Urteil des VG Aachen vom 30.03.2010

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Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 1056/09
Datum:
30.03.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 1056/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
T a t b e s t a n d:
1
Der Kläger wendet sich mit der vorliegenden Klage gegen die im Mai 2009 der getrennt
lebenden Ehefrau bewilligten Hilfe zur Erziehung für die beiden aus der Ehe
hervorgegangenen Kinder.
2
Der 1960 geborene Kläger ist Dipl. Kaufmann (univ.) und Berufssoldat. Dienstort bis
zum Jahresende 2007 war N. . Im Range eines Oberstleutnants im Generalstab versieht
er seit dem Jahresbeginn 2008 seinen Dienst im Zentrum für Transformation der
Bundeswehr in P. . Aus der 1994 geschlossenen Ehe mit der zwei Jahre jüngeren
Ehefrau sind die am 29. Juni 1999 und am 22. Oktober 2004 geborenen Kinder D. und
D1. hervorgegangen.
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Seit September 2007 leben die Eheleute getrennt. Der Kläger lebt in P. ; seine Ehefrau
verblieb - an unterschiedlichen Wohnorten - im Kreis F. . Nach der Trennung lebten die
Kinder zunächst überwiegend im Haushalt der Kindesmutter, besuchten aber
regelmäßig am Wochenende und in den Ferien den Kläger. In der Folge stritten sich die
Eheleute u.a. um das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Personensorge betr. die
Kinder. Dieser Komplex war auch Gegenstand mehrerer familiengerichtlicher
Entscheidungen, die im Folgenden dargestellt werden, soweit es für das vorliegende
Verfahren von Bedeutung ist:
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Nach den vom Gericht (vorübergehend) beigezogenen Akten des Amtsgerichts (AG) F.
hat das Familiengericht - nach Anhörung der Eltern und der Kinder - mit Beschluss vom
12. März 2008 - 18 F 357/07 - angeordnet:
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"Im Wege der einstweiligen Anordnung wird das Aufenthalts-bestimmungsrecht
bezüglich der Kinder D. I. , geb. 29.06 1999, und D1. I. , geb. am 22.10.2004, auf die
Antragstellerin [das ist die Ehefrau des Klägers] übertragen."
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Durch Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 5. Mai 2008 - 14 UF 54/08 -wurde
die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde des Klägers zurückgewiesen.
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Im März 2008 beauftragte das AG F. die Sachverständige Frau Prof. B. mit der
Erstellung eines familienpsychologischen Gutachtens, in dem zur Regelung der
elterlichen Sorge geklärt werden sollte, ob ein Aufenthalt beim Vater oder der Mutter
dem Wohl der Kinder besser entspricht bzw. wohin die Neigungen und Bindungen der
Kinder zu den Elternteilen gehen. In diesem Rahmen sollte u.a. die Frage der
Erziehungsfähigkeit beider Eltern geklärt werden sollte. Dieses Gutachten wurde unter
dem 22. August 2009 erstellt.
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Nach einem regulären Besuchskontakt in P. vom 23. bis 25. Mai 2008 brachte der
Kläger die beiden Kinder nicht zurück und trug vor, es sei der Wunsch der Kinder,
zukünftig in seinem Haushalt zu leben. Das von ihm angestrengte Eilverfahren auf
Übertragung des alleinigen Personensorgerechts blieb nach einem gerichtlichen
Anhörungstermin beim Amtsgericht F. ohne Erfolg. Die Kinder waren anschließend
vorübergehend nicht auffindbar und wurden bundesweit polizeilich gesucht. Erst Mitte
August 2008 wurden sie in Begleitung der Großmutter väterlicherseits von bayerischen
Polizeidienststellen angetroffen. Die Herausgabe musste durch Androhung von
Zwangsmitteln erzwungen werden, bevor die Kinder zur Kindesmutter zurückgebracht
werden konnten. Beide Kinder besuchten erst in der 2. Septemberhälfte 2008 wieder die
Schule bzw. den Kindergarten in N. .
9
In der Folge entschied das AG F. mit Beschluss vom 30. September 2008 - 14 F 369/08
- :
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"Die Gesundheitsfürsorge und das Recht, Maßnahmen zur Unterstützung für die
gemeinsamen Kinder D. , geb. 29.06 1999, und D1. , geb. am 22.10.2004, in Anspruch
zu nehmen, wird auf die Antragstellerin übertragen."
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Die Kinder lebten in der Folge im Haushalt ihrer Mutter, ohne dass diese zunächst
erzieherische Hilfen beim Jugendamt des Beklagten beantragte.
12
Im Februar 2009 kam es zu einer erheblichen Gewaltanwendung der Mutter gegenüber
D. . Dies hatte zur Folge, dass das vom Kläger hierüber informierte Jugendamt des
Beklagten die Kinder in Obhut nahm.
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Mit Antrag vom 26. Februar 2009 beantragte die Kindesmutter beim Beklagten Hilfe zur
Erziehung für D. . Mit Antrag vom 2. März 2009 beantragte sie beim Beklagten Hilfe zur
Erziehung für D1. .
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Mit bezüglich der Kinder getrennten Bescheiden vom 11. Mai 2009 bewilligte der
Beklagte der Ehefrau Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung in einer betreuten
Wohnform nach den §§ 27, 34 und 36 SGB VIII. Er erwarte, dass sie bei der
Durchführung der Hilfe mitwirke. Mit der Durchführung der Jugendhilfe wurde eine
familienintensive Außenwohngruppe des I1. -K. -Hauses V. , die Familie H. , beauftragt.
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Nachdem die Kindesmutter als Inhaberin des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Kinder
die beiden Kinder aus der Familienintensivgruppe H. am 29. Oktober 2009 - ohne
vorherige Abstimmung mit dem Jugendamt - herausgenommen hatte stellte der Beklagte
mit Bescheiden vom 3. November 2009 die Hilfe zur Erziehung rückwirkend zum 29.
16
Oktober 2009 ein.
Nach dieser Entwicklung und unter Berücksichtigung des Gutachtens von Frau Prof. Dr.
B. vom 22. August 2009 beschloss das Amtsgericht F. betr. die Personensorge für die
Kinder schließlich unter dem vom 2. März 2010 - 14 F 369/08 -:
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"Das Aufenthaltsbestimmungsrecht bezüglich der Kinder D. I. , geboren am 29. Juni
1999, und D1. I. , geboren am 22. Oktober 2004, wird den Kindeseltern entzogen und
auf das Kreisjugendamt übertragen."
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Jeweils eine Fotokopie der beiden Bewilligungsbescheide vom 11. Mai 2009
übersandte der Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom
11. Mai 2009 mit der Bitte, sie an den Kläger zur Kenntnis weiterzuleiten.
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Der Kläger hat am 15. Juni 2009 bei Gericht einen Schriftsatz angebracht. Dort heißt es:
"Ich bitte dieses Schreiben, sofern ich klageberechtigt bin, als solches zu werten".
Zugleich bat er um einen entsprechenden Hinweis, damit er einen Anwalt mit der
Klagebegründung beauftragen könne. Falls er nicht klageberechtigt sei, bitte er
gleichfalls um einen Hinweis, welche Rechtsmittel ihm gegen den Beklagten zustünden.
Auf einen Hinweis des Vorsitzenden, dass eine "bedingte Klageerhebung" unzulässig
sei und Rechtsberatung nicht Aufgabe des Gerichts sondern der Rechtsanwaltschaft
sei, erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 17. August 2009 die ausdrückliche
Rücknahme der Einschränkung in seiner Klageschrift vom 9. Juni 2009 "sofern ich
klageberechtigt bin". Die vom Beklagten bewilligte Hilfe zur Erziehung sei nicht
erforderlich, da er willens und in der Lage sei, seine Kinder zu erziehen. Der Beklagte
überziehe ihn seit 2007 mit zahlreichen unberechtigten Vorwürfen. Er fühle sich
grundlos kriminalisiert und willkürlich behandelt. Dies gelte auch für die Behandlung
durch das Amtsgericht - Familiengericht - F. . Als Beleg fügte er ein Konvolut von
Schriftverkehr mit dem Amtsgericht F. und der Staatsanwaltschaft C. bei. Die
Klagebefugnis sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zu bejahen. Sie ergebe sich im Übrigen schon daraus, dass
der Beklagte von ihm durch Bescheid verlange, zum Unterhalt seiner Kinder
beizutragen. Sein Elternrecht könne nicht soweit eingeschränkt werden, dass er zwar
gegen die Kostenbeitragsbescheide Rechtsmittel einlegen könne, nicht aber gegen die
zugrunde liegende Maßnahme der Hilfe zur Erziehung. Verhaltensweisen seiner
Ehefrau könnten nicht dazu führen, dass dadurch seine Inanspruchnahme durch den
Beklagten ausgelöst werde. Im Übrigen müsse in diesem Kontext berücksichtigt werden,
dass die Unterbringung in der Pflegefamilie Folge einer Gewaltanwendung der Mutter
gegen die Kinder gewesen sei.
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Der Kläger beantragt, festzustellen, dass die an die Ehefrau des Klägers adressierten
Bescheide des Beklagten vom 11. Mai 2009 über die Bewilligung von Hilfe zur
Erziehung in Form der Unterbringung der Kinder D. I. und D1. I. in einer besonderen
Wohnform rechtswidrig waren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält die Klage für unzulässig. Der Kläger sei nicht klagebefugt. Das Recht, Hilfe zur
Erziehung zu beantragen, sei mit rechtskräftigem Beschluss vom 30. September 2008
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vom Amtsgericht F. auf die Kindesmutter übertragen worden.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die im Verfahren gewechselten Schriftsätze
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist bereits als unzulässig abzuweisen.
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Das seit der mündlichen Verhandlung in Form einer Feststellungsklage verfolgte
Rechtsschutzgesuch hat keinen Erfolg.
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Es kann an dieser Stelle offen bleiben, ob der Kläger sein Begehren als (allgemeine)
Feststellungsklage nach § 43 VwGO oder als Fortsetzungsfeststellungsklage nach §
113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geltend macht. Denn in beiden Fällen ist zwingende
Zulässigkeitsvoraussetzung, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse an der von ihm
erstrebten G. hat. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass für die Annahme eines solchen
Feststellungsinteresses jedes nach vernünftigen Erwägungen schutzwürdige Interesse
rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art genügt,
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für § 43 VwGO vgl. insoweit Kopp-Schenke, VwGO, 15. Aufl. § 43 Rdnrn 23 ff.; für § 113
Abs. 1 VwGO vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2006 - 6 B 61/06 -,
Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG
(Buchholz), 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 = NVwZ 2007, 227 ff.
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Dazu könnte auch die vom Kläger vorgetragene Erwägung gehören, er könne nur so die
Frage der Rechtmäßigkeit der vom Beklagten der Ehefrau bewilligten Hilfe zur
Erziehung klären lassen, die ihm ansonsten im Prozess gegen den Kostenbeitrag
entgegengehalten werde. Diese Rechtsauffassung des Klägers ist indes unzutreffend
und deshalb nicht geeignet, ein Feststellungsinteresse zu begründen. Wie in der
mündlichen Verhandlung dargelegt, ist nach der verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung, für die ein Kostenbeitrag
gefordert wird, grundlegende Voraussetzung für die Heranziehung der Eltern zu einem
Kostenbeitrag zu den Kosten von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe,
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vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom
6. Juni 2008 - 12 A 144/06 -, juris m.w.N., und Beschluss vom 14. Januar 2009 - 12 E
1693/08, soweit ersichtlich nicht veröffentlicht.
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Unter Zugrundelegung dieser obergerichtlichen Rechtsprechung ist es dem Kläger
möglich, die von ihm angezweifelte Rechtmäßigkeit der Hilfegewährung im am gleichen
Tag verhandelten Verfahren gegen die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag (VG
Aachen 2 K 2363/09) geltend zu machen und dort inzidenter klären zu lassen. Ein
Bedürfnis, diese Frage in einem anderen Verfahren vorab gesondert einer gerichtlichen
Überprüfung zu unterziehen, besteht unter diesen Umständen nicht.
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Auch im Übrigen hat der Kläger weder ein Feststellungsinteresse vorgetragen noch ist
ein solches ersichtlich. Zum Kreis solcher "Interessen" zählt allerdings auch die
Wiederholungsgefahr. Da aber die konkreten Situationen, die zum Einschreiten der
Jugendhilfe führen, regelmäßig - anlassbezogen - andere sind, bedarf es der Darlegung
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besonderer Umstände, um eine Wiederholungsgefahr anzunehmen. Daran fehlt es hier.
Schließlich kann das Feststellungsinteresse auch nicht mit einem
Rehabilitationsinteresse des Klägers begründet werden ,
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BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2006 - 6 B 64/06 -, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1
VwGO Nr. 36 m.w.N.
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Ein Rehabilitationsinteresse begründet ein Feststellungsinteresse dann, wenn es bei
vernünftiger Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls als schutzwürdig anzuerkennen
ist. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Kläger durch die streitige
Maßnahme in seinem Persönlichkeitsrecht oder der Wahrung seiner Grundrechte
wesentlich beeinträchtigt ist. Dies kommt beispielsweise in Betracht, wenn die
Begründung der angegriffenen Entscheidung seine Person herabwürdigende
Erwägungen enthält. Erforderlich ist, dass abträgliche Nach-wirkungen einer
diskriminierenden Maßnahme fortbestehen, denen durch eine gerichtliche G. der
Fehlerhaftigkeit der ergriffenen hoheitlichen Maßnahme wirksam begegnet werden
kann.
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass
der Kläger durch die von ihm selbst veranlasste Inobhutnahme seiner Kinder sowie die
anschließende, der Ehefrau bewilligten Hilfe zur Erziehung für die beiden Kinder D. und
D2. im oben beschriebenen Sinne in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt worden ist.
Bei dieser Sachlage kann erst recht kein Fortwirken einer diskriminierenden Wirkung
festgestellt werden.
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Fehlt es aber bereits an einem Feststellungsinteresse für die Klage, kann hier
dahingestellt bleiben, ob im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2001 - 5 C 6/00 -, NJW 2002, 232 f. = FEVS 53, 105 ff.,
der Kläger, dem durch familiengerichtliche Entscheidungen Teile der Personensorge für
seine beiden Kinder entzogen sind, für eine Klage gegen die Bewilligung von Hilfe zur
Erziehung überhaupt klagebefugt wäre.
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Ist die Klage aber bereits unzulässig, ist dem Gericht eine Klärung der vom Kläger
angesprochenen materiellen Fragen nicht möglich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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