Urteil des VG Aachen vom 09.09.2010

VG Aachen (kläger, höhe, treu und glauben, vermögensübertragung, vater, eltern, anrechenbares vermögen, grobe fahrlässigkeit, eigene mittel, behauptung)

Verwaltungsgericht Aachen, 5 K 1829/09
Datum:
09.09.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 1829/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund
des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden
Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger studierte ab dem Wintersemester 2003/2004 Bioingenieurwesen an der
Fachhochschule in B. . Auf seinen Antrag bewilligte der Beklagte ihm
Ausbildungsförderung für sein Studium für die nachfolgenden Bewilligungszeiträume: -
gemäß Bescheid vom 30. Oktober 2003 für September 2003 in Höhe von 467 EUR -
gemäß Bescheid vom 30. Oktober 2003 für den Zeitraum von Oktober 2003 bis August
2004 in Höhe von 530 EUR monatlich - gemäß Bescheid vom 28. Oktober 2004 für den
Zeitraum von September 2004 bis August 2005 in Höhe von 530 EUR monatlich -
gemäß Bescheid vom 30. August 2005 für den Zeitraum von September 2005 bis
August 2006 in Höhe von 530 EUR monatlich.
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Im Juli 2005 erhielt der Beklagte Kenntnis davon, dass der Kläger im Jahr 2003
Freistellungsaufträge bei der Volksbank L. in Höhe von 109 EUR und bei der
Bausparkasse T. I. in Höhe von 201 EUR in Anspruch genommen hatte.
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Auf die Aufforderung des Beklagten, sein gesamtes Kapitalvermögen für die
vergangenen Bewilligungszeiträume darzulegen und nachzuweisen, legte der Kläger
u.a. Depotkontoübersichten und Erträgnisaufstellungen für bei der Volksbank L. geführte
Konten vor. Darüber hinaus gab er an, im Jahre 2001 einen Jahreswagen der Marke P.
B1. für 19.300 DM gekauft zu haben. Aus diesem Autokauf habe er Schulden bei
seinem Vater gehabt, welche er im Jahr 2004 mit dem Kapital aus seinem
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zuteilungsfähigen Bausparvertrag Nr. E 00 000 000 A 00 bei der Bausparkasse T. I. in
Höhe von 7.060 EUR getilgt habe.
Hinsichtlich des ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge für das Konto Nr.
000000000 am 19. August 2003 und damit 1 Monat vor Antragstellung überwiesenen
Betrages von 9.500 EUR gab der Kläger ebenfalls an, hiermit die Schulden aus dem
Autokauf getilgt zu haben.
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Der Beklagte hob mit Bescheid vom 17. Juni 2008 die Bewilligungsbescheide für die
Zeiträume von September 2003 bis August 2006 auf und forderte überzahlte
Ausbildungsförderung in Höhe von insgesamt 16.089,00 EUR zurück. In der
Begründung führte er aus, es sei nicht glaubhaft, dass die Eltern des Klägers den
Autokauf im Jahr 2001 finanziert hätten. Der Kläger habe seinerzeit eigene Einkünfte in
Höhe von ca. 5.000 DM monatlich gehabt. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben
des Klägers ergäben sich auch daraus, dass er insgesamt 16.560 EUR für die
Schuldentilgung eingesetzt haben wolle, obwohl der PKW nur 19.300 DM gekostet
habe. Es müsse davon ausgegangen werden, dass das Guthaben kurz vor der
Beantragung von Ausbildungsförderung rechtsmissbräuchlich auf die Eltern übertragen
worden sei. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da die früheren
Bewilligungsbescheide zumindest auf der grob fahrlässigen Unterlassung von Angaben
über Vermögen beruht hätten. Im Rahmen der Ermessensbetätigung sei das öffentliche
Interesse in Anbetracht der Tatsache, dass Ausbildungsförderung eine Sozialleistung
sei, die dafür bestimmt sei, bedürftigen Studierenden eine angemessene Ausbildung zu
ermöglichen, höher zu bewerten als das private Interesse des Klägers, überzahlte
Ausbildungsförderung behalten zu dürfen.
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Der Kläger erhob am 14. Juli 2008 Widerspruch. Er führte aus, der Beklagte habe die für
die Rückforderung maßgebliche einjährige Frist versäumt. Seine Eltern seien ihm, als er
das Auto gekauft habe, nicht mehr unterhaltspflichtig gewesen. Sie hätten ihm nämlich
bereits eine dreijährige Ausbildung zum milchwirtschaftlichen Laboranten finanziert. Als
Laborant habe er ca. 2000 EUR brutto verdient. Hiervon habe er seinen Eltern einen
Mietbetrag leisten müssen, auch habe er Kosten für private Unfall- und
Rentenversicherungen gehabt. Er sei nicht dazu in der Lage gewesen, das Fahrzeug
mit eigenen Mitteln zu finanzieren.
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Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 28.
September 2009 zurück.
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Der Kläger hat am 8. Oktober 2009 Klage erhoben. Er macht geltend, er habe bei der
Antragstellung keine falschen Angaben über sein Vermögen gemacht. Er habe zum
Antragszeitpunkt nicht mehr über die Freibeträge übersteigendes Vermögen verfügt.
Danach, wie seine Vermögenssituation vor Antragstellung gewesen sei, sei er nicht
gefragt worden. Die Konstruktion der sogenannten rechtsmissbräuchlichen
Vermögensübertragung sei höchst zweifelhaft. Nach den gesetzlichen Bestimmungen
des Bundesausbildungsförderungsgesetzes komme es allein auf die
Vermögensverhältnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung an. Die Verwaltungsgerichte
und Behörden überschritten den ihnen eingeräumten Auslegungsspielraum, wenn sie
entgegen dem Wortlaut des Gesetzes auch Zeiträume für maßgeblich hielten, die vor
der Antragstellung lägen. Es sei auch zweifelhaft, dass es unschädlich sein solle, wenn
vor der Antragstellung Vermögen zwar verbraucht, aber nicht verschenkt werden dürfe.
Dem Auszubildenden dürfe jedenfalls nicht der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gemacht
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werden, wenn er im Zusammenhang mit der Antragstellung nicht darauf hingewiesen
worden sei, dass auch vorher übertragenes Vermögen anzugeben sei.
Der Kläger beantragt,
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den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 17. Juni 2008 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2009 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er wiederholt und vertieft zur Begründung die Ausführungen in den angegriffenen
Bescheiden.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Vaters des Klägers, X. X1. , als
Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die
Sitzungsniederschrift verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Akte der Staatsanwaltschaft B. 805 Js 487/09 sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
17
Die Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 17. Juni 2008 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 28. September 2009 ist rechtmäßig, § 113 Abs. 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Rechtsgrundlage des Rückforderungsbescheides ist § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch
Buch 10 (SGB X). Hiernach darf ein begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, soweit er rechtswidrig ist, unter den Einschränkungen der
Abs. 2 bis 4 des § 45 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die
Vergangenheit zurückgenommen werden.
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Die Leistung von Ausbildungsförderung an den Kläger in den im Bescheid
bezeichneten Bewilligungszeiträumen war rechtswidrig, weil der Kläger in dem
genannten Zeitraum über anrechenbares Vermögen im Sinne der §§ 26 ff. des
Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung
(Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) verfügte, welches seinen
ausbildungsförderungsrechtlichen Bedarf überstieg.
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Das Vermögen des Klägers belief sich bei Antragstellung am 16. September 2003
gemäß der insoweit unstreitigen Aufstellung des Beklagten zunächst auf 9.939,11 EUR,
bei der zweiten Antragstellung am 8. Juli 2004 auf 3.024,80 EUR. Diesen Beträgen sind
weitere Positionen hinzuzurechnen, nämlich der Betrag von 9.500 EUR, welchen der
Kläger am 19. August 2003 auf seinen Vater übertragen hatte, und der am 31. März
2004 ebenfalls auf den Vater übertragene Betrag von 7.060 EUR. Das hiernach
zugrunde zu legende Gesamtvermögen des Klägers überschritt nach Abzug der
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geltenden Freibeträge und Anrechnung des Verbrauchs aus dem vorherigen
Bewilligungszeitraum seinen ausbildungsförderungsrechtlichen Bedarf in dem von dem
Beklagten errechneten Umfang.
Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass er über die beiden genannten Beträge
bei Antragstellung nicht mehr verfügt hatte. Die Übertragung des Vermögens vor
Antragstellung auf den Vater ist als rechtsmissbräuchlich zu bewerten mit der Folge,
dass es dem Kläger nach wie vor anzurechnen ist.
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Der Auszubildende handelt in dem Fall, dass die Ausbildungsförderung erst nach der
Verwertung des anzurechnenden Vermögens für den Lebensunterhalt und die
Ausbildung einsetzt, dann rechtsmissbräuchlich, wenn er, um eine Anrechnung von
Vermögen im folgenden Bewilligungszeitraum zu vermeiden, Vermögen an einen
Dritten unentgeltlich überträgt, anstatt es für seinen Lebensunterhalt einzusetzen.
Unabhängig von der bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit der unentgeltlichen
Vermögensübertragung hat dies förderungsrechtlich zur Folge, dass das übertragene
Vermögen dem Auszubildenden weiterhin zugerechnet und nach Maßgabe der §§ 26
bis 30 BAföG auf den Bedarf angerechnet wird.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 13. Januar 1983 - 5 C 103.80 -,
FamRZ 1983, 1174; Verwaltungsgerichtshof Bad-Württ., Urteil vom 21. Februar 1994 - 7
S 197/93 -, FamRZ 1995, 62.
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Ein gewichtiges Indiz für die Absicht des Auszubildenden, durch die
Vermögensübertragung eine Anrechnung von Vermögen zu vermeiden, liegt vor, wenn
diese zeitnah zur Beantragung von Ausbildungsförderung erfolgt.
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Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Auszubildende subjektiv verwerflich gehandelt
hat. Allein maßgeblich ist, ob die Vermögensverfügung etwa zeitnah zu der
Antragstellung und ohne gleichwertige Gegenleistung erfolgt ist sowie im Widerspruch
zu dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck steht. In diesem Fall
kann der Auszubildende durch Ausschöpfen der nach bürgerlichem Recht zulässigen
Gestaltungsmöglichkeiten nicht erreichen, dass ihm Ausbildungsförderung zuerkannt
wird.
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Vgl. Sächsisches OVG, Urteil vom 2. Februar 2009 - 1 A 50/08 - juris; Bayerischer VGH,
Urteile vom 24. Sept. 2008 - 12 B 08.1061 -, juris, und vom 23. April 2008 - 12 B 06.1397
-, juris; BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1983 - 5 C 103/80 -, juris; VGH Baden-
Württemberg, Urteil vom 29. April 2009 - 12 S 2493/06 -, juris.
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Diese rechtliche Konsequenz, die aus dem rechtsmissbräuchlichen Handeln des
Auszubildenden folgt, beruht letztlich auf dem in der Rechtsordnung allgemein
anerkannten Grundsatz, dass das Ausnutzen einer Rechtslage, die gegen den
Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches) verstößt, als
Rechtsüberschreitung missbräuchlich und unzulässig ist.
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Die Vermögensübertragung auf den Vater des Klägers war nach diesen Maßstäben
rechtsmissbräuchlich. Sie erfolgte nur knapp einen Monat und für den zweiten
Bewilligungszeitraum gut 3 Monate vor der Beantragung von Ausbildungsförderung und
damit in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Antragstellung. Nach dem Ergebnis
der mündlichen Verhandlung besteht für das Gericht kein vernünftiger Zweifel daran,
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dass der Kläger das Vermögen in der Absicht auf seinen Vater übertragen hatte, die
Anrechnung desselben auf seinen ausbildungsförderungsrechtlichen Bedarf zu
verhindern. Dem Kläger ist es nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass
den Zahlungen ernstgemeinte Schuldverpflichtungen zugrunde gelegen hatten. Die
behauptete Darlehensverpflichtung aus dem Autokauf vom 25. Juli 2001 ist nicht
glaubhaft. Erste begründete Zweifel an dem Wahrheitsgehalt dieser Behauptung rührten
bereits daher, dass der Kläger die Übertragung beider Vermögensbeträge im
Gesamtumfang von 16.560 EUR mit derselben Darlehensverpflichtung begründete,
obwohl der Kaufpreis, den der Vater vorgestreckt haben sollte, nur 19.300 DM (9.867,93
EUR) betragen hatte. Obwohl der Kläger auf diesen Umstand im Verwaltungsverfahren
mehrfach und deutlich hingewiesen worden war, gab er hierzu keine Erklärung ab.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erstmals angegeben, er habe den
zweiten Betrag auf die Eltern übertragen, weil er mit diesen verabredet habe, aus
seinem Einkommen einen Mietbeitrag zu leisten. Diese Behauptung ist unglaubhaft. Es
erscheint bereits lebensfremd, dass Eltern mit ihrem im Haushalt lebenden Sohn, der
über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.600 oder 2.700 DM verfügt, eine
Beteiligung an den laufenden Lebenshaltungskosten in Gestalt eines Einmalbetrages in
unbestimmter Höhe verabreden. Auf diesen Umstand hingewiesen, erklärte der Kläger
in der mündlichen Verhandlung, als monatlicher Mietbeitrag seien "so 300 DM oder 400
DM" gemeint gewesen; er habe dieses Geld aber nicht monatlich ausgezahlt. Dies
vermochte der als Zeuge gehörte Vater des Klägers bereits nicht zu bestätigen. Er
behauptete vielmehr, der Kläger habe von Zeit zu Zeit einen Anteil an den
Lebenshaltungskosten gezahlt, dabei sei auch bestimmt schon mal ein Betrag von
1.000 EUR oder 2.000 EUR gewesen. Weder der Kläger noch der Zeuge zeigten sich
dazu in der Lage, zu dieser Frage einer "Mietbeteiligung" konkretere Angaben zu
machen. Der Zeuge vermochte allein zu bestätigen, dass er von seinem Sohn Geld für
den vorgestreckten PKW-Kaufpreis erhalten habe. Welchem Zweck die zweite
Überweisung dienen sollte, konnte er dagegen nicht mehr sagen.
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Die (späte) Behauptung, die zweite Überweisung auf ein Konto des Vaters sei erfolgt,
weil mit den Eltern auch eine Mietbeteiligung verabredet gewesen sei, sieht das Gericht
nach allem als mit der Absicht im Nachhinein konstruiert an, den Mangel des bisherigen
Sachvortrages über die Rückzahlung des Kaufpreisdarlehens zu beheben.
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Das Gericht nimmt dem Kläger auch nicht die Behauptung ab, dass sein Vater ihm den
Kaufpreis für den PKW im Juli 2001 geliehen habe, weil er selbst das Geld nicht gehabt
habe. Der Kläger hatte wie ausgeführt ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von
2.600 DM oder 2.700 DM. Er musste nach seinen eigenen Angaben mit seinem
Monatseinkommen keine nennenswerten Kosten finanzieren. Vor diesem Hintergrund
ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger, nachdem er über mehr als ein Jahr das
angegebene Nettoeinkommen bezogen hatte, über keinerlei eigene Mittel für die
Anschaffung des PKW verfügt haben will. Eine plausible Erklärung hierfür hat der
Kläger auch auf nachdrückliche Befragung nicht zu liefern vermocht. Seine Behauptung,
er habe gut gelebt und Party gemacht, ist völlig unsubstantiiert geblieben.
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Auch die Vernehmung des Zeugen hat nicht den Beweis der Behauptung des Klägers
erbracht. Durchgreifende Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen ergaben sich
bereits daraus, dass dieser sich - wie auch der Kläger - auf Nachfragen wiederholt nicht
an wesentliche Details von angeblichen Absprachen und Zahlungsvorgängen zu
erinnern vermochte. Noch nicht einmal hinsichtlich des eigenen Nettoeinkommens in
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der fraglichen Zeit konnte der Zeuge verlässliche Angaben machen. Für unglaubhaft
hält das Gericht aber vor allem die Behauptung, dass die Eltern des Klägers, die nach
einem Hausbau und daraus herrührenden Zahlungsverpflichtungen nicht über
Vermögen verfügt hatten, ihre eigens aufgebauten Rücklagen dem Kläger zur
Verfügung stellten, damit dieser sich ein Auto kaufen konnte, obwohl er selbst über ein
regelmäßiges Einkommen in nicht geringer Hohe verfügte. Eine schlüssige Erklärung
hierfür war den Aussagen des Zeugen auch auf nachdrückliche Befragung nicht zu
entnehmen. Nach allem ist die behauptete Vermögensübertragung rechtlich als
Schenkung zu bewerten, welche in Widerspruch zu dem mit der Vermögensanrechnung
verfolgten Gesetzeszweck steht. Der Kläger kann durch die unentgeltliche
Vermögensübertragung nicht erreichen, dass ihm Ausbildungsförderung zuerkannt wird.
Der Kläger kann sich nicht auf Vertrauen im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X
berufen. Hiernach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht
zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des
Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen
Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X
kann sich auf Vertrauen jedoch nicht berufen, wer die Rechtswidrigkeit des
Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Nach der
gesetzlichen Definition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X liegt grobe
Fahrlässigkeit vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße verletzt hat. Bei der Frage, welche Anforderungen an die Auslegung
des Begriffs "erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt" zu stellen
sind, ist von dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten
Grundsatz auszugehen, dass der Auszubildende gehalten ist, dazu beizutragen,
rechtswidrige Leistungen von Ausbildungsförderung an ihn zu vermeiden; daraus ergibt
sich u. a. die Verpflichtung, Bewilligungsbescheide zu überprüfen und auf
Überzahlungen zu achten. Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 2004 - 5 B 52/04 -,
juris, mit weiteren Nachweisen.
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Der Kläger hat mindestens grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit der Bewilligung von
Ausbildungsförderung nicht erkannt. In den von ihm zu Beginn jedes
Bewilligungszeitraums ausgefüllten Antragsformularen wurde nach vorhandenem
Vermögen gefragt. Der Kläger kann sich insoweit nicht darauf berufen, dass er in den
maßgeblichen Zeitpunkten tatsächlich nicht mehr über das in Rede stehende Vermögen
verfügte.
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Wer im Fall einer zeitnah herbeigeführten Bedürftigkeit die hierfür kausale
unentgeltliche Vermögensübertragung bei der Antragstellung auf Ausbildungsförderung
verschweigt, verletzt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem
Maße. Dies gilt auch für den Fall, dass im Antragsformular nicht ausdrücklich nach im
Vorfeld der Antragstellung unentgeltlich an Dritte übertragenem Vermögen gefragt wird.
Dem Auszubildenden hätte es sich aufdrängen müssen, dass die Voraussetzungen für
den Erhalt von Ausbildungsförderung erst durch diese Vermögensübertragung
geschaffen wurden und deshalb zum vorhandenen Vermögen auch solches zählen
könnte, welches zuvor ohne nach außen ersichtliche Gegenleistung an einen
Familienangehörigen überwiesen wurde. Auch einem Rechtsunkundigen muss sich hier
aufdrängen, dass dem Missbrauch von Sozialleistungen Vorschub geleistet werden
könnte, wenn Angaben zu solchen Vorgängen entbehrlich wären.
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Vgl. Sächsisches OVG, Urteil vom 2. Februar 2009, a.a.O.; Bayerischer VGH, Urteile
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vom 24. Sept. 2008, a.a.O., und vom 23. April 2008 a.a.O.
Damit, dass die rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung
ausbildungsförderungsrechtlich unschädlich sein würde, durfte der Kläger nach allem
nicht rechnen. Wenn er dennoch davon ausgegangen sein sollte, dass sich sein
rechtsmissbräuchliches Handeln auf die Rechtmäßigkeit der Bewilligungsbescheide
nicht auswirken würde, ist dies mindestens als grob fahrlässig zu bewerten.
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Der Beklagte hat die hier nach § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X geltende Zehnjahresfrist
für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide eingehalten.
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Der Beklagte hat schließlich auch das ihm in § 45 Abs. 1 SGB X eingeräumte Ermessen
betätigt. Die hierbei angestellten Erwägungen sind rechtlich nicht zu beanstanden.
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Die Erstattungsforderung des Beklagten findet ihre Rechtsgrundlage in § 50 Abs. 1 SGB
X.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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