Urteil des VG Aachen vom 11.08.2006

VG Aachen: prüfer, schule, voreingenommenheit, stoff, verordnung, befangenheit, vollstreckung, informatik, distanz, neutralität

Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 2134/05
Datum:
11.08.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 2134/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Der am 00.00.0000 geborene Kläger war im Schuljahr 2004/2005 Schüler der 10.
Klasse der beklagten Schule. Mit Zeugnis vom 6. Juli 2005 wurde er nicht in die
Jahrgangsstufe 11 versetzt. Eine Nachprüfung im Fach Mathematik am 22. und 23.
August 2005 bestand er nicht.
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Mit Schreiben vom 23. August 2005 legte der Kläger gegen die Wertung der
Nachprüfung Widerspruch ein. Zur Begründung machte er geltend, Herr U. sei als Prüfer
befangen gewesen. Das Verhalten von Herrn U. ihm gegenüber sei im 10. Schuljahr
davon beeinflusst gewesen, dass sein Vater Herrn U. anlässlich eines Elternsprechtags
in der 2. Hälfte des 9. Schuljahrs unter Hinweis auf mangelhafte Unterrichtseinheiten
aufgefordert habe, einen qualifizierten Unterricht durchzuführen, und auf die Möglichkeit
rechtlicher Konsequenzen aufmerksam gemacht habe. Des Weiteren seien bei der
Nachprüfung Fragen aus dem Themengebiet Logarithmen gestellt worden, welches
nicht Gegenstand einer schriftlichen Klassenarbeit gewesen sei, sondern erst nach der
letzten Klassenarbeit einführend behandelt worden sei. Dadurch seien die
Anforderungen in der Nachprüfung verschärft worden. Die Prüfer seien zudem bei der
Beurteilung seiner Leistungen nicht objektiv gewesen. Herr N. und Herr U. hätten ihm
nach der Bekanntgabe des Ergebnisses gesagt, es sei gut, dass er jetzt die Schule
verlassen müsse, weil er die Mathematik der Klasse 11 ohnehin nicht verstehen würde.
Am 30. August 2005 ließ der Kläger die Begründung des Widerspruchs dahin ergänzen,
dass durch gezielte Fehlinformation die Vorbereitungszeit für die Nachprüfung negativ
beeinflusst worden sei. Die für die Vorbereitung genannten Themen Potenzfunktion und
Potenzgleichungen gehörten nicht zu den vorgegebenen prüfungsrelevanten Inhalten
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für das Schuljahr 10.2.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 2005 wies die Bezirksregierung Köln
den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass keine objektiv
feststellbaren Anhaltspunkte vorlägen, die auf eine Befangenheit der bei der
Nachprüfung eingesetzten Prüfer schließen lassen könnten. Hinsichtlich des
Vorbringens betreffend das Verhalten von Herrn U. dem Kläger gegenüber in der Folge
des Gesprächs des Vaters mit Herrn U. sei anzumerken, dass dem Kläger in beiden
Halbjahren des 10. Schuljahrs jeweils die bessere Note erteilt worden sei, obwohl nach
Abwägung von schriftlichen und mündlichen Leistungen auch die schlechtere Note
möglich gewesen sei. Außerdem seien die Bedenken erstmals nach der Nachprüfung
geäußert worden, obwohl der angeführte Elternsprechtag weit vor dem Termin der
Nachprüfung stattgefunden habe. Aus den dienstlichen Äußerungen der Mitglieder der
Prüfungskommission ergebe sich, dass Herr U. und Herr N. dem Kläger gegenüber
auch keine Aussage über die Notwendigkeit des Verlassens der Schule gemacht
hätten. Es sei mitgeteilt worden, dass die Leistungen des Klägers in der Prüfung
deutliche Mängel gezeigt hätten und die Wissenslücken zu groß seien, um erfolgreich
im Mathematikunterricht der Jahrgangsstufe 11 mitzuarbeiten. Diese Aussage sei nicht
zu beanstanden und lasse keinen Schluss auf eine mangelnde Objektivität zu, da es
sich um eine sinnvolle und nachvollziehbare Erläuterung des Prüfungsergebnisses
handele. Die vom Kläger beanstandeten Nachprüfungsthemen seien im 2. Halbjahr der
Klasse 10 behandelt worden; nicht erforderlich sei, dass diese Unterrichtsinhalte bereits
in Klassenarbeiten überprüft worden seien. Der Vorwurf der Fehlinformation über die
prüfungsrelevanten Inhalte könne nicht bestätigt werden. Es sei selbstverständlich, dass
der Fachlehrer Auskunft über die im 2. Halbjahr behandelten Unterrichtsinhalte geben
müsse, damit die für die Nachprüfung relevanten Inhalte wiederholt werden könnten;
weitere Absprachen, insbesondere eine Eingrenzung der Themen auf bestimmte
Teilbereiche, seien unzulässig.
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Der Kläger hat am 5. Oktober 2005 Klage erhoben. Der Kläger beantragt,
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unter Aufhebung der Bewertung der Nachprüfung im Fach Mathematik vom 22. August
2005/23. August 2005 mit "nicht bestanden" durch die Beklagte in Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 16. September 2005 der
Beklagten aufzugeben, den Kläger zu einer erneuten Nachprüfung zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen des
Widerspruchsbescheides.
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Den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat die Kammer mit
Beschluss vom 10. Februar 2006 - 9 L 783/05 - abgelehnt; die dagegen erhobene
Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG
NRW) mit Beschluss vom 31. März 2006 - 19 B 298/06 - zurückgewiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Akte des Eilverfahrens 9 L 783/05 sowie der von der Beklagten und
der Bezirksregierung Köln vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid der Beklagten über das Nichtbestehen der Nachprüfung vom 23. August
2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 16.
September 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113
Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Die beanstandete Nachprüfung
weist keine Fehler auf, die einen Anspruch des Klägers auf Zulassung zu einer erneuten
Nachprüfung begründen könnten.
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Dies gilt zunächst hinsichtlich der vom Kläger gerügten Besetzung des
Prüfungsausschusses im Hinblick auf die fehlende Bestellung eines staatlichen
Prüfungsleiters, wobei dahinstehen kann, ob der Kläger sich darauf überhaupt noch mit
Erfolg berufen kann, nachdem er sich an den Prüfungstagen in Kenntnis der Besetzung
des Prüfungsausschusses der Prüfung unterzogen hat,
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vgl. OVG NRW, am angegebenen Ort.
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Dass es für die Nachprüfung keiner Bestellung eines staatlichen Prüfungsleiters
bedurfte, ergibt sich aus den Gründen der genannten Beschlüsse der Kammer und des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, auf die zur Vermeidung von
Wiederholungen verwiesen wird.
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Es liegen auch keine Anhaltspunkte für eine Befangenheit der Mitglieder des
Prüfungsausschusses U. und N. vor.
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Die Besorgnis der Befangenheit ist berechtigt, wenn nach den Umständen des
Einzelfalls ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische
Amtsausübung zu rechtfertigen, vgl. § 21 Abs. 1 Satz 1 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG), der nach §
2 Abs. 3 Ziff. 2 VwVfG auch im Prüfungsverfahren Anwendung findet. Ob dies der Fall
ist, ist unter objektiver Würdigung der tatsächlichen Umstände, also danach zu
beurteilen, ob ein vernünftiger, das heißt objektiv fassbarer Grund für die Annahme einer
Voreingenommenheit des Prüfers vom Standpunkt des Prüflings aus gegeben ist; auf
die lediglich subjektive Auffassung des Prüflings kommt es nicht an,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 2. März 1976 - VII B 22.76 -,
Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG, 421.0 Nr.
72, Urteil vom 26. Januar 1968 - VII C 6.66 -, Amtliche Entscheidungssammlung des
BVerwG 29, 70; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 10. März 1988 -
9 S 1141/86 -, Deutsches Verwal-tungsblatt 1988, 1122. Es müssen daher Tatsachen
vorliegen, die ohne Rücksicht auf individuelle Empfindlichkeiten den Schluss
rechtfertigen, dass der Prüfer gegenüber dem Prüfling nicht die notwendige Distanz und
sachliche Neutralität aufgebracht hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
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Nach den dienstlichen Äußerungen von Herrn U. und Herrn N. vom 24. bzw. 25. August
2005 ist die vom Kläger gerügte Bemerkung, es sei gut, dass er die Schule verlassen
müsse, denn er würde die Mathematik der Jahrgangsstufe 11 ohnehin nicht verstehen,
nicht gefallen. Dies wird durch die dienstliche Äußerung des weiteren Mitglieds des
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Prüfungsausschusses, Frau L. , vom 25. August 2005 bestätigt. Nach den Angaben von
Herrn U. und Herrn N. hat Herr U. als Vorsitzender des Prüfungsausschusses dem
Kläger das Ergebnis der Nachprüfung mitgeteilt und zur Begründung angeführt, dass die
erbrachten Leistungen sowohl im schriftlichen wie im mündlichen Teil der Prüfung so
große Wissenslücken offenbart hätten, dass ein erfolgreiches Mitarbeiten im
Mathematikunterricht der Jahrgangsstufe 11 nicht möglich sei. Dies ist objektiv nicht zu
beanstanden, da es sich um eine nachvollziehbare Erläuterung des
Prüfungsergebnisses handelt, und lässt bei vernünftiger Betrachtung nicht den Schluss
auf eine Voreingenommenheit von Herrn U. zu.
Gegen eine Voreingenommenheit von Herrn U. dem Kläger gegenüber spricht zudem
bei objektiver Würdigung, dass Herr U. dem Kläger als Fachlehrer im Fach Informatik
sowohl im 1. als auch im 2. Halbjahr der Klasse 10 jeweils die bessere von zwei
möglichen Noten erteilt hat, obwohl als Ergebnis der Abwägung von schriftlichen und
mündlichen Leistungen auch die Erteilung der schlechteren Note möglich gewesen
wäre.
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Ferner war kein unzulässiger Stoff Gegenstand der Nachprüfung.
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Nach der Verwaltungsvorschrift (VV) Ziff. 22.4.1 zu § 22 Abs. 4 der Verordnung über die
Ausbildung in der Sekundarstufe I (AO-S I) sind die Aufgaben der Nachprüfung dem
Stoffbereich des Schulhalbjahres zu entnehmen, in dem das Prüfungsfach zuletzt
unterrichtet worden ist. Offen bleiben kann hier, ob vorliegend diese Verordnung
Anwendung findet oder die seit dem 1. August 2005 geltende Ausbildungs- und
Prüfungsordnung Sekundarstufe I vom 29. April 2005, geändert durch Verordnung vom
13. Juli 2005 (APO-S I). Da § 22 Abs. 4 AO-S I und § 22 Abs. 4 APO-S I inhaltsgleiche
Regelungen enthalten, findet Ziff. 22.4.1 der VV zu § 22 AO- S I weiterhin
Berücksichtigung. Deren Vorgaben sind eingehalten.
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Hinsichtlich des gerügten Themenbereichs Logarithmen hat der Kläger eingeräumt,
dass eine Behandlung des Stoffs am Ende des letzten Schulhalbjahres vor der
Nachprüfung erfolgt ist. Entgegen der von ihm vertretenen Auffassung setzen die
vorgenannten Vorschriften nicht voraus, dass der Stoff zuvor Gegenstand einer
schriftlichen Leistungsüberprüfung gewesen ist.
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Bezüglich des Themenkreises Potenzfunktionen hat die Beklagte nachvollziehbar
dargelegt und durch Vorlage der entsprechenden Seiten des Klassenbuchs
nachgewiesen, dass dieses Thema Gegenstand der 1. Klassenarbeit und einer damit im
Zusammenhang stehenden Übungsstunde in dem der Nachprüfung vorangegangenen
2. Halbjahr des Schuljahres 2004/2005 gewesen ist.
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Insofern kann auch von einer falschen Information über den für die Prüfungsvorbereitung
relevanten Stoff nicht die Rede sein. Ausweislich des in Kopie bei den
Verwaltungsvorgängen befindlichen Aufzeichnungsblattes des Klägers hat Herr N. ihm
die entsprechenden Themen benannt. Darüber hinausgehende Anforderungen
bestehen nicht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
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