Urteil des VG Aachen vom 15.05.2006

VG Aachen (aufschiebende wirkung, tagespflege, schutz der kinder, tochter, antrag, unbestimmter rechtsbegriff, wohnung, wirkung, eignung, beschwer)

Verwaltungsgericht Aachen, 2 L 193/06
Datum:
15.05.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 193/06
Tenor:
1.) Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2.) Der Antrag der Antragstellerin, ihr im Wege des vorläufigen
Rechtsschutzes die Ausübung der Tagespflege nach § 43 SGB VIII in
der Wohnung U.----gasse 12 in F. -X. vorüber-gehend zu gestatten, wird
abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
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1.) Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin C. aus F. wird
abgelehnt, weil das Rechtsschutzgesuch - wie unter 2.) noch darzulegen sein wird -
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 115, 121 Abs.
2 ZPO.
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2.) Der Antrag der Antragstellerin,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 13. März 2006 gegen den Bescheid
des Antragsgegners vom 7. März 2006 anzuordnen,
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ist unzulässig, weil ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. März 2006 rechtlich
nicht möglich ist. Bei diesem Bescheid handelt es sich - wie der Antragsgegner mit
Schreiben vom 7. März 2006 an die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin
zutreffend ausgeführt hat - um einen Abhilfebescheid im Sinne des § 72 VwGO. Denn
dem Widerspruch der Antragstellerin gegen den die Erlaubnis der Tagespflege
versagenden Bescheid vom 24. Februar 2006 wurde teilweise entsprochen, nämlich
insoweit, als ihr eine Erlaubnis zur Tagespflege nach § 43 SGB VIII für die Kinder B. Q. ,
geb. am 23. August 2004, und E. X1. -C1. , geb. am 16. Juni 2004, unter mehreren
Auflagen erteilt wurde. Dabei steht hier allein die Auflage, dass die Betreuung nicht im
häuslichen Umfeld der Antragstellerin stattfinden darf, im Mittelpunkt der Interessen der
Beteiligten. Soweit der Teilabhilfebescheid dem Begehren der Antragstellerin nicht
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entsprochen hat (hier: das Begehren der Antragstellerin, die Tagespflege in der eigenen
Wohnung auszuüben), ist diese Frage noch von dem Widerspruch gegen den Bescheid
vom 24. Februar 2006 umfasst und der Antragsgegner gehalten, darüber durch Erlass
eines Widerspruchsbescheides zu entscheiden. Denn nach der Systematik der
Vorschriften über das Widerspruchsverfahren (§§ 68 ff VwGO) kann die Behörde dem
form- und fristgerecht (vgl. § 70 VwGO) erhobenen Widerspruch entweder ganz oder
teilweise abhelfen (vgl. § 72 VwGO) oder ihn - soweit nicht abgeholfen wurde - durch
Widerspruchsbescheid (vgl. § 73 VwGO) ganz oder teilweise zurückweisen. Soweit dem
Widerspruch ganz oder teilweise abgeholfen wurde, ist gegen die Abhilfeentscheidung
kein weiterer Widerspruch, sondern lediglich die Klage möglich.
Im Grundsatz wird zwar hinsichtlich des Abhilfebescheides der Klageweg meist
verschlossen sein, da es im Regelfall an einer Beschwer fehlen dürfte. Eine Ausnahme
von diesem Grundsatz kommt deshalb vor allem in den Fällen in Betracht, in denen der
Abhilfebescheid erstmalig eine Beschwer enthält. Auch dann ist wegen dieser
Beschwer - ohne Durchführung eines weiteren Widerspruchsverfahrens - der Klageweg
eröffnet; allein der Abhilfebescheid ist dann Gegenstand der Klage (vgl. § 79 Abs. 1 Nr.
2 VwGO). Eine erstmalige Beschwer im Abhilfebescheid liegt beispielsweise vor, wenn
- wie hier - die Behörde im Abhilfebescheid entgegen der Vorgabe des § 72 VwGO die
Entscheidung über die Kostenlast unterlassen hat. Dies ist dann aber nicht im Rahmen -
wie hier - eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern in einem etwaigen,
fristgerecht anzubringenden Klageverfahren zu klären. Festzuhalten bleibt jedenfalls im
Ergebnis, dass es keinen weiteren Widerspruch gegen einen Abhilfebescheid gibt, mit
dessen Inhalt der Adressat nicht einverstanden ist.
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Eine abweichende Beurteilung kann auch nicht damit begründet werden, dass der
Antragsgegner den Abhilfebescheid vom 7. März 2006 mit der - wie dargelegt
unzutreffenden - Rechtsmittelbelehrung 'Widerspruch' versehen hat. Dieser Umstand
kann nur dazu führen, dass der Antragsgegner den Widerspruch vom 13. März 2006 als
unzulässig verwirft, aber in der Kostenlastentscheidung die Kosten übernimmt, da er zur
Einlegung dieses fehlerhaften Rechtsmittels durch Beifügung einer falschen
Rechtsmittelbelehrung Anlass gegeben hat.
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Dem Begehren der Antragstellerin kann auch nicht durch Umdeutung in den Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 2. März 2006 gegen den Bescheid
des Antragsgegners vom 24. Februar 2006 anzuordnen,
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Rechnung getragen werden. Denn es fehlt an einem Rechtsschutzbedürfnis für eine
solche gerichtliche Entscheidung, da die aufschiebende Wirkung durch Einlegung des
Widerspruchs (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) mit Schreiben vom 2. März 2006
eingetreten und auch nicht vom Antragsgegner nachträglich beseitigt worden ist. Für
einen solchen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist schon deshalb kein Raum, weil weder
im Bescheid vom 24. Februar 2006 noch durch gesonderte Entscheidung in der
Folgezeit nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet worden ist.
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Es liegt schließlich auch kein Fall einer faktischen Vollziehung vor, der unter
Umständen ein Verfahren zur Feststellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80
VwGO zulässt,
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vgl. hierzu Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4.
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Aufl., Rdz. 906 ff. mit weiteren Nachweisen.
Weder ist ein Fall der faktischen Vollziehung gegeben noch kann die Antragstellerin
unter Berufung auf eine festzustellende aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom
2. März 2006 die Tagespflege für die Pflegekinder Q1. und X2. -C2. wie in der
Vergangenheit in ihrer Wohnung U.----gasse 12 in F. - X2. ausüben. Denn der
Antragstellerin ist mit der behördlichen Entscheidung vom 24. Februar 2006 nicht etwa
in einem Akt - etwa im Wege einer Entscheidung nach § 48 SGB X - eine früher erteilte
Erlaubnis zur Tagespflege mit Wirkung für die Zukunft entzogen worden. Die
Antragstellerin war nämlich bislang überhaupt nicht Inhaberin einer ihr erteilten
Erlaubnis zur Ausübung der Tagespflege.
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Die Erlaubnis zur Tagespflege nach § 43 SGB VIII ist durch Art. 1 Zif. 20 des Gesetzes
zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und
Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz - KICK) vom 8. September 2005, BGBl. I S. 2729
ff., neu eingeführt worden; nun wird erstmals generell eine Erlaubnis für die Ausübung
der Tagespflege nach § 23 SGB VIII verlangt. Diese Vorschrift ist nach Art. 4 KICK am 1.
Oktober 2005 in Kraft getreten. Nach der bis zum 30. September 2005 geltenden
Rechtslage bedurfte es - nach der damaligen Fassung des § 44 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB
VIII in Verbindung mit den §§ 16 ff. des nordrhein-westfälischen Ersten Gesetzes zur
Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (AG - KJHG) - für die Ausübung der
Tagespflege nach § 23 SGB VIII keiner Erlaubnis, wenn von der Betreuungsperson -
wie hier von der Antragstellerin - insgesamt nicht mehr als drei Kinder in der
Tagespflege betreut wurden. Der Antragsgegner wäre deshalb nach dem 1. Oktober
2005 in allen Fällen der Tagespflege, die bislang erlaubnisfrei waren, gehalten
gewesen, für die Pflegeperson eine Entscheidung nach dem neuen § 43 SGB VIII zu
treffen. Aus dem Umstand, dass der Antragsgegner den genehmigungslosen Zustand
hier bis zum 24. Februar 2006 toleriert hat - etwa weil der Fall übersehen wurde oder
möglicherweise zu viele Fälle aufzugreifen waren -, kann die Antragstellerin deshalb
keine stillschweigende Erlaubniserteilung nach § 43 SGB VIII herleiten.
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Zur Darlegung ihrer gegenteiligen Auffassung kann die Antragstellerin sich
insbesondere nicht auf die Mitteilung des Antragsgegners vom 28. September 2005
betreffend die Tagespflege nach § 23 SGB VIII für Alessandro Q1. berufen, da diese
keine dem heutigen § 43 SGB VIII entsprechende Erlaubnis nach bisherigem Recht
darstellt, sondern einen anderen Regelungsgegenstand hat. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts,
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Urteil vom 5. Dezember 1996 - 5 C 51.95 -, BVerwGE 102, 274 ff. = NJW 1997, 2766 ff. =
FEVS 47, 489 ff.,
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ist allein der Personensorgeberechtigte für die Bewilligung der Tagespflege nach § 23
SGB VIII antragsbefugt; deshalb ergeht auch nur ihm gegenüber und nicht gegenüber
der Tagesmutter ein entsprechender Bewilligungsbescheid über die Gewährung der
Tagespflege. Zwar wurde in diesem Zusammenhang im Bewilligungsverfahren
inzidenter auch nach bisherigem Recht die Eignung der Pflegeperson geprüft. Nur unter
besonderen - hier nicht gegebenen - Voraussetzungen hält das
Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer
gesonderten Feststellung der Geeignetheit einer Pflegeperson für möglich. Ein solcher
Antrag war aber von der Antragstellerin ausweislich des dem Gericht vorliegenden
Verwaltungsvorgangs in der Vergangenheit nicht gestellt worden. Als eigene
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Berechtigung der Pflegeperson ist als Annex der gegenüber den Eltern des zu
betreuenden Kindes ausgesprochenen Bewilligung der Tagespflege in § 23 Abs. 3 Satz
1 SGB VIII lediglich der unmittelbare Anspruch gegen das Jugendamt auf Erstattung der
entstehenden Aufwendungen einschließlich der Kosten der Erziehung vorgesehen.
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte kann das Schreiben des Antragsgegners vom
28. September 2006 nur als Mitteilung verstanden werden, dass dadurch den Eltern für
das Kind B1. Q1. ab dem 1. Oktober 2005 Tagespflege im Umfang von wöchentlich 30
bis 40 Stunden bewilligt wird und der Antragstellerin als Pflegeperson zukünftig auf ein
von ihr angegebenes Konto dafür monatlich eine Entschädigung in Höhe von 284 EUR
vom Antragsgegner gezahlt werden wird.
Der mit Schriftsatz vom 5. Mai 2006 hilfsweise gestellte (sinngemäße) Antrag der
Antragstellerin,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr eine
Erlaubnis nach § 43 SGB VIII zu erteilen,
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ist zulässig, aber unbegründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht
eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der jeweilige Antragsteller muss glaubhaft
machen, dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht
(Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in
einem Hauptsacheverfahren für ihn mit schlechthin unzumutbaren Nachteilen
verbunden wäre (Anordnungsgrund), vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit §
920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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Nach diesen Maßstäben fehlt es im vorliegenden Fall zumindest an der
Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
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Nach dem heute geltenden § 43 Abs. 1 SGB VIII bedarf diejenige Tagespflegeperson,
die Kinder außerhalb ihrer Wohnung in anderen Räumen während des Tages mehr als
15 Stunden wöchentlich gegen Entgelt betreuen will, einer Erlaubnis. Die Erlaubnis wird
nach § 43 Abs. 2 SGB VIII erteilt, wenn die Person für die Kindertagespflege geeignet
ist. Geeignet sind Personen, die sich zum einen durch ihre Persönlichkeit,
Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft mit Erziehungsberechtigten und anderen
Tagespflegepersonen auszeichnen und zum anderen über kindgerechte
Räumlichkeiten verfügen. Sie sollen über vertiefte Kenntnisse hinsichtlich der
Anforderungen der Kindertagespflege verfügen, die sie in qualifizierten Lehrgängen
erworben oder in anderer Weise nachgewiesen haben.
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Der Begriff der Eignung der Tagespflegeperson ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der
der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Dass bei der Antragstellerin alle in § 43
SGB VIII ausdrücklich beschriebenen Qualifikationsmerkmale gegeben sind, ist
zwischen den Beteiligten unstreitig; sonst wäre es auch nicht zu dem
Teilabhilfebescheid vom 7. März 2006 gekommen. Der Begriff der persönlichen Eignung
umfasst aber neben den in § 43 Abs. 2 SGB VIII ausdrücklich aufgezählten Punkten der
Persönlichkeit, Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft als weitere - quasi
stillschweigende, weil offensichtliche - Voraussetzung, dass in der Pflegestelle für die in
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Tagespflege aufgenommenen Kinder keine anderen für ihre Entwicklung schädliche
Risiken oder Gefährdungen vorhanden sind, die zwar nicht unmittelbar in der Person
der Pflegeperson oder der sächlichen Ausstattung der zur Tagespflege genutzten
Wohnung liegen müssen, aber dennoch letztlich der Sphäre der Pflegeperson
zuzurechnen sind. Als solch ein Risikofaktor kann - wie der Antragsgegner in seinem
Bescheid vom 24. Februar 2006 zutreffend angenommen hat - z.B. ein in der Wohnung
mitlebender Ehemann oder Lebenspartner der Tagespflegeperson in Betracht kommen,
der in der Vergangenheit wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs eines Kindes
verurteilt wurde oder zumindest eines erheblichen Verdachts einer solchen Straftat
ausgesetzt war.
Bei der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Beurteilung teilt die Kammer die
Einschätzung des Antragsgegners, dass unter Ausschöpfung der dem Gericht zur
Verfügung stehenden Erkenntnisquellen in der Person des Lebensgefährten der
Antragstellerin, Herrn I. O. , auf Grund eines solchen in der Vergangenheit erhobenen
Vorwurfs ein für die Betreuung der Kinder in Tagespflege nicht zu verantwortendes
Risiko besteht, das im Sinne der oben erläuterten Zurechenbarkeit die Eignung der
Antragstellerin als Tagespflegeperson in der Wohnung U. gasse 12 in F1. -X3. als
Tagespflegestelle ausschließt.
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Die Kammer ist bei dieser Einschätzung davon ausgegangen, dass es sich bei der
Bewertung von Verdachtsmomenten eines sexuellen Missbrauchs um einen
hochsensiblen, schwierigen Vorgang handelt, bei dem der Jurist regelmäßig der Hilfe
forensisch erfahrener, sachverständiger Psychologen, Psychiater/Psychotherapeuten
oder Gynäkologen bedarf. Eine endgültige Klärung unter Einbeziehung solcher
Sachverständiger ist aber hier schon deshalb nicht möglich, da weder Herr O. noch
seine Tochter T. verfahrensbeteiligt sind. Diese endgültige Klärung ist aber auch aus
anderen Gründen nicht erforderlich. Die Kammer möchte an dieser Stelle ausdrücklich
betonen, dass es im vorliegenden Verfahren nicht um die strafrechtliche Beurteilung des
gegen den Lebensgefährten der Antragstellerin erhobenen Vorwurfs geht, die nach den
anerkannten rechtsstaatlichen Grundsätzen nur auf Grund eines entsprechenden
Tatnachweises durch ein Strafgericht möglich ist. Hier geht es vielmehr um eine
Risikoeinschätzung für eine jugendhilferechtliche Entscheidung, die grundsätzlich auch
auf Grund deutlich niederschwelligerer Hinweise und Anhaltspunkte gegen den
Ehemann/ Lebenspartner einer Tagespflegeperson getroffen werden kann. Der Träger
öffentlicher Jugendhilfe muss im Rahmen seiner nach § 43 SGB VIII zu treffenden
Entscheidung prüfen, ob sich entweder auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung
oder der Bewertung der ihm vorliegenden Anhaltspunkte Verdachtsmomente von
einigem Gewicht ergeben, die er den durch den Genehmigungsvorbehalt der
Tagespflege seiner Obhut unterstehenden Kindern diese Tagespflegestelle nicht als
"ohne besondere Risiken und Gefahren für die Kinder geeignet" zumuten darf. Aus
seiner Aufgabenstellung heraus muss das Jugendamt vorrangig den Schutz der Kinder
vor Gefährdungen, die erfahrungsgemäß schwere Störungen in der
Persönlichkeitsentwicklung auslösen können, im Blick haben und zugleich auch
etwaige negative Folgen, die als Reflex einer ungünstigen Entscheidung auf die
Antragstellerin und den Ehemann/Lebensgefährten zurückfallen können,
berücksichtigen.
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Bei der hierdurch vorgezeichneten Einschätzung und Gewichtung der
Verdachtsmomente hat die Kammer zunächst zu Gunsten des Lebensgefährten der
Antragstellerin, Herrn O. , berücksichtigt, dass er wegen dieses Vorwurfs strafrechtlich
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nicht verurteilt worden ist. Bereits die Staatsanwaltschaft C3. hat mit Beschluss vom 20.
März 2003 - 71 Js 1289/02 - nach § 170 Abs. 2 StPO von der Erhebung einer Anklage
abgesehen und das Verfahren eingestellt. Wie oben bereits dargelegt, beabsichtigt die
Kammer mit der vorliegenden Entscheidung weder, diese Entscheidung der
Staatsanwaltschaft zu revidieren, noch ihre eigene strafrechtliche Würdigung an die
Stelle der Strafverfolgungsbehörden zu setzen, noch gar darauf hinzuwirken, dass das
strafrechtliche Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen wird.
Die Kammer hat zu Gunsten der Antragstellerin und des Herrn O. weiter berücksichtigt,
dass bis heute kein psychiatrisches oder psychologisches Sachverständigengutachten
vorliegt, das die Richtigkeit der von seiner Tochter gegen Herrn O. erhobenen Vorwürfe
abschließend bejahend oder verneinend geklärt hat. Soweit in der oben genannten
staatsanwaltlichen Ermittlungsakte das im familiengerichtlichen Scheidungsverfahren
der Familie O. (Amtsgericht F1. 14 F 248/94) unter dem 29. November 1995 erstellte
Gutachten des Diplompsychologen X4. enthalten ist, befasst es sich im Wesentlichen
mit den Bindungen der Kinder und der Erziehungsfähigkeit der Eltern und nur kursorisch
mit dem von der Tochter erhobenen Vorwurf gegen ihren Vater. Der Sachverständige
hielt es damals im Interesse der zu diesem Zeitpunkt 11jährigen lernbehinderten
Tochter über psychotherapeutische Hilfen hinaus für nicht ratsam, in diesem
Zusammenhang weitere Ermittlungsverfahren zur Klärung des Vorwurfs einzuleiten.
Nach seiner Erfahrung, die durch Literaturberichte bestätigt werde, stehe zu besorgen,
dass solche Maßnahmen nur weitere Unklarheiten schaffen würden und letztlich keine
Eindeutigkeit brächten.
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Unberücksichtigt bleiben müssen ferner die im Verwaltungsvorgang des
Antragsgegners enthaltenen Stellungnahmen, deren Verfasser sich nicht auf
unmittelbare Kenntnis des Herrn O. oder seiner Tochter, sondern auf Erzählungen
Dritter stützen.
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Nach diesen Grundsätzen sieht das Gericht in Würdigung der in den
Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners und der staatsanwaltlichen
Ermittlungsakten unterbreiteten Unterlagen dennoch hinreichende Anhaltspunkte, die
gegen Herrn O. sprechen, jedenfalls aber solche, die eine jugendhilferechtliche
Anerkennung einer Tagespflegestelle der Antragstellerin im Haus U.----gasse 12 in F1. -
X3. ausschließen. Die Kammer hat insbesondere die Überzeugung gewonnen, dass der
von der Tochter gegen Herrn O. erhobene Vorwurf als nicht völlig aus der Luft gegriffen
oder als durch Mutter und/oder Tochter inszenierter Racheakt anzusehen sind. Diese
Verdachtsmomente gegen den Lebensgefährten der Antragstellerin hat auch der
Staatsanwalt in seiner Einstellungsverfügung vom 20. März 2003 gesehen, aber die
Einstellung des Ermittlungsverfahrens damit gerechtfertigt, dass nach den Angaben des
Gutachters X4. im Gutachten vom 29. November 1995 Zweifel bestehen, einen solchen
Tatvorwurf im strafgerichtlichen Verfahren beweisen zu können.
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Die Einschätzung des beschließenden Gerichts für das Vorliegen von die
jugendhilferechtliche Eignung ausschließenden Anhaltspunkten stützt sich
insbesondere auf den von Frau T1. erstellten Bericht des Jugendamtes des
Antragsgegners vom 2. Dezember 1994 für das bereits oben angeführte
Scheidungsverfahren der Familie O. beim Amtsgericht F1. , der sich gleichfalls in der
Ermittlungsakte befindet, sowie auf die von der Leiterin der Erziehungsberatungsstelle
des Kreises F1. , Frau Diplom Psychologin Q2. , unter dem 5. April 2006 erstellte
Stellungnahme. In beiden Berichten werden erhebliche sexuelle Übergriffe und
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sexualisierte Verhaltensauffälligkeiten der Tochter des Herr O. geschildert, die auf
sexuellen Missbrauch hindeuten, ohne dass die Einzelheiten hier in einem Verfahren,
das die Tochter nicht betrifft, vertieft dargestellt werden sollen. Wie der Kammer aus
langjähriger Befassung mit dem Jugendhilferecht bekannt ist, sind die von Frau T1. und
Frau Q2. geschilderten Vorgänge starke Indizien für das Vorliegen eines sexuellen
Missbrauchs. Unter Berücksichtigung dieser Angaben erscheint auch die polizeiliche
Aussage der Tochter vom 21. August 2002 im Ermittlungsverfahren der
Staatsanwaltschaft C3. - trotz gewisser Widersprüchlichkeiten - in einem solchen Licht,
dass aus Sicht des Gerichts die in die negative Entscheidung des Antragsgegners im
Bescheid vom 24. Februar 2006 mündende Risikoabschätzung rechtlich nicht zu
beanstanden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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