Urteil des VG Aachen vom 14.04.2010

VG Aachen (kostenbeitrag, festsetzung, einkommen, verwaltungsgericht, jugendamt, schätzung, jugendhilfe, höhe, hauptsache, ermessen)

Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 2177/08
Datum:
14.04.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 K 2177/08
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des in der Hauptsache erledigten Verfahrens, in dem
Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Klägerin zu einem
Zehntel und der Beklagte zu neun Zehntel.
Gründe:
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Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für
erledigt erklärt hatten, war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1
Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- analog) und ist lediglich noch nach billigem
Ermessen über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 VwGO).
Billigem Ermessen entspricht es in der Regel, dem die Kosten aufzuerlegen, der im
Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Dies ist hier unter verschiedenen
Aspekten zu beurteilen.
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Für eine teilweise Kostenbelastung der Klägerin spricht, dass sie auch nach Abschluss
des vorliegenden Rechtsstreits einen Kostenbeitrag zu zahlen hat. Ferner hat sie
insoweit Anlass zum vorliegenden Verfahren gegeben, weil sie im
Verwaltungsverfahren weder Angaben zu ihrer familiären Situation noch den
Einkommensverhältnissen gemacht, noch sich mit dem Jugendamt persönlich in
Verbindung gesetzt hat, um ihre wirtschaftliche Situation als Inhaberin eines
Friseursalons zu erläutern und entsprechende weitere Sachaufklärung durch den
Steuerberater anzubieten.
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Für die weit überwiegende Kostenbelastung des Beklagten spricht, dass der
angefochtene Kostenbeitragsbescheid vom 21. Oktober 2010 eine Reihe von
Rechtsfragen aufwirft, die erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Bescheides wecken. Die Festsetzung eines Kostenbeitrags in Höhe der tatsächlichen
Kosten einer stationären Maßnahme der Jugendhilfe ist hier schon deshalb fehlerhaft,
da sie den Kostenbeitrag des Kindesvaters und das in jedem Fall (§ 94 Abs. 3 SGB VIII)
einzusetzende Kindergeld außer Acht lässt. Bei dieser Handhabung ist die
Schutzgrenze des § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII zu Lasten der Klägerin nicht beachtet
worden.
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Im Übrigen ist eine solche geschätzte Festsetzung im geltenden Recht nur als letztes
Mittel zulässig. Da der Beklagte die ihm davor gegebenen Handlungsmöglichkeiten
nicht ausgeschöpft hat, hätte die angefochtene Festsetzung auch von daher
voraussichtlich keinen Bestand gehabt.
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Ist ein Elternteil verpflichtet, im Rahmen einer vollstationären Maßnahme der Hilfe zur
Erziehung einen Kostenbeitrag zu leisten (vgl. § 91 Abs. 1 SGB VIII), so hat das
Jugendamt ihn im Rahmen der Information nach § 92 Abs.3 SGB VIII u.a. über die
Pflicht zur Offenlegung seiner Einkommensverhältnisse zu unterrichten. Kommt die
Mutter oder der Vater dieser Verpflichtung nicht nach, wird der Beklagte einen an diese
konkrete Person adressierten Bescheid nach § 97a Abs. 1 oder 2 SGB VIII erlassen.
Reagiert der Kostenbeitragspflichtige immer noch nicht, kann der Beklagte bei einem in
abhängiger Arbeit Beschäftigten nach § 97 a Abs. 4 SGB VIII vorgehen und sich die
erforderlichen Informationen beim Arbeitgeber beschaffen. Für das weitere Vorgehen
bei nicht mitwirkungswilligen Selbständigen und den Angehörigen der freien Berufe
enthält das SGB VIII keine ausdrückliche Regelung. Aber auch hier sind dem
Jugendamt nicht völlig die Hände gebunden kann, sondern es kann - soweit erforderlich
- nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung des Bescheides nach § 97 a
Abs. 1 oder 2 SGB VIII anordnen und mit dem Instrumentarium des
Verwaltungsvollstreckungsrechts gegen den Auskunftsunwilligen vorgehen. Dabei wird
in der Regel ein - an den Kosten der Jugendhilfemaßnahme orientiertes - Zwangsgeld
in Betracht kommen, das aber nicht nur angedroht und festgesetzt sondern auch
durchgesetzt werden muss, um den Druck auf die Informationswilligkeit der
Kostenbeitragspflichtigen zu erhöhen. Sollten auch diese Maßnahmen keinen Erfolg
bringen, hat die Behörde zu prüfen, ob die erforderlichen Informationen durch eine
Anfrage nach § 21 Abs. 4 SGB X bei den Finanzbehörden beschafft werden können.
Schlägt auch diese Aufklärungsmöglichkeit fehl, mag dann erwogen werden, inwieweit -
wie im früheren Sozialhilferecht -,
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vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.
November 1993 - 25 A 1237/92 -, NVwZ 1995, 186 ff. = FEVS 45, 68 ff.
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als ultima ratio eine Einkommensschätzung in Betracht kommt. Es empfiehlt sich
allerdings, die auf einer solchen Schätzung beruhenden Kostenbeitragsbescheide mit
einer Nebenbestimmung im Sinne des § 32 SGB X zu versehen, etwa einem Vorbehalt
des Widerrufs bei Vorlage der geforderten tatsächlichen Einkommensnachweise oder
die getroffene Regelung als vorläufigen Bescheid zu erlassen, wobei sich bei letzterem
das (zusätzliche) Problem stellt, ab welchem Zeitpunkt oder bei welchem Ereignis die
Vorläufigkeit enden soll.
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Aber auch eine Schätzung im Rahmen des jugendhilferechtlichen Kostenbeitragsrechts
muss sich - wie sich aus § 94 Abs. 1 SGB VIII ergibt - allein am Einkommen des
Kostenbeitragspflichtigen ausrichten und darf nicht - wie im angefochtenen Bescheid
vom 21. Oktober 2008 geschehen - an den Kosten der Maßnahme anknüpfen. Knüpfte
man am Einkommen an, setzte ein Kostenbeitrag in Höhe von 4.000 EUR nach § 5 Abs.
1 und 2 KostenbeitragsV unter Berücksichtigung einer nach § 93 Abs. 2 und 3 SGB VIII
vorgenommenen Bereinigung der Bruttoeinkünfte ein Nettoeinkommen des
Beitragspflichtigen von monatlich 16.000 EUR voraus. Ein solches Einkommen ist aber
bei einem kleineren Friseursalon fernliegend.
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Schließlich kann der Beklagte zur Begründung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
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Bescheides auch nicht darauf zurückgreifen, dass er bei anderen der Jugendhilfe
zuzuordnenden Materien - etwa den Elternbeiträgen im Kindergarten - bei fehlenden
oder unzureichenden Angaben zur Einkommenshöhe einfach den höchsten
Elternbeitrag fordern darf. Denn dafür gibt es im Kindergartenrecht eine ausdrückliche
Rechtsgrundlage. Früher war dies in § 17 Abs. 3 Satz 4 GTK geregelt; soweit dem
Gericht dies bekannt ist, haben die meisten Städte heute eine wortgleiche Bestimmung
in ihre örtlichen Satzungen übernommen. Demgegenüber kennt weder das SGB VIII
noch die KostenbeitragsV eine entsprechende Norm. Eine entsprechende Anwendung
der Praxis des Kindergartenbeitragsrechts auf den Kostenbeitrag nach dem SGB VIII
scheitert im Übrigen schon daran, dass die Tabelle Anhang zu § 1 der KostenbeitragsV,
die mit einem Kostenbeitrag von 2.500 EUR endet, nicht abschließend ist, sondern das
Gesetz darüber hinausgehend - wie oben bereits dargelegt - nach § 5 KostenbeitragsV
für die Festsetzung eines Kostenbeitrags bei besonders hohen Einkommen eine von der
Tabelle abweichende gesonderte Berechnung vorsieht.
Diesen Erwägungen war im Rahmen einer Kostenentscheidung nach §°161 Abs. 2
VwGO entsprechend Rechnung zu tragen. Die ausgesprochene Quotelung
berücksichtigt die rechtliche Verantwortung der Beteiligten für den Ausgang des
vorliegenden Verfahrens. Der von der Klägerin geforderte Kostenbeitrag beträgt zwar
weniger als 10 % des im angefochtenen Bescheid geforderten Zahlbetrags; das Gericht
hat aber bei der Quotelung auch die Säumigkeit der Klägerin berücksichtigt. Der hohe
Anteil des Beklagten an den Verfahrenskosten beruht auf der weit überwiegenden
Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus §
188 Satz 2 VwGO.
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