Urteil des VG Aachen vom 29.01.1998

VG Aachen (innere medizin, antragsteller, anordnung, krankenhaus, antrag, einsichtnahme, durchführung, verwaltungsgericht, medizin, chirurgie)

Verwaltungsgericht Aachen, 8 L 1430/97
Datum:
29.01.1998
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 L 1430/97
Tenor:
1. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als
Gesamtschuldner.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf DM 8.000 DM festgesetzt.
Gründe:
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Der gestellte Antrag nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO),
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung zur Durchführung der
Fehlbelegungsprüfung gemäß § 17 a KHG unverzüglich Gelegenheit zur Einsicht in die
Krankenunterlagen zu geben,
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ist in dieser Form bereits unzulässig, weil eine solche einstweilige Anordnung mangels
Bestimmtheit keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hätte. Es wäre nämlich nicht
ersichtlich, aus welchen Fachabteilungen Krankenunterlagen welcher bei welchen
Krankenkassen versicherter Patienten aus welchem Zeitraum vorzulegen wären.
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Aber auch ein nach § 88 VwGO sachgerecht ausgelegter Antrag etwa des Inhalts,
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung zur Durchführung der
Fehlbelegungsprüfung nach § 17 a KHG unverzüglich Gelegenheit zur Einsicht in die in
den Fachabteilungen Innere Medizin (inklusive Dialyse) und Chirurgie in den Jahren
1996 und 1997 über die bei den Antragstellern versicherten Patienten geführten
Krankenunterlagen zu geben,
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müßte letztlich ohne Erfolg bleiben.
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Dabei läßt die Kammer zunächst dahinstehen, ob dem erstrebten Erlaß einer
einstweiligen Anordnung des oben skizzierten Inhalts bereits das sogenannte Verbot
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der Vorwegnahme der Hauptsache entgegensteht, wofür vieles spricht: Zu
berücksichtigen ist nämlich insoweit, daß eine einstweilige Anordnung nur der
Sicherung schutzwürdiger Positionen dienen und in der Regel nicht die Funktion haben
kann, Ansprüche zu befriedigen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann wegen
des verfassungsrechtlichen Gebots effektiver Rechtsschutzgewährung aus Art. 19 Abs.
4 des Grundgesetzes (GG) nur dann anerkannt werden, wenn es zur Vermeidung
schlechthin unzumutbarer Folgen für einen Antragsteller notwendig ist, seinem
Begehren sofort zu entsprechen. Zwar handelt es sich bei der Finanzierbarkeit der
stationären Krankenhausversorgung, dem die Fehlbelegungsprüfung, in deren Rahmen
Einsichtnahme in die Krankenunterlagen begehrt wird, um ein wichtiges Anliegen der
Allgemeinheit. Auch verkennt das Gericht nicht, daß die Erkenntnisse der erstrebten
Fehlbelegungsprüfung von den Antragstellern in die Verhandlungen über einen
Pflegesatz für das Jahr 1997 eingeführt werden sollen. Jedoch dürfte angesichts der
Regelung des § 17 a Abs. 3 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG), derzufolge
für die Jahre 1997 bis 1999 ohnehin zwingend ein pauschaler Fehlbelegungsabzug
vorzunehmen ist, (nämlich jeweils ein Abzug von mindestens einem Prozent des
bereinigten Budgetbetrages, wie er ohne Abzug für Fehlbelegungen vereinbart würde
bzw. bei Fallpauschalen und Sonderentgelten ein Prozent des jeweiligen
Rechnungsbetrages), von einer Dringlichkeit des Rechtsschutzbegehrens, die eine
Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnte, nicht
ausgegangen werden können. Schlechthin unzumutbare wirtschaftliche Folgen für die
Antragsteller dürften bei einer Verweisung auf die Durchführung eines
Hauptsacheverfahrens nicht zu besorgen sein.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige
Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Voraussetzung ist, daß der Antragsteller einen Anordnungsgrund, mithin die
Eilbedürftigkeit, und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO
i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozeßordnung (ZPO).
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Ernstlich zweifelhaft erscheint bereits, ob ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht
worden ist.
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Diese Zweifel resultieren aus der Tatsache, daß die Antragsgegnerin, (vgl. Ziffer 5 des
Protokolls zur Budgetverhandlung vom 26. Juni 1997, Schreiben der Antragsgegnerin
vom 23. Juli 1997 an die Antragstellerin zu 1.), sich seit 1995 - unstreitig - mit einer
Überprüfung der jeweils aktuell im Krankenhaus behandelten Patienten durch den MDK
einverstanden erklärt hat. Insofern stellt sich die Frage, ob es den Antragstellern nicht
durch eine regelmäßige sukzessive Überprüfung der jeweils aktuell stationär im
Krankenhaus befindlichen Patienten durch den MDK seit 1996 (in diesem Jahr sahen
die Antragsteller ausweislich des Schriftsatzes der Antragstellerin zu 1. vom 15.
September 1997 erstmals Anlaß für eine Überprüfung) selbst möglich gewesen wäre,
sich einen längerfristigen Überblick über etwaige Fehlbelegungen in dem von der
Antragsgegnerin betriebenen Krankenhaus zu verschaffen, wodurch auch die nunmehr
erstrebte Einsichtnahme in die über abgeschlossene Fälle erstellten Krankenunterlagen
möglicherweise entbehrlich hätte werden können.
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Letztlich kann die Frage der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes auf sich
beruhen, da jedenfalls das vorliegen eines Anordnungsanspruches nicht glaubhaft
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gemacht worden ist.
Denn das Vorliegen der Voraussetzungen des als Anspruchsgrundlage allein in
Betracht kommenden § 17 a Abs. 2 KHG ist nicht nicht glaubhaft gemacht worden. Nach
der zitierten Vorschrift wirken die Krankenkassen insbesondere durch gezielte
Einschaltung des Medizinischen Dienstes (MDK) darauf hin, daß Fehlbelegungen
vermieden und bestehende Fehlbelegungen zügig abgebaut werden. Zu diesem Zweck
darf der MDK Einsicht in die Krankenunterlagen nehmen.
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"Gezielt" ist dabei die Einschaltung des MDK nur dann, wenn konkreter Anlaß besteht,
eine Fehlbelegung zu vermuten. Hierbei setzt ein solcher konkreter Anlaß voraus, daß
bezogen auf einzelne Patienten ein solcher Verdacht besteht, was allerdings auch bei
einer Vielzahl von Patienten der Fall sein kann. Erforderlich ist eine Anknüpfung an
besondere Auffälligkeiten im Rahmen der Krankenhausbehandlung. Eine
flächendeckende allgemeine, einer Ausforschung gleichstehende Prüfung darf
demgegenüber nicht erfolgen,
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vgl. Dietz/Bofinger "Krankenhausfinanzierungsgesetz, Bundespflegesatzverordnung
und Folgerecht", Kommentare, Band 1, Stand: September 1997, zu § 17 a KHG, Ziffer 4;
Stellungnahme des Landesbeauftragten für den Datenschutz Nordrhein-Westfalen vom
09. Juni 1997 an St. Marien-Hospital, Köln.
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Von einer "gezielten" Einschaltung des MDK in diesem Sinne kann hiernach vorliegend
nicht gesprochen werden.
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Gegen die Annahme, der MDK solle gezielt eingeschaltet werden spricht zunächst
bereits der äußere Anschein insoweit, als in den Fachabteilungen Innere Medizin und
Chirurgie nicht die Krankenunterlagen einzelner konkret benannter Patienten überprüft,
sondern vielmehr die Krankenunterlagen aller (bei den Antragstellern versicherter)
Patienten eingesehen werden sollen.
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Allerdings erscheint nicht von vornherein denknotwendig ausgeschlossen, daß bezogen
auf jeden in den genannten Fachabteilungen behandelten Patienten konkrete
Verdachtsmoment vorliegen können. Daß dem so wäre, ist jedoch nach Auffassung der
Kammer durch das von den Antragstellern als Anlaß für die begehrte Einsichtnahme in
Krankenunterlagen herangezogene statistische Zahlenmaterial nicht hinreichend
dargetan. Der Verweis auf Statistiken vermag nicht die Darlegung konkret benannter
Einzelfälle, bei denen etwa im Rahmen der Rechnungs- oder
Zwischenrechnungslegung Besonderheiten oder Ungereimtheiten aufgefallen sind, zu
ersetzen. Hinzu kommt, daß das von den Antragstellern herangezogene Zahlenmaterial
von begrenztem Aussagewert ist, wie sich beispielhaft an der angeführten
Diagnosegruppe "Symptome und schlecht bezeichnete Affektionen" zeigt, in der nach
Feststellungen der Antragsteller in den Jahren 1994 bis 1996 eine Steigerung von
126,5% zu verzeichnen ist. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der
Antragsgegnerin machte diese Diagnosegruppe im Jahre 1996 in dem von ihr
betriebenen Krankenhaus lediglich 6,3% aus, wohingegen der Landesdurchschnitt
bereits bei 6,79% und der Durchschnitt der Krankenhäuser im ehemaligen
Regierungsbezirk Aachen sogar bei 7,13% lag.
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Daß die geplante Einschaltung des MDK nicht schon dadurch zu einer "gezielten" wird,
daß sich die geplante Fehlbelegungsprüfung lediglich auf die beiden Fachabteilungen
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Innere Medizin (inklusive Dialyse) und Chirurgie beschränken und sich nicht auf das
gesamte von der Antragsgegnerin betriebene Krankenhaus erstrecken soll, wie die
Antragsteller anführen, versteht sich hiernach von selbst. Denn innerhalb dieser beiden
genannten Fachabteilungen soll gerade eine generelle und nicht eine an - aus (auch
mehreren) konkreten Behandlungsfällen resultierende "Verdachtsmomente"
anknüpfende Einzelfallprüfung erfolgen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3 des
Gerichtskostengesetzes (GKG) und beläuft sich mangels genügender Anhaltspunkte für
eine Bezifferung des Antragsinteresses auf den Auffangstreitwert des § 13 Abs. 1 Satz 2
GKG. Angesichts der Tatsache, daß das Begehren der Antragsteller letztlich auf
Befriedigung gerichtet ist, war kein Abschlag für das summarische Verfahren geboten.
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