des
Betriebswirtschaftsstudiums zu stellen.
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Nach dem beschriebenen Krankheitsbild sprechen gewichtige Anhaltspunkte dafür,
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dass der Neigungswandel des Klägers durch eine krankheitsbedingte Abneigung gegen
das Erststudium ausgelöst worden war - hierfür sprechen auch die ärztlichen
Bescheinigungen des Dr. Q. , vom 24. Februar 2003 und des Psychotherapeuten C.
vom 14. November 2003 -. Danach dürfte sich der Neigungswandel der Qualität eines
Eignungsmangels angenähert haben, welcher als wichtiger Grund im Sinne des § 7
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG auch im Falle des Ausbildungsabbruchs zu einem späteren
Zeitpunkt anzuerkennen ist,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Dezember 1989, a.a.O..
48
Überdies ist davon auszugehen, dass der Kläger krankheitsbedingt nicht dazu in der
Lage gewesen ist, den festgestellten Neigungswandel eher zu erkennen und
umzusetzen. Wie der Kläger vor allem auch in der mündlichen Verhandlung
anschaulich und insgesamt nachvollziehbar geschildert hat, war er gerade auch in den
Lebensphasen, in denen die Depressionen abgeklungen waren und in welchen er sich
besser fühlte, nicht dazu in der Lage, das gewählte Studienfach zu überdenken und die
dramatische Konsequenz eines Studienfachwechsels zu ziehen. Vielmehr bündelte er
in diesen Phasen seine Kräfte ausschließlich darauf, wieder Anschluss im sozialen
Umfeld zu finden und die erwarteten Leistungen zu erbringen. Vor diesem Hintergrund
erscheint es ohne weiteres glaubhaft, dass der Kläger erst im Verlauf der intensiven
Gespräche während seiner stationären Therapie in der Bundesrepublik Anfang des
Jahre 2002 sowohl zu der Erkenntnis, dass er das Studium wechseln sollte, als auch zu
dem Entschluss gelangt ist, dies in die Tat umzusetzen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO
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