Urteil des VG Aachen vom 30.05.2006

VG Aachen: aufschiebende wirkung, verkehr mit betäubungsmitteln, vollziehung, konsum, entziehung, aussetzung, verkehrssicherheit, bad, ecstasy, fahreignung

Verwaltungsgericht Aachen, 3 L 254/06
Datum:
30.05.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 L 254/06
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der sinngemäß gestellte Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 19. Januar 2006 wiederherzustellen bzw.
hinsichtlich der darin enthaltenen Zwangsgeldandrohung anzuordnen,
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ist unbegründet.
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Im Falle der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes nach § 80 Abs. 2 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherstellen bzw. anordnen, wenn
das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem
öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung vorrangig ist. Ein überwiegendes
Aussetzungsinteresse ist gegeben, wenn der Rechtsbehelf mit erheblicher
Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird, das heißt, wenn die angefochtene Verfügung
offensichtlich rechtswidrig ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Im
Gegenteil spricht alles dafür, dass der Widerspruch der Antragstellerin keinen Erfolg
haben wird, weil die angefochtene Verfügung sich als offensichtlich rechtmäßig
erweisen wird. Sonstige Gründe, welche die Aussetzung rechtfertigen könnten, liegen
nicht vor.
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In formeller Hinsicht begegnet die Anordnung der sofortigen Vollziehung keinen
rechtlichen Bedenken. Sie ist insbesondere hinreichend schriftlich begründet (vgl. § 80
Abs. 3 VwGO). Angesichts der aus der Ungeeignetheit eines Kraftfahrers für die
Allgemeinheit resultierenden erheblichen Gefahren bedurfte es bei der gegebenen
Sachlage, insbesondere des in Rede stehenden Drogenkonsums, über die erfolgte
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Begründung hinaus keiner weiteren Ausführungen.
Rechtliche Grundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 des
Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 46 der Verordnung über die
Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -).
Danach ist einem Kraftfahrzeugführer die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als
ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.
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Der Antragsgegner ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin derzeit
zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet ist.
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Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ist die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen
insbesondere dann gegeben, wenn Erkrankungen und Mängel nach der Anlage 4 der
FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen
ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV ist bei der "Einnahme von
Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis)"
die Eignung oder bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht gegeben.
Diese Bewertung gilt gemäß Nr. 3 Satz 1 der Vorbemerkungen zur Anlage 4 FeV für den
Regelfall. Die in Ziffer 9 der Anlage 4 enthaltene Differenzierung lässt ein im Interesse
der Verkehrssicherheit unter Berücksichtigung des unterschiedlichen
Gefährdungspotentials von Betäubungsmitteln sinnvolles Stufensystem erkennen: Bei
den die Fahreignung in besonderem Maße negativ beeinflussenden Substanzen, die
unter das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) fallen, soll - mit
Ausnahme von Cannabis, für das eine differenzierte Regelung getroffen ist - bereits die
bloße Einnahme dieser Substanzen die Fahreignung für alle Fahrerlaubnisklassen im
Regelfall ausschließen. Dadurch, dass der Verordnungsgeber auf den eindeutigen
Begriff der Einnahme abgestellt hat, wird verhindert, dass im Einzelfall zu Lasten der
Verkehrssicherheit die Fahrerlaubnisbehörde und gegebenenfalls nachfolgend die
Gerichte die Wirksamkeit des jeweiligen Betäubungsmittels auf den jeweiligen
Fahrerlaubnisinhaber prüfen sollen. Eine solche Vorgehensweise würde nämlich der
besonderen Gefährlichkeit der unter das BtMG fallenden Betäubungsmittel und den
Erfordernissen der Verkehrssicherheit nicht gerecht. Bei Einnahme von
Betäubungsmitteln muss daher das Interesse des einzelnen Fahrerlaubnisinhabers, der
derartige Betäubungsmittel konsumiert hat, grundsätzlich zum Schutze dritter
Verkehrsteilnehmer zurückstehen.
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Die Antragstellerin hat im Zuge des Strafverfahren wegen unerlaubten Besitzes von
Betäubungsmitteln bei ihrer polizeilichen Vernehmung am 13. Mai 2005 eingeräumt, seit
etwa 1 ½ Jahren Speed und "Teile" (Ecstasy-Tabletten) konsumiert und zwar 1-2 mal im
Monat am Wochenende 2-3 Nasen Speed "gezogen" und 3-4 Teile "eingeworfen" zu
haben. Ist somit von einem (eingeräumten) mehrfachen Konsum von Ecstasy und Speed
- beides Amphetaminderivate - über einen längeren Zeitraum auszugehen, führt dies
nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung zur Ungeeignetheit im Sinne
von § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG.
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Vgl. etwa Oberverwaltungsgericht (OVG) Niedersachsen, Beschluss vom 19. November
2004 - 12 ME 404/04 -; OVG Brandenburg, Beschluss vom 22. Juli 2004 - 4 B 37/04 -,
OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19. März 2004 - 1 M 2/04 - (jeweils
zum einmaligen Konsum von Amphetaminen); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 25. März 2003 - 19 B 186/03 -.
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Dem steht nicht entgegen, dass der (eingeräumte) Konsum mittlerweile mehr als ein
Jahr zurück liegt; die Antragstellerin will den Konsum einen Monat vor der polizeilichen
Vernehmung am 13. Mai 2005 eingestellt haben. Nr. 9.5 Anlage 4 FeV enthält die
Aussage, dass zur Wiedererlangung der Eignung im Regelfall eine einjährige Abstinenz
nach Entgiftung und Entwöhnung erforderlich ist. Daraus kann gefolgert werden, dass -
jedenfalls in aller Regel - ein festgestellter Eignungsmangel solange fortbesteht, bis
zumindest eine einjährige durchgängige Abstinenz nachgewiesen ist, wobei den
Betroffenen eine entsprechende Nachweisobliegenheit trifft.
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Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Bad.- Württ.), Urteil vom 30.
September 2003 - 10 S 1917/02 -; VG Meiningen, Beschluss vom 15. März 2006 - 2 E
106/06 -.
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Diese Ausführungen gelten für den Regelfall. Eine kürzere Dauer der Abstinenz bzw.
eines Abstinenznachweises ist für die Wiedererlangung der Kraftfahrereignung aber nur
dann als ausreichend anzusehen, wenn besondere Umstände in der Person des
Betroffenen (insbesondere Kompensationen der Wirkungen des
Betäubungsmittelkonsums durch besondere menschliche Veranlagung, durch
Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere
Verhaltenssteuerungen und -umstellungen, vgl. Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 FeV)
gegeben sind. Im Entziehungsverfahren obliegt es grundsätzlich dem
Fahrerlaubnisinhaber, das Bestehen solcher atypischen Umstände in seiner Person
substantiiert darzulegen.
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Vgl. VGH Bad.-Württ., a.a.O.
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Einen solchen Nachweis hat die Antragstellerin auch nicht ansatzweise geführt. Es
finden sich nicht einmal Indizien dafür, dass derartige atypische Umstände bei ihr zum -
für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung maßgeblichen -
Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vorlagen. Weder ein Nachweis einzelner
ärztlicher Drogenscreenings mit negativem Befund noch eine längere unbeanstandete
Verkehrsteilnahme würde im Übrigen ausreichen, atypische Umstände im vorgenannten
Sinne darzutun.
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Vor diesem Hintergrund ist eine Drogenabstinenz der Antragstellerin bislang nicht
belegt, so dass nach wie vor aufgrund des eingeräumten Drogenkonsums von der
Ungeeignetheit zum Führen von Kfz auszugehen ist.
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Sonstige Gründe, die eine Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen könnten, liegen
nicht vor.
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Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht anzunehmen. Der
erforderliche Ausschluss der aus der derzeitigen Ungeeignetheit der Antragstellerin zum
Führen von Fahrzeugen resultierenden erheblichen Gefahren für andere
Verkehrsteilnehmer kann nur durch eine sofort wirksame Entziehung der Fahrerlaubnis
erreicht werden. Im Interesse der Gefahrenabwehr hat die Antragstellerin dabei auch
etwaige Nachteile in Kauf zu nehmen, die ihr in beruflicher Hinsicht entstehen,
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Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Oktober 1998 - 2 BvQ 32/98 -, im
Internet verfügbar unter "www.bverfg.de".
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Die Anordnung, den Führerschein binnen einer Woche abzuliefern, findet ihre
Grundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV, die Androhung eines
Zwangsgeldes für den Fall der Nicht- oder nicht fristgerechten Ablieferung des
Führerscheins in §§ 55 Abs. 1, 57, 60 und 63 des Verwaltungsvollstreckungs- gesetzes
für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW). Die Höhe des Zwangsgeldes steht
auch in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck, die Antragstellerin zur
Abgabe ihres Führerscheins zu bewegen, § 58 VwVG NRW.
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Die Kostentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 Satz 1 des
Gerichtskostengesetzes (GKG) in der Fassung des KostRMoG vom 5. Mai 2004. Der
Wert berücksichtigt entsprechend ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung für die
Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen B (mit L, M) und BE den einfachen
Regelstreitwert und halbiert diesen Wert wegen des vorläufigen Charakters des hier
vorliegenden Eilverfahrens. Die (unselbständige) Zwangsgeldandrohung wird bei der
Streitwertfestsetzung nicht berücksichtigt.
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