Urteil des VG Aachen vom 26.08.2004

VG Aachen: politische verfolgung, irak, gefahr, bundesamt, ausreise, zeitung, wahrscheinlichkeit, religion, anerkennung, leib

Verwaltungsgericht Aachen, 4 K 1660/02.A
Datum:
26.08.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 1660/02.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden, je zu einem Viertel.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Kläger beantragten am 19. Juni 2002 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Hierbei
gaben sie an, die Kläger zu 1. und 2. seien am 28. Februar 1961 bzw. 31. August 1976
jeweils in Basra/Irak, die Klägerinnen zu 3. und 4. am 18. Januar 1996 bzw. 29. Juli
1997 jeweils in Bagdad/Irak geboren, irakische Staatsangehörige arabischer
Volkszugehörigkeit mit mandäischem Glauben; bei den Kläger zu 3. und 4. handele es
sich um die Kinder der miteinander verheirateten Kläger zu 1. und 2.
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Vor dem Bundesgrenzschutzamt, Flughafen Frankfurt/Main, erklärten die Kläger zu 1.
und 2. am 16. Juni 2002 zu ihrem Fluchtweg, sie seien am 30. Mai 2002 von Kirkuk/Irak
in ein kleines Dorf in die Türkei gereist und nach sieben Tagen in ein asiatisches Land
gelangt. Von dort seien sie zu einem anderen asiatischen Ort geflogen, von wo sie mit
dem Flugzeug nach Frankfurt/Main gereist seien. In ihrer Anhörung durch das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) in der
Außenstelle Flughafen-Frankfurt/Main am 19. Juni 2002, die in Arabisch durchgeführt
wurde, erklärten die Kläger zu 1. und 2. ebenso wie bereits bei ihrer Befragung vor dem
Bundesgrenzschutzamt einige Tage zuvor, sie stammten beide aus dem Süden Iraks.
Er, der Kläger zu 1., sei bereits 1984 nach Bagdad gegangen, wo er seine Ehefrau
kennen gelernt und am 12. Dezember 1994 geheiratet habe. Sie, die Klägerin zu 2., sei
1991 nach dem Zweiten Golfkrieg nach Bagdad umgezogen. Sie hätten Basra
verlassen, weil die Iraner in dem Krieg mit Irak Basra bombardiert hätten und neben
ihrem Haus eine Bombe eingeschlagen sei. Er, der Kläger zu 1., habe in Bagdad ein
eigenes Geschäft gehabt, in dem er Gold verarbeitet habe. Sie seien wegen religiöser
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Probleme nach Deutschland gekommen. Als Mandäer, einer Religion, die dem
Christentum verwandt sei, seien sie unerwünscht gewesen. In den Augen der Schiiten
seien sie Heiden. Ihre älteste Tochter habe in der Schule viele Schwierigkeiten gehabt.
Sie habe einen Schleier tragen müssen und die islamische Religion erlernen sollen. Die
Klägerin zu 2. führte aus, aus diesen Gründen habe sie ihre am 18. September 2001
eingeschulte ältere Tochter am 30. Oktober 2001 aus der Schule genommen. Sie sei
beschimpft worden, Gott nicht zu kennen. Es sei eine Sünde, so sei ihr vorgeworfen
worden, in einem bestimmten Monat keine schwarze Kleidung zu tragen. Wenn sie in
einem Geschäft in der Nachbarschaft einkaufen gegangen sei, habe sie das Geld nicht
in die Hand bekommen, sondern es sei ihr hingeworfen worden, um ihre Hand nicht zu
berühren. Es sei unangenehm gewesen, solche Belästigungen im eigenen Land zu
erfahren. Persönlich bedroht oder misshandelt worden seien sie nicht. Es sei aber so,
wer kein Moslem sei, dürfe getötet werden. Der Kläger zu 1. führte weiter aus, in den
ungefähr letzten zwei Monaten vor ihrer Ausreise hätten die Regierung und die Baath-
Partei von ihm verlangt, der Kudes Gaysch, der Armee zur Befreiung Palästinas vom
Zionismus, beizutreten. Er habe sich dann Anfang April 2002 bei Freunden und
Bekannten versteckt, unter deren Mithilfe sein Geschäft und den Haushalt verkauft und
die Ausreise seiner Familie organisiert. Politisch betätigt hätten sie sich nie. Sie
erhofften für sich und ihre Kinder, in einer intelligenten Gesellschaft leben, hier Schutz
und für ihre Kinder eine gute Ausbildung bekommen zu können.
Mit Bescheid vom 1. August 2002 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Kläger ab,
stellte fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 des Ausländergesetzes
(AuslG) nicht vorliegen, forderte die Kläger zum Verlassen der Bundesrepublik
Deutschland auf und drohte ihnen für den Fall nicht fristgemäßer Ausreise die
Abschiebung in den Irak (Nordirak) an. Das Bundesamt führte u. a. zur Begründung an,
die geschilderten Belästigungen im religiösen Bereich hätten keine Asylrelevanz, da sie
lediglich von Nachbarn und nicht vom Staat ausgegangen seien, die geschilderten
Einzelheiten zum Drängen, der Jerusalem-Armee beizutreten, seien wenig glaubhaft,
insgesamt müssten sich die Kläger auf den Nordirak als inländische Fluchtalternative
verweisen lassen. Der Bescheid wurde den Klägern am 5. August 2002 zugestellt.
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Am 19. August 2002 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie
nunmehr noch auf die instabilen Verhältnisse im Irak hinweisen.
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Die Kläger beantragen,
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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 1.
August 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte
anzuerkennen, weiterhin die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass in ihrer Person
hinsichtlich des Irak die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes erfüllt
sind, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass in ihrer Person
hinsichtlich des Irak Abschiebungshindernisse gemäß § 53 des Ausländergesetzes
vorliegen.
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Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Beschluss vom 20. Januar 2003 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den
Berichterstatter als Einzelrichter übertragen, der mit Beschluss vom 13. Januar 2004 den
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Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat.
Zur mündlichen Verhandlung sind die Kläger nicht erschienen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen.
Sämtliche Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Die Erkenntnisse
zum Herkunftsland Irak wurden in das Verfahren eingeführt.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht konnte in Abwesenheit der Nichterschienenen verhandeln und
entscheiden, weil sie mit der Ladung ordnungsgemäß auf diese Möglichkeit
hingewiesen worden waren (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
Die Klage ist zulässig aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig
und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten im Sinne des § 113 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Sie haben keinen Anspruch auf Anerkennung als
Asylberechtigte gemäß Art. 16 a des Grundgesetzes (GG) und
Abschiebungshindernisse nach §§ 51 Absatz 1, 53 des Ausländergesetzes (AuslG)
liegen nicht vor. Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat
abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse,
Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für den
Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift gelten die gleichen Grundsätze wie für die
Auslegung des Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), vgl. Bundesverfassungsgericht
(BVerfG), Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, Amtliche Sammlung
der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) Bd. 80, S. 315 = Neue
Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 1990, S. 151, so dass eine politische Verfolgung
immer dann vorliegt, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische
Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare
Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer
Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit
ausgrenzen. Es muss sich um gezielte staatliche oder jedenfalls dem Staat
zurechenbare Rechtsverletzungen handeln, die den Einzelnen ihrer Intensität nach aus
der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Die
Verfolgungsmaßnahme kann dem Einzelnen oder einer durch ein asylerhebliches
Merkmal gekennzeichneten Gruppe gelten, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989 -
2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE Bd. 80, 315 ff, und 23. Januar 1991 - BvR 902/85 u.
515, 1827/89 -. Wer von nur regionaler oder örtlich begrenzter politischer Verfolgung
betroffen ist, ist nur dann politisch Verfolgter im asylrechtlichen Sinne, wenn er auch in
anderen Teilen seines Heimatlandes keine zumutbare Zuflucht finden kann (inländische
Fluchtalternative), vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. November 1989 - 2 BvR 403,
1501/84 -, BVerfGE Bd. 81, 58; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 30.
April 1996 - BVerwG 9 C 171.95 -, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) Bd. 101, S. 135 ff., vom 15. Mai 1990 - BVerwG
9 C 17.89 - BVerwGE Bd. 85, S. 139, und vom 9. September 1997 - BVerwG 29 C 43.96
- BVerwGE Bd. 105, S. 204, und dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt
wird, vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 19.86 -, Buchholz,
Sammel- und Nachschlagewerk des Bundesverwaltungsgerichts (Buchholz)
Ordnungsnummer 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 71. Hierbei ist zu beachten, dass politische
Verfolgung nur dann vorliegt, wenn es sich um staatliche oder quasistaatliche
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Verfolgung handelt, vgl. BVerwG, Urteil vom 4. November 1997 - BVerwG 9 C 34.96 -
BVerwGE 105, 306. Staatsähnliche Herrschaftsmacht setzt mehr voraus als die
Fähigkeit zu bloßer physischer Machtausübung mit Waffengewalt. Staatsähnlich ist eine
Gebietsgewalt vielmehr nur dann, wenn sie auf einer organisierten, effektiven und
stabilisierten Herrschaftsmacht beruht. Effektivität und Stabilität erfordern eine gewisse
Stetigkeit und Dauerhaftigkeit der Herrschaft, verkörpert vorrangig in der
Durchsetzungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit des geschaffenen Machtapparates, vgl.
BVerwG, a. a. O. Eine nur für kurze Zeit, etwa zur Erreichung eines bestimmten Erfolges,
ausgeübte Herrschaftsmacht, ist keine Staatsgewalt, vgl. BVerwG, Urteil vom 6. August
1996 - BVerwG 9 C 172/95 - BVerwGE 101, 328. Völkerrechtliche Maßstäbe für den
Untergang bzw. die Entstehung von Staaten sind für die asylrechtliche Bewertung nicht
maßgeblich. Das Asylrecht bietet Schutz nur vor der Ausgrenzung aus der für eine
menschenwürdige Existenz unentbehrlichen staatlichen Gemeinschaft. Dem entspricht
es, wenn der Flüchtling zwar nicht durch einen völkerrechtlich anerkannten Staat,
sondern durch eine sich an die Stelle des inzwischen untergegangenen oder
handlungsunfähig gewordenen Staates setzende, diesen verdrängende oder
ersetzende (staatsähnliche) Organisation verfolgt wird. Ist hingegen weder eine
staatliche noch eine staatsähnliche Gebietsgewalt gegeben, so fehlt es an einer zu
politischer Verfolgung im asylrechtlichen Sinne tauglichen Herrschaftsgewalt, vgl.
BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 15.96 - BVerwGE 104, 254. Für die
Beurteilung, ob der geltend gemachte Asylanspruch besteht bzw. sich ein
Schutzsuchender auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG
berufen kann, gelten unterschiedliche Maßstäbe: Hat er seinen Heimatstaat auf der
Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen
und war ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates unzumutbar
(Vorverfolgung), so ist Asyl bzw. Abschiebungsschutz zu gewähren, wenn der
Asylsuchende im Zeitpunkt der Entscheidung vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend
sicher ist (herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Die hinreichende Sicherheit vor
Verfolgung ist dann nicht gegeben, wenn über die bloße Möglichkeit hinaus, Opfer eines
erneuten Übergriffs zu werden, objektive Anhaltspunkte eine Wiederholung der
ursprünglichen oder aber das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung als nicht
ganz entfernt und damit als "reale" Möglichkeit erscheinen lassen. Vgl. BVerfG,
Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80, 315, 344 f.;
BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1990 - BVerwG 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139, 140 f. Hat
der Asylsuchende seinen Heimatstaat hingegen unverfolgt verlassen, so kann sein
Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von beachtlichen
Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung auf der Grundlage des nicht
herabgestuften Maßstabes der beachtlichen Wahrscheinlichkeit droht. Ausgehend von
diesen Maßstäben kommt die Gewährung von Asyl und von Abschiebungsschutz nach
§ 51 Abs. 1 AuslG nicht in Betracht. Dies folgt bereits daraus, dass das bisher
herrschende Baath-Regime in der zweiten Aprilwoche 2003 zusammengebrochen ist
und keine staatliche Macht im Irak mehr ausübt, vgl. Auswärtiges Amt, ad-hoc-Berichte
vom 7. August und vom 6. November 2003, so dass sich jedenfalls im jetzigen Zeitpunkt
die hinreichende Gefahr einer politischen Verfolgung im Irak durch dieses Regime nicht
(mehr) feststellen lässt. Die Kläger sind auch durch keine andere staatliche Organisation
von politischer Verfolgung bedroht. Dabei kann dahinstehen, ob als Bezugspunkt für die
Prüfung der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung die irakische Übergangsregierung
oder die alliierten Besatzungsmächte in Betracht zu ziehen sind. Jedenfalls sind die
tragenden Institutionen des früheren Regimes wie Armee und Republikanische Garde
aufgelöst und die Baath-Partei verboten worden. Am 8. März 2004 haben die Mitglieder
des bisherigen Regierungsrats eine von der Machtübergabe an geltende provisorische
Verfassung unterzeichnet. Es ist beabsichtigt, diese im Oktober 2005 durch eine
endgültige Verfassung abzulösen, die von der bis Januar 2005 zu wählenden
Nationalversammlung ausgearbeitet werden soll. Am 1. Juni 2004 wurde vom
provisorischen Regierungsrat der bisherige Vorsitzende Ghasi Maschal Adschi el Jawer
interimsweise zum Staatspräsidenten deklariert. Anschließend wurde die neue
Interimsregierung unter der Leitung des Ministerpräsidenten Dr. Ayad Allawi vorgestellt.
Der von den USA eingesetzte Regierungsrat löste sich im Anschluss hieran auf. Die
Übergangsregierung hat am 28. Juni 2004 ihr Amt angetreten. Gemäß der irakischen
Übergangsverfassung erhält sie allerdings nur eingeschränkte Rechte. Insbesondere ist
sie nicht befugt, die Bestimmungen der Übergangsverfassung einschließlich eines
ausführlichen Grundrechtekatalogs zu ändern. Formell verfügt die Interimsregierung
über die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes, insbesondere über die Öl- und
Erdgasvorkommen. Bis auf weiteres kontrolliert aber ein internationales Gremium die
Verwendung aller Mittel. Für die Sicherheit des Landes bleiben etwa 150.000
ausländische Soldaten zuständig, die als "multinationale Streitmacht" unter Führung der
USA operieren. Diese wird autorisiert, "alle erforderlichen Maßnahmen" zur
Aufrechterhaltung von Sicherheit und Stabilität zu ergreifen. Bei "heiklen
Angriffsoperationen" muss die irakische Führung konsultiert werden. Ein Vetorecht bei
amerikanischen Militäroperationen hat sie aber nicht. Der Status der US-Truppe ist
letztlich nicht schriftlich vereinbart worden. Erst nach Amtsantritt einer demokratisch
gewählten Regierung soll das Mandat der multinationalen Streitmacht auslaufen. Auf
Ersuchen der irakischen Übergangsregierung kann das Mandat früher beendet werden,
vgl. zu alledem: Auswärtiges Amt, ad-hoc-Berichte vom 7. August 2003, vom 6.
November 2003 und vom 7. Mai 2004; Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 17. November
2003: Ende der Besetzung des Iraks im Juni 2004, NZZ vom 18. November 2003:
Washington verteidigt den neuen Irak-Kurs; Süddeutsche Zeitung vom 17. November
2003: USA beschleunigen Übergabe der Macht an Iraker; Süddeutsche Zeitung vom 9.
März 2004: Irak - ein großer und historischer Tag; NZZ vom 9. März 2004: Irakisches
Grundgesetz unterzeichnet; Yahoo Nachrichten vom 1. Juni 2004 "El Jawer wird
irakischer Übergangspräsident"; Aachener Zeitung vom 29. Juni 2004: "Fahrplan zur
Souveränität". Letztlich ist hingegen nicht entscheidungsrelevant, wer im Irak im
asylrechtlichen Sinne effektiv und stabilisiert die Herrschaftsmacht ausübt. Sind dies
noch die Besatzungsmächte, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass den Kläger durch
sie Verfolgung droht. Ist als Herrschaftsmacht die nunmehr im Amt befindliche
Übergangsregierung anzusehen, sind Verfolgungsmaßnahmen durch sie genauso
wenig ersichtlich. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ist ebenfalls nicht begründet. Die
hinreichend konkrete Gefahr, dass die Kläger bei ihrer Rückkehr in den Irak der Folter
(Abs. 1) oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Abs.
4 in Verbindung mit Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK -) durch staatliche
irakische Stellen unterworfen würden, besteht - wie ausgeführt - nicht. Die
Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Absatz 6 Satz 1 AuslG
sind ebenfalls nicht gegeben, denn von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib,
Leben oder Freiheit der Kläger kann nicht ausgegangen werden. Hierfür genügt nämlich
nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden.
Vielmehr ist der Begriff der Gefahr im Sinne dieser Vorschrift im Ansatz kein anderer als
der im asylrechtlichen Prognosemaßstab angelegte Maßstab der "beachtlichen
Wahrscheinlichkeit", wobei allerdings das Element der Konkretheit einer Gefahr für
"diesen" Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen individuell
bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert, die außerdem landesweit
gegeben sein muss, vgl. BVerwG, Urteile vom 14. März 1997 - BVerwG 9 B 627.96 - und
vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, S. 324, 330. Für die Kläger
müsste somit eine über die beachtliche Wahrscheinlichkeit hinausgehende
überwiegende Wahrscheinlichkeit der oben genannten Rechtsverletzungen bestehen,
vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 15.95 - und vom 19.
November 1996 - 1 C 6.95 -, InfAuslR 1997, S. 193, 197. Hiervon kann im vorliegenden
Fall nicht ausgegangen werden. Zwar ist die allgemeine Kriminalität im Irak seit dem
Sturz des Regimes von Saddam Hussein stark angestiegen und ereignen sich nahezu
täglich Terrorakte mit Toten und Verletzten. Es kann jedoch nicht außer Betracht
bleiben, dass sich diese Anschläge in erster Linie gegen Soldaten der
Besatzungsstreitkräfte und gegen Angehörige anderer ausländischer Staaten oder
Organisationen richten sowie gegen Iraker, die mit diesen Stellen zusammenarbeiten.
Für andere Bevölkerungsgruppen kann vor diesem Hintergrund von einer erheblichen
und konkreten Gefahr für Leib oder Leben nicht ausgegangen werden. Im übrigen ist
von der problematischen Sicherheitslage ebenso wie von der unzureichenden
Versorgungslage und der mangelhaften medizinischen Versorgung, vgl. zu alledem
Auswärtiges Amt, ad-hoc-Berichte vom 7. August und vom 6. November 2003; UNHCR,
Stellungnahme zur Rückkehrgefährdung irakischer Schutzsuchender vom November
2003; Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme an das OVG Schleswig-Holstein vom 1.
Oktober 2003, die Bevölkerung des Irak in ihrer Gesamtheit betroffen, so dass die
daraus erwachsenden Gefahren nur bei einer Entscheidungen der obersten
Landesbehörde nach § 54 AuslG berücksichtigt werden könnten. Auf Grund einer
verfassungsgemäßen Interpretation fielen sie allenfalls dann unter § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG, wenn eine derart extreme Gefahrenlage vorläge, dass der Ausländer bei einer
Rückkehr gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen
überantwortet wäre, vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 -,
NVwZ 1996, S. 199. Hierfür sind im vorliegenden Fall hinreichende Anhaltspunkte nicht
gegeben. Aus ihrer christlichen Glaubenszugehörigkeit als Mandäer (Sabäer), die im
Irak eine zahlenmäßig kleine Minderheit darstellen, können die Kläger eine derart
extreme Gefahrenlage nicht herleiten. Nach ihrem Vortrag sind sie vor ihrer Ausreise
aus dem Irak Belästigungen, Beschimpfungen und Schwierigkeiten ausgesetzt
gewesen, die im Wesentlichen schon bewirken sollten, sich der islamischen Religion
zuzuwenden und sich ihren Verhaltensmustern anzupassen. Die Kläger haben aber
selbst diese Schwierigkeiten nur als unangenehme Belästigungen im eigenen Land
bezeichnet und zugleich ausgeführt, persönlich bedroht oder misshandelt worden seien
sie nicht. Dies stimmt überein mit Stellungnahmen und Auskünften, wonach im Irak zu
Zeiten des Regimes Saddam Husseins Christen allgemein nicht wegen ihrer
Religionszugehörigkeit verfolgt wurden, vgl. etwa: Deutsches Orient-Institut,
Stellungnahme vom 1. Juli 1996 an das Bayerische VG Ansbach. Eine verschärfte
Bedrohungslage für die Kläger als Mandäer lässt sich auch heute für den Fall ihrer
Rückkehr in den Irak nicht feststellen. Zwar kommt es seit Mai 2003 zu Übergriffen
gegen Alkoholläden und deren christliche Besitzer. Insbesondere im schiitisch
dominierten Süden des Landes gibt es Anzeichen für eine zunehmende Islamisierung
des öffentlichen Lebens, indem zum Beispiel Druck auf Frauen ausgeübt wird,
Kopftücher zu tragen. Im Übrigen sind aber schwere Zwischenfälle bisher nicht bekannt
geworden. Dies gilt für Christen, Yeziden und Sabäer gleichermaßen, auch wenn alle
religiösen Minderheiten den Wegfall des staatlichen Schutzes beklagen, vgl. insoweit:
Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Republik Irak vom 7. Mai 2004. Zudem müssten sich die Kläger insoweit auf die
kurdisch verwalteten Gebiete des Nordirak als inländische Fluchtalternative verweisen
lassen, in denen bekanntermaßen viele christliche Glaubenszugehörige, zumeist
Assyrer, unbehelligt leben. Es ist davon auszugehen, dass die Kläger als Mandäer,
einer ebenfalls christlichen Glaubensgemeinschaft, die jedenfalls ihren Ursprung in der
christlichen Gnostik hat, dort keinen Misshandlungen und Drohungen ausgesetzt sind,
vgl.: Allgemeen Ambtsbericht Noord-Irak des Niederländischen Außenministeriums in
Den Haag vom 23. Oktober 2002.
Die im Bescheid des Bundesamtes enthaltene Abschiebungsandrohung ist nicht zu
beanstanden. Sie genügt den Anforderungen der §§ 34, 38 Absatz 1 AsylVfG, 50 AuslG
und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO
i. V. m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf §
167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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