Urteil des VG Aachen vom 07.12.2010

VG Aachen (rechnung, betrag, kürzung, verordnung, firma, antrag, unterlagen, höhe, buchstabe, geschäftsführer)

Verwaltungsgericht Aachen, 3 K 2413/08
Datum:
07.12.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 2413/08
Tenor:
Der Festsetzungs- und Widerrufsbescheid des Beklagten vom 17.
November 2008 wird insoweit aufgehoben als der Beklagte den
Auszahlungsbetrag der gewährten Subvention in Ziffer 2 und 3 des
Bescheides um 3.581,93 EUR gekürzt hat.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d:
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Kürzung eines Auszahlungsbetrages, den sie als
Zuwendung für den Bau eines Waldwirtschaftsweges erhalten hat.
2
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2007 bewilligte der Beklagte der Klägerin
antragsgemäß einen Zuschuss in Höhe von 30.100,-- EUR für den Wegebau als eine
von der Europäischen Union und dem Land Nordrhein-Westfalen finanzierte Maßnahme
zur Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums.
3
Nach Durchführung der Maßnahme reichte der damalige Geschäftsführer der Klägerin
vorab die Rechnung der die Wegebauarbeiten ausführenden Firma U. & T. GmbH beim
Beklagten ein. Darin waren der Klägerin u.a. Kosten für den Einbau von 1.360,75 t
Grobschotter in Rechnung gestellt worden.
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Auf Anforderung des Beklagten reichte die Klägerin die Wiegescheine zum genaueren
Nachweis der eingebauten Schottermengen nach. Die Wiegescheine ergaben ein
Gesamtvolumen an Grobschotter von 1.011,55 t.
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In der Folge, am 16. September 2008, reichte die Klägerin den Verwendungsnachweis
beim Beklagten ein und stellte darin auf der Basis der Rechnung der Firma U. & T.
GmbH den Antrag auf Mittelauszahlung.
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Die Sachbearbeiterin des Beklagten, Frau L. , erkannte nach Sichtung der Unterlagen,
dass die in der vorgenannten Rechnung ausgewiesene Schottertonnage (1.360,75 t)
diejenige überstieg, die sich aus den eingereichten Wiegescheinen (1.011,55 t) ergab.
Am 22. September 2008 setzte sie sich deswegen fernmündlich mit dem
Geschäftsführer der Firma U. & T. GmbH in Verbindung und fertigte folgenden
Gesprächsvermerk:
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"Lt. telef. Rücksprache mit Herrn T. vom 22.09.2008 wurde Originalrechnung v.
12.09.2008 korrigiert, da sich beim Addieren der Wiegescheine "Grobschotter RCL I 56-
120" der Fehlerteufel eingeschlichen hatte und Herr T. ein falsches Additionsergebnis
im Rechner hatte."
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Dementsprechend bestimmte die Sachbearbeiterin die Mengenangabe auf 1.011,55 t
Schotter und änderte den Rechnungsbetrag entsprechend ab. Anschließend setzte sie
sich fernmündlich mit dem (damaligen) Geschäftsführer der Klägerin in Verbindung,
erläuterte den Sachverhalt und änderte auf dessen Anweisung den von der Klägerin
eingereichten Verwendungsnachweis ebenfalls entsprechend ab. Ferner teilte sie der
Klägerin mit, der Antrag sei nun in Ordnung. In der Akte heißt es dazu: "geändert, siehe
Vermerk auf Rechnung U. & T. GmbH v. 22.9.08".
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Am 07. Oktober 2008 führte der Technische Prüfdienst der EU-Zahlstelle der
Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen eine Vor-Ort-Kontrolle durch, die u.a.
folgende Beanstandung ergab: Die (ursprüngliche) Rechnung der Firma U. & T. GmbH
vom 12. September 2008 sei fehlerhaft, weil sie unrichtigerweise eine zu hohe Menge
an Grobschotter (1.360,75 t) zu Grunde lege.
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Durch Festsetzungs- und Widerrufsbescheid vom 17. November 2008 ordnete der
Beklagte in den hier streitbefangenen Ziffern 2 und 3 an, dass die zur Auszahlung
bestimmten Fördermittel um 3.581,93 EUR zu kürzen seien. Zur Begründung führte er
aus, mit der Kürzung sei zu sanktionieren, dass in der zur Mittelauszahlung
eingereichten Rechnung eine überhöhte Angabe der Tonnage an Grobschotter
enthalten gewesen sei. Grundlage der Sanktionierung sei Art. 31 Abs. 1 der Verordnung
(EG) Nr. 1975/2006. Die dort aufgestellten Kürzungsvoraussetzungen seien gegeben.
Die Differenz zwischen dem zunächst beantragten Auszahlungsbetrag (25.150,01 EUR)
und dem nach Prüfung der Förderfähigkeit unter Berücksichtigung der korrekten
Grobschottertonnage festgestellten Betrag (21.568,08 EUR) belaufe sich auf 3.581,93
EUR und betrage damit mehr als 3 %.
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Die Klägerin hat am 16. Dezember 2008 Klage erhoben, zur deren Begründung sie
geltend macht: Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Kürzung gemäß Art. 31 Abs. 1
der Verordnung (EG) Nr. 1975/2006 seien nicht erfüllt. Der Auszahlungsbetrag im
Verwendungsnachweis sei noch vor der eigentlichen Bearbeitung durch den Beklagten
geändert worden. Der Sachbearbeiterin sei nämlich bei Einreichung der Unterlagen
aufgefallen, dass die Tonnageangaben in der Rechnung der Firma U. & T. GmbH
einerseits und aus der Addition der eingereichten Wiegescheine andererseits nicht
übereinstimmten. Über den Fehlbetrag habe die Mitarbeiterin die Klägerin und die Firma
U. & T. GmbH vorab informiert und auf deren Anweisung Rechnung und
Verwendungsnachweis korrigiert. Ihr, der Klägerin, sei fernmündlich ausdrücklich
bestätigt worden, der Antrag sei nunmehr geändert und in Ordnung.
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Die Klägerin beantragt,
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Ziffer 2 und 3 des Festsetzungs- und Widerrufsbescheides des Beklagten vom 17.
November 2008 (Kürzung des Auszahlungsbetrages um 3.581,93 EUR) aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält am angefochtenen Bescheid fest und trägt ergänzend vor: Die Korrektur der
Unterlagen durch seine Sachbearbeiterin habe lediglich der korrekten Dokumentation
im Fördervorgang gedient. Mit der Korrektur habe diese die Sanktionierung weder
abwenden können noch wollen. Die Vorlage der korrigierten Rechnung sei ein
Dokumentationserfordernis und habe auf die Sanktion keinerlei Einfluss. Im Übrigen sei
die Klägerin verpflichtet gewesen, die Angaben zu ihren Anträgen nach bestem Wissen
und Gewissen und mit besonderer Sorgfalt zu machen. Der erhöhte Sorgfaltsmaßstab
gelte auch für die Prüfung der in Rede stehenden Rechnung. Mittels einfacher Addition
der Wiegescheine hätte die Klägerin den Fehler feststellen können und müssen. Es
handele sich auch nicht um einen offensichtlichen Fehler im Sinne des EU-
Subventionsrechts, weil er nicht ohne Weiteres sofort als Irrtum ersichtlich gewesen ist.
Dagegen spreche schon der erhebliche Prüfungsaufwand seiner Sachbearbeiterin. Ein
Nachrechnen erfolge nämlich regelmäßig nur stichprobenhaft und nicht etwa
standardmäßig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Die in Ziffer 2 und 3 des Bescheides des Beklagten vom 17. November 2008 verfügte
Zahlungskürzung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, vgl. § 113
Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Das ergibt sich aus dem hier einschlägigen Sanktionssystem der Verordnung (EG) Nr.
1975/2006 der Kommission vom 7. Dezember 2006 mit Durchführungs-bestimmungen
zur Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates hinsichtlich der Kontrollverfahren und der
Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen bei Maßnahmen zur Förderung der
Entwicklung des ländlichen Raums (Abl. EG Nr. L 368/74). Die Voraussetzung der als
Rechtsgrundlage allein in Betracht kommenden Sanktionsvorschrift in Artikel 31 der
Verordnung (EG) Nr. 1975/2006 liegen nicht vor. Absatz 1 dieser Vorschrift lautet:
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"Der Mitgliedstaat prüft den vom Begünstigten erhaltenen Zahlungsantrag und setzt die
förderfähigen Beträge fest. Er setzt außerdem Folgendes fest:
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a) den dem Begünstigten ausschließlich auf der Grundlage des Zahlungsantrags zu
zahlenden Betrag;
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b) den dem Begünstigten nach Prüfung der Förderfähigkeit des Zahlungsantrags zu
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zahlenden Betrag.
Übersteigt der gemäß Buchstabe a ermittelte Betrag den gemäß Buchstabe b ermittelten
Betrag um mehr als 3 %, so wird der gemäß Buchstabe b ermittelte Betrag gekürzt. Die
Kürzung beläuft sich auf die Differenz zwischen diesen beiden Beträgen."
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Demnach greift eine Kürzung nur ein, wenn die beantragte Auszahlung den Betrag
übersteigt, welcher förderfähig ist. Um die Differenz zwischen beiden Beträgen zu
ermitteln, bedarf es eines hinreichend bestimmten Zahlungsantrags. Fehlt ein solcher
Antrag oder stellt dieser sich - wie hier - hinsichtlich der Höhe der begehrten Zahlung
aufgrund von widersprüchlichen Angaben als konkretisierungsbedürftig und damit als zu
unbestimmt dar, so kommt die Festsetzung einer Sanktion schon dem Grunde nach
nicht in Betracht. Ob ein Zahlungsbegehren einen klaren oder unklaren Inhalt hat, ist
eine Frage der behördlichen Erfassung von Anträgen. Dazu enthält die Verordnung
(EG) Nr. 1975/2006 keine Vorgaben mit der Folge, dass auf die mitgliedstaatlichen
Vorschriften des Verwaltungsverfahrens zurückzugreifen ist. Nach § 25 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes NRW sind die Behörden des Landes zur Beratung und
Auskunft verpflichtet. Nach Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift soll die angerufene Behörde
die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von
Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder
aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind.
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Gemessen an diesen Vorgaben durfte der Beklagte mangels eines widerspruchsfreien
Auszahlungsantrags schon dem Grunde nach keine Kürzung vornehmen und musste
auf die Klarstellung des unklaren Antragsbegehrens hinwirken.
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Bei sachgerechter Erfassung des am 16. September 2008 als Verwendungsnachweis
vorgelegten Antragsbegehrens konnte nämlich nicht entschieden werden, welche
Tonnage an Grobschotter (1.360,75 t oder 1.011,55 t) zur Mittelauszahlung letztlich
berücksichtigt werden sollte. Für den höheren Wert sprach die vorgelegte Rechnung
und die daran orientierte Eintragung der Aufwendungen im Antragsformular über den
Verwendungsnachweis. Für den niedrigeren Wert sprach der Inhalt der vorgelegten
Wiegescheine, die Urkundsqualität besitzen und im Auszahlungsverfahren ein
unverzichtbares Nachweismittel zur Feststellung der exakten Tonnage bilden.
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Rechtlich geboten war in dieser Situation eine Kontaktaufnahme mit der klagenden
Antragstellerin, um eine Klärung ihres Antragsbegehrens herbeizuführen, vgl. § 25
VwVfG NRW. Dem hat die Sachbearbeiterin des Beklagten durch fernmündliche
Kontaktaufnahme Rechnung getragen. Die von ihr im Anschluss daran vorgenommenen
Eintragungen in den Förderunterlagen sind als Erklärungen der klagenden
Antragstellerin bzw. des Rechnungsstellers anzusehen. Erst mit dem die Klarstellung
des Antragsbegehrens abschließenden Hinweis der Sachbearbeiterin an die Klägerin,
es sei nun alles in Ordnung, lag ein hinreichend klarer Auszahlungsantrag im Sinne des
Artikels 31 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1975/2006 vor. Auf der Basis dieses
klargestellten Auszahlungsantrags ergibt sich allerdings keine relevante Differenz mehr
zwischen beantragtem und förderfähigem Betrag, so dass - wovon auch der Beklagte
ausgeht - kein Raum für eine Sanktionierung verbleibt.
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Die rechtliche Einordnung, die der Beklagte hinsichtlich der Verfahrensweise seiner
Mitarbeiterin vornimmt, greift zu kurz. Das Argument, diese habe den Fördervorgang
lediglich dokumentiert und sei weder willens noch in der Lage gewesen, die
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Sanktionierung abzuwenden, verkennt, dass die Sachbearbeiterin zu Recht zur
Klarstellung eines widersprüchlichen und damit bescheidungsunfähigen
Antragsbegehrens tätig geworden ist. Im Übrigen muss sich der Beklagte
entgegenhalten lassen, dass seine Rechtsauffassung, wonach die Klägerin einen
ersten (überhöhten) und einen zweiten (korrigierten) Auszahlungsantrag gestellt haben
soll, die verteidigte Sanktionierung nicht rechtfertigt. In diesem - hier nur unterstellten -
Fall hätte die Klägerin nämlich auf die fernmündliche Zusicherung der Sachbearbeiterin
vertrauen dürfen, wonach der Antrag "nunmehr in Ordnung" sei, mithin nur ein einziger
(korrekter) Zahlungsantrag vorliege.
Schließlich kann mangels Entscheidungserheblichkeit offen bleiben, ob die
Berichtigung der Unterlagen nicht auch nach Maßgabe der Grundsätze in Betracht kam,
die von der Europäischen Kommission in einem Arbeitsdokument (AGR 49533/2002)
zur (jederzeit möglichen) Korrektur "offensichtlicher Fehler" erläutert werden. Die
widersprüchlichen Angaben in Bezug auf die Tonnage beruhten nämlich auf einem aus
den Unterlagen ersichtlichen Additionsfehler bei der Erfassung der vorgelegten
Wiegescheine.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über ihre
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der
Zivilprozessordnung.
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