Urteil des VG Aachen vom 28.06.2007

VG Aachen: vorsitz, landrat, höchstzahl, fraktion, stellvertreter, ausschuss, kreis, anmerkung, verwaltung, wahlvorschlag

Verwaltungsgericht Aachen, 4 K 466/05
Datum:
28.06.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 466/05
Tenor:
Es wird festgestellt, dass den Klägerinnen das Zugriffsrecht auf den
Vorsitz und den stellvertretenden Vorsitz des Bauausschusses im
Kreistag des Kreises E. zusteht und sie das Zugriffsrecht auf den Vorsitz
des Bauausschusses mit der Benennung des Kreistagsmitgliedes H. A.
als Ausschussvorsitzende wirksam ausgeübt haben. Im Übrigen wird die
Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte zu 5/6, die Klägerinnen als
Gesamtschuldnerinnen zu 1/6.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden,
wenn der jeweilige Vollstreckungsgläubiger nicht zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerinnen sind Fraktionen im beklagten Kreistag des Kreises E. . Sie wenden
sich gegen die vorgenommene Zuweisung des Zugriffrechts auf den Vorsitz und den
stellvertretenden Vorsitz des Bauausschusses an einen anderen
Fraktionszusammenschluss.
2
Im 54-köpfigen Beklagten ist seit der Kommunalwahl vom 25. September 2004 die CDU
mit 28 Mitgliedern, die SPD mit 16, die Grünen mit 4, die FDP mit 3, die PDS mit 2 und
die Wählergemeinschaft JüL mit einem Mitglied vertreten. In seiner Sitzung vom 3.
November 2004 befasste sich der Beklagte unter dem Tagesordnungspunkt 15 mit dem
Verfahren zur Besetzung der Ausschüsse des Kreistages E. . Der Beklagte beschloss
jeweils einstimmig, neben den gesetzlich vorgeschriebenen vier Ausschüssen sieben
weitere zu bilden, die Anzahl der Mitglieder der Fachausschüsse auf jeweils 17
festzulegen und zu Mitgliedern der Ausschüsse die in einem einheitlichen
Wahlvorschlag aufgeführten Personen zu wählen. Für die Klägerin zu 1) wurden als
Mitglied des Bauausschusses ein sachkundiger Bürger und als dessen Stellvertreter ein
weiterer sachkundiger Bürger sowie sämtliche Mitglieder der Fraktion gewählt. Für die
3
Klägerin zu 2) wurden als beratendes Mitglied ein sachkundiger Bürger und als dessen
Stellvertreter ein weiterer sachkundiger Bürger in den Bauausschuss gewählt.
Zu diesem Zeitpunkt lag dem Landrat des Kreises E. ein Schreiben der Klägerinnen
(Anlage 3 zur Niederschrift über die Kreistagssitzung) vor, wonach diese zum Zwecke
eines Zugriffs auf die Ausschussvorsitze bzw. stellvertretenden Ausschussvorsitze
einen Zusammenschluss für einen gemeinsamen Wahlvorschlag - sog. Liste 2 -
beschlossen hatten. Den Ausschuss, auf dessen Vorsitz und dessen stellvertretenden
Vorsitz sie Zugriff nehmen wollten und die Namen der Personen, die sie als
Vorsitzenden bzw. stellvertretenden Vorsitzenden benennen wollten, würden sie noch
mitteilen. Des weiteren lag dem Landrat ein Schreiben der Fraktionen der CDU, der
SPD und der FDP (Anlage 4 zur Niederschrift über die Kreistagssitzung) über einen
gemeinsamen Vorschlag zur Verteilung der Ausschussvorsitze - sog. Liste 1 - vor, in
dem für den Bauausschuss, den Kreisentwicklungsausschuss, den Kulturausschuss,
den Sportausschuss, den Schulausschuss, den Sozial- und Gesundheitsausschuss,
den Rechnungsprüfungsausschuss und den Umwelt- und Landschaftspflegeausschuss
jeweils Mitglieder der CDU- bzw. SPD-Fraktion als Vorsitzende bzw. stellvertretende
Vorsitzende benannt wurden. Für den an neunter Stelle aufgeführten
Wahlprüfungsausschuss wurden keine Personen benannt.
4
Nach der Niederschrift über die Kreistagssitzung änderte die Liste 1 aufgrund des
Vorliegens von zwei Fraktionszusammenschlüssen ihre Erklärung über die Reihenfolge
des Zugriffs auf die Ausschussvorsitze dahingehend ab, dass sie auf den
Bauausschuss erst als achten Ausschuss zugreifen wolle.
5
In der Niederschrift heißt es nunmehr wie folgt:
6
"... Für die Liste 1 stimmen 48 Kreistagsabgeordnete und für die Liste 2 stimmen 6
Kreistagsabgeordnete.
7
Der Landrat zieht zwischen den beiden letzten und gleichhohen Höchstzahlen (6) das
Los, welches auf die Liste 2 entfällt.
8
Herr KTA L. erklärt für die Liste 2, dass sie auf den Bauausschuss zugreife und benennt
Frau KTA A. als Vorsitzende und sich selber als stellv. Vorsitzenden.
9
Der Landrat stellt fest, dass die Liste 2 über keinen Kreistagsabgeordneten im
Bauausschuss verfüge und daher ihren Zugriff verliere, der dann auf die nächste
Höchstzahl fiele. Aufgrund unterschiedlicher Bewertungen sagt der Landrat zu, die
Verschiebung des Zugriffsrecht noch mal rechtlich zu prüfen und den Kreistag
entsprechend zu unterrichten (sh. Anmerkung).
10
Aufgrund der vorliegenden Vorschläge (Anlage 4) und des Ergebnisses der Prüfung (sh.
Anmerkung) ergibt sich folgendes Ergebnis im Rahmen des Zugreifverfahrens:
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Ausschuss Vorsitzender Stellvertreter 1 Kreisentwicklungsausschuss L1. T. E1. . S2.
O2. 2 Kulturausschuss L2. S. S3. von M. 3 Sportausschuss N. L3. I1. -Q. T3. 4
Schulausschuss B. O. -D. U. T4. 5 Sozial- und Gesundheitsausschuss F. L4. H1. N1. 6
Rechnungsprüfungsausschuss K. K1. T1. S4. L5. 7 Umwelt- und
Landschaftspflegeausschuss I. K2. . X. S3. von M. 8 Bauausschuss S1. T2. I2. I3. 9
Wahlprüfungsausschuss O1. .O1. . O1. .O1. .
12
Anmerkung der Verwaltung: Die rechtliche Bewertung und das Ergebnis zum o.a.
Zugreifverfahren wurde den Fraktionsvorsitzenden wie folgt mit Schreiben vom
03.11.2004 mitgeteilt:
13
Nach § 41 Abs. 7 KrO NRW werden den Fraktionen die Ausschussvorsitze in der
Reihenfolge der Höchstzahlen zugeteilt, soweit keine Einigung zustande kommt. Da
diese Einigung nicht zustande gekommen ist, wurden zwei Listenvorschläge
eingereicht. Für die Liste CDU/SPD/FDP/JüL (Liste 1) stimmten 48 Kreistagsmitglieder
und für die Liste GRÜNE/PDS (Liste 2) stimmten 6 Kreistagsmitglieder. Somit entfielen
auf die Liste 1 die ersten sieben Höchstzahlen nach d'Hondt. Die Höchstzahlen 8 und 9
mussten durch Losentscheid zugeteilt werden. Nach dem durch den Landrat gezogenen
Los entfiel die Höchstzahl 8 auf die Liste 2 und die Höchstzahl 9 auf die Liste 1. Die
Listenverbindung 2 benannte darauf hin im Rahmen des Zugreifverfahrens den
Bauausschuss. Da zuvor bereits die Ausschüsse besetzt wurden und im Bauausschuss
die Listenverbindung 2 über kein Kreistagsmitglied verfügt, verliert diese Liste mangels
Kreistagsmitgliedern ihr Zugriffsrecht, welches damit auf die Liste mit der nächsten
Höchstzahl übergeht.
14
Grundlage dieser Auslegung ist § 41 Abs. 7 KrO NRW, der festlegt, dass die
Ausschussvorsitzenden aus der Mitte der den Ausschüssen angehörenden
stimmberechtigten Kreistagsmitgliedern von den Fraktionen bestimmt werden. Folglich
verliert die Liste 2 aus den vorgenannten Gründen ihr Zugriffsrecht.
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In der Kommentierung von Kirchhoff/Wansleben/Becker zu § 41 der Kreisordnung NRW
wird unter Ziffer 11.3 folgendes ausgeführt: 'Ist eine Fraktion mangels
Kreistagsmitgliedern in den zur Verfügung stehenden Ausschüssen nicht in der Lage,
den ihr zustehenden Vorsitz zu übernehmen, so geht das Zugriffsrecht auf die Fraktion
mit der nächsten Höchstzahl über.'
16
Über die nächste Höchstzahl - Nr. 9 - verfügt nach dem vorangegangenen Losentscheid
die Liste 1, die somit nachrückt und den Zugriff auf den Vorsitz im Bauausschuss hat.
Von diesem Recht wurde mit der in der Kreistagssitzung vorgelegten Liste 1 Gebrauch
gemacht und der neue Vorsitzende und sein Stellvertreter benannt. Hiermit sind die
Höchstzahlen 1-9 verbraucht, so dass für den Zugriff auf den übrig gebliebenen
Wahlprüfungsausschusses die Höchstzahl 10 maßgeblich ist. Diese Höchstzahl entfällt
nach den in der Kreistagssitzung abgegebenen Stimmen (siehe oben) auf die Liste 1.
Demnach ist von dieser Listenverbindung ein Vorsitzender und ein Stellvertreter für den
Wahlprüfungsausschuss in der nächsten Kreistagssitzung zu benennen. Diese
Mitteilung kann aber auch dem Landrat zugeleitet werden, der dies dann dem Kreistag
bekannt gibt. ..."
17
In einem an die Klägerinnen gerichteten Schreiben vom 3. November 2004 führte der
Landrat des Kreises E. aus, die Liste 2 habe ihr Zugriffsrecht verloren, da sie in dem von
ihr benannten Bauausschuss nicht durch ein Kreistagsmitglied vertreten sei. Das
Zugriffsrecht sei auf die Fraktion mit der nächsten Höchstzahl übergegangen. Davon
habe die Liste 1 in der Kreistagssitzung Gebrauch gemacht. Damit seien die
Höchstzahlen 1-9 verbraucht gewesen, so dass für den übrig gebliebenen
Wahlprüfungsausschuss die Höchstzahl 10 maßgeblich gewesen sei, der auf die Liste 1
entfalle. Von dieser Liste sei in der nächsten Kreistagssitzung ein Vorsitzender und ein
stellvertretender Vorsitzender zu benennen. Die Mitteilung könne auch dem Landrat
18
zugeleitet werden, der sie dann dem Kreistag bekannt gebe.
Mit einem an den Landrat des Kreises E. gerichteten Schreiben vom 25. November
2004 wandten sich die Klägerinnen gegen die Niederschrift über die Sitzung des
Kreistages vom 3. November 2004. Die Sachverhaltsdarstellung zu TOP 15,
Zugreifverfahren auf die Ausschussvorsitze, sei unzutreffend. Sie entspreche nicht dem
tatsächlichen Ablauf. Richtig sei vielmehr, dass der Landrat erklärt habe, die Liste 2
habe keinen gültigen Wahlvorschlag gemacht, weil die zum Ausschussvorsitzenden
und zum stellvertretenden Ausschussvorsitzenden vorgeschlagenen Personen nicht
Mitglieder im Bauausschuss seien. Er habe vorgeschlagen, um juristische Fehler zu
vermeiden das Verfahren zu stoppen und bei der Kommunalaufsicht eine rechtliche
Auskunft einzuholen. Die Kreistagsmitglieder hätten Zustimmung signalisiert. Damit sei
aber eine Wahl des Vorsitzes und des stellvertretenden Vorsitzes des Bauausschusses
nicht erfolgt. Dieser Ablauf werde auch in einem entsprechenden Zeitungsbericht
geschildert.
19
Mit Schreiben vom 2. Dezember 2004 bat die Klägerin zu 1) die Kommunalaufsicht um
rechtliche Überprüfung des Vorgangs. Nach Anhörung des Landrats teilte die
Kommunalaufsicht mit Schreiben vom 17. Dezember 2004 mit, sie könne in der
Vorgehensweise des Landrats keinen Rechtsverstoß erkennen. Nach der Niederschrift
und den ergänzenden Ausführungen des Landrats sei anzunehmen, dass das
Zugriffsverfahren nicht abgebrochen worden sei.
20
Nachdem der sachkundige Bürger, der für die Klägerin zu 1) in den Bauausschuss
gewählt worden war, seinen Rücktritt erklärt hatte, wählte der Beklagte in seiner Sitzung
vom 21. Dezember 2004 unter dem Tagesordnungspunkt 16 das Mitglied der Klägerin
zu 1), Frau H. A. zur Nachfolgerin. Als Nachfolger des ebenfalls zurückgetretenen
stellvertretenden Ausschussmitgliedes wählte der Beklagte das Mitglied der Klägerin zu
1), Herrn Oliver L. , zum stellvertretenden Mitglied des Bauausschusses.
21
Zum Tagesordnungspunkt 18 "Einwendungen ... " heißt es in der Niederschrift:
22
"18. Einwendungen der Fraktionen von H2. und Q1. gegen die Niederschrift über die 2.
Sitzung des Kreistages am 03.11.2004 - TOP 15 - Zugreifverfahren (Drs.Nr. 540/04n)
Herr KTA L. widerspricht den Darstellungen in der Niederschrift zur 2. Sitzung des
Kreistages am 03.11.2004 und gibt den damaligen Sitzungsverlauf zum
Zugreifverfahren der Ausschussvorsitze aus seiner Sicht wieder. Demnach sei das
Zugreifverfahren nicht abgeschlossen worden und in der heutigen Sitzung seien die
notwendigen Umbesetzungen erfolgt.
23
Da sich hierzu keine Mehrheit im Kreistag abzeichnet, erklärt Herr KTA L. , dass seine
Fraktion den weiteren Rechtsweg beschreiten werde.
24
Er beantragt namentliche Abstimmung. Der Kreistag stimmt dem zu.
25
Der Landrat erläutert das Verfahren. Jeder Kreistagsabgeordneter wird persönlich
aufgerufen und erklärt, ob er der Beschlussvorlage der Verwaltung zustimmt oder nicht
bzw. sich der Stimme enthält.
26
..."
27
Im Ergebnis fasste der Beklagte dann mit 48 zu 5 Stimmen den Beschluss, die
Einwendungen der Klägerinnen zur Kenntnis zu nehmen und festzustellen, dass das
Zugreifverfahren am 3. November 2004 ordnungsgemäß abgeschlossen worden sei und
der rechtlichen Prüfung der Verwaltung hinsichtlich der ordnungsgemäßen Abwicklung
des Zugreifverfahrens gefolgt werde.
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Zum Tagesordnungspunkt 19 "Benennung des Ausschussvorsitzenden und des
Stellvertreters des Bauausschusses" lag dem Beklagten ein Schreiben der Klägerinnen
vom 2. Dezember 2004 vor, wonach sie das Kreistagsmitglied A. als Vorsitzende des
Bauausschusses und das Kreistagsmitglied L. als stellvertretenden
Ausschussvorsitzenden benennen. In der Niederschrift über die Kreistagssitzung heißt
es zu diesem Tagesordnungspunkt:
29
"19. Benennung der Ausschussvorsitzenden und des Stellvertreters des
Bauausschusses (Drs.Nr. 536/04n)
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Sh. Ausführungen zu TOP 18.
31
Der Kreistag lehnt mit Mehrheit den Antrag der H2. -Fraktion ab."
32
Die Klägerinnen haben am 18. März 2005 Klage erhoben, zu deren Begründung sie
unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens ergänzend ausführen, die Klage sei
als Feststellungsklage zulässig. Die Benennung der Ausschussvorsitze verletze sie in
ihren organschaftlichen Rechten. Bei der rechtlichen Würdigung sei von dem
tatsächlichen Verlauf der Kreistagssitzung auszugehen, so wie er in dem Bericht der
Dürener Nachrichten geschildert werde. Zwar bestimme die Geschäftsordnung des
Beklagten, dass Einwendungen gegen die Niederschrift einer Kreistagssitzung dem
Landrat schriftlich zuzuleiten seien und der Beklagte über die Einwendungen in der
folgenden Sitzung entscheide. Dies könne jedoch nicht dazu führen, dass der
tatsächliche Verlauf einer Sitzung einer gerichtlichen Rechtskontrolle entzogen werde.
Es sei zwischen der Verteilung der Bestimmungsrechte für die Ausschussvorsitze bzw.
die stellvertretenden Ausschussvorsitze einerseits und der Benennung der Personen für
diese Positionen andererseits zu unterscheiden. Eine gesetzliche Regelung, wonach
derjenige sein Bestimmungsrecht verliere, der eine Person benenne, die nicht
Ausschussvorsitzender sein könne, existiere nicht. Auch sei nicht geregelt, wann die
Benennung erfolgen müsse. Im Übrigen sei es den Klägerinnen nicht unmöglich
gewesen, geeignete Personen zu benennen. Zum Einen seien durch die erfolgten
Rücktritte und Nachwahlen nunmehr Mitglieder der Klägerinnen im Bauausschuss
vertreten, zum Anderen müssten die benannten Personen nicht der benennenden
Fraktion angehören. Nur diese Auslegung der Kreisordnung sei mit den
verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie vom Bundesverfassungsgericht und
Bundesverwaltungsgericht entwickelt worden seien, vereinbar. Im Übrigen hätten
Mehrheitsfraktionen es ansonsten in der Hand, zunächst über die Ausschussbesetzung
abstimmen zu lassen und im nachfolgenden Zugriffverfahren den kleineren Fraktionen
nur den Zugriff auf die Ausschüsse zu gewähren, in denen diese nicht durch
Kreistagsmitglieder vertreten seien. Der Landrat habe zudem auf eine Anfrage des
Vorsitzenden der Klägerin zu 1), ob es sinnvoll sei, die Tagesordnung dahingehend zu
ändern, dass zunächst die Ausschussvorsitze verteilt würden, geäußert, die Reihenfolge
sei fest vorgegeben. Im Übrigen wäre ein Antrag, die Tagesordnung zu ändern, aller
Voraussicht nach nicht angenommen worden. Eine unverzügliche Benennung der
Personen für die Vorsitze sei nicht erforderlich gewesen. Die erste Sitzung des
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Bauausschusses habe erst am 22. April 2005 stattgefunden.
Die Klägerinnen beantragen,
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festzustellen, dass ihnen das Zugriffsrecht auf den Vorsitz des Bauausschusses zusteht
und sie dieses mit der Benennung der Kreistagsmitglieder H. A. als Vorsitzende und
Oliver L. als stellvertretenden Ausschussvorsitzenden wirksam ausgeübt haben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
37
Die Sitzung des Kreistags am 3. November 2004 sei so verlaufen wie in der
Niederschrift dargestellt. Ob es zweckmäßig gewesen sei, die Wahl der
Ausschussmitglieder vor dem Zugriffsverfahren auf die Ausschussvorsitze
durchzuführen, sei allein Entscheidung des Beklagten. Die Klägerinnen hätten eine
andere Reihenfolge beantragen können, dies jedoch nicht getan. Ihre Auffassung, es sei
eine Besetzung der Ausschussvorsitze ohne namentliche Benennung der Vorsitzenden
möglich, lasse unberücksichtigt, dass der Beklagte und seine Fachausschüsse
unverzüglich handlungsfähig sein müssten. Hierzu bedürfe es eines Vorsitzenden, der
zu einer ersten Sitzung einladen könne. Die Liste 2 sei zudem gar nicht in der Lage
gewesen, einen Vorsitzenden des Bauausschusses zu benennen, der Mitglied des
Ausschusses und gleichzeitig des Kreistags sei. Dann müsse das Vorschlagsrecht auf
jemanden übergehen, der dazu in der Lage sei.
38
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
39
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
40
Die Klage ist als Feststellungsklage im Rahmen eines Organstreits zulässig. Ein
Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO- ist
nicht auf Außenrechtsverhältnisse beschränkt, sondern umfasst ebenso die
Rechtsverhältnisse zwischen Organen oder Organteilen juristischer Personen,
41
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen - OVG NRW -, Urteile
vom 26. November 2002 - 15 A 662/02 - und vom 8. Oktober 2002 - 15 A 4714/01 -.
42
Vorliegend steht im Streit, ob den Klägerinnen, also Organteilen des Beklagten, gemäß
§ 41 Abs. 7 Sätze 2-4 der Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen - KrO NRW -
das Zugriffsrecht auf den Vorsitz und den stellvertretenden Vorsitz des Bauausschusses
des Kreistages des Kreises E. zusteht und sie dieses Zugriffsrecht wirksam ausgeübt
haben.
43
Die auch für eine Feststellungsklage entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche
Klagebefugnis
44
vgl. OVG NRW, a.a.O.,
45
ist gegeben. Die Klägerinnen machen ein Recht geltend, das ihnen als Organteil des
Beklagten zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesen ist. § 41 Abs. 7 Sätze 2-4 KrO
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NRW soll im Interesse des Minderheitenschutzes verhindern, dass die
Kreistagsmehrheit die Minderheit bei der Besetzung der Ausschussvorsitze übergehen
kann. Indem die Klägerinnen sich auf diese Norm berufen, machen sie somit die
Verletzung einer Rechtsnorm geltend, die ihnen als wehrfähige Innenrechtsposition
zugewiesen ist.
Die Klage ist im tenorierten Umfang auch begründet.
47
Den Klägerinnen steht das Zugriffsrecht auf den Vorsitz und den stellvertretenden
Vorsitz des Bauausschusses im Kreistag des Kreises E. zu.
48
Die Klägerinnen haben das Zugriffsrecht gemäß § 41 Abs. 7 Satz 2 KrO NRW erworben.
Die für den Zugriff auf den Bauausschuss maßgebliche achte Höchstzahl entfiel unter
Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens auf die von den Klägerinnen
gebildete Liste 2. Diese Liste 2 umfasste insgesamt sechs Mitglieder, bestehend aus
den beiden Klägerinnen. Die Liste 1 der Fraktionen der D1. , T5. und G. umfasste
insgesamt 47 Mitglieder. Der Liste 1 durften nicht 48 Mitglieder zugeordnet werden. Die
dem Landrat übermittelte Erklärung der Vorsitzenden der Fraktionen der D1. , T5. und G.
war nur von diesen, nicht aber von dem Kreistagsabgeordneten der
Wählergemeinschaft JüL unterzeichnet. Damit lag zu Beginn des Zugriffsverfahrens
keine eindeutige und unmissverständliche Erklärung,
49
vgl. zu diesem Erfordernis OVG NRW, OVG NRW, Beschluss vom 25. April 1996 - 15 B
2786/95 - NWVBl 1996, 334,
50
der Fraktionen von D1. , T5. , und G. sowie auch des Vertreters der JüL vor, einen
Fraktionszusammenschluss zu bilden. Der bloße Umstand, dass in der vom Landrat
durchgeführten, aber vom Gesetz nicht vorgesehenen Abstimmung 48 Stimmen für die
Liste 1 gestimmt haben, ersetzt die erforderliche eindeutige Erklärung aller beteiligter
Fraktionen über einen Zusammenschluss nicht. Im Übrigen war dem Kreistagsmitglied
der Wählergemeinschaft JüL ein Zusammenschluss mit den Fraktionen der D1. , T5.
und G. zum Zwecke des gemeinsamen Ausübens des Zugriffrechts auch aus
Rechtsgründen verwehrt. § 41 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 2 KrO NRW erlaubt nur den
Zusammenschluss von Fraktionen. Anders als bei den Wahlen zur Besetzung der
Ausschüsse (§ 35 Abs. 3 KrO NRW) weist die Kreisordnung in § 41 Abs. 7 das
Zugriffsrecht auf die Vorsitze der Ausschüsse eindeutig nur den Fraktionen und keinen
sonstigen Zusammenschlüssen von Kreistagsmitgliedern zu. Der ohne Begründung
vom Gesetzeswortlaut abweichenden Auffassung,
51
vgl. Held / Becker / Plückhahn u. a., Kommunalverfassungsrecht Band II, Kreisordnung
NRW, § 41 Anm. 11.3.,
52
kann daher nicht gefolgt werden. Der einzige Vertreter der JüL im Kreistag bildet aber
keine Fraktion, vgl. § 40 Abs. 1 Satz 2 KrO NRW.
53
Ausgehend von diesen Mitgliederzahlen entfiel die achte Höchstzahl auf die
Klägerinnen. Eine Losziehung hätte demnach nicht erfolgen dürfen, wenngleich diese
aus Gründen des Zufalls letztlich auch dazu geführt hat, den Klägerinnen das
Zugriffsrecht auf den Vorsitz und den stellvertretenden Vorsitz des Bauausschusses
zuzusprechen.
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Die Klägerinnen haben ihr Zugriffsrecht nicht verloren. Die Kreisordnung sieht keine
gesetzliche Regelung über den Verlust des Zugriffsrechts vor. Die Auffassung des
Landrats, die Klägerinnen hätten ihr Zugriffsrecht verloren, da sie über keinen
Kreistagsabgeordneten im Bauausschuss verfügten, findet im Gesetz keine Stütze.
Fraktionen oder Fraktionszusammenschlüsse, denen ein Zugriffsrecht auf den Vorsitz
eines Ausschusses zusteht, sind nicht verpflichtet, eine Person als Vorsitzenden zu
benennen, die der eigenen Fraktion oder dem Fraktionszusammenschluss angehört. §
41 Abs. 7 Satz 1 KrO NRW regelt eindeutig den Kreis der Personen, die von einer
Fraktion oder einem Fraktionszusammenschluss als Vorsitzende bestimmt werden
dürfen. Die Zugehörigkeit zur eigenen Fraktion verlangt das Gesetz für die erstmalige
Bestimmung eines Vorsitzenden nicht. Demzufolge kann der Umstand, dass im
Bauausschuss kein Mitglied der Klägerinnen als stimmberechtigtes Mitglied vertreten
war, nicht zu einem Verlust des Zugriffrechts geführt haben.
55
Ob die Klägerinnen aus Gründen der Handlungsfähigkeit des Beklagten und seiner
Organteile ihr Zugriffsrecht hätten verlieren können, wenn sie innerhalb einer ihnen vom
Beklagten gesetzten angemessenen Frist zur Bestimmung eines (stellvertretenden)
Vorsitzenden einen solchen nicht wirksam benannt hätten, bedarf hier keiner
abschließenden Entscheidung, da der Beklagte den Klägerinnen keinerlei Frist zur
Bestimmung des (stellvertretenden) Vorsitzenden eingeräumt hat, sondern der
unzutreffenden Auffassung des Landrats gefolgt ist, die Klägerinnen hätten ihr
Zugriffsrecht mangels eines eigenen Mitgliedes im Bauausschuss bereits unmittelbar
verloren. Voraussetzung eines solchen Verlustes wären in jedem Fall entsprechende
Beschlüsse des Beklagten und keine bloßen Feststellungen des Landrats.
56
Die Kammer weist im Übrigen auf Folgendes hin: Wenn der Beklagte - wie vorliegend
geschehen - die Mitglieder der Ausschüsse wählt, bevor die Fraktionen entscheiden
können, auf welche Vorsitze sie Zugriff nehmen, dann muss den Fraktionen oder
Fraktionszusammenschlüssen, die erst nachrangig ihr Zugriffsrecht ausüben können, für
den Fall, dass sie in dem ihnen verbleibenden Ausschuss über kein "eigenes"
stimmberechtigtes Kreistagsmitglied verfügen, angemessene Zeit zur Bestimmung des
Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden eingeräumt werden. Andernfalls hätte
es die Kreistagsmehrheit in der Hand, durch gezielte Ausübung des eigenen
Zugriffsrechts den Zugriff der Minderheit auf einen ihr kraft Gesetzes nach dem
zahlenmäßigen Ergebnis zustehenden Vorsitz unmöglich zu machen.
57
Die Klägerinnen haben ihr Zugriffsrecht auf den Vorsitz - nicht jedoch auf den
stellvertretenden Vorsitz des Bauausschusses - wirksam ausgeübt. Mit der Wahl des
Kreistagsmitgliedes A. zum Mitglied des Bauausschusses in der Kreistagssitzung vom
21. Dezember 2004, wurde die bereits mit Schreiben vom 2. Dezember 2004 erklärte
Benennung dieses Kreistagsmitgliedes zur Vorsitzenden des Bauausschusses
wirksam.
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Die Benennung des Kreistagsmitglieds L. zum stellvertretenden Ausschussvorsitzenden
stellt demgegenüber keine wirksame Ausübung des Zugriffsrechtes dar, da dieser
Kreistagsabgeordnete kein reguläres Mitglied des Bauausschusses ist. Auch
stellvertretende Vorsitzende eines Ausschusses müssen nach § 41 Abs. 7 Satz 6 KrO
NRW i.V.m. § 41 Abs. 7 Satz 1 KrO NRW aus dem Kreis der Kreistagsmitglieder
bestimmt werden, die stimmberechtigte Mitglieder dieses Ausschusses sind. Diesem
Kreis gehören stellvertretende Ausschussmitglieder und damit das benannte
Kreistagsmitglied L. nicht an, vgl. § 41 Abs. 3 Satz 4 KrO NRW.
59
Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte zu 5/6, die Klägerinnen zu 1/6, vgl. §§
154 Abs. 1, 155 Abs. 1 VwGO. Hierbei hat die Kammer das Interesse der Klägerinnen
an der Klärung des Innehabens des Zugriffrechts mit 2/3 und die Frage der wirksamen
Ausübung dieses Rechts mit 1/3 des Gesamtstreitwertes gewichtet.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
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