Urteil des VG Aachen vom 14.01.2010
VG Aachen (antragsteller, selbständiges recht, schule, elterliche sorge, öffentliche sicherheit, polizei, anordnung, antrag, sohn, erlass)
Verwaltungsgericht Aachen, 6 L 533/09
Datum:
14.01.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 L 533/09
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der sinngemäß gestellte Antrag,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es zukünftig
zu unterlassen, dem Antragsteller zu untersagen, seinen Sohn E. montags nach der
Schule abzuholen,
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hat keinen Erfolg.
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Gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) darf das Gericht
über das Antragsbegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht
gebunden. Die Auslegung des Antrags hat dabei im Lichte des ermittelten
Klagebegehrens zu erfolgen.
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Davon ausgehend ist der streitgegenständliche Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung in dem oben aufgeführten Sinn zu verstehen. Der Antragsteller beantragt
wörtlich, "dass die Polizei nicht mehr in unser Familienleben eingreift und ... nicht
versucht, dieses mit Gewalt zu regeln." Hintergrund dieses Antrags ist ein Polizeieinsatz
am Montag, dem 14. Dezember 2009, als Beamte des Antragsgegners gegen den
Antragsteller einen Platzverweis aussprachen und eine Ingewahrsamnahme androhten,
um zu verhindern, dass der Antragsteller seinen Sohn E. entgegen einer
familiengerichtlichen Umgangsregelung nach der Schule abholt. Da es dem
Antragsteller darum geht, ein derartiges polizeiliches Vorgehen in der Zukunft
abzuwehren, weil er mit seinem Sohn an Montagen nach der Schule einen
Computerkurs durchführen bzw. einen "gelebten Familientag wieder (aufnehmen)" will,
ist sein Antrag bei sachgerechter Betrachtung auf einen diesbezüglichen vorläufigen
vorbeugenden Unterlassungsrechtsschutz gerichtet.
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Dieser Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
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Das bei Anträgen auf vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz erforderliche qualifizierte
Rechtsschutzinteresse liegt vor.
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Ein solcher Eilantrag ist nur zulässig, wenn dem Antragsteller ausnahmsweise nicht
zugemutet werden kann, die drohend bevorstehende etwaige Rechtsverletzung
abzuwarten, um dann dagegen - vorläufigen oder endgültigen - nachträglichen
Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
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Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 123 Rn. 71, mit weiteren
Nachweisen.
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Eine solche Situation ist hier gegeben, weil nachträglicher Rechtsschutz gegen ein
neuerliches polizeiliches Tätigwerden wie am 14. Dezember 2009 nicht mehr zur
Abwehr eines solchen Einschreitens führen könnte, sondern nur noch zur Feststellung
von dessen Rechtswidrigkeit.
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Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Voraussetzungen für den Erlass der
begehrten einstweiligen Anordnung nicht erfüllt sind.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor
Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen,
wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert
werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung,
vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden
oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123
Abs. 1 Satz 2 VwGO). Dabei hat der Antragsteller sowohl die Notwendigkeit einer
vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden
materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3
VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung).
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Daran gemessen kann der Antragsteller den Erlass der beantragten einstweiligen
Anordnung nicht beanspruchen. Er hat das Bestehen eines Anordnungsanspruchs - der
sich hier aus dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch ergeben
könnte - nicht glaubhaft gemacht.
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Mit einem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch kann der Antragsteller
verlangen, dass eine rechtswidrige Beeinträchtigung der ihm zustehenden eigenen
Rechte unterbleibt.
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An dieser Voraussetzung fehlt es aus der maßgeblichen Sicht der gerichtlichen
Entscheidung, weil Beamte des Antragsgegners dem Antragsteller am 14. Dezember
2009 zu Recht untersagt haben, seinen Sohn E. nach der Schule abzuholen, und
gleichlautende Anordnungen bei unveränderter Sach- und Rechtslage mit Blick auf die
in Ziffer 4 des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - B. vom 14. Oktober
2009 - 228 F 492/06, 228 F 401/08, 228 F 416/08 - getroffene Umgangsregelung
ebenfalls rechtmäßig wären.
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Eine derartige Untersagungsanordnung lässt sich - wie es am 14. Dezember 2009
ausweislich des polizeilichen Einsatzberichts geschehen ist - in Gestalt einer
Platzverweisung auf § 34 Abs. 1 Satz 1 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-
Westfalen (PolG NRW) oder jedenfalls auf die Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG
NRW stützen, der zufolge die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen kann, um
eine im einzelnen Fall bestehende konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit
abzuwehren, soweit nicht die §§ 9 bis 46 PolG NRW die Befugnisse der Polizei
besonders regeln.
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Eine Untersagung der im Streit stehenden Art ist in formeller Hinsicht nicht zu
beanstanden. Es gehört namentlich zu den Aufgaben der Polizei, dem nur nach
Maßgabe einer familiengerichtlichen Umgangsregelung beschränkten
Aufenthaltsbestimmungsrecht des alleinsorgeberechtigten Elternteils - hier der
Kindesmutter - in unaufschiebbaren Eilfällen Geltung zu verschaffen.
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Der Schutz privater Rechte obliegt der Polizei gemäß § 1 Abs. 2 PolG NRW nach
diesem Gesetz nur, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn
ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich
erschwert werden würde.
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Das ist hier der Fall.
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Das polizeiliche Eingreifen vom 14. Dezember 2009 - und entsprechendes Handeln in
der Zukunft - dient dem Schutz des privatrechtlich in § 1631 Abs. 1 des Bürgerlichen
Gesetzbuches (BGB) verankerten Aufenthaltsbestimmungsrechts der Kindesmutter, der
die elterliche Sorge über E. durch den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - B.
vom 25. März 2009 - 228 F 492/06 - zur alleinigen Ausübung übertragen worden ist.
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Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist Teil der Personensorge. Ihm steht das
Umgangsrecht des nicht sorgeberechtigten Elternteils nach § 1684 Abs. 1 BGB als
selbständiges Recht gegenüber, wobei das Umgangsrecht und das Personensorgerecht
sich gegenseitig beschränken.
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Vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. Dezember 1968 - IV ZB 1035/68 -, Neue
Juristische Wochenschrift 1969, 422; Diederichsen, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, §
1684 Rn. 5.
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Das Aufenthaltsbestimmungsrecht des alleinsorgeberechtigten Elternteils ist so weit
beschränkt, wie das Umgangsrecht des anderen Elternteils reicht. Bezogen auf den
vorliegenden Fall bedeutet dies, dass dem Antragsteller ein Umgangsrecht zur Zeit (nur)
in dem in Ziffer 4 des vorzitierten Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - B.
vom 14. Oktober 2009 geregelten Umfang zusteht (vgl. § 1684 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4
Satz 1 BGB): Danach ist dem Antragsteller 14-tägig von Freitag nach der von seinem
Sohn besuchten offenen Ganztagsschule bis zum Beginn des darauf folgenden
Montags zu Beginn der Schule ein Umgangsrecht eingeräumt.
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Der Schutz des lediglich während dieser Zeitspanne begrenzten
Aufenthaltsbestimmungsrechts der alleinsorgeberechtigten Kindesmutter kann in der
zugrunde liegenden Fallkonstellation (amts-)gerichtlich nicht rechtzeitig gewährleistet
werden; seine Verwirklichung würde ohne polizeiliche Hilfe vereitelt. Die Festsetzung
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eines Zwangsgeldes gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in
Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.
Dezember 2008 - FamFG - (BGBl. I S. 2586), das am 1. September 2009 in Kraft
getreten ist, durch das Amtsgericht - Familiengericht - allein wäre zur rechtzeitigen
Durchsetzung der gegenwärtigen Umgangsregelung nicht gleichermaßen geeignet.
Dessen ungeachtet müsste die Kindesmutter wiederum polizeiliche Hilfe in Anspruch
nehmen, um ihr Aufenthaltsbestimmungsrecht zu verwirklichen, wenn der Antragsteller
seinen Sohn der bestehenden Umgangsregelung zuwider erneut montags nach der
Schule abholen würde. Entsprechendes gilt, würde die Kindesmutter eine einstweilige
Anordnung durch das Amtsgericht - Familiengericht - nach § 119 Abs. 1 Satz 1 FamFG
erwirken, die dem Antragsteller ein Abholen des Kindes nach der Schule außerhalb der
bestehenden Umgangsregelung untersagte.
Das streitgegenständliche polizeiliche Handeln ist auch materiell rechtmäßig. Der
bevorstehende Verstoß gegen die in Ziffer 4 des Beschlusses des Amtsgerichts -
Familiengericht - B. vom 14. Oktober 2009 - 228 F 492/06, 228 F 401/08, 228 F 416/08 -
festgelegte Umgangsregelung stellt eine Gefahr für das nur nach den Vorgaben dieses
Beschlusses eingegrenzte Aufenthaltsbestimmungsrecht der Kindesmutter dar, welche
die Polizei aufgrund der genannten Ermächtigungsgrundlagen abwehren kann.
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Soweit der Antragsteller vorträgt, das streitige Einschreiten der Polizei sei
unverhältnismäßig, ist darauf hinzuweisen, dass keine milderen Mittel ersichtlich sind,
um die konkrete Konfliktsituation, die durch das montägliche Abholen seines Sohnes
von der Schule durch den Antragsteller entsteht, effektiv zu bewältigen. Die
herbeigerufene Polizei ist an die familiengerichtliche Umgangsregelung gebunden; sie
kann keine davon abweichende Entscheidung treffen. Will der Antragsteller eine solche
erreichen, muss er dies - wenn keine Einigung mit der Kindesmutter gelingt - beim
Amtsgericht - Familiengericht - beantragen. Dies hat er offenbar parallel zu dem
vorliegenden Verfahren auch bereits getan hat, wie aus der Abgabeverfügung des
Amtsgerichts - Familiengericht - B. an das beschließende Gericht vom 16. Dezember
2009 hervorgeht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 des
Gerichtskostengesetzes (GKG). Sie berücksichtigt, dass in Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes wegen des lediglich vorläufigen Charakters der begehrten
Entscheidung der Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG, von dem hier auszugehen ist,
regelmäßig lediglich zur Hälfte angesetzt wird.
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