Urteil des VG Aachen vom 07.04.2006

VG Aachen: europäischer gerichtshof, anerkennung, bildungswesen, logopädie, gleichwertigkeit, zeugnis, ausbildung, niederlande, hochschulreife, universität

Verwaltungsgericht Aachen, 5 L 50/06
Datum:
07.04.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 L 50/06
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
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I.
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Die 1980 in H. geborene Antragstellerin besuchte von 1997 bis 1999 die
Fachoberschule, Fachrichtung Sozialwesen, in H. , die sie mit dem Zeugnis der
Fachhochschulreife abschloss. Im Anschluss hieran besuchte sie bis zum 31. Juli 2002
die Staatliche Berufsbildende Schule für Gesundheit und Soziales in K. als Höhere
Berufsfachschule und erwarb die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung
'Logopädin'. In diesem Beruf war sie von 2002 bis 2004 in H. tätig.
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Auf ihre Anfrage bei der RWTH Aachen teilte diese der Antragstellerin unter dem 19.
August 2004 mit, dass der von ihr gewünschten Zulassung zum Diplomstudium der
Lehr- und Forschungslogopädie entgegenstehe, dass diese die Allgemeine
Hochschulreife voraussetze, über die die Antragstellerin nicht verfügt. Allerdings könne
sie in das Diplomstudium der Lehr- und Forschungslogopädie eingestuft werden, wenn
sie an einer Fachhochschule im Ausland, insbesondere den Beneluxländern, einen
Fachhochschulabschluss in Logopädie erworben habe.
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Die Antragstellerin besuchte in der Zeit von September 2004 bis Juli 2006 die
Hogeschool Zuyd in Heerlen/Niederlande, die sie mit dem Grad eines 'Bachelor of
Health' verließ.
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Auf ihren Antrag auf Anerkennung ihres Bachelorabschlusses vom 14. Oktober 2005
teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit Bescheid vom 24. Oktober 2005 mit,
dass die begehrte Anerkennung nicht erteilt werden könne. Voraussetzung hierfür sei
ein mindestens dreijähriges Hochschulstudium mit dem Abschluss Bachelor; die
Antragstellerin habe aber lediglich ein einjähriges Studium belegt.
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Hiergegen legte die Antragstellerin rechtzeitig Widerspruch ein, den sie wie folgt
begründete: Ihr sei von Prof. I. zugesichert worden, dass sie zu einem Studium in
Aachen zugelassen werden könne, wenn sie die Hochschule in Heerlen besuche. Auf
welchem Wege sie zu ihrem Hochschulabschluss gekommen sei, sei unerheblich.
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Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 12. Dezember 2005
zurück. Sie führte aus, dass nach den Empfehlungen der Zentralstelle für ausländisches
Bildungswesen für eine Anerkennung des Bachelor-Degree ein mindestens dreijähriges
Präsenzstudium erforderlich sei, das aber nicht vorliege. Nach § 3 AQVO analog
berechtige das an einer Universität erworbene Zeugnis einer
Hochschulabschlussprüfung zu einem Studium in Nordrhein-Westfalen nur, wenn dem
Studium ein mindestens sechssemestriges Studium vorausgegangen ist. Da der
Antragstellerin die deutsche Ausbildung von der niederländischen Hochschule auf den
dortigen Studiengang mit drei Jahren angerechnet worden sei, habe sie nach nur einem
Jahr den niederländischen Hochschulabschluss erlangt. Das Erfordernis eines
mindestens dreijährigen Präsenzstudiums sei somit nicht erfüllt.
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Am 26. Januar 2006 hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Sie trägt vor, dass die Antragsgegnerin nicht darauf
abstellen dürfe, dass sie - die Antragstellerin - nur ein Jahr Anwesenheitsstudium in den
Niederlanden absolviert hat. Denn die niederländische Hochschule habe die
Ausbildung der Antragstellerin zur Logopädin zu Recht entsprechend den Richtlinie
89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 bzw. der ergänzenden Richtlinie
92/51/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 mit sechs Semestern anerkannt. Eine dem
entgegenstehende Empfehlung der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen sei
mit Europarecht unvereinbar. Insbesondere aus Art. 1a und Art 8 der Richtlinie
89/48/EWG des Rates ergebe sich, dass die dort geregelte Anerkennung von
Hochschuldiplomen in Bezug auf die Ausübung eines Berufes auch zu gelten habe,
wenn das Hochschulzeugnis einem anderen Zweck, nämlich der Aufnahme des
Studiums dienen soll. Auch sei auf die Regelzeit und nicht auf die tatsächliche
Studienzeit abzustellen. Die besondere Eilbedürftigkeit der begehrten Regelung ergebe
sich daraus, dass sie zum Sommersemester 2006 das Studium an der RWTH Aachen
aufnehmen wolle und eine Einschreibung nur möglich sei unter Vorlage der begehrten
Bescheinigung.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr eine
vorläufige Bescheinigung über die Feststellung der Gleichwertigkeit des Bachelor-
Abschlusses an der Hogeschool Zuyd in Heerlen/Niederlande vom 30. Juni 2005 mit
dem Zeugnis der Hochschulreife zu erteilen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie ist der Auffassung, dass die Antragstellerin mit der begehrten Regelung eine
unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache begehrt. Im Übrigen nimmt sie Bezug auf
die Ausführungen der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, wonach es sich
bei der Ausbildung der Antragstellerin nicht um einen Hochschulabschluss im Sinne
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des deutsch-niederländischen Äquivalenzabkommens vom 23. März 1983 handelt, weil
der überwiegende Teil der Ausbildung an einer deutschen Bildungseinrichtung ohne
Hochschulrang absolviert worden sei. In einer ergänzenden Stellungnahme an das
Gericht führt die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen aus: Rechtliche
Grundlage der angefochtenen Entscheidung seien die Beschlüsse der
Kultusministerkonferenz vom 12. März 2003 und 10. Oktober 2003. Sie verweist ferner
auf die Niederschrift der Sitzung der Arbeitsgruppe 'Bewertung ausländischer
Bildungsnachweise und Hochschulzulassung ausländischer Studienbewerber' vom 15.
Oktober 2003. Zwar bestehe auch in Deutschland die Möglichkeit, außerhalb des
Hochschulwesens erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten auf ein Hochschulstudium
anzurechnen, jedoch könnten so nur höchstens 50 % eines Hochschulstudiums ersetzt
werden. Die niederländische Regelung führe aber zu einer Anrechnung von an
deutschen Berufsfachschulen erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten zu 75 % auf die
dortigen regulär vierjährigen Studiengänge.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Die Antragstellerin hat das Vorliegen eines für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erforderlichen
Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht. Nach der im vorliegenden Verfahren
allein möglichen summarischen Überprüfung hat die Antragsgegnerin die Erteilung der
begehrten Bescheinigung zu Recht abgelehnt.
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Rechtliche Grundlage der Entscheidung ist § 66 Abs. 4 des Hochschulgesetzes
Nordrhein-Westfalen (HG NRW) i.V.m. § 2 der Verordnung über die Gleichwertigkeit
ausländischer Vorbildungsnachweise mit dem Zeugnis der Hochschulreife
(Qualifikationsverordnung über ausländische Vorbildungsnachweise - AQVO). Danach
regelt das Ministerium durch Verordnung die Feststellung der Gleichwertigkeit von
ausländischen Vorbildungsnachweisen, nämlich der AQVO. Nach § 2 Abs. 1 AQVO
erfolgt die Feststellung der Gleichwertigkeit auf der Grundlage der
Bewertungsvorschläge der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen beim
Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik
Deutschland, soweit sie vom Kultusminister für das Land NRW für verbindlich erklärt
worden sind.
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Konkrete Bewertungsvorschläge in Bezug auf den von der Antragstellerin erlangten
Abschluss liegen ausweislich der einschlägigen Datenbank ANABIN, auf die die
Zentralstelle für Ausländisches Bildungswesen verweist, nicht vor. Allerdings erfolgt ein
Hinweis auf das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden
unter dem 23. März 1983 geschlossene Abkommen über die Anerkennung von
Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich (BGBl 1983 II, S. 242). Nach Art. 2 Abs. 2
dieses Abkommens werden einschlägige Studien im Königreich der Niederlande auf
Antrag in dem Umfang auf ein Studium in der Bundesrepublik Deutschland angerechnet
und die Prüfungen einschließlich der Zwischenprüfungen anerkannt, in welchem sie im
Königreich der Niederlande angerechnet bzw. anerkannt wurden. Hieraus ergibt sich
der geltend gemachte Anspruch nicht. Denn die Antragstellerin begehrt mit der
Anerkennung der Gleichwertigkeit ihres Abschlusses mit dem Zeugnis der
Hochschulreife etwas anderes bzw. mehr als eine Anrechnung von Studienleistungen
bzw. Anerkennung von Prüfungen, nämlich eine Bewertung ihres in den Niederlanden
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erworbenen Bachelor-Abschlusses. Auch auf Art. 3 des vor zitierten Abkommens kann
die Antragstellerin sich zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs nicht mit
Erfolg stützen. Danach berechtigen zwar u.a. akademische Grade den Inhaber im
Hinblick auf ein weiterführendes Studium oder ein weiteres Studium an den
Hochschulen des jeweils anderen Staates zu diesen Studien ohne Zusatz- und
Ergänzungsprüfungen. Dies gilt nach dem 2. Halbsatz der Norm jedoch nur, wenn der
Inhaber des akademischen Grades im Staate der Verleihung zum weiterführenden
Studium oder zu einem weiterführenden Studium ohne Zusatz- oder Ergänzungsprüfung
berechtigt ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat mit
ihrem an der Hogeschool Zuyd erworbenen (HBO-)Abschluss im Fach Logopädie
keinen unmittelbaren Zugang zu einem universitären Studiengang im Fach Logopädie
in den Niederlanden. Dies ergibt sich aus der vom Gericht eingeholten und den
Beteiligten mitgeteilten Auskunft der mit Fragen eines Studiums in den Niederlanden
befassten Edu-Con GmbH vom 30. März 2006, an deren Richtigkeit zu zweifeln die
Kammer keine Veranlassung hat. Sie stimmt überein mit den Angaben der Universität
Utrecht über die Zulassungsvoraussetzungen zu einem Masterstudium im Fach
Logopädiewetenschap (www.umc-utrecht.nl), mit deren Inhalt die Kammer sich aufgrund
vorhandener Kenntnisse der niederländischen Sprache vertraut machen konnte.
Danach ist zwar Inhabern eines Bachelor-Grades der Logopädie ein Zugang zu einem
Studiengang 'Taal- en Spraakpathologie' bzw. 'Logopädiewetenschap' grundsätzlich
möglich, aber nur unter der zusätzlichen Voraussetzung der Belegung eines einjährigen
Übergangsprogramms (sog. Pre-Master) bzw. unter der Voraussetzung von bestimmten
Mathematikkenntnissen und akademischen Fähigkeiten. Letztere werden von der
Universität Utrecht beispielhaft aufgeführt und können danach etwa bestehen aufgrund
einer Teilnahme an einem Untersuchungsprojekt, einem Artikel in einer Fachzeitschrift,
Erfahrung in der Arbeit mit theoretischen Modellen oder der Präsentation auf einem
Kongress. Nach den vorliegenden Erkenntnissen sind damit neben dem erworbenen
Abschluss weitere Qualifikationen erforderlich, die überdies in der Person der
Antragstellerin nicht erfüllt sind.
Auch aus den von der Antragstellerin zitierten Richtlinien 89/48/EWG des Rates vom 21.
Dezember 1988 bzw. 92/51/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 ergibt sich der geltend
gemachte Anspruch auf Gleichwertigkeitsfeststellung nicht. Beide Richtlinien dienen
nämlich ausweislich der darin angeführten Gründe dazu, den Angehörigen der
Mitgliedstaaten die Ausübung aller beruflichen Tätigkeiten, die in einem Aufnahmestaat
von einer weiterführenden Bildung im Anschluss an den Sekundärabschnitt abhängig
sind, zu erleichtern. Eine Erleichterung des Zugangs zu Hochschulen in den
Mitgliedstaaten ist nicht Ziel bzw. Gegenstand der Richtlinien. Die Verweigerung der
Gleichwertigkeitsbescheinigung begegnet schließlich auch mit Rücksicht auf das in Art.
18 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) vom 7. Februar
1992 verankerte Recht auf Freizügigkeit keinen durchgreifenden Bedenken. Danach
wäre es mit dem Recht auf Freizügigkeit zwar unvereinbar, wenn der Mitgliedstaat
seinen Staatsangehörigen und Unionsbürger deshalb weniger günstig behandeln
würde, weil dieser von den Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, die ihm die
Freizügigkeitsbestimmungen des EG-Vertrages eröffnen. Zu den Zielen der Tätigkeit der
Gemeinschaft gehört nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. q EGV ein Beitrag zu einer qualitativ
hochstehenden allgemeinen und beruflichen Bildung, der nach Art. 149 Abs. 2, 2.
Spiegelstrich EGV insbesondere die Mobilität von Lernenden und Lehrenden fördern
soll.
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Eine solche Ungleichbehandlung wäre allerdings gerechtfertigt, wenn sie auf
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objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen
beruhte und in einem angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Zweck stünde, der
mit den nationalen Rechtsvorschriften verfolgt würde,
vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 11. Juli 2002 - Rs. C-224/98 (D'Hoop), Rdnr.
36.
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Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Ausweislich des Beschlusses der
Kultusministerkonferenz vom 28. Juni 2002 über die Anrechnung von außerhalb des
Hochschulwesens erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten auf ein Hochschulstudium
kann eine solche Anrechnung grundsätzlich bei Vorliegen weiterer im Einzelnen
genannter Voraussetzungen erfolgen. Insbesondere soll danach eine Überprüfung nach
den Grundsätzen des Qualitätssicherungssystems erfolgen und können solche
außerhalb des Hochschulwesens erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten höchstens
50 % eines Hochschulstudiums ersetzen. Mit der begrenzten Anrechenbarkeit wird
somit der Zweck der Qualitätssicherung verfolgt, dessen Legitimität nicht in Zweifel zu
ziehen ist. Hierzu stehen die erfolgten Beschränkungen, die immerhin noch eine
Ersetzung von bis zu 50 % eines Hochschulstudiums durch außerhalb des
Hochschulwesens erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten und damit in einem
beachtlichen Umfang zulassen, in einem angemessenen Verhältnis. Diese Wertung
steht im Einklang damit, dass auch in den Niederlanden der Bachleor-
Abschluss/Logopädie regelmäßig nicht allein ausreicht, um Zugang zu einem
Universitätsstudiengang in diesem Fach zu erhalten, sondern dass hierfür die oben
aufgeführten weiteren Voraussetzungen vorliegen müssen (Belegung eines einjährigen
Übergangsprogramms bzw. bestimmte Mathematikkenntnisse und akademische
Fähigkeiten).
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Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über
den Streitwert beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und in Anlehnung an Ziff.
18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung 7/2004,
NVwZ 2004, 1327.
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