Urteil des VG Aachen vom 25.05.2004

VG Aachen: stationäre behandlung, berechnung der frist, eltern, jugendhilfe, jugendamt, gesellschaft, sozialhilfe, suizidversuch, behinderung, arztbericht

Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 2838/00
Datum:
25.05.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 2838/00
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger erstrebt als überörtlicher Träger der Sozialhilfe mit der vorliegenden Klage
vom Beklagten als örtlichem Träger der Jugendhilfe die Erstattung der von ihm
getragenen Kosten für die stationäre Behandlung der T. U. im St. B. Krankenhaus in T.
in der Zeit vom 20. bis zum 25. Januar 1996.
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Die 1981 geborene T. U. lebte 1996 zusammen mit ihren Brüdern Q. und U. im Haushalt
ihres Vaters und dessen Lebensgefährtin in I. (Kreis F. ). Die Haushaltsgemeinschaft
bestritt ihren Lebensunterhalt bereits seit geraumer Zeit aus Mitteln der Sozialhilfe. Die
leibliche Mutter der Kinder, die nach dem Vortrag ihres Ehemanns psychisch krank sein
soll, hatte die Familie 1988 verlassen. Ihr Aufenthalt war unbekannt; er wurde vermutet,
dass sie sich in ihrem Heimatland Frankreich aufhielt. Die Ehe der leiblichen Eltern war
aber 1996 noch nicht geschieden. Nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen litt
das Zusammenleben der Haushaltsgemeinschaft unter dem erheblichen Alkoholabusus
des Vaters und seiner Lebensgefährtin.
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Am 20. Januar 1996 wurde T. U. nach einem Suizidversuch im St. B. Krankenhaus in T.
stationär aufgenommen. Nach dem Arztbericht der Stationsärztin Frau Dr. D. vom 5.
März 1996 wurde sie in Folge einer Tablettenintoxikation bei Tochter-Eltern-
Beziehungsproblematik in bewusstlosem Zustand zur Herz-/Kreislaufüberwachung
zunächst auf der Intensivstation aufgenommen, wo auch die Entgiftung vorgenommen
wurde. Bei zunehmender Bewusstseinstrübung musste die Jugendliche ein Tag lang
künstlich beatmet werden. Danach stabilisierte sich ihr Gesundheitszustand. Nach drei
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Tagen konnte sie auf die Normalstation verlegt werden und wurde am 25 Januar 1996
zur weiteren hausärztlichen Betreuung entlassen. Weiter heißt es dort:
"Auffällig war während des stationären Aufenthalts ein sehr introvertiertes Verhalten der
Patientin. Nach einem neurologischen Gutachten von Frau L. empfiehlt sich bei der
Patientin eine Psychotherapie durch einen Jugendpsychiater unter Einbeziehung der
Eltern. Während des stationären Aufenthalts kam es zu einer, nach Angaben der
Patientin, positiven Aussprache zwischen Eltern und Tochter, Suizidabsichten wurden
von der Patientin nicht mehr geäußert."
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Am 6. Februar 1996 führte das Jugendamt des Beklagten, das von der örtlichen
Polizeistation in T. und vom Klassenlehrer der Jugendlichen über den Suizidversuch
unterrichtet worden war, in dessen Anwesenheit ein Erstgespräch durch, auf das T. U.
nicht vorbereitet war. Die Jugendliche, die nach Zögern wohl Probleme in der
Elternbeziehung eingeräumt hatte, wandte sich strikt gegen eine Hilfe von Seiten des
Jugendamtes. Sie wolle mit der Unterstützung des Bruders allein ein Elterngespräch
führen. Für den nächsten Tag habe sie zusammen mit der Lebensgefährtin des Vaters
einen Termin bei Frau Dr. L. vereinbart. Das Gespräch wurde deshalb mit dem Angebot
des Jugendamtes beendet, dass sie sich bei Beziehungsproblem mit den Eltern
jederzeit an einen Sozialarbeiter des Jugendamtes wenden könne. Das Jugendamt ging
davon aus, dass Frau Dr. L. in dem anstehenden Termin weitere Angebote in Richtung
Therapie unterbreiten werde. Im März und Mai 1996 berichtete der Klassenlehrer dann
nochmals über häufige Fehlzeiten von T. U. in der Schule. Nach Ankündigung eines
Gesprächs mit dem Jugendamt nimmt T. U. den Schulbesuch jeweils wieder auf.
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Am 24. Oktober 1996 wird T. U. zusammen mit ihrem damals 18 jährigen Bruder Q.
zunächst im Hermann-Josef-Haus in N. in Obhut genommen, die dann als eine
Maßnahme der Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung für die Jugendliche
fortgeführt und im Juli 1998 abgeschlossen wurde.
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Nachdem das St. B. Krankenhaus in T. die Kosten der stationären Behandlung zunächst
vergeblich bei der AOK Rheinland geltend gemacht hatte, wandte sie sich im März 1996
wegen der Begleichung der stationären Behandlungskosten zunächst über die
Gemeinde I. an den Beklagten als örtlichen Sozialhilfeträger, der den Vorgang an den
Kläger als überörtlichen Sozialhilfeträger weiterleitete.
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Im März 1997 monierte das St. B. Krankenhaus beim Kläger, dass die Rechnung nach
über einem Jahr noch immer nicht beglichen sei. Der Kläger leitete mit Schreiben vom
24. Juni 1997 die Rechnung an den Beklagten als örtlichen Jugendhilfeträger mit der
Bitte um Begleichung weiter. Nachdem dieser den Vorgang wegen fehlender
Zuständigkeit zurückgereicht hatte, weil zu dieser Zeit keine Jugendhilfe geleistet
worden sei, übernahm der Kläger am 4. August 1997 als zunächst angegangener
Sozialhilfeträger im Sinne des § 43 SGB I vorläufig diese Kosten der stationären
Krankenhausbehandlung. Zugleich machte er mit Schreiben vom 11. August 1997 beim
Beklagten als örtlichem Jugendhilfeträger nach § 102 SGB X Kostenerstattung geltend.
Der Beklagte lehnte nach mehrfacher Erinnerung mit Schreiben vom 25. Februar 1998
die Kostenerstattung ab, da im maßgeblichen Zeitraum keine Eingliederungshilfe nach
§ 35 a SGB VIII für T. U. geleistet worden sei.
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Der Kläger hat am 6. Dezember 2000 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass der
Beklagte die streitigen Kosten der stationären Krankenhausbehandlung im St. B.
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Krankenhaus in T. aus Mitteln der Jugendhilfe zu begleichen habe. T. U. gehöre zum
Personenkreis der seelisch wesentlich Behinderten im Sinne von § 3 Satz 1 der DVO zu
§ 47 BSHG. Diese ergebe sich daraus, dass sie den Suizidversuch ausweislich des
Entlassungsberichts wegen der "Tochter-Eltern- Beziehungsproblematik" unternommen
habe. Sie sei deshalb wegen einer erheblichen psychischen Störung - mithin einer
seelischen Behinderung - stationär behandelt worden. Der Beklagte könne der Klage
auch nicht § 111 SGB X entgegen halten. Denn dieser setze immer erst ein, wenn die
Sozialleistung fällig sei und erbracht wurde. Dies sei hier erst wenige Tage vor dem
Kostenerstattungsgesuch der Fall gewesen. Früher habe das § 111 Satz 2 SGB X
deutlich klargestellt. Durch die Neufassung dieser Vorschrift habe die Rechtsposition
des vorleistenden Sozialleistungsträgers nicht verschlechtert werden sollen.
Der Kläger beantragt, 1. den Beklagten zu verurteilen, die von ihm für den Zeitraum vom
20. Januar 1996 bis 25. Januar 1996 im Hilfezahl T. U. erbrachten Aufwendungen für
die Behandlung im St.-B. Hospital in T. in Höhe von 1.799,35 DM zu erstatten,
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2. den Beklagten in sinngemäßer Anwendung des § 291 BGB zur Zahlung von
Prozesszinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 4 % zu verurteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält die Klage für unbegründet. Ein Erstattungsanspruch sei bereits nach § 111 SGB
X ausgeschlossen. Der letzte Tag des Leistungserbringung sei der 25. Januar 1996
gewesen. Er habe erst weit später als ein Jahr - erstmals mit Schreiben vom 24. Juni
1997 - von den Kosten dieser Krankenhausbehandlung Kenntnis erhalten und sei erst
mit Schreiben vom 11. August 1996 zur Kostenerstattung aufgefordert worden. Für T. U.
sei damals keine Jugendhilfe geleistet worden, so dass diese Kosten nicht von der
Annexleistung Krankenhilfe nach § 40 SGB VIII zu übernehmen seien. Die Beseitigung
der körperlicher Folgen eines Suizidversuchs in Form einer stationären
Krankenhausbehandlung sei auch keine Behandlung einer seelischen Behinderung
und deshalb keine Maßnahme im Sinne des § 35 a SGB VIII.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der vom Kläger und Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgänge
verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die als Leistungsklage zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen
Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der im Hilfefall der T. U. in der Zeit vom
20. bis zum 25. Januar 1996 entstandenen Krankenhauskosten in Höhe von 1.799,35
DM (= 919,99 EUR) gemäß § 102 Abs. 1 SGB X.
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Der Anspruch des Klägers scheitert hier bereits an § 111 SGB X.
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Anzuwenden ist § 111 SGB X hier in der Fassung, die die Vorschrift durch Art. 10 Nr. 8
des Gesetzes zur Einführung des EURO im Sozial- und Arbeitsrecht sowie zur
Änderung anderer Vorschriften (4. EURO-Einführungsgesetz) vom 21. Dezember 2000,
BGBl. I S. 1983, erhalten hat. Diese Vorschrift ist nach Artikel 68 Nr. 1 EURO-
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Einführungsgesetz zum 1. Januar 2001 in Kraft getreten und besagt in § 111 Satz 1 SGB
X - gleichlautend mit dem bisherigen Recht -, dass der Anspruch auf Erstattung
ausgeschlossen ist, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate
nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht.
Diese Frist des § 111 Satz 1 SGB X war nach Auffassung des Gerichts zum Zeitpunkt
der erstmaligen Geltendmachung des Erstattungsbegehrens des Klägers gegenüber der
Beklagten durch das Schreiben vom 11. August 1997 bereits abgelaufen. Denn
Anknüpfungspunkt für den Lauf dieser Ausschlussfrist kann allein die
Leistungsgewährung an den Sozialleistungsbezieher (hier die Krankenhausbehandlung
für T. U. ) sein,
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so die ständige Rechtsprechung der Kammer seit dem Urteil vom 11. Dezember 2001 -
2 K 2277/97 -; auch VG Leipzig, Urteil vom 3. August 2003 - 2 K 1100/99; Eichenhofer in
Wannagat, SGB X, Stand: 32 Lieferung, § 111 Rdnr. 5; von Wulffen in: von Wulffen, SGB
X, 4. Aufl. § 111 Rdnr. 7.
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Denn allein diese Auslegung ermöglicht logisch eine Anknüpfung an die gesetzliche
Vorgabe des "Ablauf(s) des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde". Das
Gericht vermag deshalb der Auffassung des Klägers, es sei bei der Berechnung der
Frist des § 111 Satz 1 SGB X auf den Zeitpunkt des Erbringens seiner Leistung
abzustellen (4. August 1997) nicht zu folgen. Der Tag, für den die Leistung erbracht
wurde, kann immer nur letzte Tag des Bewilligungszeitraums sein, für den die
ursprüngliche Hilfeleistung gezahlt wurde. Für eine Anknüpfung an das Datum der
Leistungserbringung lässt das Gesetzt keinen Raum.
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Die Zwölfmonatsfrist des § 111 Satz 1 SGB X lief somit am 25. Januar 1997 ab. Für
diese Auffassung spricht zum einen, dass der Wortlaut der Vorschrift lediglich besagt,
dass der Erstattungsanspruch innerhalb einer Frist von zwölf Monaten nach
Leistungserbringung geltend zu machen ist, ohne dass zusätzlich das Erfordernis einer
Kenntnis des Erstattungsberechtigten postuliert wird. Zum anderen sprechen der von
der Rechtsprechung des BSG herausgearbeitete Sinn und der Zweck dieser Vorschrift
für diese Auffassung. So soll mit der Geltendmachung von Erstattungsansprüchen nicht
unbegrenzt gewartet werden, sondern der Erstattungspflichtige soll möglichst bald nach
der Leistungserbringung wissen, welche Forderungen auf ihn zukommen, damit er
gegebenenfalls für die zu erwartenden Leistungen entsprechende Rückstellungen
vornehmen kann. Schließlich dient die Frist des § 111 Satz 1 SGB X der raschen
Abwicklung der Erstattungsverfahren selbst; auch deshalb hat der Gesetzgeber den
Beginn der Ausschlussfrist von leicht feststellbaren objektiven Kriterien abhängig
gemacht. I
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Auch die Novellierung des § 111 Satz 2 SGB X gibt zu einer abweichenden
Entscheidung keinen Anlass. Stellte der bisher geltende § 111 Satz 2 SGB X klar, dass
diese Frist frühestens mit der Entstehung des Anspruchs beginnt, wird nach der
novellierten Fassung des § 111 Satz 2 SGB X der Lauf dieser Frist frühestens mit dem
Zeitpunkt in Gang gesetzt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der
Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht
Kenntnis erlangt hat. Da § 120 Abs. 2 SGB X in der Fassung des Art. 10 Nr. 8 des 4.
EURO-Einführungsgesetzes vorsieht, dass die Vorschrift des § 111 Satz 2 SGB X in der
ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung auf alle Erstattungsverfahren anzuwenden
ist, die am 1. Juni 2000 noch nicht abschließend entschieden waren, wäre sie auch im
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vorliegenden Verfahren dem Grunde anzuwenden, sofern Erstattungsverfahren
zwischen Jugend- und Sozialhilfeträgern dieser Vorschrift unterfallen.
Dies ist jedoch zu verneinen. Wie bereits in der Literatur für das Sozialhilferecht erörtert,
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vgl. Schwabe, Die Auswirkungen der Rechtsänderungen in den §§ 111 und 113 SGB X
zum 1.1.2001 auf Erstattungsansprüche der Sozialhilfeträger nach den § 102 ff SGB X
sowie auf das Recht der Kostenerstattung zwischen den Trägern der Sozialhilfe nach
den §§ 103 ff BSHG, ZfF 2001, 81 ff,
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findet § 111 Satz 2 SGB X bereits nach seinem Wortlaut nur auf die
Erstattungsbegehren Anwendung, in denen ein erstattungsberechtigter Leistungsträger,
der seine Leistungsverpflichtung erfüllt hat, erfährt, dass ein (anderer)
erstattungsverpflichteter Leistungsträger materiellrechtlich dem Leistungsbezieher -
nachträglich - einen (weiteren) Sozialleistungsanspruch zuerkannt hat. Wie Schwabe in
dem genannten Beitrag ausführt, hat nach den Gesetzesmaterialien der Gesetzgeber
bei dieser Regelung vom Arbeitsamt erfüllte Ansprüche nach dem SGB III (also
Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe) und die nachträgliche rückwirkende
Bewilligung einer Versichertenrente oder Erstattungsansprüche zwischen Kranken-
Rentenversicherung einerseits und Unfallversicherung andererseits im Blick gehabt.
Diese Konstellation und somit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 111 Satz 2
SGB X setzt stets voraus, dass der erstattungsverpflichtete Leistungsträger immer in
eigener Zuständigkeit und Verantwortung über eine (andere) Sozialleistung an den
gleichen Leistungsbezieher entschieden hat. In diesen Fällen hatte die bisherige
Rechtslage zu als unbefriedigend empfundenen Ergebnissen geführt, weil der
vorleistende Sozialleistungsträger entweder nicht wusste , dass solche Ansprüche in
Rede stehen, oder häufig von der Entscheidung des erstattungspflichtigen
Sozialleistungsträger zu spät Kenntnis erhielt, um in dem von § 111 Satz 1 SGB X
gesetzten zeitlichen Rahmen einen Erstattungsanspruch geltend zu machen.
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so die ständige Rechtsprechung der Kammer seit dem Urteil vom 11. Dezember 2001 -
2 K 2277/97 -; so auch SG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 14. April 2003 - S 23 KR
1314/02.
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Eine solche vergleichbare Situation liegt hier aber im Verhältnis Sozialhilfe- und
Jugendhilfeträger nicht vor. Denn der Beklagte hat zu keinem Zeit - jugendhilferechtlich -
zusprechend über die Kosten der stationären Behandlung der Jugendlichen T. U. im St.
B. Krankenhaus in T. entschieden.
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Die Klage ist aber auch aus weiteren Gründen abzuweisen.
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Nach § 102 Abs. 1 SGB X ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger
erstattungspflichtig, wenn ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften
vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Vorliegend hat der Kläger zwar die von ihm an
die Hilfe Empfängerin erbrachten Leistungen als vorläufige Leistungen gemäß § 43
SGB I bezeichnet, der Beklagte ist jedoch nicht der zur Leistung verpflichtete
Leistungsträger.
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Er wäre nur dann gemäß § 10 Abs. 2 SGB VIII zuständiger Leistungsträger, wenn es
sich bei der der Hilfe Empfängerin "gewährten" stationären Krankenhausbehandlung
um eine jugendhilferechtliche Maßnahme der Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII
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gehandelt hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Nach § 35 a Abs. 1 SGB VIII in der bis zum 19. Juni 2001 geltenden Fassung haben
Kinder und Jugendliche, die seelisch behindert oder von einer solchen Behinderung
bedroht sind, Anspruch auf Eingliederungshilfe. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift finden die
§§ 39 ff. des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) entsprechende Anwendung.
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Es kann zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits offen bleiben, ob T. U. dem
Personenkreis, der nach § 35 a SGB VIII anspruchsberechtigt ist, zuzuordnen ist.
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Denn selbst wenn dies der Fall ist, wurde zu diesem Zeitpunkt für T. U. keine Hilfe zur
Erziehung nach § 27 ff SGB VIII geleistet, so dass Krankenhilfe auch nicht als
Annexleistung nach § 40 SGB VIII erbracht wurde. Es war auch keine Inobhutnahme im
Sinne des § 42 SGB VIII gegeben, da T. U. nicht im St. B. Krankenhaus um ihre
Inobhutnahme gebeten hatte sonder als bewusstloser Notfall aufgenommen wurde.
Auch wenn dem Kläger einzuräumen ist, dass ein Suizidversuch eines Jugendlichen,
der mit einer Störung des Beziehungsgeflechts zu den Eltern begründet wird, in der
Regel dem Jugendamt Anlass zu einer Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen gibt, führt
dies nicht automatisch zur Aufnahme von Jugendhilfe. Hier ist eine solche
Kontaktaufnahme auch am 6. Februar 1996 durch das Jugendamt des Beklagten erfolgt.
Eine jugendhilferechtliche Intervention kam jedoch nicht zustande, weil die Jugendliche
dies nicht wünschte und auch die Eltern keinen Antrag auf Hilfe zur Erziehung stellten.
Der Umstand, dass sie das im Oktober 1996 taten, gibt für den hier maßgeblichen
Zeitraum zu keiner abweichenden Entscheidung Anlass. Die stationäre Behandlung
fand somit weder während einer Zeit der Bewilligung der Jugendhilfe statt, noch schloss
sich eine jugendhilferechtliche Maßnahme unmittelbar so an, dass sich der Eindruck
einer durchgängigen Behandlung aufdrängt.
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Schließlich scheitert die Kostenerstattung daran, weil - bei isolierter Betrachtung - die im
Januar 1996 durchgeführte stationäre Krankenhausbehandlung keine
Eingliederungshilfemaßnahme im Sinne von § 35 a SGB VIII darstellt.
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Die von § 35 a SGB VIII umfassten Maßnahmen, die auch - wie Abs. 2 der Vorschrift
zeigt - ärztliche Behandlungen umfassen können, müssen sich jeweils an dem
gesetzgeberischen Ziel, nämlich eine Wiedereingliederung des Betroffenen in die
Gesellschaft zu ermöglichen, messen lassen. Dementsprechend ist für den Fall einer
Erkrankung, die vor allem auf psychischen oder psychosozialen Probleme gründet, die
Behandlung dieser Grunderkrankung - soweit sie auf die Eingliederung des Betroffenen
in die Gesellschaft gerichtet ist - Ziel der Eingliederungshilfe.
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Vgl. hierzu auch für den Fall der medizinischen Rehabilitation: Bundessozialgericht,
Urteil vom 5. Dezember 1989 - 5 RJ 19/88 -, zitiert nach JURIS; Bayerischer
Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15. Mai 1987 - 12 B 85 A. 1145 -,
Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte (FEVS) 37,
186; für den Fall einer Drogenrehabilitation: Oberverwaltungsgericht Lüneburg,
Beschluss vom 15. Juli 1999 - 4 L 5224/98 -.
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Steht jedoch die Beseitigung der körperlichen Folgen eines Suizidversuchs als alleinige
medizinische Behandlung als Einzelmaßnahme im Raum, kann mit ihr (alleine) der
gesetzgeberische Zweck einer Wiedereingliederung nicht erreicht werden, so dass ein
Anspruch nach § 35 a SGB VIII ausscheidet. In einem solchen Falle stellt sich die
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Behandlung als reine medizinische (Akut-)Behandlung dar, die für sich genommen eine
Eingliederung des Jugendlichen in die Gesellschaft nicht bewirken kann.
Vgl. Wiesner in: Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII, Kinder- und
Jugendhilfe, Kommentar, 2. Auflage 2000, § 35 a Rdnr. 39; Harnach-Beck in:
Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, 3. Auflage, 25. Lieferung Mai 2003, § 35 a
Rdn. 24; allgemeiner gehalten Stähr in: Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch, SGB VIII,
Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar, Stand: August 2003, § 35 a Rdnr. 60.
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Für diese Betrachtungsweise sprechen auch die Umstände der stationären Behandlung
der Hilfe Empfängerin wie sie im Arztbericht der Inneren Abteilung des St. B. Hospitals
in T. vom 5 März 1996 dokumentiert ist. Weder die zeitliche Dauer der stationären
Behandlungen von (nur) fünf Tagen, noch die Behandlungsinhalte lassen den Schluss
zu, dass die Hilfe Empfängerin (jugendhilferechtlich beachtlich) wieder in die
Gesellschaft eingegliedert werden sollte. Vielmehr wird von der Stationsärztin Frau Dr.
D. in ihrem die Behandlung dokumentierenden Arztbericht vor allem die
intensivmedizinische Notfallversorgung in den Vordergrund gestellt, die auch die
körperliche Entgiftung umfasste. Die im Hintergrund des Suizidversuchs stehenden
Probleme der Eltern-/Kind werden dagegen während des Krankenhausaufenthaltes
nicht bearbeitet, sondern sollen auf Empfehlung der hinzugezogenen Fachärztin Frau
Dr. L. einer im Anschluss durchzuführenden psychotherapeutischen Behandlung durch
einer Jugendpsychiater vorbehalten bleiben.
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Nach alledem ist mangels Zuständigkeit des Beklagten als örtlichem Jugendhilfeträger
für die der Hilfe Empfängerin gewährte Maßnahme ein Anspruch des Klägers auf
Übernahme der ihm entstandenen Kosten gemäß § 102 Abs. 1 SGB X zu verneinen.
Daraus folgt zugleich, dass auch der geltend gemachte Zinsanspruch abzuweisen war.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2, 194 Abs. 5 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §
709 ZPO.
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